Bancassurance-Revolution 2.0?

Jens Hasselbächer, Foto: R+V Versicherung AG

Das Thema Bancassurance, sprich der Vertrieb von Versicherungsprodukten durch Banken und Sparkassen - neben klassischen Bankprodukten, wie zum Beispiel Sparplänen oder Krediten - oder durch Vertriebsmitarbeiter von Versicherungsunternehmen in den Räumen der Banken beziehungsweise Sparkassen, ist eigentlich kein neues Thema, erfährt aber aufgrund der derzeit schwierigen Bedingungen durch das anhaltende Niedrigzinsumfeld sowie veränderter Kundenbedürfnisse wieder vermehrte Aufmerksamkeit. Und das nicht ohne Grund, denn Banken und Versicherungen können bei derartigen Vertriebskooperationen viel Potenzial heben, so der Autor. So werden aktuell gerade einmal 5 bis 30 Prozent der Bankkunden auch mit Blick auf Versicherungsprodukte betreut. Um in diesem Bereich allerdings auch tatsächlich erfolgreich sein zu können, bedarf es der richtigen Vorgehensweise, die vor allem auf die Bedürfnisse des Kunden ausgerichtet sein müsse. (Red.)

Seit nunmehr 100 Jahren ist die R+V als der Versicherer der Volks- und Raiffeisenbanken sowie etlicher Spezialinstitute sehr erfolgreich im Bereich Bancassurance. Sie ergänzt das Angebot der Banken der genossenschaftlichen Finanzgruppe zielgerichtet und schafft somit Werte für deren Kunden, für die Volks- und Raiffeisenbanken sowie die Spezialinstitute selbst und für die R+V. Dies gelingt durch sehr gute und spezifische Produkte, wie zum Beispiel verschiedene Mitgliedertarife, durch faire Vergütungsmodelle, einen hochqualifizierten Außendienst, der die Banken vor Ort unterstützt, durch Investitionen in die Infrastruktur der genossenschaftlichen Finanzgruppe sowie durch ertragreiches Wachstum, welches zu einer nachhaltigen Dividendenpolitik führt. Trotz aller Erfolge in den vergangenen 100 Jahren und auch der Erfolge der jüngsten Vergangenheit ist es von großer Bedeutung, dass man sich mit dem Heute und Morgen beschäftigt.

Um in einem Geschäft erfolgreich zu sein, ist es von entscheidender Bedeutung, dass es gelingt, die Kunden zu begeistern. Dies gilt für Konsumgüter ebenso wie für Finanzdienstleistungen. Während wir alle konkrete Vorstellungen haben, was uns bei einem Auto, dem neuen Kleid, den neuen Schuhen, dem neuen Anzug oder der nächsten Reise begeistert, fällt es uns in der Regel deutlich schwerer, von Begeisterung bei Finanzdienstleistungen zu sprechen, egal ob Banken oder Versicherungen. Dies sind in der Regel keine Gesprächsthemen, die wir im Freundes- und Bekanntenkreis regelmäßig beim geselligen Beisammensein besprechen. Diese Themen kommen meist nur dann auf den Tisch, wenn es einen konkreten Anlass gibt. Solche Anlässe können im Segment der Versicherungen persönliche Schadenereignisse sein, die gut oder weniger gut reguliert wurden oder aber auch Schadengroßereignisse, wie zuletzt das Unwetter Bernd im Sommer 2021. Im besten Fall lobt man dann seinen persönlichen Ansprechpartner, der entsprechend geholfen hat.

Woran liegt dies? Die meisten Menschen haben Lust, sich mit Dingen zu beschäftigen und Aktivitäten durchzuführen, die positive Emotionen auslösen. Setzt sich der Einzelne allerdings mit dem Thema Versicherung auseinander, hat dies mit Sorge - Risikovorsorge - zu tun. Es geht um das Risiko, das Auto oder das Haus zu verlieren oder, in noch schlimmeren Fällen, die Arbeitskraft oder gar das Leben. Diese Themen führen nicht zu Begeisterung. Hinzu kommt, dass häufig die Relevanz der Risikovorsorge auch rational nicht erkannt wird, weil viele Menschen einfach nicht darüber nachdenken oder weil das Elternhaus es nicht vermittelt hat. Und weil insbesondere auch das Schulsystem bei der Finanzbildung leider regelmäßig versagt. Diese verschiedenen Effekte führen dazu, dass junge Leute sich schwertun, sich überhaupt mit dem Thema zu beschäftigen. Aber auch Menschen mit mehr Lebenserfahrung und vorhandenem Versicherungsschutz wollen sich oftmals nicht regelmäßig aktiv mit diesen für sie unattraktiven Themen auseinandersetzen.

