Bankbrechende Erkenntnisse

Philipp Beckmann, Foto: Creditreform Rating AG

Im vorliegenden Beitrag geht der Autor auf die Lage der Banken ein, die seiner Meinung nach schon vor Corona unter großen Belastungen litten. Nun erwartet Beckmann eine Verschärfung der Situation, wenn tatsächlich Ende April 2021 die Insolvenzaussetzungspflicht auslaufen sollte. Nach Auswertungen der Creditreform Rating haben zwar die Banken in Deutschland im ersten Halbjahr 2020 ihre Risikovorsorgen verdreifacht, jedoch sei nicht auszuschließen, dass die Vorsorge dennoch nicht reichen könnte, wenn tatsächlich eine Insolvenzwelle nach dem Ende der Aussetzungspflicht einsetzen würde. Gleichzeitig würden die günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten TLTRO III und PEPP auslaufen. Beckmann glaubt, dass die kleinen Banken überproportional von Ausfällen betroffen sein werden. Er sieht hier weiter zunehmenden Konsolidierungsdruck, wenn die Ausfälle kommen. Er weist am Ende aber nochmal darauf hin, dass bislang kein signifikanter Anstieg notleidender Kredite zu verzeichnen sei. (Red.)

"Die deutschen Banken gehören zu den am wenigsten profitablen in Europa", verkündete Moody's Ende Januar. Die schwache Rentabilität der deutschen Banken werde sich in den nächsten Jahren weiter verschlechtern und demnach seien umfangreiche Kostensenkungen nötig, um langfristig profitabel bleiben zu können, so die Einschätzung der US-amerikanischen Ratingagentur. Mit anderen Worten: Die deutschen Banken sind am Schwächeln - und das nicht erst seit der Corona-Pandemie. Mit dem voraussichtlichen Wiedereinsetzen der Insolvenzantragspflicht Ende April wird eine ansteigende Zahl an Kreditausfällen die Situation vieler Banken "nur" noch zusätzlich verstärken. Mit welchen Folgen ist zu rechnen und vor allem: Welche Maßnahmen sind aktuell und zukünftig angebracht?

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland hat am Ende des Jahres 2020 mit 16 300 Fällen den niedrigsten Stand seit der Einführung der Insolvenzverordnung im Jahr 1999 erreicht. Diese Zahl ist nur auf den ersten Blick überraschend (zum Vergleich: 2019 waren es noch rund 19 000 Insolvenzfälle). Von einer besonders guten Performance der Unternehmen kann hierbei jedoch keine Rede sein. Stattdessen ist diese Sachlage maßgeblich auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zurückzuführen, welche die Bundesregierung infolge der Covid-19-Pandemie zum Schutz des Wirtschaftslebens beschlossen hat. Außerdem waren weitere staatliche Hilfsmaßnahmen maßgeblich dafür verantwortlich, dass eine Pleitewelle vorübergehend an den Unternehmen vorbeiziehen konnte. Doch dass dies nur ein temporärer Zustand sein kann, war bereits bei der Einführung der Regelungen absehbar. Was als berechtigte Hilfe angedacht ist, stellt sich ebenso als eine Verzerrung der "natürlichen" Marktbereinigung heraus: Zukunftsfähige Unternehmen schieden aus, während schlecht wirtschaftende Betriebe und Konzerne vorerst weiter bestehen konnten. Mit dem Ende der Insolvenzanmeldepflicht ist nicht zuletzt deswegen mit einer erhöhten Kreditausfallrate in den kommenden Wochen und Monaten zu rechnen: Rund 24 000 Firmeninsolvenzen sind dieses Jahr zu erwarten. Bankenaufseher von der Europäischen Zentralbank, der Bundesbank und der BaFin warnen schon seit Monaten vor diesem Szenario.

Zu wenig Rücklagen und Innovation bei unvorteilhafter Kostenstruktur

Obwohl sich die Risikovorsorgen der Banken einer Auswertung der Creditreform Rating AG (basierend auf den Zahlen des ersten Halbjahres 2020) zufolge im Durchschnitt fast verdreifacht haben, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie nicht ausreichen. Erschwert wird die Situation durch das anhaltende Niedrigzinsumfeld und einer damit einhergehenden belasteten Ertragslage. Zudem laufen die Staatsgarantien sowie günstige Refinanzierungsmöglichkeiten (TLTRO III und PEPP) aus, die attraktive Kreditbedingungen gewährleisten. Insbesondere bei Banken, die sich in einem Transformationsprozess befinden, kann es zu Jahresfehlbeträgen kommen, die das Eigenkapital erheblich schrumpfen lassen dürften. Kleine Institute werden aller Voraussicht nach von den Kreditausfällen überproportional betroffen sein und auch im genossenschaftlichen und Sparkassensektor wird der Konsolidierungsdruck zunehmen. Darüber hinaus könnten Zweitrundeneffekte entstehen, welche wiederum eine nachhaltige Inflation begünstigen und eine Lohn-Preis-Spirale vorantreiben. Zuverlässige Prognosen gestalten sich in der aktuellen Situation allerdings immer noch schwierig.

