Anmerkungen zur Perspektive der Bankenaufsicht zu IFRS 9

Dr. Christoph Weber, Foto: Ralf Berndt

Im Zuge der Aufarbeitung der jüngsten Finanzkrise war vonseiten der Wissenschaft und der Politik Kritik an einer verspäteten und unzureichenden Bildung von Wertberichtigungen geäußert worden. Seit Beginn des Geschäftsjahres 2018 mündete diese in die Verpflichtung für kapitalmarktorientierte Kreditinstitute in der EU bei Bilanzierung von Finanzinstrumenten im Konzernabschluss den Standard IFRS 9 anzuwenden. Nach gut einem Jahr der Praxiserprobung hat die Deutsche Bundesbank diesen neuen Standard aus der Perspektive der Bankenaufsicht betrachtet. Auf Anregung der Redaktion setzen sich die Autoren mit den Thesen der Bundeabank auseinander. (Red.)

Die Bundesbank hat in ihrem Monatsbericht Januar 2019 die Bilanzierung und Bewertung von Finanzinstrumenten nach IFRS 9 erläutert und aus der Perspektive der Bankenaufsicht Bedenken geäußert.

Kritik am Ermessensspielraum

Besonders kritisch wird der erhebliche Ermessensspielraum von Banken in der Umsetzung der Vorschriften zur Bildung von Wertberichtigungen gesehen. Teilweise werden Regelungen nach IFRS 9 begrüßt, teilweise wird ausgesagt, dass eine abschließende Beurteilung erst nach einer längeren Anwendungszeit möglich sei.

Wo liegen die Ermessenspielräume? Die Ermittlung der Risikovorsorge in Stufe 1 hängt im Wesentlichen von der Ratingklasse und der damit verbundenen Ausfallwahrscheinlichkeit sowie gestellten Sicherheiten ab. Die Ratingklasse wird unter Berücksichtigung aller verfügbarer Informationen von einem Kreditanalysten institutspezifisch gesetzt. Während die Bewertung von Barsicherheiten und börsennotierten Wertpapieren wenig Spielraum bietet, hängt die Bewertung von Immobiliensicherheiten, für die in der Regel externe Gutachten vorliegen, von individuellen Gegebenheiten und Erwartungen ab. Gegenüber der bisherigen Bemessung der Risikovorsorge nach IAS 39 bedeutet dies weder mehr noch weniger Ermessensspielräume.

Ergänzend wirkt sich bei der Ermittlung der Risikovorsorge in Stufe 2 aus, welche institutsspezifischen Annahmen über Marktwertverläufe von Sicherheiten getroffen werden und wie über die erwartete Restlaufzeit des Kredits das Exposure durch nicht nur planmäßige Tilgungen, sondern auch außerplanmäßige Tilgungen, abnimmt. Außerdem sind in dem Modell Annahmen über zukünftige Ratingmigrationen von Kunden, differenziert nach Branchen oder Finanzierungsobjekt, enthalten. Diese Migrationsmatrizen werden aus komplexen Auswertungen zu historischen Erfahrungen über Ausfälle gewonnen und regelmäßig aktualisiert. Die Modelle werden mindestens jährlich validiert.

Da mit der Feststellung einer signifikanten Bonitätsverschlechterung ein Transfer von Stufe 1 in 2 und damit eine Änderung der Berechnungsmethode, mit der Folge der teilweise erheblichen Erhöhung der Risikovorsorge, verbunden ist, kommt der Transferlogik, also der Feststellung einer wesentlichen Kreditverschlechterung, eine besondere Bedeutung zu.1)

