Aktuelle Entwicklungen in der Kunstfinanzierung

Dr. Marcel Morschbach, Foto: Westend Bank AG (Martin Joppen)

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit einer speziellen Nische der Sachwertfinanzierung: der Kunstfinanzierung. Laut Autor ist dieses Segment hierzulande so exotisch, dass sie es bislang noch nicht als eigene Kategorie in die Statistiken der Aufsicht oder Verbände geschafft hat. Das liege auch an den Eigenheiten des Marktes. Dennoch erfreue sich dieser aufgrund des Zins-induzierten Anlagenotstands steigender Beliebtheit. Anders als in den USA gebe es in Europa nur wenige Anbieter in der Kunstfinanzierung. Einen der Gründe dafür sieht Morschbach in der Komplexität der Bewertung von Kunst und der Kreditsicherheit. Eine wichtige Rolle spiele beispielsweise auch die Provenienz. Wurde das Kunstwerk ordnungsgemäß erworben? Handelt es sich gar um Raubkunst? Die Prüfung all dieser und weiterer Fragen und der Wertermittlung sind aufwändig, weswegen Anbieter Kunstkredite nicht gerade zu niedrigen Konditionen anbieten könnten. (Red.)

Ein eher exotisches Segment innerhalb der Sachwertfinanzierung stellt die Kunstfinanzierung dar. Anders als beispielweise die Finanzierung von Immobilien hat es dieses Segment in Europa bislang nicht als eigene Kategorie in die Statistiken der Bankenaufsicht und -verbände geschafft. Das Volumen ist offensichtlich zu klein, und zwar sowohl als Assetklasse im Wealth Management wie auch im Kreditgeschäft.

Heterogene Nachfragestrukturen

Die Gründe für die Zurückhaltung in Bezug auf die Anlage in und Beleihung von Kunst sind vielfältig. Es beginnt damit, dass man selten von Kunstinvestoren, häufig aber von Kunstsammlern spricht. Historisch war der Kauf von Kunst - von Museen abgesehen - lange Zeit eher im Bereich privaten Vergnügens und gesellschaftlichen Repräsentationsanspruchs angesiedelt, man dachte eher an Whiskey, Wein, Uhren und Münzen statt an Exchange-Traded Funds, Aktien und Anleihen.

Hier hat im vergangenen Jahrzehnt ein sichtbarer Wandel eingesetzt. Bedingt durch die praktisch weggefallenen Renditen im Fixed-Income-Bereich und die Negativrendite auf Cash haben private Investoren nach neuen Assetklassen gesucht, die ihnen in Diversifizierung zu Aktien und Immobilien eine positive Rendite versprechen. Zunehmend mehr Family Offices und institutionelle Investoren wagen sich in unkonventionelle Assetklassen vor, so auch in die Kunst, insbesondere in die Kunst nach 1945.

Mit den zunehmenden Investitionen in Kunst steigt auch die Nachfrage nach Kunst-basierter Finanzierung. Dabei können im Wesentlichen folgende Kundengruppen und Verwendungszwecke unterschieden werden:

- private Sammler, in der Regel sehr wohlhabende Unternehmer, die das "tote Kapital", das in ihren Sammlungen steckt, für ihre - meist neuen - unternehmerischen Aktivitäten, wie Investitionen in Start-ups, nutzbar machen wollen.

- Erbengemeinschaften, die sich zunächst einmal einen Überblick über die geerbte Kunst verschaffen müssen, bevor sie über eine Aufteilung oder Verwertung entscheiden, zugleich aber den Liquiditätsbedarf einzelner Erben bedienen wollen. Die Zahlung von Erbschaftssteuern kann hier ebenfalls eine erhebliche Rolle spielen.- Kunstfonds, die professionell in Kunst investieren und über eine Kreditaufnahme die Rendite hebeln.

- Last, but not least Galeristen und Kunsthändler, soweit sie selbst in Kunst investieren (buy & hold) und nicht als reine Kommissionäre auftreten. Auch hier lässt sich ein attraktiver Renditeeffekt durch Fremdfinanzierung erzielen, indem Bestand und damit Umsätze deutlich erhöht werden können.

