Bargeld und Bürgerfreiheit

Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio Foto: Uni Bonn

Die mit einer Währung garantierte Disponibilität über privates Vermögen umfasst aus Sicht des Autors bei der Ausgestaltung des Geldsystems auch eine körperliche Verfügbarkeit sowie die Möglichkeit eines anonymen Tauschverkehrs. Mit Blick auf die anhaltenden Diskussionen um eine Einschränkung der Bargeldnutzung oder gar die Abschaffung der Noten und Münzen hält er das Argument einer Verminderung der Gefahr von gemeinwohlschädlichem und kriminellem Verhalten als massive Art der Einschränkung der Freiheit für überzogen und verfassungsrechtlich nicht für angebracht. Vielmehr sieht er die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zur Abwehr der unerwünschten Effekte auch mit schonenderen Eingriffen gewährleistet. (Red.)

Das Geld ist ins Gerede gekommen. Die Kapriolen der sogenannten Kryptowährungen und die forcierte Verdrängung des Bargelds innerhalb der chinesischen Volkswirtschaft, aber auch die Weltfinanzkrise von 2008 und die europäische Schuldenkrise, die plötzlich das Problem der Bargeldversorgung aufblitzen ließen: All das belegt eine wachsende Unsicherheit, sind Hinweise für einen Umbruch. Vieles deutet darauf hin, dass Bürger zwar dem Bargeld vertrauen, obwohl es streng genommen auch nur Papier ist. Doch die Zeichen für tief greifende Wandlungsprozesse mehren sich.

Bedeutung von Bargeld für die grundrechtliche Werteordnung

Das wirft die Frage auf, was eigentlich für die grundrechtliche Werteordnung Bargeld bedeutet. Was ist der Wert des Bargeldes als Institution innerhalb einer Ordnung der Freiheit? Wäre die Abschaffung des Bargeldes im Blick auf die normative Signatur unserer Gesellschaft kontingent, sozusagen ein unwesentliches Detail in einer veränderlichen Ordnung in deren Mittelpunkt der einzelne Mensch in seinem Achtungs- und Entfaltungsanspruch steht.1)

Geld gilt als Tauschmittel, standardisiert und universalisiert. Es ist ein werthaltiges Tauschmittel. Das leuchtet bei einem bedruckten Geldschein nicht unmittelbar ein, verglichen mit einer sortenreinen Goldmünze, die man weit eher als jene geprägte Freiheit in Händen halten kann, von der Dostojewski im "Totenhaus" sprach. Geld kann intrinsisch werthaltig sein, ebenso aber kann der Wert von außen durch eine Garantie verliehen werden. Die Gold- oder Silbermünze, Perlen oder die Südseemuschel sind körperlich-intrinsische Wertträger, die keine Garantie, kein Einlösungsversprechen benötigen. Die Banknote dagegen wird durch eine Notenbank, üblicherweise in staatlicher Trägerschaft im Wert garantiert.2)

Geld erleichtert Tauchgeschäfte. Der Warenaustausch eines Kaufs von zwei Zentnern Weizen zum Preis von vier Klafter Holz ist aufwendig, wenn beide Waren sich auf dem Markt körperlich begegnen und konkret ausgetauscht werden sollen. Schon die Vorstellung des Kaufvertrages, bezogen auf ein solch ursprüngliches Tauschgeschäft, passt nicht. Der Kaufvertrag ist bereits eine institutionelle Reaktion des Rechts auf die entstehende Geldwirtschaft. Schon die Bezahlung mit einem werthaltigen Tauschgegenstand wie einem Stück Silber oder Gold vereinfacht die Transaktion außerordentlich. Aber intrinsische Werthaltigkeit ist ein Problem, zum einen hinsichtlich der Kontrolle (wie viel Gold ist in der Goldmünze?) und es ist ein Problem, weil auch der intrinsische Wert marktabhängig ist und deshalb Schwankungen unterworfen ist. Und schließlich ist die Geldmenge durch den werthaltigen Stoff begrenzt oder, wenn dieser Stoff in unvorhergesehener Weise vervielfältigt werden kann, die Währung einer Inflationierung unterliegt. Deshalb ist die externe Wertgarantie eine folgerichtige Befreiung aus diesen Restriktionen.

Die für die Entstehung der frühneuzeitlichen Marktwirtschaft führenden oberitalienischen Städte kannten bereits im 13. Jahrhundert den bargeldlosen Verkehr, den Giralverkehr, eine weitere Vereinfachung, die angesichts antiker Vorläufer vielleicht nicht erfunden, aber dort perfektioniert und operationalisiert wurde.3) Auf dem Höhepunkt des Einflusses von Jakob Fugger zu Beginn des 16. Jahrhunderts, schien eine Forderung gegen das Bankhaus Fugger so sicher wie Gold, auch wenn Jakob Fugger mit seinen Anleihen zugunsten unzuverlässiger politischer Kreditnehmer um die wirklichen Risiken wusste und mitunter zu tarnen verstand.