Verschiedene methodische Ansätze zur Umsetzung der Transferlogik

Zur Umsetzung der Transferlogik sind verschiedene methodische Ansätze denkbar.2) Weit verbreitet ist der Quantilsansatz, nach dem die Transferschwelle kein fixierter Abstand von Ausfallwahrscheinlichkeit oder Ratingklasse gegenüber dem erwarteten Zustand zum Messzeitpunkt ist, sondern die im Zeitablauf zunehmende Schätzunsicherheit berücksichtigt wird. Ermessensspielräume in der Transferlogik sind, nachdem diese festgelegt wurde, kaum vorhanden. Die einmal festgelegte Transferlogik wird im Zeitablauf stetig angewendet und die Angemessenheit der Ergebnisse laufend validiert. Hinzu kommt, dass ergänzend qualitative Transferkriterien angewendet werden, beispielsweise eine Überfälligkeit von größer 30 Tagen. Die qualitativen Kriterien stellen sicher, dass sich Kredite mit absolut erhöhter Ausfallwahrscheinlichkeit in Stufe 2 befinden, und dies gilt vergleichbar für alle beaufsichtigten Banken.

Der wesentliche Faktor für die Höhe der Risikovorsorge, auch des Lifetime-EL in der Stufe 2, ist die Ausfallwahrscheinlichkeit. Während eine gute Ratingklasse von Moody's von A3 mit einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 0,09 Prozent verbunden ist, liegt die Ausfallwahrscheinlichkeit von B1 bei 2,96 Prozent. Auch bei dieser mittelmäßigen Ratingklasse ist noch nicht mit tatsächlichen Ausfällen zu rechnen, trotzdem wird ein Geschäft, das sich in Stufe 1 mit B1 befindet, wahrscheinlich eine höhere Risikovorsorge aufweisen als ein Geschäft, das sich in Stufe 2 mit A3 befindet, weil es sich seit Zugang signifikant verschlechtert hat.

Aufgrund der multiplikativen Verknüpfung der Ausfallwahrscheinlichkeit mit dem Exposure unter Abzug von Sicherheiten ist das "Gewicht" der Risikovorsorge in den Stufen 1 und 2 in der Regel deutlich kleiner als in Stufe 3, in der mit einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 1 gerechnet wird. In den Stufen 1 und 2 ist die absolute Ausfallwahrscheinlichkeit, determiniert durch das Rating, wesentlicher für die Höhe der Risikovorsorge als der frühere oder spätere Transfer von 1 nach 2.

Einer besonders großen Unsicherheit unterliegt die Ermittlung eines angemessenen Wertberichtigungsbetrags in Stufe 3. Hier sind Annahmen über die Finanzlage des Kreditnehmers, Erwartungen zu künftigen Cashflows aus dem Kreditvertrag, beobachtbare Marktpreise, Fungibilität und Erwartungen zu Nettoveräußerungspreisen aus der Verwertung von Sicherheiten höchst individuell zu treffen. Geringe Veränderungen dieser Annahmen können zu einem erhöhten oder verminderten Wertberichtigungsbedarf führen.

Diese individuellen Schätzungen können sich - unter sonst gleichen Bedingungen - von Institut zu Institut stark unterscheiden. Allerdings liegen außer bei gemeinschaftlicher Finanzierung in der Regel keine gleichen Bedingungen vor, sodass die Alternative einer aufsichtsrechtlich vorgegebenen Risikovorsorgequote - ohne Berücksichtigung von Sicherheiten - sicherlich weniger gut die tatsächlichen Verhältnisse angemessen reflektieren würde. Gegenüber der Ermittlungsmethodik nach IAS 39, den wahrscheinlichsten erwarteten Cashflow zu diskontieren, ist es ein Fortschritt, verschiedene wahrscheinlichkeitsgewichtete Szenarien zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Ermessensspielräume haben sich die Verhältnisse gegenüber der bisherigen Ermittlung nach IAS 39 nicht verändert.