Dies alles führt dazu, dass ein Privathaushalt heute nur rund alle fünf bis sechs Jahre einen positiven und aktiven Kontakt zu einem Versicherungsunternehmen hat. Denn eine aktive Nachfrage erfolgt selten. Die Versicherungsvermittler, egal ob Generalagenturen, Makler, Mehrfachagenten oder Banken, sind immer noch zu häufig auf den kurzfristigen Erfolg im Einzelfall fokussiert, anstatt durch datenbasiertes und strukturiertes Omnikanalmanagement aus der Ecke der negativen Emotionen herauszukommen.

Dass es möglich ist, Kunden auch in Versicherungsangelegenheiten zu begeistern, zeigen diverse Studien. Es gibt zwei wesentliche Hebel, die mit Blick auf die Kundenbegeisterung bei Versicherungen zu großen Erfolgen führen:

  • Regelmäßige aktive Kontaktaufnahme durch die Versicherung,
  • Qualität des Kontaktes, der Beratung, des Service.

Aktive Kontaktaufnahme gewünscht

In der Regel gelingt es den Versicherungen, die Qualität eines Kontaktes neutral bis positiv zu gestalten. Dies gilt so - wohl für die Beratung als auch für den Vertragsservice und die Schaden- und Leistungsbearbeitung. Positive Erlebnisse werden in der hiesigen Medienlandschaft jedoch in der Regel nicht so stark beachtet wie Dinge, die nicht funktionieren. Die Folge: Die oben genannten Punkte werden nicht wahrgenommen. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund der fehlenden Kontaktfrequenz auch nur rund 10 bis 12 Prozent der Kunden jährlich diese positiven Erlebnisse haben. Insgesamt ist auf diese Weise keine Kundenbegeisterung zu erreichen.

Wenn also die Qualität des Kontaktes nicht die eigentliche Herausforderung ist, dann ist es die regelmäßige aktive Kontaktaufnahme durch die Versicherung. Und Versicherung meint hier entweder das Versicherungsunternehmen oder den zuständigen Versicherungsvermittler.

Versicherer haben demnach in der Vergangenheit viele Chancen zur Kundenbegeisterung ungenutzt gelassen. Wie sieht es auf der Bankenseite aus? Wie aktiv gehen sie auf ihre Kunden zu? Wo und wie können Banken und Versicherungen durch gemeinsames Handeln voneinander profitieren? Banken stehen vor vielen neuen Herausforderungen, die ihre Profitpools konsequent schmelzen lassen: die sehr beschwerliche Zinssituation, die steigenden regulatorischen Herausforderungen sowie die Notwendigkeit zu weiterer Risikovorsorge durch absehbar unsicherere Zeiten, in denen sich unsere gesamte Volkswirtschaft befindet. Hinzu kommt, dass die traditionellen Banken sehr stark von Fintechs und Neobanken in ihrem Kerngeschäft angegriffen werden.

Um unter diesen Rahmenbedingungen weiterhin erfolgreich zu agieren, verfolgen die Banken diverse Ansätze, die sie in der Regel kombinieren. Vier wesentliche Stellhebel haben sich herauskristallisiert:

  • Aktives Kostenmanagement,
  • Kundensegmentierung und Kundenpotenzial-Management,
  • Erschließung neuer Kundengruppen,
  • Kapitalmanagement.

Schaut man das Kostenmanagement an, sind insbesondere folgende Bereiche betroffen: Filialschließungen, Mitarbeiterabbau in der Privatkundenberatung sowie schlanke Prozesse in der Marktfolge. Bei der Kundensegmentierung und dem Kundenpotenzial-Management wird derzeit noch sehr häufig auf aktuell verfügbare Informationen aufgesetzt und die aktuelle Ertragssituation zur Segmentierung genutzt. Die künftigen Potenziale werden oft nur rudimentär berücksichtigt. Jedoch haben viele Banken in den vergangenen Jahren insbesondere durch die Zahlungsstromanalysen erkannt, wie viele Beiträge jeder einzelne Kunde an Versicherungsunternehmen zahlt. Bei heute bereits aktiven Kooperationsmodellen zwischen Banken und Versicherungen, wie zum Beispiel zwischen Sparkassen und den öffentlich-rechtlichen Versicherern oder bei privatwirtschaftlichen Kooperationen wie zwischen der Deutschen Bank und Zurich oder eben im genossenschaftlichen Lager zwischen den Volks- und Raiffeisenbanken und der R+V, ergeben die Analysen, dass man nur zwischen 5 und 30 Prozent der Kunden heute auch im Versicherungsbereich betreut. Hier gibt es also viel Luft nach oben.

