Banken sind Begleiter und Mitgestalter des Strukturwandels

Manfred Knof, Foto: Commerzbank AG (Pavel Becker)

Nach wie vor ist unsicher, wann die Corona-Pandemie endgültig bewältigt sein wird. Das hat zur Folge, dass viele Unternehmensentscheider sich sehr skeptisch gegenüber Innovationen und Investitionen verhalten. Doch gerade diese sind für eine wirtschaftliche Erholung sowie eine starke Positionierung Deutschlands im internationalen Wettbewerb entscheidend. Es ist also wichtig, den Blick perspektivisch nach vorn auf den Strukturwandel und die Transformation der Wirtschaft zu richten, so der Autor. In diesem Zusammenhang müssen die Banken seiner Ansicht nach in den nächsten Jahren bei der Bewältigung dieser Finanzierungsaufgaben eine zentrale Rolle übernehmen. Neben der Vermittlung von Förderkrediten und dem klassischen Kreditgeschäft müsste dabei auch die Finanzierung über Kapitalmärkte in größerem Umfang als bisher zum Einsatz kommen. Aber auch die Institute selbst müssten sich verändern, um den Strukturwandel in der eigenen Branche zu stemmen. (Red.)

Seit über einem Jahr stecken wir mitten in der Corona-Pandemie. Gesamtwirtschaftlich ist Deutschland bisher vergleichsweise gut durch diese schwierige Zeit gekommen. Mit staatlichen Hilfsprogrammen für Unternehmen und dem massiven Einsatz des Kurzarbeitergeldes konnten größere Verwerfungen am Arbeitsmarkt bislang verhindert werden. Unternehmen haben spätestens im zweiten Lockdown ihre Anpassungs- und Leistungsfähigkeit bewiesen. Im Ergebnis ging die Wirtschaftsleistung 2020 nur um 5 Prozent zurück, deutlich weniger als zunächst von vielen befürchtet.

Aber natürlich gibt es auch in Deutschland viele Unternehmen, die hart getroffen wurden. Die Pandemie ist noch nicht überwunden. Die Impfstoffe, auf die wir begründete Hoffnung setzen, wurden bisher nicht in der notwendigen Menge und Geschwindigkeit eingesetzt. Noch ist nicht absehbar, wann die Risikogruppen und ein ausreichender Anteil der Bevölkerung geimpft sein werden, damit soziales und wirtschaftliches Leben wieder in normalen Bahnen verlaufen kann.

Fakt ist: Die Mutationen des Virus und der verlängerte Lockdown führen unausweichlich zu weiteren wirtschaftlichen Schäden. Auch dieses Jahr wird vor allem vom Krisenbekämpfungsmodus geprägt sein - aber auch vom wirtschaftlichen Neustart und dessen Finanzierung.

Dabei ist es umso wichtiger, den Blick schon heute nach vorn auf den Strukturwandel und die Transformation unserer Wirtschaft zu richten. Denn Wachstum und Beschäftigung werden langfristig nur gelingen, wenn wir im Wettbewerb mit anderen Regionen mindestens mithalten. Genau darauf sollten wir auch den Neustart der Wirtschaft ausrichten.

Unternehmensinsolvenzen werden zunehmen

Im zurückliegenden Jahr ist es durch zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen gelungen, die Liquidität der Unternehmen zu sichern. Auch die Commerzbank-Kunden haben diese Hilfen in Anspruch genommen - rund 4 Milliarden Euro bei einem genehmigten Kreditvolumen von 7,7 Milliarden Euro. Die aktiven Stundungen sind jedoch deutlich gesunken. Bei rund 97 Prozent der vormals gestundeten Kredite wurden die Zahlungen wieder aufgenommen und sie werden weiterhin störungsfrei bedient. Stand heute ist die Qualität des Kreditportfolios unverändert gut. Hier zeigt sich, dass viele Unternehmen die Qualität ihrer Bilanzen in den zurückliegenden 20 Jahren spürbar verbessert haben. Im Schnitt haben sie ihre Eigenkapitalquote seit Beginn des Jahrtausends von 22 Prozent bis zum Jahr 2019 auf 32 Prozent erhöht. Auch dadurch können sie wirtschaftliche Härten besser abfedern. Diese Substanz wird aber nun in vielen Branchen gerade Stück für Stück aufgezehrt.

