Altersvorsorge mit Aktien: Andere Länder machen es vor

Markus Weis, Foto: Vanguard

In Deutschland wird eine kapitalmarktorientierte private und betriebliche Altersvorsorge bislang sträflich vernachlässigt. Als eine der zentralen Bremsen für mehr Kapitalmarktorientierung sieht Weis die zu garantierenden Mindestleistungen. Um diese zu erzielen, müssen die Anbieter der Vorsorgeprodukte in festverzinsliche Papiere investieren, paradoxerweise umso mehr, je niedriger die Zinsen sind. Wie es besser geht, arbeitet der Autor anhand der Systeme in den USA und Großbritannien heraus. Steuerliche Förderung, fehlende Garantiepflichten und eine am Eintrittszeitpunkt orientierte Risikosteuerung sind demnach die Stärken des aktienaffinen US-amerikanischen Systems. In Großbritannien kommt zudem dazu, dass alle Beschäftigten automatisch berücksichtigt werden, sofern sie nicht explizit widersprechen. Davon machen derzeit nur sieben Prozent der Beschäftigten Gebrauch. Das führt zu einer größeren Verbreitung. Um in Deutschland mehr private und betriebliche Altersvorsorge zu etablieren, rät Weis der Politik, sich an diesen Modellen zu orientieren. (Red.)

Das Thema Altersvorsorge ist in Deutschland vor allem mit Unsicherheit verbunden und löst vielfach Ängste aus. Denn klar ist, dass die gesetzliche Rente allein nicht mehr als eine Grundversorgung im Alter bieten kann. Schließlich sorgt der demografische Wandel in Deutschland dafür, dass bereits seit vielen Jahren einer sinkenden Zahl von Beitragszahlenden immer mehr Rentenempfänger gegenüberstehen. Wenn in absehbarer Zeit die zwischen Mitte der 1950er und Ende der 1960er Jahre geborenen Babyboomer in den Ruhestand gehen, wird sich dieses Ungleichgewicht noch verschärfen.

Mehr als die Hälfte der Deutschen geht davon aus, dass das Rentensystem in seiner bisherigen Form über kurz oder lang zusammenbrechen wird, wie eine aktuelle Umfrage des Meinungsinstituts Ipsos ergibt.1) Klar ist in jedem Fall: Die gesetzliche Altersvorsorge in Deutschland steht vor erheblichen Herausforderungen - eine Reform des reinen Umlageverfahrens scheint geboten.

Beitragsgarantien sind ein großes Hindernis

Dabei wird es insbesondere darum gehen, das Umlageverfahren durch ein kapitalmarktorientiertes Ansparverfahren zu ergänzen. Schon lange plädieren Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zahlreich für eine Altersvorsorge, die in Teilen auf Aktienanlagen basiert.

Diese kommen in den Säulen betriebliche Altersvorsorge ("bAV") und private Altersvorsorge bislang bei Weitem zu kurz, was insbesondere den gesetzlichen Vorschriften zu garantierten Mindestleistungen geschuldet ist. Um diese Beitragsgarantien darzustellen, sind die Anbieter gezwungen, den größten Teil des eingezahlten Kapitals in festverzinsliche Anlagen zu investieren. Paradoxerweise muss dieser Anteil umso höher ausfallen, je niedriger das allgemeine Zinsniveau ist. Damit kosten Garantien unausweichlich Rendite, wobei die Einbußen mit der Anlagedauer zunehmen.

Private Altersvorsorge unumgänglich

Zwar ermöglicht das Betriebsrentenstärkungsgesetz aus dem Jahr 2018 seit rund zwei Jahren erstmals, eine betriebliche Vorsorge auch ohne Garantie anzubieten. Allerdings sind derartige Lösungen bis heute nur wenig verbreitet. Hinzu kommt: Nur 56 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nutzen laut Aussage der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung überhaupt eine bAV.2)

Ähnlich sieht es bei der dritten Säule aus. Trotz der weit verbreiteten Überzeugung, dass die private Altersvorsorge für den Erhalt des Lebensstandards im Alter unumgänglich ist, spart lediglich rund die Hälfte der Deutschen konsequent für den Ruhestand. Dabei sind die beliebtesten Produkte weiterhin Sparanlagen, Versicherungen und Immobilien. Erst dann kommen Fonds und Aktien, die gerade 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung im Depot haben.

