Aktie versus Anleihe - ein ungleicher Wettstreit

Armin Sabeur, Foto: Optinova

Der Autor versucht die Frage zu klären, welche Anlageklasse "besser" ist: Aktien oder Anleihen. Klassisch wird den Aktien eine höhere Rendite zugeschrieben, während Anleihen den Investor weniger "den Schlaf rauben". Sabeur widerlegt diese These zumindest im Hinblick auf lange Anlagehorizonte. So gebe es beim DAX nur wenige Fünfjahreszeiträume, die eine negative Rendite aufweisen und selbst größere Einbrüche würden meist zügig wieder aufgeholt. Zudem seien Anleihen gerade in der aktuellen Nullzinsphase - neben einer kaum bis gar nicht vorhandenen Rendite - gar nicht so unriskant. Er sieht in der Geldpolitik eine Gefahr, dass sie zu einem Währungsverfall mit hoher Inflation führen könnte, der im Extremfall einen Schuldenschnitt nach sich ziehen würde. In diesem Szenario sollten Aktienbesitzer deutlich besser wegkommen als Anleihekäufer. Er mahnt jedoch an, dass auch beim Investment in Aktien der Grundsatz der Diversifikation gewahrt bleiben sollte und auf die Qualität der Unternehmen geachtet werden sollte. (Red.)

"Wer gut essen will, kauft Aktien, wer gut schlafen will, kauft Anleihen." Mehr als 20 Jahre nach seinem Tod (14. September 1999) dürfte dieser Satz der Börsenlegende André Kostolany wieder einmal vielen Anlegern in den Sinn gekommen sein.

So hat das Corona-Virus die internationalen Börsen in ihren Grundfesten erschüttert. In nur vier Wochen (Mitte Februar bis Mitte März) sind die Aktienmärkte um bis zu 40 Prozent eingebrochen und die Volatilität praktisch aller wichtigen Aktienindizes ist auf die höchsten Stände seit der Weltfinanzkrise 2008/2009 - zum Teil sogar auf historische Extremwerte - nach oben geschossen. Panik und Verzweiflung waren die vorherrschenden Gefühlsregungen auf dem Parkett. Alles sicherlich nichts für schwache Nerven und schon gar nicht für einen guten ruhigen Schlaf.

Auf der anderen Seite hat die historische Entwicklung gezeigt, dass selbst heftigste Einbrüche an den Aktienmärkten nach überschaubarer Zeit wieder aufgeholt werden und ein breit diversifiziertes Portfolio aus soliden Unternehmensanteilen langfristig mit die höchsten Renditen abwirft. Zur Veranschaulichung sei an dieser Stelle ein Blick auf den Deutschen Aktienindex (DAX) geworfen, auch wenn dessen Zusammenstellung keineswegs den Investmentanforderungen von Optinova entspricht.

Langfristig auf der Sonnenseite

So ist das wichtigste heimische Aktienmarktbarometer seit seiner Normierung auf 1 000 Punkte zum 31. Dezember 1987 bis heute um über 1300 Prozent angestiegen. Das entspricht einer jährlichen Performance von durchschnittlich 8,1 Prozent. Zwar war der Index von verschiedenen Höhen und Tiefen geprägt, langfristig - und das ist das Entscheidende - hat er sich von Rückschlägen aber immer wieder in überschaubarer Zeit erholt. Entsprechend gibt es in der Historie des Deutschen Aktienindex auch nur ganz wenige Fünfjahreszeiträume mit negativer Performance. Ein eindrucksvolles Bild liefert hier regelmäßig das DAX-Rendite-Dreieck des Deutschen Aktieninstituts.

