Automatisiertes Bezahlen als Lackmustest für einen "Digital Euro"

Dr. Udo Milkau, Foto: U. Milkau

Wo China und andere Staaten bereits experimentieren, zaudert Europa noch. Europäische Zentralbanken und deren Vertreter betonen immer wieder, dass sie - vonseiten der Nachfrage - keinen Bedarf für eine digitale Zentralbankwährung sehen. Um allerdings im globalen Politikumfeld nicht zurückzufallen, werden beispielsweise in Schweden Versuche und im Euroraum wenigstens eine Konsultation zum Thema unternommen. Dabei geht es meist um die Machbarkeit der technischen Ausgestaltung solcher Digitalwährungen. Dass sie technisch möglich sind, beweisen Feldversuche in anderen Staaten. Selten wird jedoch die Frage des Nutzens beantwortet. Udo Milkau wägt im vorliegenden Beitrag die Kosten und Nutzen einer Implementierung einer digitalen Zentralbankwährung ab. Zudem führt er das Beispiel der "Digitalisierung" bestehender Regularien ins Feld, um aufzuzeigen, wie sich abseits einer Digitalwährung Potenziale einer digital vernetzten Welt des Zahlungsverkehrs ausschöpfen ließen. (Red.)

Schon heute ist - bis auf Bargeld - jede Zahlungsverkehrstransaktion elektronisch oder, wenn man es lieber so bezeichnen mag, vollständig "digital". Selbst wenn man nach einer digitalen Alternative zum anonymen Bargeld sucht, dann braucht man nur an die früheren Telefonkarten oder an "namenlose" Prepaid-Karten zu denken, wobei letztere dann aus Gründen der Geldwäscheprävention stark reglementiert wurden. Und auch den 500-Euro-Schein hatte man aus ähnlichen Beweggründen auslaufen lassen. Warum braucht man also einen "Digital Euro"? Welchen Nutzen hätten Konsumenten, Händler oder Unternehmen davon? Und nicht zuletzt: Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld - um einen neues Geldformat in Europa einzuführen?

Bei der plötzlichen Euphorie um einen "Digital Euro" wird eine solche Option meist aus der Sicht des grundsätzlich Machbaren diskutiert, aber weniger aus der Perspektive des konkret Nützlichen. Daher soll dieser Beitrag einen "Digital Euro" hinsichtlich des messbaren Nutzens für die Kunden näher beleuchten. Natürlich sollte nie vergessen werden, dass in den Zeiten der Pferdekutsche niemand nach einem "Automobil" gerufen hatte, und noch vor wenigen Jahren war ein Mobiltelefon zum Telefonieren da - bis Apple mit dem iPhone viele alte Gewissheiten über den Haufen warf. Innovationen stellen immer bewährte Gewohnheiten auf den Prüfstand, aber ebenso sind "herbeigeredete" Innovationen meist eine Wunschvorstellung fernab der marktwirtschaftlichen Realität.

Wettbewerb zwischen Regionen und Zahlungsinstrumenten

In Europa hat die schon einigen Jahren geführte Diskussion zu Central Bank Digital Currencies (CBDC) durch den Vorschlag der Europäischen Zentralbank zu einem "Digital Euro" neuen Schwung bekommen (ECB, 2020). Parallel dazu ist in China und in den USA die Entwicklung anders vorangeschritten - sowie durchaus nicht zu unterschätzen, aber auch nicht ganz vergleichbar in Lateinamerika und Afrika. Während die People's Bank of China schon 2020 abgestufte Feldtests mit CBDC durchgeführt hat (in deren Variante als Digital Currency/Electronic Payment oder "DC/EP"), haben in den USA verschiedene Anbieter Pilotversuche mit vollautomatischem Bezahlen in Geschäften oder an der Tanksäule gestartet.