Die Zahl der Insolvenzen war 2020 noch sehr niedrig, was vor allem auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowie die staatlichen Hilfsprogramme zurückzuführen ist. Hier wird es nun aber unweigerlich zu Nachholeffekten kommen. Wann diese eintreten, darüber gehen die Prognosen auseinander. Während zum Beispiel die Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel für 2021 eine Verdoppelung der Insolvenzen erwartet, sieht Euler Hermes einen deutlichen Anstieg erst im Jahr 2022. Leidtragende werden vor allem die besonders von den Lockdowns betroffenen kleinen Dienstleistungsunternehmen wie zum Beispiel Hotels, Restaurants, Reisebüros oder Bekleidungsgeschäfte sein.

Wirtschaft ist vorbereitet

Das zeigt das Besondere in dieser Krise: Normalerweise sind Insolvenzen das Ergebnis von Wettbewerb, bei dem sich erfolgreichere Konkurrenten mit ihrem Angebot durchsetzen. In der aktuellen Pandemie trifft das aber auf viele Marktaustritte nicht zu, sie sind die Folge von verordneten Marktbeschränkungen oder Marktschließungen. Es muss daher auch mit staatlicher Hilfe weiter darum gehen, Kapitalvernichtung zu minimieren und funktionierende Geschäftsmodelle zu bewahren - gerade jetzt, wo ein Ende der Pandemie greifbarer wird. Perspektivisch ist es auch für die strukturelle Weiterentwicklung der deutschen Wirtschaft wichtig, dass der Wettbewerb am Markt seine Kräfte wieder entfalten kann.

Aber es gibt auch positive Beispiele. Nehmen wir eine Schlüsselbranche der deutschen Industrie: den Maschinenbau. Zwar ist der überwiegende Anteil der Unternehmen von erheblichen Auftrags- und Produktionsrückgängen betroffen - laut Statistischem Bundesamt etwa minus 14 Prozent im vergangenen Jahr - die Krise hat die Maschinen- und Anlagenbauer aber dank ihrer Kapital- und Liquiditätsbasis nicht unvorbereitet getroffen. Die Unternehmen profitieren nun von ihrer Flexibilität in der Produktion und Sortimentsgestaltung. Und deutsche Produkte sind nach wie vor im Ausland gefragt.

Veränderung internationaler Wertschöpfungsketten

Allerdings werden auch die globalen Wertschöpfungsketten infolge der Pandemie neu adjustiert. Doch auch hier reagieren international tätige Unternehmen: Reshoring und Nearshoring sollen dafür sorgen, dass sie weniger anfällig gegenüber Störungen des internationalen Handels werden. Und angesichts der anhaltenden Handelskonflikte überlegen einige Unternehmen ohnehin, ob es notwendig wird, in jeder der großen Wirtschaftsregionen mit Produktionskapazitäten präsent zu sein.

Aber auch hier waren die anfänglichen Befürchtungen, der internationale Handel käme auf Dauer zum Erliegen und globale Wertschöpfungsketten lösten sich auf, überzogen. Vielmehr hat der internationale Handel schnell wieder zur Stabilisierung der globalen Wirtschaft beigetragen. Das zeigt sich beispielsweise an den Containerumschlägen oder gestiegenen Frachtkosten. Gerade China wurde zum Motor des Wachstums und rechnet in diesem Jahr schon wieder mit mindestens 6 Prozent Wachstum.

Zugleich wird deutlich, dass der Wettbewerb zwischen den Handelsmächten Asien, den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa auch auf der Ebene des Strukturwandels stattfindet. Digitalisierung und die damit verbundenen Standards werden zum Wettbewerbsfaktor wie auch die Transparenz von Lieferketten und Informationen zu nachhaltigem Wirtschaften.