Wenige Anbieter in Europa

Der gestiegenen Nachfrage stehen - anders als in den USA - in Kontinentaleuropa nur sehr wenige spezialisierte Anbieter gegenüber. Zwar gibt es eine größere Gruppe von Privatbanken oder Private Wealth Divisions größerer Institute, die im Rahmen eines "private wealth finance" auch Kunst als Sicherheiten annehmen, allerdings nicht als eigenständiges Kreditgeschäft, sondern eher im Sinne der Sicherheitenverstärkung.

Die Gründe für diese Zurückhaltung sind vielfältig. Zunächst spielt die geringe Bedeutung der Kunstkäufe im Rahmen privater Investments eine Rolle, wie oben beschrieben. Ferner spielen Reputationsthemen eine wichtige Rolle: Private Kreditaufnahme ist insbesondere in Deutschland verpönt. Wie lange galt der Kauf eines Autos oder Motorrades auf Kredit als unseriös? Es waren US-amerikanische Wettbewerber, die den Markt entwickelten, bevor die Fahrzeughersteller die Ertragsquelle der Fahrzeugfinanzierung erkannten und eigene Banken gründeten.

Handfestere Gründe für die Zurückhaltung der Kreditwirtschaft liegen in der Komplexität der Bewertung von Kunst als Kreditsicherheit. Man kann in der Bewertungstechnik durchaus Parallelen zur Immobilienfinanzierung ziehen, allerdings fehlt die Rechtssicherheit eines Grundbuches und die Transparenz, zum Beispiel in Form von kommunalen Richtwerten. Es kommt nicht von ungefähr, dass die wichtigsten Wettbewerber in der Kunstfinanzierung die Finance Divisions der großen Auktionshäuser sind.

Aufwändige Prüfprozesse

Bei der Kunst gilt es, insbesondere fünf Fragen eindeutig beantworten zu können, um eine belastbare Sicherheiten-Bewertung vornehmen zu können:

- Ist das Kunstwerk echt?

- Haben der Eigentümer und seine Voreigentümer das Kunstwerk rechtmäßig erworben?

- Ist der Zustand des Kunstwerkes einwandfrei?

- Ist das Kunstwerk ausreichend versichert?

- Hat das Werk einen Markt, sodass es in einer Auktion versteigert werden kann?

Zur Frage von Fälschungen gibt es umfangreiche Literatur und Medienbeiträge, die den Laien zum Schluss bringen "art is nothing for the faint-hearted". Typische Fälle von Fälschungen, die es auszuschließen gilt, sind die Signaturfälschung, die Anfertigung von Kopien oder Nachempfindungen. Externes Expertenwissen ist hier gefragt; Echtheitszertifikate beispielsweise werden nur ausgestellt von weltweit anerkannten Experten für den jeweiligen Künstler oder von Komitees, die den Nachlass des Künstlers verwalten. In solchen Fällen gilt das Kunstwerk nur in Verbindung mit einem solchen Zertifikat als echt.

Herkunft der Kunstwerke ein kritisches Thema

Die Aufführung in Werksverzeichnissen, sofern es sie gibt, ist ebenfalls ein belastbarer Nachweis. Allerdings ist die Prüfung nicht auf den Zeitpunkt der Beleihung beschränkt. Anders als eine Immobilie gehen Kunstwerke auf Reisen. Kreditrückführungen im Kunstbereich bedingen den Verkauf des Kunstwerkes und damit die Verbringung zum Beispiel in die Verkaufsräume einer Galerie irgendwo in der Welt. Damit ist, sollte es nicht zum Verkauf kommen, bei Rückkehr des Werkes zu prüfen, ob es sich beim rückkehrenden Stück weiterhin um das Original handelt.

Provenienz ist in mehrfacher Hinsicht ein kritisches Thema:

- Wurde das Werk ordnungsgemäß erworben und bezahlt oder hat der Vorbesitzer noch Ansprüche auf Herausgabe?