Dagegen ist man in Deutschland an folgende Aussage erinnert: "Es ist erstaunlich, wie viele Unternehmen im Zeitalter der Elektronik und der Automatisierung in der Lohnabrechnung und Lohnauszahlung Verfahren anwenden, die eigentlich in die Zeit des Tagelohns gehören." Mit dieser Bemerkung leitete der Industriefachmann Karl Weisser 1959 sein Buch über "Bargeldlose Lohn- und Gehaltszahlung" ein - die Geburtsstunde des Gehaltskontos in Deutschland, welches durch die Initiative von innovativen Unternehmen Einzug hielt. Davon kann man ableiten, dass damals wie heute Effizienz und Automatisierung den Lackmustest für jede Innovation im Wettbewerb zwischen Bezahlsystemen darstellen.

Kein akuter Bedarf am Markt

Das Konzept eines Wettbewerbs zwischen Bezahlinstrumenten wurde von Brunnermeier et al. (2019) im lesenswerten Arbeitspapier "The Digitalization of Money" gegenüber anderen Formen des Wettbewerbs bei Geld und insbesondere zwischen Währungen abgegrenzt. Auch ein "Digital Euro" wäre immer noch ein Euro und keine eigene Währung. Und er wäre auch kein "privates Geld", wie dies Friedrich A. von Hayek 1976 beschrieben hatte.

Die Wahlmöglichkeit beim Bezahlen hatte kürzlich auch Ida Wolden Bache (2020), Deputy Governor der norwegischen Zentralbank, in ihrer Rede bei der Norway's Payments Conference im Kontext von Bargeld beschrieben: "These [cash as contingency, as credit risk-free alternative, as legal tender] are characteristics that are important to society, but that the individual user does not necessarily prioritise in their choice of payment solution." Obwohl der Bargeldanteil am Point of Sale in Norwegen im Herbst 2020 auf nur noch 4 Prozent gefallen war, sehen Kunden darin scheinbar kein Problem, und auch Ida Wolden Bache stellte für Norwegen fest: "The lack of urgency reflects our view so far that there is no acute need to introduce a CBDC."

Symbolpolitik vor Nutzen?

Betrachtet man alle verfügbaren "elektronischen" Bezahlinstrumente (vergleiche Abbildung), können Konsumenten schon heute - selbst ohne die kürzlich von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen "digitalen" Formate - zwischen verschiedenen Formaten wählen: von Kartenzahlungen über Sepa inklusive Sepa Instant Payments bis zu verschiedenen Formen von E-Money wie unter anderem Prepaid-Cards. Dabei sind die Konten-basierten Instrumente mit Einlagen bei Geschäftsbanken (Girokonten) durch die EU-Einlagensicherung bis zu 100 000 Euro faktisch "risikofrei", mit Karten kann jeder im Handel "sofort" bezahlen, mittels Sepa Instant Payments sind mittlerweile bis zu 100 000 Euro "instantan" in maximal zehn Sekunden überweisbar und mit den Prepaid-Cards kann man sogar Taschengeld "digital" ausgeben.

Daher ist Yves Mersch (2020) zuzustimmen, dass Überlegungen zu einer CBDC eher vorbeugender Natur sind: "The lack of a concrete 'business case' for a CBDC at present should and does not stop us from seriously exploring the optimal design of a CBDC so that we will be well prepared should we ever take a policy decision to issue a digital currency." Und ohne konkreten Business Case und ohne Anforderung von Kunden, Händlern oder Industrie wäre eine Entscheidung für einen "Digital Euro" genau dies: eine politische Entscheidung im globalen Wettbewerb.

Da der Vorschlag der Europäischen Kommission zu einer "Markets in Crypto-Asset Directive" (MiCA) vom 24. September 2020 mit einem entsprechenden Rechtsrahmen selbst Emittenten und Dienstleister von sogenannten Stablecoins, wie zum Beispiel "Libra", in eine eindeutige Regulierung einbinden würde und alle entsprechenden Bezahlinstrumente keine privaten "Währungen" wären, sondern in staatlichen Währungen denominiert sind, lässt sich nur hoffen, dass kein politischer Entscheider durch gewisse Befürchtungen (vergleiche zum Beispiel Panetta, 2020b) zu vorschnellen Aktionen verleitet wird.