Es sei außerdem darauf hingewiesen, dass gemäß IFRS 9.BC5.123 die individuelle Sicht des Managements zur angemessenen Höhe der Risikovorsorge gefordert ist, und nicht die Perspektive eines (neutralen) Marktteilnehmers. Die Ermittlung der Risikovorsorge ist mit Unsicherheit versehen und basiert auf den Einschätzungen des Managements und der Qualität der genutzten Informationen.3)

Bestehen nach HGB mehr oder weniger Ermessensspielräume? Die Bundesbank sieht, und das wird bereits prominent in der Einleitung hervorgehoben, keinen Anpassungsbedarf für die Vorschriften zur Ermittlung der Risikovorsorge nach HGB. Das Interessante dabei ist, dass nach HGB überhaupt keine gesetzlichen Vorschriften bestehen.4) Lediglich aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB), insbesondere dem Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), ist abzuleiten, dass eine Risikovorsorge zu bilden ist. Nach dem Imparitätsprinzip als zentralem GoB zur verlustfreien Bewertung sind alle vorhersehbaren Risiken zu berücksichtigen.

Wie die Risikovorsorge zu ermitteln ist bleibt zunächst offen. Präzisiert wird die Ermittlung nur über den bisher beachteten BFA 1/1990 beziehungsweise die Pauschalwertberichtigung durch das BMF- Schreiben vom 10. Januar 1994. IFRS-Anwender nutzten bereits für ihren HGB-Abschluss in großen Teilen die nach IAS 39 ermittelte Risikovorsorge und begrüßen nun einen weitgehenden Gleichlauf mit IFRS 9.5) Im nicht ausgefallenen Portfolio wurde in HGB-Abschlüssen bisher entweder ein aus historischen Ausfällen abgeleiteter Prozentsatz angewendet oder auf den 1-Jahres-EL aus IAS 39 zurückgegriffen. Einzelwertberichtigungen für ausgefallene Kredite wurden entweder vergleichbar zu IAS 39 (Diskontierung des wahrscheinlichsten Cashflows) ermittelt, oder pauschal als gegriffener Prozentsatz auf das nicht mit Sicherheiten belegte Exposure. Hier ist nicht zu erkennen, wie derartige Methoden der IFRS 9-Ermittlung überlegen sein sollten.

Geübte Bilanzierungspraxis überholungsbedürftig

Die Bilanzierungspraxis zur Risikovorsorge nach HGB ist divers und - schon allein aufgrund der Unbestimmtheit der Methoden - sicher mit größeren Ermessensspielräumen versehen als nach IFRS. Erstaunlicherweise hat dies die Aufsicht in der Vergangenheit nie bemängelt und konstatiert nun die Beibehaltung des Status quo? Unter Berücksichtigung der enormen Veränderungen im Kreditrisikomanagment liegt es hingegen nahe, auch nach HGB andere Berechnungsparameter zu nutzen, wie sie aus regulatorisch geforderten und in der Kreditrisikosteuerung verwendeten Risikoklassifizierungsverfahren gewonnen werden. Die bisher geübte Bilanzierungspraxis ist überholungsbedürftig. Dies wird aktuell durch die Veröffentlichung des Entwurfs IDW ERS BFA 7 angestoßen, der einen Lifetime-EL unter Anrechnung des Barwerts der zukünftigen Bonitätsprämien vorsieht, ergänzt um einen Floor in Höhe des Einjahres-EL. Ob dieser Entwurf eine praxistaugliche Alternative darstellt und zu einer Vereinheitlichung der Methodenvielfalt beitragen kann, wird sich zeigen. Vielleicht steht die Aufsicht aber auch einer Weiterentwicklung nicht entgegen, weil diese sich im Rahmen des Vorsichtsprinzips bewegen muss, sieht aber nicht die Notwendigkeit einer gesetzlichen Kodifizierung im HGB.