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Noch eindrucksvoller fällt der Blick auf die amerikanischen Börsen aus, für die sehr viel längere Indexzeitreihen verfügbar sind. Beispielsweise ist der 1885 erstmals berechnete Dow Jones Industrial Average Index von damals 62 Punkten auf inzwischen über 26 000 Zähler angestiegen. Würde man - wie beim Performance-Index Dax - Dividendenzahlungen in die Berechnung mit einbeziehen, wären es sogar über 50 000 Punkte. Für den S&P 500 liegen sogar Rückrechnungen bis ins Jahr 1789 vor. Ausgehend von circa 0,5 Punkten notiert das Aktienmarktbarometer, das 70 bis 80 Prozent der US-amerikanischen Aktienmarktkapitalisierung abdeckt, heute bei über 3 100 Zählern. Dabei ist das Aufwärtspotenzial von Aktien theoretisch unbegrenzt. Anleger, die vor 30 Jahren jeweils 5 000 US-Dollar in Apple- und Microsoft-Aktien investiert hätten, könnten sich heute über einen Portfoliowert von mehr als zwei Millionen US-Dollar freuen.

Gut essen - sprich mit Aktien eine attraktive Rendite erzielen - passt also in jedem Fall. Zumindest langfristig gesehen bedeutet dies gleichwohl nicht, dafür auf einen guten Schlaf verzichten zu müssen. Wie aber stellt sich die Situation am Anleihemarkt dar?

Von "risikofreien" Renditen zum "renditefreien" Risiko?

Auch bei Anleihen hat es immer wieder Phasen mit attraktiven Erträgen gegeben, auch wenn die Renditen der meisten aller Anleihegattungen langfristig hinter denen von Aktien zurückgeblieben sind. Ein über viele Jahre hinweg relativ guter Zeitraum für Schuldverschreibungen waren etwa die vergangenen 30 Jahre, die per Saldo von starken Zinssenkungen geprägt waren. Dennoch hat es der REX-Performance-Index (REXP), der die Wertentwicklung (Preisänderungen plus Zinserträge) idealtypischer deutscher Staatsanleihen misst und dessen Indexbasis zum 31. Dezember 1987 auf 100 Punkte normiert wurde, seither "nur" auf eine durchschnittliche Wertentwicklung von 5,1 Prozent per annum (versus 8,1 Prozent beim DAX) gebracht.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Renditeniveau vieler Staatsanleihen aktuell extrem niedrig ausfällt, beziehungsweise sich sogar im negativen Bereich befindet. So können sich Besitzer von Bundesanleihen mit Fälligkeit 2050 (Wertpapierkennnummer: 110248) sicher sein, mit ihren Papieren über die Gesamtlaufzeit hinweg nicht einen Cent zu verdienen. Auch bei soliden Corporate Bonds (Investmentgrade) dürfte es in vielen Fällen schwer werden, auch nur die Inflationsrate auszugleichen.

Auf der anderen Seite ist der Wert von Anleihen leicht zu berechnen und Zins- sowie Rückzahlungstermine stehen von vornherein fest, was Investoren ein hohes Maß an Planungssicherheit bietet. Insbesondere bei Stiftungen und Pensionskassen, die in der Regel ein striktes Asset Liability Management betreiben, erfreuen sich Schuldtitel deshalb großer Beliebtheit. Bei Unternehmensanleihen kommt hinzu, dass diese im Falle von Zahlungsschwierigkeiten, wie sie im Zusammenhang mit dem jüngsten Einbruch der Weltwirtschaft bei vielen Unternehmen zu beobachten sind, vor dem Eigenkapital bedient werden. Und last, but not least sind Anleihen, gemessen an der Volatilität als Risikomaß für Investoren, auf den ersten Blick risikoärmer als Aktien.

Sieht man von Corporate Bonds und dem mit ihnen verbundenen Insolvenzrisiko einmal ab und lenkt den Blick auf Staatsanleihen müssen jedoch zwei Einflussgrößen berücksichtigt werden, die bei der Risikobetrachtung eine entscheidende Rolle spielen können.