Blickt man aber wieder nach China und den USA, so zeigt sich anhand der Entwicklung zu integrierten zentralen Bezahlplattformen oder integrierten übergreifenden Prozessketten, dass dort die Automatisierung des Bezahlens mit Nutzen für die Beteiligten der Treiber der Entwicklung ist, und nicht eine eher abstrakte Diskussion um die isolierte Ausgestaltung von Bezahlinstrumenten. Dabei bezahlt man dort aus Konsumentensicht mittlerweile einfach mit Alipay oder Wechat Pay beziehungsweise mit Apple Pay, Google Pay oder mit Alexa oder hat gleich seine priorisierte Bezahlmethode bei Amazon, Uber oder Starbucks hinterlegt.

Nutzen stiften

Dagegen ist in Europa nicht einmal ein "Digital Euro" der Kern des Problems, sondern der sozusagen aus "analogen" Zeiten stammende Rechtsrahmen mit der Payment Services Directive (PSD2) inklusive nachgelagerter Ausführungsbestimmungen der "Strong Customer Authentication" (SCA als Commission Delegated Regulation 2018/389 vom 27. November 2017). In der SCA haben sich letztlich Vorstellungen zementiert, dass jeder Bezahlvorgang individuell durch den Konsumenten freizugeben ist. Zwar kennt auch die SCA eine ganze Menge von Ausnahmen, aber schon diese Denkrichtung verweist Europa im globalen Wettbewerb um moderne Bezahlsysteme zurück ins letzte Jahrhundert.

So wie führende E-Commerce-Händler schon seit Langem einem Erstkunden individuell Bezahlmöglichkeiten in Echtzeit konfigurieren - je nach berechnetem Risikoprofil für Betrug, Identitätsdiebstahl und so weiter - so sollten im digitalen Zeitalter auch Bezahlinstrumente von Banken durchdacht sein. Wie beim Uber-Taxi oder beim Check-out bei Amazon möchten Kunden doch eigentlich nur "aussteigen" - und alle nachgelagerten Vorgänge sollten automatisch ablaufen. Ebenso sollte der Bezahlvorgang beim Händler vollständig in dessen Prozessketten integriert sein. Gleiches gilt auch im Geschäftsverkehr zwischen Firmenkunden wie bei der Lieferung für eine Baustelle oder für ein Restaurant.

Natürlich kann man auch heute schon - wiederum unabhängig von einem Digital Euro - entsprechende Konzepte finden. Die automatischen Mautsysteme für Autobahnen mögen hier nur ein Beispiel, aber auch eine gute Blaupause sein. Aus Sicht der Nutzer - Konsumenten, Händler oder Industriekunden - ist es dabei ohne Belang, ob ein "Digital Euro" ein Token in einem Wallet auf einem Mobiltelefon wäre oder ein Eintrag in einem "Zentralbankkonto für alle" (Bindseil, 2020) mit Zugang über eine App auf einem Mobiltelefon.

Aus Kundensicht ist einfach das Logo auf dem Mobiltelefon "seine" Bezahlmethode: ob Apple Pay, Google Pay, Samsung Pay, Amazon Pay, Alipay, Wechat Pay, Grab Pay oder vielleicht in Zukunft sogar Facebook's Calibra. Wenn Kunden heute die Girocard immer noch als "EC-Karte" bezeichnen, zeigt dies beispielhaft, dass die Darstellung gegenüber den Kunden zählt und nicht die Details unter der Oberfläche. Analog gilt es bei Händlern, deren Prozesse zu unterstützen und einen automatisierten Ablauf zu ermöglichen, aber nicht eine zweitbeste Kopie von schon etablierten Verfahren nochmals nachzubauen.

Ein Business Case für den "Digital Euro"?

Ein Digital Euro mit den prozessualen Merkmalen von Bargeld würden letztlich alle Probleme von Bargeld emulieren und dabei auch die Kosten analog der Bargeld-Logistik für alle Beteiligten entlang der gesamten Ver- und Entsorgungskette aus der analogen in die digitale Welt transferieren. Dagegen sollte laut einer Formulierung im Report der EZB (2020) ein Digital Euro "free of charge for basic use by payers" sein. Im Umkehrschluss kann dies nur bedeuten, dass - eben wie bei Bargeld - der Handel und die Banken die operativen Kosten tragen müssten, ohne dass entgegenstehende Vorteile erkennbar wären.