- Handelt es sich um ein Werk, das im Land des Ursprungs oder des aktuellen Aufenthaltes nationalen Kulturgutschutzgesetzen unterliegt? Handelt es sich in der historischen Eigentümerkette gegebenenfalls um einen Fall von "Raubkunst" mit entsprechenden Restitutionsansprüchen?

Die Beantwortung dieser Fragen erfordert einen lückenlosen Nachweis der Eigentümerkette und sorgfältige Recherche zu den Umständen der Erwerbe. Die Beschränkung der Kunstfinanzierung auf zeitgenössische Kunst ist hier eine ganz wesentliche Mitigation des Risikos.

Zur Prüfung des Zustandes eines Werkes bedarf es der Expertise von Restauratoren und Kunsthistorikern und den Einsatz moderner Technologie. Und nicht immer ist eindeutig zu klären, ob es sich beispielsweise bei Rissen in der Ölfarbe um einen Schaden oder um einen gewollten Effekt des Malers handelt. Oder ob es sich bei Verwischungen der Graphitaufträge um gewünschte Effekte der Künstler oder um den unsachgemäßen Einsatz des Staubtuchs durch die Putzfrau handelt. Anders als die Finanzierung von Kunst ist die Versicherung derselben ein etablierter und gut funktionierender Markt. Angeboten werden Versicherungen sowohl für den Fall, dass die Bank die Sicherheit in Besitz nimmt und einlagert als auch für den Fall der Sicherungsübereignung. Auch die Versicherung eines Kunstwerkes "auf Reisen" ist standardmäßig kein Problem.

Die fünfte Frage bezieht sich nicht auf die Werthaltigkeit, sondern auf die Verwertbarkeit der Sicherheit. Auch hier gibt es wieder eindeutige Parallelen zum Immobilienmarkt: Die Liquidität der Sicherheit ist eine wesentliche Risikoart in der Beleihung. Der Verwertungsprozess ist langwierig und der Markt selten transparent. Hinzu kommt, dass es bei der Kunst keinen "Zinsanhang" gibt. Dies führt in der Regel zu einem geringeren Loan to Value (LTV) als dies bei Immobilien üblich ist, also eher 40 Prozent als 80 Prozent.

Problematische Wertermittlung für Kunstgegenstände

Die mangelnde Transparenz der Preise im Kunstmarkt führt dazu, dass die finanzierende Bank eigentlich nur eine Quelle für objektive Werte hat: die tatsächlich erzielten Preise in Auktionen der führenden Auktionshäuser, insbesondere Sotheby's und Christie's. Spezialisierte Firmen wie Artnet AG oder Artprice S.A. bieten historische Preissammlungen ab Mitte der 80er-/frühe 90er-Jahre an. Eine entsprechende Bewertung, die sich entweder auf frühere Auktionsangebote des in Rede stehenden Kunstwerks bezieht oder Analogien zum gleichen Künstler aus der gleichen Werksphase zieht, stößt beim anfragenden Sammler in der Regel zu heftigen Protesten, wenn er deutlich mehr bezahlt hat und jetzt erstmals mit objektiven Versteigerungswerten konfrontiert wird. Es ist so ähnlich, wie bei Rückkehr aus der Türkei vom deutschen Zoll am Flughafen München gesagt zu bekommen, was der geschmuggelte Teppich tatsächlich wert ist.

Beim erfahrenen Galeristen führt die Nennung "unprofessioneller" Bewertungen ebenfalls zu Protesten, denn er geht ja von Preisen aus, die er dem zuvor genannten Sammler in Rechnung stellen wird. Der erfahrene Immobilienbanker kann "Sammler" durch "Endkäufer" und "Galerist" durch "Bauträger" ersetzen, die Parallelen sind vorhanden.

Fast noch wichtiger als die reine Wertermittlung ist die Festlegung von Ausschlusskriterien zur Vermeidung von ungeplanten Risikokosten:

- Kunstwerke in Größenordnungen, die sich niemand im Privathaushalt hängen oder aufstellen kann. Wer hat schon Flächen für 5 x 5-Meter-Bilder oder Wände für Installationen mit 4 Meter Höhe?