Ein wichtiger Grund dafür ist, dass es mit der Riester-Rente in Deutschland nur einige wenige Instrumente gibt, die das Fondssparen begünstigen. Auch hier sorgen die gesetzlich vorgeschriebenen Garantiemechanismen dafür, dass nennenswertes Exposure zu renditestarken Anlageklassen wie Aktien nur bedingt möglich ist. Gleichzeitig machen hohe Abschlussgebühren sowie komplexe und wenig flexible Vertragsgestaltungen und Anlageprodukte die Riester-Rente für viele Anleger unattraktiv.

Wie es besser geht, verdeutlicht ein Blick über die Landesgrenzen. Ein Beispiel sind die USA: Dort begünstigt der Staat das Fondssparen im Rahmen der sogenannten 401(k)-Pläne, ohne Anlegern und Anbietern teure Garantiezusagen aufzubürden. Das 401(k)-Programm - der Name beruht auf dem gleichlautenden Abschnitt im US-Steuergesetz - ist der bAV zuzurechnen: Arbeitnehmer können einen Teil ihres Einkommens vor Steuern in ihr 401(k)-Depot investieren; aktuell sind je nach konkreter Ausgestaltung zwischen 13 000 und 19 000 US-Dollar steuerfrei. Hinzu kommen Einzahlungen der Arbeitgeber, die die Sparbeträge um einen festgelegten Faktor aufstocken können.

Damit liegen die möglichen steuerfreien Einzahlungen der Arbeitnehmer deutlich über den steuerbegünstigten Einzahlungen, die im Rahmen einer Riester-Rente oder einer bAV in Deutschland möglich sind.

Damit aber nicht genug. Zwar werden konkrete Anlagemöglichkeiten, ähnlich wie bei der bAV in Deutschland, häufig durch den Arbeitgeber vorgegeben. Allerdings bieten die Sparpläne der Arbeitgeber in den USA in den meisten Fällen deutlich mehr Auswahlmöglichkeiten als die Modelle der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland. Durchgesetzt haben sich dabei mittlerweile Defined-Contribution-Pläne ("DC") gegenüber früher geläufigeren Defined-Benefit-Plänen ("DB").

Während letztere, wie in Deutschland vielfach üblich, eine bestimmte Leistung in Form einer Auszahlung oder Rentenhöhe garantieren, werden bei DC-Plänen nur die Beiträge festgelegt. Das erspart teure Garantien und ermöglicht Investments in renditestarke Kapitalanlagen. Um das Anlagerisiko, das dadurch auf den Sparer übergeht, zu begrenzen, gibt es unterschiedliche Herangehensweisen.

Mehr Auswahl in den USA

In den USA verbreitet sind unter anderem Target Retirement Fonds. Diese Vehikel passen die Asset Allocation über die Laufzeit automatisch an die bis zum Renteneintritt verbleibende Zeit an und reduzieren dabei das Risiko systematisch. Das erlaubt in der Startphase sehr hohe Aktienquoten, die sukzessive reduziert werden, um das erwirtschaftete Kapital kurz vor Beginn der Rente nicht mehr zu gefährden.

Aber auch reine Aktienfonds spielen eine weit größere Rolle als hierzulande. Dabei hat sich das Fondssparen auch erst mit der Förderung der betrieblichen Altersvorsorge durchgesetzt: Haben 1980 knapp sechs Prozent der US-Haushalte in Fonds investiert, sind es heute über 50 Prozent. Etliche US-Amerikaner haben über ihre 401(k)-Pläne ein tieferes Verständnis der Kapitalmärkte erlangt und die Fondsidee auch für die private Kapitalanlage entdeckt.

Dass der Verbreitungsgrad der bAV mit gerade 54 Prozent ähnlich wie in Deutschland weit unter dem erstrebenswerten Niveau liegt, zeigt indes bei allen Vorteilen des US-Systems auch seine Schwächen: Da es auf Freiwilligkeit basiert, erreicht es bei Weitem nicht alle Beschäftigten.

Verpflichtende Ansparverfahren als Alternative

Eine Alternative sind verpflichtende oder quasiverpflichtende Ansparverfahren: Im ersten Fall werden alle abhängig Beschäftigten - analog zur gesetzlichen Rente in Deutschland - verpflichtet, einen Teil ihres Einkommens in bestimmte Sparvehikel zu investieren. Ein derartiges Obligatorium gibt es etwa in Australien, Kanada, Dänemark und der Schweiz. Quasiverpflichtende Modelle hingegen basieren auf Vereinbarungen der Tarifparteien, die eine betriebliche Altersvorsorge für alle oder fast alle Beschäftigten vorsehen. Dies ist beispielsweise in Schweden und den Niederlanden der Fall.