Investitions- und Innovationsfähigkeit Deutschlands elementar

Was bedeutet das für Deutschland als Wirtschaftsstandort? Wir müssen uns gegen die wachsende (Hightech-)Dominanz Chinas rüsten und zugleich unseren ökologischen Fußabdruck deutlich reduzieren. Kurz: Wir brauchen eine tiefgreifende Transformation in den Bereichen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Das setzt natürlich voraus, dass investiert wird und weiter Innovationen vorangetrieben werden. Wir alle wissen: Die Innovationsfähigkeit der Industrie ist die Basis für die wirtschaftliche Stärke Deutschlands. Für Unternehmen aber bedeutet das, dass sie nicht nur die kurzfristigen Folgen der Krise bewältigen, sondern gleichzeitig investieren und ihre Geschäftsmodelle grundlegend transformieren müssen.

Allerdings besteht aufgrund der anhaltenden Unsicherheit bei Unternehmensentscheidern große Investitionszurückhaltung. Das ist angesichts der ökonomischen Unsicherheiten durchaus nachvollziehbar. Zugleich sind aber gerade diese Investitionen entscheidend, wenn man den Blick auf die Zeit nach der Pandemiebewältigung richtet.

Deutschland und Europa stehen vor einer richtungsweisenden Dekade, die unsere wirtschaftliche Relevanz für viele Jahre festlegen wird. Die wachsende Rolle des Staates in der Wirtschaft ist dabei durchaus zweischneidig. So hilfreich und notwendig die enormen Hilfsprogramme wie auch der EU-Recovery-Plan aktuell sind, um Unternehmen und Haushalte durch die Krise zu bringen. Mit dem Wiederaufbaufonds ist die Tür zu gemeinsamen europäischen Schulden dauerhaft geöffnet worden. Das wird auf Dauer zu mehr Umverteilung innerhalb des Euroraums führen und damit den Druck für Reformen weiter verringern.

Was mich besonders umtreibt, sind die strukturellen Veränderungen: Diese Krise hat den Glauben an den Staat noch einmal verstärkt. Deregulierung oder Steuersenkungen sind praktisch vom Tisch. Vielmehr wird der Staat seinen Einfluss auf die Wirtschaft weiter verstärken.

Auch der Protektionismus könnte mit Verweis auf die Sicherung der nationalen Versorgung weiteren Auftrieb erhalten. Es geht aktuell für die Wirtschaft um Überbrückungshilfen während der Pandemie, danach müssen wir aufpassen, mit dem vielen Geld nicht bestehende Strukturen zu zementieren.

Immerhin soll der Wiederaufbaufonds Projekte und nötige Infrastruktur vorantreiben, die den digitalen und nachhaltigen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft beschleunigen. Hier ist es von zentraler Bedeutung, dass diese Zweckbindung eines großen Teils der Mittel an die digitale und grüne Transformation tatsächlich greift.

Zentrale Rolle der Banken bei wirtschaftlichem Neustart

Dabei werden Banken in den nächsten Jahren bei der Bewältigung dieser Finanzierungsaufgaben eine zentrale Rolle übernehmen. Neben der Vermittlung von Förderkrediten und klassischem Kreditgeschäft muss dabei auch die Finanzierung über Kapitalmärkte in größerem Umfang als bisher zum Einsatz kommen.

In Europa haben wir immer noch Nachholbedarf, wenn es darum geht, auch dem breiteren Mittelstand den Zugang zu Kapitalmarktfinanzierung zu ermöglichen. Wenn wir mit der Kapitalmarktunion hier vorankommen, gelingt auch die Finanzierung der Transformation. Dazu gehört auch, weiter daran zu arbeiten, Wagniskapital und Gründungsfinanzierung in Europa attraktiv zu machen.

Auch die regulatorischen Rahmenbedingungen müssen auf die Transformation und auf die Unterstützung dieser Kernfunktion der Banken ausgerichtet sein. Ein prominentes Beispiel ist die Debatte über die Finalisierung der Umsetzung des Baseler Regelwerks.

Basel IV wird nach einer Einschätzung der europäischen Bankenaufsicht EBA zu einem signifikanten Anstieg der Kapitalanforderungen für Banken führen, und zwar um durchschnittlich 18,5 Prozent. Vor dem Hintergrund der anstehenden Herausforderungen wäre das kontraproduktiv. Basel IV muss daher mit Augenmaß umgesetzt werden und die europäischen Besonderheiten - insbesondere bei der Unternehmensfinanzierung - berücksichtigen.