Wieso hat sich der erwartete Erstanwendungseffekt über die Einführungsphase erheblich reduziert? Die Bundesbank stellt dar, dass der Erstanwendungseffekt aus den geänderten Risikovorsorgevorschriften zunächst mit einem Rückgang der CET1-Quote von 59bp (erste Auswirkungsstudie der EBA in 2015) und dann von 45bp (zweite Auswirkungsstudie in 2016) gerechnet wurde, tatsächlich wurde für deutsche (!) IFRS-Anwender eine Reduktion um lediglich 11bp beobachtet (in einer Spannbreite von minus 80 bis zu plus 70). Woran liegt das? Der Rückgang der CET1-Quote ist im Wesentlichen auf die neuen Impairment-Vorschriften zurückzuführen. Hier wurde in den Auswirkungsstudien eine Erhöhung der Risikovorsorge um durchschnittlich 18 Prozent (erste Auswirkungsstudie) beziehungsweise 13 Prozent (zweite Auswirkungsstudie) erwartet. Der tatsächliche Effekt lag dann bei durchschnittlich 9 Prozent.6) Begründet wird dies mit geänderten Erwartungen über zukünftige ökonomische Bedingungen.

Simulationsrechnungen immer weiter verfeinert

Die Reduzierung des erwarteten Erstanwendungseffektes liegt hauptsächlich darin begründet, dass die risikovorsorgeerhöhenden Modelländerungen leichter greifbar waren als die gegenläufigen reduzierenden Änderungen: In einer frühen Umsetzungsphase wurden vielfach Simulationsrechnungen aufgesetzt, in denen der Lifetime-EL parallel gerechnet wurde. Mithilfe einer einfachen Transferlogik (zum Beispiel Erhöhung um zwei Ratingstufen seit Zugang des Geschäfts) konnte ein erwarteter Erhöhungsbetrag abgeleitet werden. Diese Simulationsrechnungen wurden im Projektverlauf immer weiter verfeinert. Die Erhöhung der Risikovorsorge, insbesondere bedingt durch den Wegfall des LIP-Faktors und den Transfer in Stufe 2, konnte relativ früh ermittelt werden.

Entlastende Modellauswirkungen wurden jedoch erst in späteren Projektphasen mit Verfeinerung des Impairment-Modells quantifiziert. Diese ergaben sich beispielsweise aus der Einbeziehung von außerordentlichen Tilgungen für EaD-Projektionen, Laufzeiten unter einem Jahr und der höheren Toleranz bei längeren Laufzeiten durch den Quantilsansatz. Außerdem waren die Banken in der externen Kommunikation vorsichtig, um den Erstanwendungseffekt nicht zu unterschätzen.

In den Jahren 2015 bis 2018 haben Banken verstärkt wertberichtigte Kreditengagements durch Restrukturierung, Verwertung von Sicherheiten oder Verkauf reduziert; entsprechend ist die absolute Höhe der Risikovorsorge in Stufe 3 gesunken. Das neue Risikovorsorgemodell nach IFRS führt insbesondere zu einer Erhöhung der Risikovorsorge in den Stufen 1 und 2, sodass bei einem höheren Anteil der Stufen 1 und 2 an der Gesamtrisikovorsorge der Erhöhungseffekt durch den Modellwechsel hätte steigen müssen.7) Demnach wirken die oben angeführten Gründe für ein Absinken des erwarteten Erstanwendungseffekts stärker, als dies zunächst den Anschein hat.

Wie wird ein signifikanter Anstieg des Ausfallrisikos definiert? Die Bundesbank hält es für sachgerecht, bei dem Vergleich von dem erwarteten Ausfallrisiko am jeweiligen Bilanzstichtag mit dem für denselben Zeitraum bei Zugang des Finanzinstruments ursprünglich erwarteten Ausfallrisiko auch die absolute Veränderung des Ausfallrisikos zu berücksichtigen. Sonst könnte ein signifikanter Anstieg "übersehen" werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass gemäß des IFRS 9 Impairment-Modells ein signifikanter Anstieg als relative Veränderung gemessen wird. Dem nach ist eine Veränderung der Ausfallwahrscheinlichkeit von 0,5 Prozent auf 1,0 Prozent gleichbedeutend mit einer Veränderung von 10 Prozent auf 20 Prozent.