Verschiedentlich ist sogar davon die Rede, dass ein Digital Euro einfach "costless" wäre. So hatte Fabio Panetta (2020a) in einer Rede bei der ECB Conference "A new horizon for pan-European payments and digital euro" zusammengefasst: "A digital euro would make digital central bank money accessible to everyone. It would provide access to a simple, costless, risk-free and trusted digital means of payment that is accepted throughout the euro area." Nur bleibt die Frage, wer dann die Betriebskosten für eine solch umfassende Lösung zu tragen hätte.

Unabhängig vom technologischen Design eines "Digital Euro" (Token-basiert in zur Verfügung zu stellenden Wallets, Zentralbankkonten für alle Nutzer, Register bei Geschäftsbanken "im Auftrag" und in den Büchern der Zentralbank et cetera) kommen auch noch entsprechende Investitionskosten hinzu, welche bei einem System für perspektivisch 500 Millionen Nutzer mehr als signifikant wären. Dabei sind die ebenso notwendigen Marketing- und Kommunikationskosten, um einem Logo eines "Digital Euro" die entsprechende Aufmerksamkeit und Akzeptanz in Europa zu verschaffen, noch gar nicht angesprochen.

Ein kaufmännischer Business Case für den "Digital Euro" hängt daher von einer Automatisierungsrendite ab, welche den Kosten gegengerechnet werden könnte. Dies kann wiederum nur durch eine Integration in übergeordnete Prozessketten erreicht werden, und auch ein "Digital Euro" müsste sich im marktwirtschaftlichen Wettbewerb mit schon existierenden und möglicherweise künftigen Bezahlinstrumenten bewähren - eine Benchmark kann hier eine "digitale" Zahlungsinitiierung via Schnittstelle ("API") zu einem Girokonto mit Sepa Instant Payment und direkte Abwicklung in Zentralbankgeld (via "TIPS") sein. Es wird ein kritischer Erfolgsfaktor sein, wie aus einem isolierten Bezahlinstrument eine prozessübergreifende Automatisierung generiert werden kann.

Chancen in der Automatisierung

Dabei kann ein Lerneffekt aus der Frühphase der Sepa-Entwicklungen herangezogen werden. Denn anfangs gab es eine Erwartungshaltung, dass durch Zusatzservices - Additional Optional Services (AOS) genannt - Banken eine Chance für neue Ertragsquellen und damit eine Deckung der Investitionskosten haben sollten. Bis auf wenige Nischen wurde diese Hoffnung aber enttäuscht. Da aktuell kein konkreter Mangel an "digitalen" Bezahlinstrumenten zu erkennen ist und diese real-time (Sepa Instant Payments), quasi risikolos (EU-Einlagensicherung) und einfach verfügbar sind (Girokonten mit nachgelagerter Abwicklung via Target Instant Payment Settlement "TIPS"), scheint ein greifbarer Nutzen für konkrete Szenarien mehr als notwendig zu sein.

Beispielsweise sind End-to-end-Lieferprozesse in der Industrie oft von einer hohen Zahl an Modifikationen geprägt: Bestellungen werden kurzfristig abgeändert, Lieferungen umdirigiert oder verspäten sich, Mengen bei Flüssigkeiten oder Schüttgut variieren. Eine Automatisierung der Zahlungen für die erfolgte und bestätigte Lieferung inklusive Abgleich gegen die Bestellhistorie könnten die Waren- und Finanzströme synchronisieren. Unter dem Regime von PSD2/SCA stellt es sich aber schwierig dar, dass ein Prozess "aus sich selbst" heraus automatisch eine Zahlung für einen Firmenkunden auslöst: Entweder müsste im Sinne eines "Payment Initiation Service Providers" ein Dritter lizenziert sein und je Transaktion eine Zustimmung des Zahlers einholen oder ein Firmenkunde müsste nach dem Ausnahmetatbestand in der SCA zu "Secure corporate payment processes and protocols" die Transaktionen in einem separaten Einzelschritt via EBICS bei Banken einreichen oder es müssen komplizierte Konstrukte mit Vorab-Beauftragung von Zahlungen beziehungsweise Hinterlegung von Liquidität (zum Beispiel als E-Money) aufgebaut werden.