Moody's zufolge müssen die deutschen Banken in einem optimistischen Szenario ihre Kosten in den nächsten fünf Jahren um zehn Prozent drücken, um das derzeitige Rentabilitätsniveau zu halten. Wesentlich wahrscheinlicher sei jedoch eine Annäherung an die Null-Linie, bei welcher weder Verlust noch Gewinn erwirtschaftet wird. Um langfristig rentabel zu bleiben, so die Ratingagentur, müssten die deutschen Banken ihre Kosten sogar um mehr als ein Drittel senken. Die chronisch schwache Situation der Banken ist unter anderem mit einem schwachen Wirtschaftswachstum bei geringer Inflation und anhaltenden Negativzinsen zu erklären. Viele der Probleme, die nun im Zuge der Corona-Pandemie besonders deutlich hervortreten, sind allerdings hausgemacht.

Neben zum Teil sehr teuren Kostenstrukturen der Banken, was unter anderem auch zu einem Rückzug der Filialbanken führt, ließen sich in den vergangenen Jahren kaum neue innovative und tragfähige Geschäftsmodelle feststellen. Vor allem beim Thema Digitalisierung herrscht weiterhin überwiegend die Devise: "reagieren statt agieren". Die Corona-Krise hat jedoch den Trend zum reinen Online-Bankgeschäft beschleunigt. Vor allem junge Wettbewerber, darunter Neobanken, Fintechs und Smart Broker, generieren erhebliche Marktanteile von den etablierten Banken und besetzen zudem neue Geschäftsnischen. Einen Einblick in die zum Teil mangelnde digitale Kompetenz deutscher Banken gewährt der von Finnoconsult erstellte "Finnoscore 2021 Deutschland". Den Ergebnissen der Analyse zufolge sind 83 Prozent der Websites deutscher Banken nicht auf die Neukundengewinnung ausgerichtet.

Sie liegen damit um zehn Prozent hinter dem internationalen Durchschnitt. Hinsichtlich der digitalen Reife belegt beispielsweise die Commerzbank als eine der größten deutschen Kreditinstitute im globalen Vergleich lediglich den 129. und im nationalen Vergleich den 21. Platz. Grund dafür sei beispielsweise der limitierte und schlecht aufbereitete Funktionsumfang des Online-Banking-Angebots. Dabei ergäben sich durch eine zunehmende Digitalisierung triftige Möglichkeiten zur Kosteneinsparung, etwa durch den Abbau von Bürokapazitäten. Auch würde ein vermehrt virtuelles Bankgeschäft die Zusammenlegung von Filialen bei gleichzeitiger Spezialisierung auf neue Geschäftsmodelle begünstigen. Anders als für Neobanken sind Blockchain, Neobroker- und Cross-Selling-Geschäfte auf der Grundlage von Kundendaten für die traditionellen Banken im Grunde genommen immer noch Fremdworte.

Deutsche Bank weiterhin auf erfolgreichem Sparkurs

Hinzu kommt, dass nahezu alle deutschen Banken - die Deutsche Bank bildet hier eine der wenigen Ausnahmen - keine Auslandspräsenz vorzuweisen haben. Möglichkeiten, das Zinsgeschäft außerhalb der Eurozone zu verbessern, sind daher in der Regel nicht vorhanden. Dabei wäre ein Blick über den Tellerrand für viele Institute sicherlich lohnenswert, um beispielsweise neue Geschäftsfelder auf alternativen Märkten zu erproben und eine internationale Markenpräsenz aufzubauen. Die Deutsche Bank ist allerdings nicht nur in puncto Auslandspräsenz eine Ausnahme: Inmitten der Pandemie erklärte ihr Chef Christian Sewing Anfang Februar gegenüber der Tagesschau: "Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung der Bank. Wir haben genau das erreicht und sogar überreicht, was wir uns vorgenommen haben."

Die Ratingagentur Fitch verbesserte den Ausblick des Instituts Anfang dieses Jahres von "negativ" auf "positiv" (BBB). Die Creditreform Rating wiederum hatte das Long-Term Issuer Rating der Deutschen Bank (Konzern) mit "BBB+" Ende vergangenen Jahres zwar bestätigt, korrigierte aber den Ausblick allerdings nach unten zu "negativ". Neben allgemeinen Kosteneinsparungen und Fortschritten im Konzernumbau ist vor allem die Renaissance des Investmentbankings einer der entscheidenden Faktoren für diese - und im Kontext der Corona-Pandemie für viele letztlich überraschend - positive Bewertung. Eigentlich sollte der Bereich des Investmentbankings zurückgefahren werden, als Folge der Corona-Pandemie konnte das größte deutsche Kreditinstitut allerdings ausgerechnet mit diesem Geschäftszweig erhebliche Erträge erzielen.