Nicht umsonst wurde das Wahlrecht eingeführt, dass für absolut niedrige Ausfallwahrscheinlichkeiten (Investment Grade) kein Transfer in Stufe 2 erforderlich ist, auch wenn eine signifikante Erhöhung der Ausfallwahrscheinlichkeit zu beobachten ist. Umgekehrt führt ein absolut hohes Ausfallrisiko durch das qualitative Transferkriterium dazu, dass ein Geschäft in Stufe 2 transferiert wird, auch wenn keine signifikante Erhöhung des Ausfallrisikos in der quantitativen Transferlogik gemessen wird. Hier eine weitere Betrachtungsebene der absoluten Veränderung des Ausfallrisikos einzuführen, würde die Komplexität erhöhen und eine weitere bankindividuelle Festlegung erfordern.

Recycling von Wertänderungen von Eigenkapitalinstrumenten

Die Bundesbank beschreibt ohne eigene Wertung, dass sich der IASB für ein pragmatisches Vorgehen entschieden hat, das Wahlrecht zur erfolgsneutralen Fair- Value-Bewertung von nicht zu Handelszwecken gehaltenen Eigenkapitalinstrumenten mit einem Verbot zum Recycling zu verknüpfen. Wäre ein Recycling zugelassen worden, dann wäre ein regelmäßiger Wertminderungstest erforderlich, und eben jener war während der Finanzkrise als subjektiv kritisiert worden.

Infolge der Indossierungsempfehlung von EFRAG zu IFRS 9 hat die Europäische Kommission eine Anfrage an EFRAG gestellt: Zunächst sollte EFRAG die Relevanz der Nutzung der FV OCI-Option untersuchen und dabei auch berücksichtigen, ob das Recyclingverbot zu einer Änderung des Anlageverhaltens führt. Hintergrund war die Befürchtung, dass sich diese Bilanzierungsvorschrift nachteilig auf langfristige Finanzierungen auswirkt. Ferner wurde EFRAG um Vorschläge gebeten, wie die Bilanzierung dieser Instrumente verbessert werden könnte, mit einem besonderen Augenmerk auf die mögliche Wiedereinführung des Recyclings.

Konkret sollten Vorschläge für ein verbessertes Impairment-Modell gemacht werden. Eine Option, die dabei untersucht wurde, war schlicht, unrealisierte Verluste sofort erfolgswirksam zu erfassen und unrealisierte Gewinne erfolgsneutral zu behandeln. Ein solches Vorgehen wäre in der GuV-Auswirkung vergleichbar mit dem strengen Niederstwertprinzip nach HGB. Außerdem würden (mit Ausnahme der Fair-Value-Bewertung selbst) subjektive Einflüsse vermieden.

Banken und noch in stärkerem Maße Versicherungen haben das Recyclingverbot in den Kommentierungen zu IFRS 9 kritisiert. Die neutrale Haltung der Bundesbank lässt sich nur durch die Fokussierung auf die Auswirkung im Eigenkapital insgesamt erklären, die im Vergleich zwischen der aktuellen Vorschrift und der oben dargestellten Option identisch ist.

Kürzere Kreditlaufzeiten und prozyklische Wirkung?

Sind kürzere Kreditlaufzeiten zu erwarten? Seit der Verabschiebung des IFRS 9 wird die Befürchtung geäußert, dass das neue Impairment-Modell zu kürzeren Kreditlaufzeiten führen kann. Die Feststellung der Bundesbank, dass die Effekte schwächer ausfallen dürften, solange Finanzinstrumente der Stufe 1 zugeordnet sind, ist in diesem Zusammenhang nicht verständlich. Kredite werden von Banken stets mit der Maßgabe vergeben, dass die Ratingentwicklung des Kunden während der Kreditlaufzeit der ursprünglichen Erwartung bei Ausgabe entspricht. Die Kreditlaufzeit kann aufgrund einer signifikanten Kreditverschlechterung nachträglich auch nicht ohne Folgen für die Bilanzierung angepasst werden.