Eine dritte, in Deutschland jüngst von der CDU ins Spiel gebrachte Variante für die private Vorsorge ist ein Opt-out-System. In Großbritannien wurde ein derartiges System seit 2008 sukzessive und mit großem Erfolg im Rahmen der bAV eingeführt. Heute bezieht es alle abhängig Beschäftigten in eine bAV ein, wenn diese nicht ausdrücklich widersprechen: Die britischen Arbeitgeber sind durch ein Gesetz dazu verpflichtet, eine passende bAV-Lösung für ihre Mitarbeiter anzubieten.

Das Betriebsrentenkonzept ist dabei frei wählbar hinsichtlich Anbieter und Modell - bis auf einige Bedingungen, die von der Aufsichtsbehörde für alle vorgegeben sind. Auch die kleinen Unternehmen, die in der Regel für die Versicherer nicht attraktiv sind, fallen nicht durchs Raster. Für sie wurde eigens eine von der Regierung finanzierte Stiftung, der National Employment Savings Trust (Nest), ins Leben gerufen.

Britischer Weg ist erfolgreich

Wie erfolgreich der britische Weg ist, zeigt der aktuelle Report "How the UK Saves 2019", den Nest gemeinsam mit Vanguard erstellt hat: Gerade sieben Prozent der britischen Arbeitnehmer entscheiden sich für eine aktive Abwahl des Programms. Zum mittlerweile hohen Verbreitungsgrad trägt zudem bei, dass Nichtteilnehmer von ihren Arbeitgebern alle drei Jahre neuerlich registriert werden.

Ein weiterer Erfolgsfaktor des Nest- Programms ist die ertragsorientierte Ausrichtung in Kombination mit einfachen Lösungen für die Sparer: Standardmäßig investieren sie in einen passenden Retirement Date Fund, dessen Funktionsweise derjenigen der US-Retirement-Target-Fonds gleicht. Möglich ist aber auch, das Risiko über eine individuelle Fondsauswahl nach oben oder unten anzupassen. Folge ist eine beachtliche Aktienquote: Von den von Nest verwalteten 5,7 Milliarden britische Pfund (6,2 Milliarden Euro) sind 48 Prozent in Aktien investiert, 23 Prozent in Investment-Grade-Unternehmensanleihen und zehn Prozent in Immobilien. Hinzu kommen Wachstumsfinanzierungen, Rohstoffe und Geldmarktanlagen.

Langfristiger Vermögensaufbau

Das Nest-Modell zeigt: Zielführend ist ein derartiges Konzept genau dann, wenn es Produkte vorsieht, die sich für den langfristigen Vermögensaufbau eignen. Neben einem ausdrücklichen Verzicht auf Garantien sind daher auch die jeweiligen Anlagebedingungen so zu gestalten, dass sie eine langfristige und ertragsorientierte Kapitalanlage ermöglichen.

Neben den genannten Lebenszyklus- beziehungsweise Target-Retirement- und Retirement-Date-Fonds erscheinen insbesondere börsengehandelte Indexfonds geeignet, um für die Säulen zwei und drei der Altersvorsorge ein nachhaltig solides Fundament zu schaffen.

Denn sie überzeugen nicht nur durch ihre klare Ausrichtung und ein Höchstmaß an Transparenz, sondern gleichzeitig durch geringe Kosten. Möchte also die Politik die Bevölkerung zur privaten und betrieblichen Altersvorsorge motivieren, wird sie um Lösungen kaum herumkommen, die genau das bieten.

Fußnoten

1) Deutsche Bank Vorsorgereport: Jeder zweite Deutsche im Alter von 20 bis 65 Jahren fürchtet Altersarmut (Stand: 04.12.2019). https://www.db.com/newsroom_news/2019/deutsche-bank-vorsorgereport-jeder-zweite-deutsche-im-alter-von-20-bis-65-jahren-fuerchtet-altersarmut-de-... [12.12.2019].

2)Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Stand: 27.05.2019). https://www.procontra-online.de/artikel/date/2019/05/bav-entwicklung-voellig-unzureichend/ [12.12.2019]

Markus Weis Stellvertretender Leiter für Deutschland und Österreich, Vanguard, Frankfurt am Main
Markus Weis , Stellvertretender Leiter für Deutschland und Österreich, Vanguard, Frankfurt am Main
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