Nun ist teilweise die Idee zu vernehmen, dass ein "Digital Euro" als "programmierbares Geld" sowohl solche Probleme lösen würde als auch Bezahlvorgänge von Maschine-zu-Maschine eine (neue) Einnahmequelle darstellen könnten. Was ist von solchen Ideen zu halten?

Ein "Digital Euro" als "programmierbares Geld"?

Nun ist es das erste Missverständnis, dass Geld etwas "von selbst" tun könnte. Geld hat weder innere Eigenschaften noch Denkvermögen oder einen eigenen Willen. Es ist auch nicht "programmierbar", sondern existiert einfach: als physisches Bargeld oder als elektronischer Eintrag in einem Speicher, einem Kontenbuch oder einem Token Ledger. Außerdem gibt es heute schon "programmierte" Zahlungen, aber eben nicht "programmiertes Geld": vom einfachen Fall des Dauerauftrags über die schon erwähnten automatischen Mautsysteme oder Bezahlen im Parkhaus via Smartphone-App oder früher mit der Geldkarte (bis auf das manuelle Hineinstecken) bis hin zu Firmenkundenportalen mit angebotenen Schnittstellen ("API") zum Online-Banking mit einer Zahlungsinitiierung durch die Kunden.

Übersicht über die untereinander im Wettbewerb stehenden Formate von Bezahlinstrumenten* Quelle: Udo Milkau

Eine wirklich prozessübergreifende Automatisierung hängt aber meist von den regulatorischen Rahmenbedingungen ab, und ein "Pay at the Pump" an der Tankstelle mit einem Personal Assistant (als Service eines Dritten) würde in Europa im Spannungsfeld mit den Anforderungen der PSD2/SCA stehen. Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob die Euros auf einem Girokonto liegen, auf einem potenziellen Zentralbankkonto für alle oder als E-Money auf einem entsprechenden Speichersystem; die Automatisierung würde aus dem "digitalen" Überweisen diese Euros durch den Personal Assistant entstehen, ohne dass ein Mensch diese Transaktion anstoßen oder bestätigen müsste.

Eine Frage der Haftung

Das zweite Missverständnis ist eine Vermischung von drei unterschiedlichen Ansätzen: Automatisierung versus Risikotransformation versus Maschine-zu-Maschine-Zahlungen (vergleiche Milkau, 2020):

1. Wie erwähnt, so scheitert eine übergreifende Automatisierung meist an den rechtlichen Rahmenbedingungen. So besteht das Narrativ eines "Kühlschranks mit automatischer Nachbestellung" seit vielen Jahren, aber ohne jemals Wirklichkeit geworden zu sein. Selbst die rund fünf Jahre alte Entwicklung von Samsung ermöglicht nur, dass Kunden über ein Display am Kühlschrank Lebensmittel bestellen können. Auch der "Dash" Botton von Amazon hatte vor deutschen Gerichten keinen Bestand gehabt, da den Kunden nicht auch noch der Preis für konkludente Trivialitäten und eine Widerrufsmöglichkeit dargestellt wurde.

2. Eine Risikotransformation bei singulären Transaktionen zwischen sich unbekannten Firmen hat nichts mit "Bezahlen" zu tun, sondern mit der banktypischen Funktion entsprechende Betrugs-, Liefer-, Ausfall- oder Insolvenzrisiken übernehmen, bewerten und absichern zu können. Selbst wenn eine Geschäftstransaktion via Protokoll einer "Blockchain" synchronisiert wird, dann übernimmt irgendeine (und hoffentlich auch bei Streitfällen rechtlich verantwortlich zu machende) Entität eine Treuhandfunktion, um die Liquidität vorab zu allokieren und nach einem definierten Event freizugeben. Man kann über in der Regel zentralisierte Plattformen den Informationsaustausch verbessern, aber bezah - len muss immer noch der Endabnehmer (vorab, synchron oder gemäß Zahlungsziel).