Dabei ist zunächst die Fiskalpolitik der emittierenden Staaten zu nennen. Sie hat über die Staatsverschuldung direkten Einfluss auf die Bonität der begebenen Papiere. Die Geldpolitik kann ebenfalls Einfluss auf den Wert von Anleihen nehmen, indem sie die Leitzinsen festlegt und Anleihekaufprogramme initiiert. Ist hinreichendes Vertrauen der Gläubiger vorhanden, bleiben staatliche Schuldverschreibungen ein sicherer Hafen. Das haben die sinkenden Renditen in den zurückliegenden Krisen gezeigt. Wird die Fiskalpolitik jedoch immer ausgabefreudiger und die Verschuldung steigt in Höhen an, die vermuten lassen, dass eine Rückzahlung schwieriger wird, führt dies zu Risikoaufschlägen in Form höherer Zinsen. Dies wurde beispielsweise in der Eurokrise deutlich, als die Renditen italienischer und spanischer Staatsanleihen überproportional angestiegen sind.

Glaubwürdigkeit der Geldpolitik in Gefahr

Die Geldpolitik sprang ein und kaufte die Schuldtitel der entsprechenden Länder auf, was wiederum zu einer sinkenden Zinslast führte. Diese Vorgehensweise kann im Notfall sinnvoll sein, um eine temporäre Krise zu meistern. Wird aus der temporären eine permanente Maßnahme, kann dies die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik jedoch erheblich beschädigen, denn auch die Zentralbanken müssen auf die Qualität ihrer Bilanzen achten. Ist die Aktivseite nämlich überproportional mit problematischen Anleihen besetzt, kann dies zu einem Währungsverfall führen und somit zu der befürchteten Inflation. Bei hoher oder sogar galoppierender Inflation wird das Vertrauen der Anleihegläubiger ausgehöhlt und die Anleihen verlieren real an Wert. Um das Vertrauen wiederherzustellen, muss Wirtschaftswachstum erzeugt werden oder es muss ein Schuldenschnitt her. Ersteres ist bei entwickelten Volkswirtschaften mit einer alternden Bevölkerung problematisch, Letzteres führt zu einer Währungsreform und die Anleihen verlieren dann auch endgültig ihren nominalen Wert. Dass es sich hierbei keineswegs um ein rein theoretisches Szenario handelt, zeigt gerade die deutsche Geschichte nach den beiden Weltkriegen. Auch die Einführung der D-Mark in Ostdeutschland vor 30 Jahren war im Prinzip ein solcher Fall.

Schon seit Jahren steigt die Verschuldung vieler Staaten massiv an und die Zentralbanken haben ihre Bilanzen insbesondere durch Anleihekäufe und weitere verkappte Staatsfinanzierungen immer weiter aufgebläht. Mit der Corona-Krise wurde beides allerdings noch einmal auf ein ganz neues Niveau gehoben. Praktisch alle großen Volkswirtschaften wie auch die Europäische Union haben immense Ausgabenprogramme verabschiedet, die Interventionen der Notenbanken sind auf historische Rekordwerte angestiegen. So hat die Europäische Zentralbank mit dem PEPP (Pandemic Emergency Purchase Program) Mitte März ein 750 Milliarden Euro schweres Anleihekaufprogramm aufgelegt, welches Anfang Juni noch einmal um 600 Milliarden Euro aufgestockt wurde.

Stabilisierung der Staatsfinanzen

Die Fed hat ihren Leitzins auf nahe Null gesenkt, wichtige Verschuldungsregeln für große Banken gelockert und unbegrenzte Anleihekäufe zur Stützung der Konjunktur angekündigt. Darin eingeschlossen sind neben Staatsanleihen auch Hypotheken- und Unternehmensanleihen. Die Bank of England ist als erste westliche Notenbank seit diesem April sogar schon in die direkte Staatsfinanzierung (ohne das Feigenblatt der Anleihekäufe) eingestiegen. Theoretisch kann der britische Staat bei ihr so viel anschreiben lassen, wie er will.

