Bankendigitalisierung - am Scheideweg zwischen Abwärtsspirale und Neudefinition

Dr. Markus Hamprecht, Foto: Accenture

Die Digitalisierung setzt den Banken zu. Eine Menge Ressourcen müssen in diesen Bereich investiert werden, um nicht den Anschluss zu verlieren. Einerseits sieht der Autor in den Vorteilen der Digitalisierung für den Kunden einen Nachteil für die Banken, insbesondere durch die höhere Agilität der Kunden. Gleichzeitig hält er es für einen ungerechten Kampf, da Fintechs und Bigtechs nicht der gleichen strengen Regulierung wie die Banken unterliegen. Daher sieht Hamprecht die Banken derzeit am Scheideweg zwischen Utopie und Dystopie. Nachdem er drei Szenarien für die Zukunft aufzeigt, versucht der Autor einen Lösungsweg anzubieten. Die Banken selbst sollten dafür vom Produktdenken wegkommen hin zum kundenzentrierten Denken. Aber auch Politik und Regulatoren müssen demnach ihren Beitrag für eine gute Zukunft der Banken leisten. Das wichtigste sind dabei die Schaffung eines einheitlichen europäischen Marktes und ein Zurückschrauben der Überregulierung. (Red.)

Die Digitalisierung bindet Finanzinstitute seit Jahren massiv, sowohl personell als auch finanziell. Allein hierzulande haben Banken Milliardenbeträge in neue Infrastruktur und Systeme sowie in die Modernisierung von Strukturen und Prozessen investiert. Und doch befinden sie sich weiterhin in einer Situation permanenten Drucks. Der Grund: Markt und Marktumfeld verändern sich radikaler und schneller als jemals zuvor. Die Frage nach der zukünftigen Ausgestaltung des Bankgeschäfts muss nun dringend beantwortet werden.

Ursächlich für die Massivität des Umbruchs im Bankensektor sind einige zentrale Entwicklungen. Mit zunehmender technischer Erleichterung des Kontowechsels und wegfallenden Markteintrittsbarrieren ist die Loyalität der Bankkunden, sowohl im Privat als auch im Firmenkundengeschäft, stetig zurückgegangen. Die Kunden der Banken sind zudem informierter und treten anspruchsvoller auf.

Sie suchen heute nach der situativ optimalen Finanzlösung für ihre jeweiligen Ansprüche. Das Spektrum reicht von der gebührenfreien Reisekreditkarte bis zu kostengünstigen Auslands Geldtransfers oder Tagesgeldangeboten. Ein neues Bankkonto lässt sich in wenigen Minuten eröffnen, singuläre Finanzlösungen können bisweilen in Sekunden aktiviert werden. Die Universalbank als zentraler Hub verschiedener Dienste tritt in den Hintergrund und neue Wettbewerber wie Monzo, N26 oder Revolut für die Girokontobeziehung oder Scalable, Transferwise und Weltsparen für einzelne Finanzlösungen gewinnen rasant Marktanteile.

Bigtechs, Plattform-Gefängnisse und Regulierung

Hinzu kommen die großen Technologieunternehmen wie Amazon, die inzwischen zahlreiche komplementäre Finanzdienstleistungen zum E Commerce Geschäft in Bausteinform anbieten, ob Zahlungsverkehr, Konsumenten und Händlerkredite oder Versicherungen. Die viel diskutierte Disintermediation, die Abkopplung der Bankkunden von ihren Hausbanken, ist in vollem Gange. Doch nicht nur Kooperationen zwischen Bigtechs und internationalen Großbanken, wie die zwischen Amazon und Goldman Sachs, dürften für viele Marktakteure weniger Raum lassen. Gleiches gilt für "Megaplattformen", wie Alibaba oder Wechat in China. Sie streben danach, die Verweildauer der Nutzer bei sich zu maximieren und bieten Konsumenten alle notwendigen Services aus einer Hand. Drittanbieter spielen dabei praktisch keine Rolle. Nicht nur in Fernost scheinen sich Konsumenten freiwillig in diese Art der digitalen Gefangenschaft zu begeben.

Anders lässt sich der weltweite Siegeszug dieses Konzeptes nicht erklären. Die spielerische Einfachheit, mit denen Digitalplattformen ihre Kunden begeistern und an sich binden, können Banken nicht nur aufgrund ihres digitalen Nachholbedarfs nicht abbilden. Anders als die Technologiespieler unterliegen sie der anhaltend starken Regulierung. Mit den Regelungen der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) oder der "Markets in Financial Instruments Directive" (MiFID II) mussten Finanzinstitute gezwungenermaßen in den vergangenen Jahren Prozesse einführen, die die Kundenzufriedenheit und damit die Kundenbeziehungen nachhaltig beschädigt haben.