3. Ganz grundsätzlich gilt, dass Maschinen weder wirtschaftliche Akteure noch "Legal Entities" sind, da sie mangels eigenem Willen und eigener Verantwortung immer nur einer Ex-ante-Programmierung von Menschen folgen - also immer nur Stellvertreter sein können, welche im Namen und auf Rechnung von natürlichen oder juristischen Personen etwas "ausführen" dürfen. Dabei spielt es auch keine Rolle, wie man eine solche Programmierung nun nennen mag: ob Computerprogramm, Software, Script, Stored Procedure oder Smart Contract - alles sind nur Programmierungen durch Menschen als die Verantwortlichen für alle resultierenden Folgen ihrer Handlungen.

Machine-to-Machine mit bekannten Modellen

Betrachtet man letzteren Punkt, so sind immer die rechtlichen Aspekte wie Forderung (= schuldrechtlicher Anspruch), Finalität (vergleiche Diskussion zu Sepa Instant Payment), Rückstellungen in der Bilanz (wie bei "Loyalty Points"), Insolvenzrecht und viele mehr zu beachten. Geht man aber einmal rein von der praktischen Seite an "Machine-to-Machine Payments" (M2M) heran, so lassen sich insbesondere drei Anwendungsbereiche abstrahieren:

- Smart Home (das heißt Privatkundezu-Business)

- Smart Factory (das heißt Beziehungen zwischen Firmen)

- Smart City/Smart Mobility (das heißt wechselnde Beziehungen und öffentlicher Kontext)

Ohne alle Details würdigen zu können, so kann man dazu vereinfachend festhalten:

- Im Bereich von "Smart Home" (mit dem Privatkunden als Zahlungsauslöser) endet man in der Regel bei Abonnement- oder Stammkunden-Modellen, ob es sich nun beispielsweise um Netflix, Kaffeekapseln, Stromanbieter oder Einkaufkörbe bei Amazon handelt. Dazu bedarf es keines "Digital Euro".

- Bei "Smart Factory" gibt es schon seit langen Pay-per-Use-Lösungen wie für Gabelstapler oder Flugzeugturbinen ("Power by the Hour") und mittlerweile auch für Maschinennutzung ("Pay per Part") mit einer vertraglich definierten Bezahlung je damit hergestelltem Teilstück. Hier würden viele einzelne Zahlungen eher stören.

- Und bei "Smart City" oder spezifischer "Smart Mobility" endet man schnell bei den bekannten (und heute proprietären) Mautsystemen. Selbst ein "autonomes E-Auto" beziehungsweise fahrerloses E-Taxi hätte einen Verleiher oder Betreiber, welcher auf der einen Seite Verträge mit Stromlieferanten/Distributoren, Werkstätten oder Software-Anbietern abschließt, und auf der anderen Seite mit Privatkunden deren Nutzung beziehungsweise mit Firmen deren Fahrzeugpools abrechnet. Auch wenn es in speziellen oder theoretisch konstruierbaren Einzelfällen davon Abweichungen geben mag, so fallen doch fast alle "Machine-to-Machine Payments" im Rahmen von wiederkehrenden Beziehungen an, was die Diskussion von einzelnen M2M-Zahlungen auf die allgemeine Automatisierung von Prozess- und Bestell-Lieferung-Abrechnungs-Ketten zurückführt. In keinem Fall wäre ein "Digital Euro" von direktem Nutzen, während eine "Digitalisierung" der bestehenden Regulierung im Sinne von PSD2/SCA eine deutliche Automatisierungsrendite ermöglichen könnte.

Wenn man aber unabhängig von heute greifbaren Beispielen ein Bezahlen zwischen Maschinen im Internet of Things (IoT) mit einer sehr großen Zahl von Devices (als Stellvertreter der jeweiligen Betreiber) und noch mehr Transaktionen zwischen diesen als gegeben voraussetzt, dann scheiden aufgrund der dann sehr hohen Transaktionsvolumen zentrale Lösungen wie Girokonten, Kartenkonten, Zentralbankkonten oder auch Distributed-Leger (mit einem logisch-zentralen Register, in welchen alle Transaktionen aller Teilnehmer in allen Replikationen redundant gespeichert werden) aus. Hier werden dezentrale Transaktionsprotokolle "at the edge" des Netzes benötigt, welche primär lokal und "offline" (oder "off-chain") arbeiten. Schon die alte Geldkarte hatte ja solches "lokales" Bezahlen am Automaten als Einsatzszenario gehabt. Solche lokalen Machine-to-Machine-Payments sind somit der Antagonist zur Automatisierung von übergreifenden Prozess- und Bezahlketten.