Bankenabwicklungen nicht mehr auszuschließen

Zum dritten Quartal 2020 ist der Bereich des Investmentbankings um 35 Prozent ertragsreicher als zum selben Zeitpunkt im Vorjahr. Dadurch, dass die anderen Geschäftsbereiche nur geringe Einbußen hinnehmen mussten, sind die operativen Erträge zum dritten Quartal 2020 im Verhältnis zum Vorjahr gestiegen. Ausschlaggebend für das Rating der Creditreform Rating AG ist darüber hinaus der noch andauernde Transformationsprozess sowie das rückläufige Privatkundengeschäft.

Während es so scheint, als könnte die Deutsche Bank nicht nur glimpflich aus der Krise herauszukommen, sondern ihre Position dank des Transformationsprozesses auch weiter stärken, erklärte BaFin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch Mitte März im Gespräch mit dem Handelsblatt, dass Bankenabwicklungen nunmehr nicht mehr ausgeschlossen seien. Zu groß sei die Belastung der Banken in der Corona-Krise, zu sehr setzten notleidende Kredite den Instituten zu: "Die Abwicklung von systemrelevanten Banken in Schieflage muss die Regel sein." Eine Auflösung ist sinnvoll, wenn ein Institut nicht selbstständig überleben kann und keine unverhältnismäßigen Folgeeffekte drohen. Kleinere Banken, welche sich auf Wirtschaftsbereiche spezialisiert haben, die von der Corona-Krise besonders betroffen sind, wie die Flugzeug- oder gewerbliche Immobilienfinanzierung, sind besonders gefährdet. Gleiches gilt für auf den Mittelstand fokussierte Institute, die keine positive Nettozinsmarge mehr erreichen oder stark von Kreditnehmern aus dem Einzelhandel abhängige Banken.

Nationale Interessen erschweren Liquidationen

Die Liquidation von in Schieflage geratenen Instituten ist theoretisch sachgerecht, praktisch jedoch aufgrund nationaler Interessen und Vernetzungen eher die Ausnahme. Der derzeitige Modus Operandi ist ein anderer: Vor allem im Sparkassensektor sind (Not-)Fusionen die wahrscheinlichere Option. Abwicklungen werden sich voraussichtlich auf die kleineren Banken beschränken. Wichtig wäre eine einheitliche Handhabung innerhalb des EZB-Bankenuniversums - losgelöst vom Heimatmarkt des jeweiligen Instituts. Insbesondere das Beispiel Italien verdeutlicht jedoch, dass eine solche bisher nicht konsequent umgesetzt wird. Die italienischen Banken setzen zwar auf europäische Hilfen oder verlängerte Moratorien, gleichzeitig schotten die Verantwortlichen den Bankensektor aber weitestgehend von den Wettbewerbs- und Aufsichtsbehörden ab. Auch hinsichtlich der seit 2015 geltenden EU-Abwicklungsrichtlinie, im Zuge derer Banken auch ohne den Einsatz öffentlicher Mittel abgewickelt werden können, wird Italien vermutlich auf Ausnahmeregelungen zurückgreifen und die eigenen Institute mit Steuergeldspritzen rekapitalisieren. Unabhängig davon ist eine Begrenzung des für marode Großbanken vorgesehene EU-Abwicklungsfonds (einheitlicher Abwicklungsfonds) auf 55 Milliarden, und damit auf eine absolute Größe, nicht angemessen. Das Zielvolumen ist für die Gesamtheit der EU-Banken viel zu gering - insbesondere im Falle eines Branchenschocks. Besser wäre dagegen beispielsweise eine relative Abgabe gemessen an den gesamten Verbindlichkeiten.

Pötzsch weist zu Recht darauf hin, dass die Situation angespannt sei. Einen signifikanten Anstieg notleidender Kredite aufgrund der Corona-Krise hat der Bankensektor allerdings bislang nicht zu verzeichnen. Staatliche Stützungsmaßnahmen, Zahlungsmoratorien sowie die partielle Aussetzung der Insolvenzpflicht zögern diese Entwicklung vorerst weiter hinaus. Die Institute wappnen sich bis dahin mit einer erhöhten Risikovorsorge, welche die Profitabilität zusätzlich drosseln. Es wäre aber zu einfach, die unvorteilhafte Lage vieler deutscher Banken ausschließlich auf die Corona-Krise zurückzuführen, welche die vielen und schon seit Langem zu beobachtenden Probleme zu überschatten droht.

Philipp Beckmann Head of Financial Institutions, Creditreform Rating AG, Neuss
 
Philipp Beckmann , Head of Financial Institutions, Creditreform Rating AG, Neuss
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