- Künstler mit geringem Bekanntheitswert oder nur nationaler Bedeutung sowie Künstler, deren Beliebtheitsskala den Zenit überschritten hat oder nicht in den langfristigen Trend passen ("old white man").

- Kunst aus Epochen oder Regionen, für die die Bank keine Expertise besitzt.

Kostengetriebenes Zinsniveau

Die Kalkulation eines Kunst-Kredites muss die Kosten der zuvor genannten Sicherheiten-Managements berücksichtigen, ebenso wie die Kosten der Einlagerung und Versicherung, soweit diese nicht direkt vom Kunden getragen werden. Die Risikokosten richten sich wie bei anderen Krediten nach dem Rating und damit der Probability of Default des jeweiligen Kunden. Bei der Berechnung der Kapitaldienstfähigkeit stellt man üblicherweise auf die Bedienung von Zinsen und Kosten ab, während die Tilgung des Darlehens in der Regel endfällig aus Verkauf des Werkes am Ende der Laufzeit erfolgt.

Bei der Kalkulation der Refinanzierungskosten ist zu berücksichtigen, dass Kunden in der Kunstsparte normalerweise das Recht vorzeitiger Tilgung eingeräumt bekommen, denn die "einmalige Gelegenheit" des Verkaufs an einen Liebhaber (im Französischen "amateur") darf und will die Bank dem Kunden nicht nehmen. Alternativ kann eine Vorfälligkeitsentschädigung vereinbart werden. Bei der Kalkulation der Kapitalkosten ist zu berücksichtigen, dass sich die Sicherheiten in dieser Sparte aufsichtsrechtlich meist nicht zum Abzug vom Kreditvolumen qualifizieren.

Insgesamt kann ein Kunstkredit aufgrund der genannten Kostenkomponenten nicht gerade zu niedrigen Konditionen angeboten werden. Für den Kunden ist dies meist kein Hinderungsgrund, da die erwarteten Margen aus dem Investment, in den die Mittel fließen sollen, in der Regel deutlich höher sind.

Auswirkungen des Pandemie-Lockdowns

Die Covid-19-Pandemie hat den Kunstmarkt deutlich verändert und bestehende Trends verstärkt. Dies gilt primär für den Trend weg vom stationären hin zum Onlinehandel. Dies geht einher mit dem Wechsel zu jüngeren Käuferschichten. Diese Trends haben den Konzentrationsprozess verstärkt zugunsten der großen Auktionshäuser und damit indirekt auch den Trend zu höherer Transparenz des Marktes. Einher geht diese Entwicklung mit der Erschließung neuer Anlegerkreise: Family Offices, institutionelle Investoren sowie Kunstfonds, die Kunst als Assetklasse betrachten. Die im Zuge der Lieferkettenproblematik entstandene Inflation verstärkt den Wunsch professioneller Investoren nach Investments in unkorrelierten Sachwerten. Hinzu kommt die Erbengeneration, die dem Onlinehandel sehr offen gegenübersteht und weniger Affinität zum Austausch von Insider-Informationen auf den Messen in Basel und Miami hat.

Erste Experimente sind im Bereich der Tokenisierung zu beobachten; hier fehlt es auf EU- und deutscher Ebene noch am sicheren Rechtsrahmen. Klare Regulatorik gibt es hierzu bislang nur in der Schweiz und in Liechtenstein. Ob die mit der Tokenisierung propagierte Absicht, auch dem Kunstliebhaber mit kleinem Portemonnaie seinen Anteil am Picasso zu verschaffen, erreicht wird, darf bezweifelt werden. Dennoch könnte die Tokenisierung einen wesentlichen Beitrag zur Rationalisierung der oben beschriebenen Prüfprozesse leisten und letztlich auch die Transparenz weiter erhöhen.

Dr. Marcel Morschbach , Mitglied des Vorstands , Westend Bank AG, Frankfurt am Main
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