Als eine der führenden Banken für den Mittelstand liegt der Commerzbank ein Thema besonders am Herzen: Die sogenannten "Unrated Corporates", also Unternehmenskunden ohne Kapitalmarktbezug und ohne externes Rating. In Europa gilt das für 85 Prozent der Unternehmen und selbst bei den großen Unternehmen sind es 80 Prozent. Sie sind das Rückgrat der deutschen Industrie, oft seit Generationen im Familienbesitz, verfügen über keine Kapitalmarktaffinität und finanzieren sich üblicherweise über ihre Hausbank.

Gemäß Basel IV steht diesem Segment bei der Kreditvergabe künftig eine deutliche Steigerung der Risikogewichte bevor. Trotz langjähriger Historie und gutem internem Rating muss ein Standardgewicht von 100 Prozent angesetzt werden. Durch die höheren Risikogewichte können sich die Kreditfinanzierungen für die Kunden signifikant verteuern - das stellt die Finanzierung des Neustarts vor manche Probleme. Bis wir hier vielleicht mit staatlicher Unterstützung eine europäische Ratingagentur aufsetzen, die dazu beiträgt, dieses Problem bei der Verwirklichung der Kapitalmarktunion zu bewältigen, sollten Lösungen gefunden werden, die zunächst einmal die Finanzierungsentscheidungen der Unternehmen respektieren und die schließlich die Fremdkapitalkosten nicht künstlich erhöhen. Die neuen Regeln sind mit Augenmaß umzusetzen und dürfen nicht dazu führen, dass dringend notwendige Investitionsentscheidungen der Kunden erschwert oder sogar unmöglich gemacht werden.

Strukturwandel der Finanzbranche erforderlich

Aber auch die Banken müssen sich verändern, um den Strukturwandel in der eigenen Branche zu stemmen und gleichzeitig ihren Kunden zur Seite zu stehen. Die Stichworte sind bekannt: Geändertes Kundenverhalten, Digitalisierung, anhaltender Kostendruck und Ertragsschwäche sowie New Work. Auch aus diesem Grund steht die Strategie 2024 der Commerzbank für Kundenorientierung, Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Profitabilität. Die Pandemie hat dabei insbesondere die Digitalisierung von Finanzdienstleistungen massiv beschleunigt und die Nachfrage nach digitalen Lösungen massiv erhöht. Um optimal auf diese Nachfrage reagieren zu können, setzt das Institut auf eine modulare IT und Open Banking. Um die State-of-the-Art-Digitalplattform für die Kunden und ihre Bedarfe zu schaffen, sollen in den nächsten Jahren rund 1,7 Milliarden Euro investiert werden, zum Beispiel in Cloud-basierte Lösungen. Das Ziel der Commzerbank ist es, die Kunden auf ihrem Weg zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele zu begleiten. Das Institut bietet den Kunden ein immer breiteres Spektrum nachhaltiger Finanzprodukte. Dazu gehört für die Bank auch, sich selbst dazu zu verpflichten, künftig auch das Kreditportfolio unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu steuern.

Mit Blick auf die Firmenkunden wird der Fokus verstärkt auf Wachstums- und Zukunftsbranchen liegen. Dazu gehören Mobilität, Nachhaltigkeit, Kommunikation, Life Sciences/Chemie und Investitionsgüter. Die Commerzbank verfügt über tiefes Branchen-Know-how, das in die Kundenbeziehung eingebracht werden kann. Ihre Rolle als führender Finanzierer des deutschen Außenhandels ist und bleibt elementar. In den entscheidenden Handelskorridoren für die deutsche Wirtschaft wird sie auch künftig weiter stark vertreten sein. Denn Deutschland braucht leistungsstarke Banken, die die Transformation der deutschen Industrie unterstützen und unsere exportstarke Industrie bei ihren Auslandsaktivitäten begleiten. Damit werden auch die Grundlagen des Wirtschaftswachstums weiter gesichert.

Dr. Manfred Knof Vorsitzender des Vorstands, Commerzbank AG, Frankfurt am Main
 
Dr. Manfred Knof , Vorsitzender des Vorstands, Commerzbank AG, Frankfurt am Main
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