Omnikanales Geschäftsmodell

Die Ursachenanalyse kommt zu unterschiedlichen Einschätzungen und Ergebnissen, die insbesondere auf persönlichen Erfahrungen beruhen oder Expertenmeinungen darstellen. Häufige Ergebnisse sind: Der Kunde möchte mehr Auswahl an Produkten haben oder das Produkt der primären Partner ist nicht wettbewerbsfähig oder ein anderer Versicherer zahlt höhere Brutto-Vergütungen. Diese Analyseergebnisse werden dann von diversen Marktteilnehmern freudig aufgenommen und sie bieten ihren Vertriebspartnern eine in ihren Augen einfache Lösung an: Sie empfehlen, die Kunden Betreuungsmandate/Maklermandate unterschreiben zu lassen und somit die Betreuung aller Versicherungsverträge zu übernehmen und eine entsprechende Bestandspflegeprovision einzunehmen. Dies wird unterstützt mit mehr oder weniger modernen digitalen Plattformen ohne große Schulungsaufwände oder Ähnlichem.

Vernachlässigt werden hierbei die zu Beginn ausgeführten Kundenbedürfnisse nach regelmäßiger, aktiver Kontaktaufnahme und nach Qualität in der Beratung. Weiterhin bleibt unberücksichtigt, dass die Kunden in der Regel bereits einen langjährigen Ansprechpartner für ihre Versicherungsangelegenheiten haben, mit dem sie zufrieden sind. Gänzlich unberücksichtigt bleibt auch der Folgeaufwand, der sich mit der Betreuungsübernahme ergibt: Wer begleitet den Kunden bei fachlichen Fragen? Wer begleitet den Kunden bei organisatorischen Fragen? Wer sichert die Qualität der Beratung, sodass der Kunde den aktuellen und richtigen Versicherungsschutz erhält? Welche Komplexitätskosten entstehen durch mehr Anbindungen?

Weiterentwicklung der Beratungsqualität notwendig

Bancassurance wird - ebenso wie andere Vertriebsmodelle in der Versicherung - dann eine begeisternde Erfolgsgeschichte, wenn Banken, Versicherungen, Pooler, Fintechs und so weiter aufhören, nur das jeweils eigene Geschäftsmodell zu optimieren, sondern anfangen, einen echten Mehrwert zu schaffen, der die wahren und fokussierten Kundenbedürfnisse adressiert. Also: Weiterentwicklung der Beratungsqualität und regelmäßige aktive Kontaktaufnahme durch die Bank oder die dazugehörige Versicherung, um Mehrwert zu leisten, ist der vielversprechendste Ansatz. Und bei diesem Vorgehen stellt sich auch nicht die Frage, ob es um die Ausschließlichkeit, einen Mehrfachagenturvertrag oder den Maklerstatus geht. Denn dieser Ansatz orientiert sich am Kundenbedarf. Die R+V ist davon überzeugt, dass ein omnikanales Geschäftsmodell die optimale Lösung für Kunden ist. Dabei ist es wichtig zu verstehen, was dieses Omnikanal-Modell meint und beinhaltet.

Kunden entscheiden, wann und von wo aus sie ihre Versicherungsangelegenheiten erledigen wollen. Kunden wollen entscheiden, ob sie dies digital, telefonisch oder persönlich tun. Kunden erwarten, dass relevante Informationen an allen Kontaktpunkten in Echtzeit zur Verfügung stehen und verständlich präsentiert werden. Kunden wollen nicht warten. Kunden wollen begeistert werden, also muss die Qualität jedes Kontaktes optimiert werden, egal ob Beratung, Verkauf, Service oder Schadenbearbeitung. Kunden wollen aktiv Informationen rund um Sicherheit und Vorsorge erhalten und nicht nur Rechnungen von der Versicherung bekommen. Dies alles gilt es, in einem professionellen Omnikanal-Management anzubieten.

Digitale Oberflächen, am besten voll integriert in das Online-Banking sowie in die Banking-App, sind eine Grundvoraussetzung. Rund um die Uhr telefonische Erreichbarkeit von Service- und Beratungshotlines mit qualifizierter Besetzung sowie hochqualifizierte Berater für die Begleitung vor Ort müssen organisiert und dauerhaft vorgehalten und weiterentwickelt werden. Datenbasierte Informationen zu jedem einzelnen Kunden müssen über ein zentrales Customer-Relationship-Management-Tool in Echtzeit an jedem einzelnen Kontaktpunkt orchestriert werden. Die Bedarfsermittlung muss kanalspezifisch erfolgen - von der einfachen und fokussierten Abschlussmöglichkeit für wenig erklärungsbedürftige Produkte bis hin zur kompletten Rundumberatung. An allen Kontaktpunkten sollten immer alle Kundenkontaktdetails aufgenommen, aktualisiert oder ergänzt werden sowie zwingend die Werbeeinwilligung eingeholt werden. Sofern dies konsequent in der Vertriebssteuerung berücksichtigt wird, schafft man die Voraussetzung, um zu sehr geringen Grenzkosten die aktiven und positiven Kontakte zum Kunden mehrmals im Jahr zu organisieren. Ziel muss es sein, jeden Kunden dabei individuell nach seinen Themen und seinen Präferenzen auf dem richtigen Kanal anzusprechen. Die Ziele: Vertrauen schaffen und Transparenz über die eigene Dienstleistung. Diese Kontakte dienen in der Regel nicht nur dem Verkauf, sondern der langfristigen Kundenbindung und der Vorbereitung des nächsten Kaufs oder der nächsten Weiterempfehlung.