Während das aktuelle Zinsniveau über lange Zeit hinweg künstlich festgeschrieben sein dürfte, da viele Staaten andernfalls unter den Zinslasten zusammenbrechen würden, muss ein Anstieg der Inflation damit keinesfalls ausgeschlossen sein. Ganz im Gegenteil wird die Geldwertstabilität immer weiter in den Hintergrund rücken und sich mehr und mehr der Stabilisierung der Staatsfinanzen unterwerfen. Sorgen die Notenbanken aber auch bei sehr hoch verschuldeten Ländern für billiges Geld in praktisch unbegrenztem Umfang, entfällt auch das letzte bisschen Motivation, dringend erforderliche Reformen durchzuführen und Einsparungen vorzunehmen, um die Verschuldung wieder in den Griff zu bekommen. Dabei dreht sich die Spirale umso schneller, je stärker die Corona-Krise als Begründung für weitere Ausgabeerhöhungen und Staatsfinanzierungen durch die Zentralbanken vorgebracht werden kann.

Aktienbesitzer können die sich aus diesem Teufelskreis ergebende Krise grundsätzlich aussitzen, da sie auf Produktivkapital und nicht auf Schuldscheinversprechen von Regierungen gesetzt haben. Allerdings ist dabei zum einen der Grundsatz der Diversifikation zu beachten und es sollte zum anderen ausschließlich auf Unternehmen mit gesunden Bilanzen und einem funktionierenden Geschäftsmodell gesetzt werden. Der Fall "Wirecard" kann an dieser Stelle sicherlich als Warnsignal dienen. Zudem ist ein Anlagehorizont von mindestens zehn Jahren einzuplanen.

Gleichzeitig sollten neben Aktien und Anleihen auch weitere Anlagemöglichkeiten im Fokus behalten werden, wie etwa Gold. Jede größere Zentralbank weist eine entsprechende Position auf der Aktivseite aus. Im Gegensatz zu den aufgekauften Schuldverschreibungen hat Gold in den vergangenen 20 Jahren deutlich an Wert gewonnen (plus 500 Prozent auf US-Dollar-Basis) und die Verschlechterung der Bilanzqualität der Zentralbanken damit zumindest etwas abgebremst.

Um an den Ausgangspunkt zurückzukehren bleibt abschließend somit festzuhalten, dass die eingangs zitierte "Börsenweisheit" Kostolanys zumindest derzeit wie folgt abzuändern ist: "Wer gut essen will, kauft Aktien, wer gut schlafen will, auch."

Fußnoten

1) https://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/renditedreieck/191231%20DAX-Rendite-Dreieck%2050%20Jahre%20Web.pdf

2) Asset Liability Management bezeichnet vereinfacht gesagt die Koordination der Fälligkeitsstruktur der aktiven und passiven Bilanzpositionen, also die Abstimmung der Anlageportfolios (Assets) beispielsweise mit Verpflichtungen aus Versicherungsprodukten (Liabilities).

Geschichte muss sich nicht wiederholen, sollte aber zur Vorsicht mahnen Am 20. Juni 1948 kam es in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands zu einer Währungsreform. Sie war aufgrund der hohen Verschuldung, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte und der darauffolgenden Inflation, verbunden mit dem Vertrauensverlust in die Reichsmark unumgänglich. Dabei erhielten Bürger der Westzone für 100 Reichsmark 6,50 Deutsche Mark. Schuldner konnten sich freuen, wurden ihre Verbindlichkeiten über Nacht fast vollständig gestrichen. Sparer wurden hingegen um ihre Festgelder, Sparbücher und Anleihen betrogen. Da war das Starterpaket in Höhe von 40 Deutsche Mark, welches jedem Deutschen zustand, nur ein schwacher Trost. Besitzer von Sachwerten blieben von diesen dramatischen Einschnitten verschont. So erfolgte die Umstellung von Aktien eins zu eins und lediglich Immobilienbesitzer wurden später mit dem Lastenausgleich drangsaliert, was im Vergleich zum Verlust praktisch aller (Bar-)Ersparnisse jedoch harmlos war.
 
Armin Sabeur CFA, Vorstand und Portfoliomanager, Optinova, Königstein
Armin Sabeur , CFA, Vorstand und Portfoliomanager, OPTINOVA, Königstein

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