Eine Branche am Scheideweg

Dieses Ausgangsszenario führt dazu, dass Banken in ihrer aktuellen Verfassung alles andere als gut dafür aufgestellt sind, Kunden auch künftig relevante Dienstleistungen anzubieten. Die Branche steht am Scheideweg zwischen Bankenutopie und dystopie, zwischen der Beschleunigung der Abwärtsspirale für das traditionelle Banking Geschäftsmodell und seiner digitalen Neudefinition. Das machen folgende drei Szenarien mit ihren utopischen und dystopischen Ausprägungen deutlich:

Ökosysteme versus oligopolistische Bankenstruktur: Finanzinstitute müssen sich entscheiden, inwieweit sie künftig in der Lage sind, Ökosysteme mit verschiedenen voll integrierten Fintechs, Bigtechs und Regtechs zu steuern. Sie müssen ihre Geschäftsmodelle erweitern und sich in eine Vielzahl weiterer Transaktionsbeziehungen einbinden. Davon profitieren letztlich auch die Kunden, denen so mehr Dienstleistungen angeboten werden können. Handeln Banken dagegen nicht, dann stellt sich nur noch die Frage, wann sie die Schlacht mit neuen Fintech-Wettbewerbern und großen Technologienunternehmen endgültig verlieren. Mit dem Verlust ganzer Wertschöpfungsbereiche droht auch der Bedeutungsverlust. Viele traditionelle Marktteilnehmer werden aus dem Markt ausscheiden. Finanzdienstleistungen werden dann durch oligopolistische Strukturen dominiert. In der Konsequenz bleiben für Kunden weniger Wahlmöglichkeiten, die sich in höheren Preisen niederschlagen werden.

Stabilität und Vertrauen versus steigende Kosten und Unsicherheit: Regulierung sollte die Banken stabiler und widerstandsfähiger machen. Der Eingriff in den Markt muss zum Ziel haben, dass die Institute als vertrauenswürdige Anbieter von Finanzdienstleistungen wahrgenommen werden. Diese sollten wiederum die regulatorischen Anforderungen und die neue Regulierung nutzen, um für beide Seiten vorteilhafte Dienstleistungen zu entwickeln. Wird dagegen der eingeschlagene Kurs der teilweisen Überregulierung fortgesetzt, wird das Service- und Beratungsniveau weiter sinken. Kunden werden sich in der Konsequenz beschleunigt von traditionellen Banken abwenden und zu weniger oder nicht regulierten Wettbewerbern wechseln, die frei von diesen Zwängen sind. Hinzu kommen die Kosten regulatorischer Compliance. Diese sorgen bei Banken bereits heute für enorme Belastungen. Wird der Kurs fortgesetzt, werden auch dadurch zahlreiche weitere Häuser aus dem Geschäft gedrängt.

Integrierte Bankdienstleistungen versus Kontaktverlust: Banken müssen es schaffen, Finanzdienstleistungen erfolgreich in den Alltag ihrer Kunden zu integrieren. Im Zentrum stehen die Kundenwünsche. Diese gilt es aktiv vorherzusagen und zu befolgen. Dadurch wird eine ganz neue Kundenerfahrung möglich. Das Dienstleistungsangebot darf dabei nicht beim eigenen Produktportfolio enden, Kunden sollten die bestmögliche Lösung für ihre Anforderungen erhalten, indem auch Servicebausteine Dritter zur Anwendung kommen beziehungsweise die Finanzdienstleitungen nahtlos in realwirtschaftliche Kundenprozesse eingebunden werden. Gelingt dies nicht, werden Banken den direkten Kundenkontakt an Bigtechs und Fintechs verlieren. Sie treten in diesem Szenario nur noch als Versorger und Infrastrukturanbieter in Erscheinung. Komplexere Wertschöpfungsbestandteile und margenstärkere Mehrwertdienste wie Zahlungsverkehr oder Vermögensverwaltung werden dann durch neue Technologiewettbewerber erbracht. Auch der überwiegende Teil der Erlöse wird mit der Kundeninteraktion an diese neuen Akteure übergehen.