Über den eigenen Horizont

Bei der aktuellen Debatte ist festzustellen, dass vorsorgliche Vorarbeiten für künftig Gestaltungsoptionen von CBDC sich mit konkreten Anforderungen der potenziellen Nutzer an einen "Digital Euro" überlagern. Es ist mandatskonform und legitim von Zentralbanken, sich über eine mögliche Zukunftsentwicklung im Zahlungsverkehr Einsichten zu verschaffen und Szenarien zu diskutieren. Man kann sich aber nochmals Ida Wolden Bache ins Gedächtnis rufen: "no acute need to introduce a CBDC" - selbst für Norwegen mit nur noch 4 Prozent Bargeld quote.

Auch wenn es oft schwerfällt, so bietet es sich an, ausnahmsweise einmal zur Seite zu treten, von den eigenen Denkmustern etwas Abstand zu nehmen und - durchaus - von den Entwicklungen in China und in den USA zu lernen. Man muss die Bigtech-Unternehmen ja nicht mögen, aber sie zeigen Ineffizienzen mit kalter Logik auf. Und sie wissen diese zu ihrem eigenen Vorteil und zum Vorteil der Kunden durch Optimierung und Innovationen zu nutzen, was letztlich der Kern von Marktwirtschaft ist. Ebenso wäre es ein Ansatz für einen "Digital Euro", heute konkret bestehende Ineffizienzen bei Bezahlprozessen in Europa aufzuzeigen und - zum Nutzen aller Bürgerinnen und Bürger - abzustellen.

Die Entwicklung in China zu bewerten ist immer schwierig, aber man kann spekulieren, dass auch die wahrscheinliche Einführung von DC/EP nicht gegen die Bezahlplattformen von Alipay und WeChat Pay stattfinden würde, sondern unter Nutzung dieser Plattformen als Kundenzugangskanal. Wenn man - mit viel Vorsicht - den aktuellen Trubel um den kurzfristig von der Börse in Shanghai gestoppten IPO von Ant Financial (Alipay) in diesem Kontext einzuordnen versucht, dann scheint das Kernproblem eine Befindlichkeit gegenüber der hohen Liquidität in diesem System und ein Problem mit den daraus vergebenen Konsumentenkrediten zu sein, aber weniger mit diesen Plattformen für das Bezahlen inklusive aller damit verbundenen Services. Eine DC/EP als Zentralbankgeld würde - und nochmals mit der Betonung aller Ungewissheit - hier die Kontrolle durch den Staat sicherstellen, die Risikoposition der Konsumentenkredite begrenzen helfen und dennoch die hochintegrierten und kundenorientierten Bezahlplattformen nicht infrage stellen.

Kosten-Nutzen-Abwägung

Wenn man nun in Europa einen Digital Euro zusätzlich, parallel oder unter Umständen auch verdrängend zu Sepa Instant Payments angehen möchte, dann wird am Ende ein messbarer Nutzen für die Nutzer - Konsumenten, Händler, Unternehmen - gegen die Investitions- und Betriebskosten aufzurechnen sein: "Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?"

Nur aus einer Automatisierungsrendite könnten sich ein Business Case darstellen lassen, wenn man dazu eine Rahmenbedingung berücksichtigt: "Automatisierung = Rechtsrahmen + Schnittstellen". Dagegen wären alle heute schon vorhandenen Vorteile für alle Konsumenten, Händler und Unternehmen durch existierende Bezahllösungen abzuziehen. Doch nur eine "zweitbeste" Lösung gegenüber diesen schon bestehenden Angeboten für das "digitale" Bezahlen aufzubauen - von Paypal und Alipay über Amazon One-Click-Check-Out bis zum Bezahlen bei Uber oder Starbucks -, das werden weder Konsumenten honorieren, noch werden Händler oder Unternehmen darin einen Sinn sehen.