Aufbau modularer Produktarchitektur

Um neben dem guten Content im richtigen Moment auch das passende Angebot machen zu können, ist es unbedingt erforderlich, dass Produkte individualisiert angeboten werden können. Dies bedeutet, dass abhängig von den verfügbaren Daten über den Kunden eben preis- oder leistungsorientierte Angebote erfolgen. Dort, wo die Angebote ins Schaufenster gestellt werden, müssen sie auch zum Schaufenster passen, das heißt, auf der Online-Plattform sollte des Produkt eher preisorientiert positioniert sein und in der Filiale mehr serviceorientiert. Das Wichtigste dabei ist aber, dass der Kunde jedes Produkt an jedem Punkt kaufen kann beziehungsweise den entsprechenden Service dafür bekommt. Insofern muss die zugrunde liegende Produktarchitektur sehr modular aufgebaut sein, um dies zu erreichen. Gleichzeitig muss die Effizienz gewährleistet werden. Hier sind immense Investitionen in zukunftsfähige Technologien notwendig. Bei der R+V erfolgt dies durch hohe Investitionen in die Omnikanal-Plattform der genossenschaftlichen Finanzgruppe, durch sehr hohe Investitionen in ein professionelles R+V-CRM-System, durch die Ablösung des bisherigen technischen Außendienstsystems sowie die Erneuerung der Backend-Systeme. Dadurch können datenbasiert optimale Angebote für Kunden und Berater orchestriert und an jedem Kontaktpunkt verfügbar gemacht werden. Differenzierte Preismodelle werden notwendig, die sowohl im Preiswettbewerb entsprechende Positionierungen erlauben als auch die Möglichkeit schaffen, Zahlungsbereitschaften mitzunehmen.

Vorteile als Team überzeugend vermitteln

Dies alles wird nur mit einem performanten Plattformmodell erreicht werden können - daher auch die immensen Investitionen in die Omnikanal-Plattform der Volks- und Raiffeisenbanken, die Smart- Data-Infrastruktur sowie in die eigenen Plattformen. Diese sind offen zu gestalten, sodass bei entsprechenden Marktentwicklungen auch passende Angebote kreiert werden können.

Ein so ambitioniertes Omnikanal-Modell braucht ein absolut sicheres Fundament: die Menschen und die Marke. Für viele Kollegen sowohl in den Banken als auch bei der R+V bringt dies sehr große Veränderungen mit sich. Erfolgreich wird das Unternehmen sein, dem es gelingt, die Idee des Omnikanal-Managements am besten zu vermitteln und jede einzelne Person, egal ob bei den Banken oder bei R+V, zu überzeugen.

Denn jede einzelne Person - im digitalen Kontext, im telefonischen Service oder in der persönlichen Beratung - ist dafür verantwortlich, dass dem Kunden überzeugend die Vorteile vermittelt werden, damit er die Daten und Dialogeinwilligungen zur Verfügung stellt. Und es geht darum, als Team ein deutlich besseres Ergebnis zu erzielen wie als Einzelspieler. Diese kulturelle Transformation ist mindestens so bedeutend wie der strategische Ansatz und die technologische Umsetzung. Über die Marke schafft man darüber hinaus Bekanntheit und Vertrauen.

Zusammenspiel von "digital" und "persönlich"

Zusammenfassend hält die R+V die Revolution in der Bancassurance für ein durchaus realistisches Szenario. Diese Revolution wird eine sein, bei der es Banken und Versicherungen im Zusammenspiel gelingt, die Kunden zu begeistern. Sie ist eine Revolution der langfristig strategischen Differenzierung über Marke, Personal, modulare Produkte, einfache und kostengünstige Prozesse, datenbasierte Sicherheits- und Präventionserlebnisse, optimalem und medienbruchfreiem Zusammenspiel von "digital" und "persönlich". Gemeinsam mit den Volks- und Raiffeisenbanken und den Spezialinstituten möchte die R+V diese Revolution gestalten.

Jens Hasselbächer , Vertriebsvorstand , R+V Versicherung AG, Wiesbaden
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