Eine Ursache dafür, dass keine kürzeren Kreditlaufzeiten am Markt zu beobachten sind, liegt darin, dass es für bestimmte Finanzierungen unabdingbar ist, dem Kunden eine langfristige Planungssicherheit zu gewähren. Aktuell werden durch die anhaltend positive Konjunktur keine materiellen Effekte in den Erfolgsrechungen durch IFRS 9 sichtbar, die ein Handeln notwendig machen würden. Zudem ergeben sich in den Instituten vielfach die Risikokosten für das Pricing einer Finanzierung nicht aus den IFRS-Zahlen, sondern aus internen Plangrößen, deren Horizont zudem meist bis zum Konditionsbindungsende und nicht bis zum erwarteten Laufzeitende reicht.

Besteht eine prozyklische Wirkung? Zur Frage, ob die neuen Wertminderungsvorschriften eine mögliche prozyklische Wirkung haben können, wird von der Bundesbank als Fazit festgehalten, dass dies erst zukünftig zu klären ist. Erklärtes Ziel des neuen Risikovorsorgemodells nach IFRS 9 ist eine frühere erfolgswirksame Erfassung der Risikovorsorge und ein absolut höheres Vorsorgevolumen. Dies wird durch die Änderung des Konzepts von der Berücksichtigung eingetretener Verluste (IAS 39) zu erwarteten Verlusten (IFRS 9) erreicht. Bereits vor einem Ausfall (Stufe 3) ist die Risikovorsorge für die gesamte Laufzeit zu berücksichtigen (Stufe 2).

Ob das Modell sowohl im Aufschwung, als auch im Abschwung gleichermaßen reagiert hängt davon ab, ob es sich in beiden Konjunkturphasen symmetrisch verhält. Wenn der Wechsel aus der Stufe 2 in 1 mit einer expliziten Wohlverhaltensperiode versehen wird, wäre keine Symmetrie mehr gegeben. Die Folge wäre, dass im Konjunkturabschwung unverzüglich ein höherer Risikovorsorgeaufwand entsteht, hingegen der Ertrag aus der Auflösung von Risikovorsorge im Konjunkturaufschwung zeitverzögert auftritt.

Deutlich komplexere Wertberichtigungsmodelle

Weniger Komplexität der neuen Regelungen? Eine zentrale Kritik an den Bilanzierungsregeln des IAS 39 war, dass dieser Standard zu komplexe Regeln enthält. Aus diesem Grund hat das IASB eine aus seiner Sicht fundamentale Neubeurteilung bei der Berichterstattung von Finanzinstrumenten vorgenommen. Wie bereits dargestellt und auch von der Bundesbank festgestellt, führen die neuen Regelungen insbesondere in Bezug auf die Wertminderungsvorschriften zu deutlich komplexeren Wertberichtigungsmodellen.8)

Darüber hinaus stellt die Bundesbank zu Recht fest, dass die neuen Regelungen zur Klassifizierung von Finanzinstrumenten die Anzahl der zulässigen Bilanzierungsmethoden nur unwesentlich verringert. Beispiele dafür, dass durch die neuen Klassifizierungsregeln ein Großteil der bisherigen und schwer verständlichen Einzelfallentscheidungen weggefallen sind, bleibt die Bundesbank schuldig. Die Änderungen beziehungsweise Ergänzungen an IFRS 9 nach dessen Verabschiedung und regelmäßige Eingaben beim IFRS IC lassen dies jedoch bezweifeln. Mit IFRS 9 wurde ein Standard eingeführt, der zwar Schwächen aufweist (beispielsweise die hohe Komplexität und das vielfach kritisierte Recycling-Verbot von Eigenkapitalinstrumenten, für die das OCI-Wahlrecht genutzt wird), aber gerade mit dem neuen Impairment- Modell zu einer früheren und höheren Risikovorsorgebildung führt. Das neue Modell folgt der nachvollziehbaren Idee, dass eine Risikovorsorge nicht erst bei Ausfall deutlich zu erhöhen ist, sondern bereits dann, wenn wegen signifikanter Kreditverschlechterung die eingepreiste Bonitätsprämie nicht mehr durch die Zinsmarge verdient werden kann.