Der Weg in die Banking-Utopie

Um den Finanzsektor in die Richtung einer positiven Utopie zu navigieren, sollten Banken sich auf fünf zentrale Stellschrauben konzentrieren. Sie müssen sich erstens von Produkten lösen und stattdessen in Bedürfnissen denken. Integrierte, unsichtbare sowie voll digitalisierte End to End Dienste werden damit zu einer Notwendigkeit. Die Zukunft gehört den Plattformen, nicht allein der nächsten App, die nur singuläre Bedürfnisse des Kunden adressiert. Banken sollten daher zweitens das Angebot ganzheitlicher Lösungen nicht aus dem Auge verlieren und eigene Plattformen aufbauen. Sie müssen darüber hinaus drittens in der Lage sein, ihre Dienste nahtlos in digitale Ökosysteme zu integrieren. Die Ertragspools der Zukunft liegen weniger in einzeln zur Verfügung gestellten Produkten, sondern im orchestrierten Zusammenspiel, in der Einbindung von Finanzdienstleistungen in Service Netzwerke. Über Jahre haben Banken massiv in Technologie investiert. Nun ist es viertens an der Zeit, diese Technologie wirkungsvoll zum Einsatz zu bringen und zwar nicht um ihrer selbst willen. Digitale Investments müssen der Umsetzung des Kundennutzens dienen. Fünftens sind neue Kooperationsmodelle essenziell. Mit Inhouse Lösungen werden mittelgroße nationale Spieler nicht mit internationalen Marktführern und Technologie Giganten in den Wettbewerb treten können.

Unterstützung durch Politik und Regulierung mit Augenmaß

Die anstehenden Herausforderungen und Aufgaben für Banken sind enorm. Doch allein werden sie die Entwicklung in eine positive Zukunft nicht bewerkstelligen können. Hier sind die Regulatoren und die politischen Entscheidungsträger gefordert. In der Regulierung sollte der Fokus stärker auf echten Kundenschutz und Servicequalität gelegt werden. Maßnahmen, die Kunden in den Graubereich wenig oder nicht regulierter Anbieter treiben, bedürfen der Nachjustierung. Dazu gehört auch die fortlaufende Überprüfung unbeabsichtigter Aus- und Wechselwirkungen regulatorischer Schritte. So stellte die Einführung von PSD2 einen riesigen Schub für Techs dar, während traditionelle Institute mit zusätzlichen Komplexitäten weiter zurückgedrängt wurden.

Hinzu kommt, dass bei allen regulatorischen Schritten die globale Ausgewogenheit sichergestellt werden muss, um eine Migration der Angebote in weniger regulierte Bereiche zu vermeiden. Es sollte dringend verhindert werden, dass einzelne Marktteilnehmer von einer regulatorischen Arbitrage profitieren und damit den Wettbewerb zu ihren Gunsten verzerren. Das ist keine nationale Aufgabe. Vielmehr bedarf es dafür des Endes der EU Kleinstaaterei und einer gesamteuropäischen politischen Kraftanstrengung. Europa braucht einen gemeinsamen Markt für Finanzdienstleistungen, der die notwendige kritische Größe aufweist, um digitale Banking Modelle skalieren zu lassen. Darüber hinaus wird erst mit europäischen Ansätzen, wie einer gemeinsamen mobilen Zahlungsplattform oder einer digitalen Währung, den internationalen Schwergewichten etwas entgegensetzt werden können.

Es ist zunächst an den Banken selbst, die wesentlichen Schritte in der digitalen Neudefinition ihres Geschäftsmodells zu gehen. Sie brauchen aber auch Unterstützung aus Politik und Regulierung, um zu neuer Stärke zu finden. Nur wenn der Wandel mit vereinten Kräften gelingt, werden die heimischen Finanzinstitute die Zukunft der deutschen und europäischen Volkswirtschaft mitgestalten, nur dann bleiben sie anerkannte Wegbegleiter der europäischen Unternehmenschampions auf der ganzen Welt. Starke Banken sind für einen stabilen Wirtschaftsstandort essenziell. Das muss wieder fest im Bewusstsein verankert werden. Es wäre fahrlässig, die europäischen Banken und damit auch die Stabilität der Wirtschaft allein dem digitalen Sturm zu überlassen.

Dr. Markus Hamprecht Geschäftsführer und Leiter des Bereichs Financial Services in Deutschland Österreich und der Schweiz, Accenture, Hamburg
Markus Hamprecht , Geschäftsführer und Leiter des Bereichs Financial Services in Deutschland Österreich und der Schweiz, Accenture, Hamburg
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