Letztlich wird es der Lackmustest für einen "Digital Euro" sein, ob dieser jenseits theoretischer Überlegungen einen konkret messbaren Nutzen im digitalen Zeitalter zu schaffen vermag. Und dies bedeutet, einen "Digital Euro" von abstrakten Denkmodellen auf die Ebene einer kaufmännischen Vollkostenrechnung zu holen und am konkreten Nutzen zu bewerten.

Literaturhinweise

Bindseil, Ulrich (2020) "Tiered CBDC and the financial system", Working Paper Series, No. 2351, ECB, 3. Jan. 2020

Brunnermeier, Markus K., Harold James und Jean-Pierre Landau (2019) "The Digitalization of Money", NBER Working Papers 26300, National Bureau of Economic Research, 19.9.2019

ECB (2020) "Report on a digital euro", 2. Okt. 2020

Mersch, Yves (2020) "An ECB digital currency - a flight of fancy?", Rede bei der Consensus 2020 Virtual Conference, 11. Mai 2020 (verfügbar unter: https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2020/html/ecb.sp200511~01209cb324.en.html; abgerufen am 15.11.2020)

Milkau, Udo (2020) "A ,Digital Euro' Between Global Competition and Process Synchronisation", Journal of Digital Banking, Vol. 5/1, 2020

Panetta, Fabio (2020a) "On the edge of a new frontier: European payments in the digital age", Rede bei der ECB Conference "A new horizon for pan-European payments and digital euro", 22. Okt. 2020 (verfügbar unter: https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2020/html/ecb.sp201022~d66111be97. en.html; abgerufen am 15.11.2020)

Panetta, Fabio (2020b) "The two sides of the (stable)coin", Rede bei Il Salone dei Pagamenti 2020, 4. Nov. 2020 (verfügbar unter: https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2020/html/ecb.sp201104~7908460f0d.en.html; abgerufen am 15.11.2020)

Wolden Bache, Ida (2020) "Central bank digital currency and real-time payments", Rede bei der Finance Norway's Payments Conference, 5. Nov. 2020 (verfügbar unter: https://www.bis.org/review/ r201106i.pdf; abgerufen am 15.11.2020)

Fußnoten

1) Vgl. Chapter III mit: Contactless payments at point of sale (< 50 Euro), Unattended terminals for transport fares and parking fees, Trusted beneficiaries, Recurring transactions, Credit transfers between accounts held by the same natural or legal person, Low-value transactions (< 30 Euro), Secure corporate payment processes and protocols

2) Wie Ulrich Bindseil (Director General, Market Infrastructure and Payments, ECB) bei dem Online-Webinar "EU payments at cross-roads: what strategy for the future?" der European Banking Federation am 19. November 2020 ausführte, sollte ein "Digital Euro" der Zentralbank Synergie mit dem privatwirtschaftlichen Bankensektor haben, wobei er dies sinngemäß mit "the private sector to manage the front-end" ausführte. Ob die Bereitstellung eines entsprechenden Front-end beziehungsweise Wallets aber ein Business Case oder nur ein Kostenfaktor sein würde, bleibt offen.

3) Vgl. auch den Gaia-X Use Case "Stable Supply Chain Finance" unter Federführung des Fraunhofer-Institutes für Materialfluss und Logistik IML (siehe: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Digitale-Welt/GAIA-X-Use-Cases/pay-per-use-supply-chain-finance.html)

4) Sollte aber der eine Kontrahent nur - und dann meist über eine GUI-Darstellung - einem "Smart Contract", das heißt einen ausführbaren Computer-Script, des anderen Geschäftspartners zustimmen, dann stellt sich nicht nur die Frage, was wirklich - und mit gegebenenfalls welchen Fehlern - programmiert wurde, sondern wie rechtlich Problemfälle von Insolvenzen bis zu Betrug in der realen Welt dann in einem solchen "einseitigen" Programm Berücksichtigung fänden und was entsprechend mit dem allokierten Geld geschähe. Eine Absicherung gegen ein mögliches Risiko ist gerade für den Fall vorgesehen, wenn etwas nicht "programmgemäß" ablaufen sollte.

Dr. Udo Milkau Digital Counselor, Frankfurt am Main
Dr. Udo Milkau , Digital Counselor, Frankfurt am Main

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