Dass die Umsetzung abhängig von der Ausgangslage, den Datenverfügbarkeiten, der Größe und der Risikodisposition der Institute unterschiedlich erfolgt ist, darf nicht verwundern. Der Aufsicht kann jedoch nicht gefolgt werden, wenn dies (negativ konnotiert) als Gestaltungsspielraum gewertet wird, der mißbräuchlich genutzt werden könnte. Die Gestaltungsspielräume nach IAS 39 waren nicht kleiner, sondern nur die Effekte hieraus auf das bilanzielle Eigenkapital. Das HGB bietet mangels detaillierter Regelungen sicher mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Vielleicht ändert sich das zukünftig durch den ERS BFA 7.

Fußnoten

1) Vgl. Bosse/Stege/Hochgesand, Beurteilung der signifikanten Verschlechterung der Kreditqualität nach IFRS 9, in: WPg 2017, S. 5 - 12.

2) Vgl. Kurtz, Praktische Umsetzung des IFRS-9-Transferkriteriums, in: Risiko Manager 2016, S. 4 - 12.

3) Vgl. IFRS 9.BCE.113. Dem widersprechen auch nicht aufsichtsrechtlich geprägte Empfehlungen wie die der EBA, siehe insbesondere Guidelines on credit institutions credit risk management practices and accounting for expected credit losses (EBA/ GL/2017/06) vom 12. Mai 2017.

4) Vgl. Klube/Schröter/Weber, Übernahme des Expect ed-Loss-Ansatzes nach IFRS 9 in den HGB-Abschluss von Banken?, in: WPg 2019, S. 152 - 153

5) Vgl. Klube/Schröter/Weber, Risikovorsorge nach IFRS 9 im HGB-Abschluss von Banken, in: WPg 2019, S. 220.

6) Vgl. EBA Report: First Observations on the Impact and Implementation of IFRS 9 by EU Institutions (20.12.2018), S. 15.

7) Zu einer Reduktion der Risikovorsorge in Stufe 3 im Vergleich zur EWB unter IAS 39 kam es in Einzelfällen auch durch die Verletzung von SPPI-Kriterien, die dazu führte, dass ein wertberichtigter Kredit in die Kategorie verpflichtend zum Fair-Value bilanziert umgegliedert wurde. Die bisher gebildete Risikovorsorge ging somit in der Fair-Value-Bilanzierung auf.

8) Mit der Unsicherheit über die Auswirkung der Implementierung dieser neuen Modelle wurde die Einführung einer Übergangsregelung für das regulatorische Kapital begründet.

Dr. Christoph Weber Abteilungsleiter Konzern/Grundsatz Bilanzen und Steuern, Helaba Landesbank Hessen- Thüringen, Girozentrale, Frankfurt am Main
Olaf Witthöft Senior Spezialist, Group Accounting Grundsatzfragen/Accounting Policy, BayernLB Bayerische Landesbank, München
Dr. Christoph Weber , Abteilungsleiter Konzern/Grundsatz Bilanzen und Steuern, Helaba Landesbank Hessen- Thüringen, Girozentrale, Frankfurt am Main
Olaf Witthöft , or Spezialist, Group Accounting Grundsatzfragen/Accounting Policy, BayernLB Bayerische Landesbank, München

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