Garantiemacht für die Werthaltigkeit

Wertpapiere und Handel mit Forderungen gab es bereits vor der Entstehung des neuzeitlichen Staates. Diese institutionelle Form politischer Herrschaft musste jedoch erst entstehen und sich durchsetzen, damit jene Zwischenform des Geldes - zwischen Forderung, Wertpapier und werthaltigem Geld als Papiergeld, als Banknote neben das in der Tendenz immer noch die Werthaltigkeit in sich tragende Münzgeld trat. Dazu bedarf es einer berechenbaren, verlässlichen Garantiemacht, als die sich die neuzeitlich-staatliche Territorialherrschaft empfohlen hat, auch wenn die ersten Schritte in diese Richtung dieses Vertrauen durchaus enttäuschen konnte.

An der Notwendigkeit einer Garantiemacht für die Werthaltigkeit von Papiergeld ohne intrinsischen Wert hat sich nichts geändert und kann sich aus prinzipiellen Gründen nichts ändern. Verspielt eine Staatsmacht, wie heute das sozialistisch beherrschte Venezuela, das Vertrauen in die Deckungsfähigkeit und Wertäquivalenz der Währung im Verhältnis zu verkehrsfähigen Gütern, so kollabiert die Währung und man versucht es in der Not mit einer Petrowährung, die neues Vertrauen zu einer werthaltigen Deckung begründen soll, aber vermutlich wegen der Verfügungsrechte des aus dem Ruder gelaufenen Staates nicht wird begründen können.

Wertgarant des Geldes

Wenn man erkennen will, wie prekär die Stellung der Staaten heute im Rahmen der digitalen Transformation und der neuen geopolitischen Rivalität zu werden droht, muss man sich vergegenwärtigen, dass die Rolle des Staates bei der Entwicklung des Geldes keineswegs konstitutiv oder schlichtweg unentbehrlich ist. Die Verwandlung von Münzgeld in Buchgeld, als in eine rechtliche Forderung, verkörpert nur noch in einer Buchungsposition, bedurfte des Staates ebenso wenig wie eine Warenterminbörse, die selbstregulativ von Marktteilnehmern begründet werden kann. Geld hat unmittelbar mit dem Staat nichts zu tun, das machen nicht erst Krypto-Token (Kryptowährungen) auf Basis der Blockchaintechnologie deutlich.4)

Hier wird mit einer interessanten Verschleifung operiert, die durchaus paradoxe Züge trägt: Bei einer selbstbezüglichen Rechnerleistung, die für sich genommen keine Wertschöpfung aufweist, wird man eine tatsächliche intrinsische Werthaltigkeit nicht annehmen können. Aber eine Erscheinung wie Bitcoin oszilliert in einem Bereich konstruierter, fiktiver intrinsischer Werthaltigkeit, als Verknappung operierend, ohne materiellen Nutzwert.

In einer idealen privatautonomen Marktgesellschaft entscheiden die Marktteilnehmer darüber, was sie als Tauschmittel akzeptieren. Früher hieß es bei manch gebranntem Kind, der Erfahrungen mit geplatzten Wechseln und ungedeckten Schecks hatte: Nur Bares ist Wahres, aber wie ist das bei Papiergeld? Man sieht sofort, worum es geht, wenn politische Herrschaft ins Spiel kommt: ein überlegener Akteur, der nicht auf Freiwilligkeit setzen muss, kann zur Annahme eines standardisierten Tauschmittels zwingen, gesetzlicher Annahmezwang5) , aber das ist nicht der entscheidende Umstand.

In unserer gegenwärtigen Rechtsordnung existiert zwar das gesetzliche Zahlungsmittel, der Euro im Eurowährungsgebiet, aber kein regelrechter Annahmezwang, wobei man schuldbefreiend gegenüber dem Staat nur mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel leisten kann und ein gesetzliches Zahlungsmittel niemand zur Erfüllung einer Geldforderung ablehnen kann, ohne rechtliche Nachteile zu erleiden. Bis zur Einführung des Euro war die deutsche Währung zusätzlich durch ein Fremdwährungsverbot vor Konkurrenz geschützt.6)

Die Frage nach dem Marktpreis

Aber entscheidend ist, wer und wie die Werthaltigkeit garantiert wird. Es ist noch so nicht lange her, dass klar war, für wie viel Mark man einen Dollar erhält (festes Wechselkurssystem) und gegenüber dem Dollar bestand eine Umtauschgarantie in Gold. Hortete man also deutsche Banknoten war das bis Bretton Woods7) eigentlich so gut wie das Horten von Goldbarren.

In den modernen staatlich beherrschten Rechts- und Wirtschaftsordnungen verlagert sich das ohnehin bestehende Problem der Werthaltigkeit des Tauschmittels letztlich auf die Fragen der politischen Kreditfähigkeit, die dem verdrängten Markt durch die Hintertür wieder Einlass verschafft, weil man Marktgesetze mit politischer Herrschaft zwar deformieren, aber nicht beseitigen kann, ohne in eine archaisch anmutende Primitivwirtschaft zurückzufallen. Für einen "Erzliberalen" wie Hayek, der davon ausging, dass politische Herrschaft das Hoheitsrecht über die Währung regelmäßig missbrauche8) , war gerade die öffentliche Gewalt unter Verdacht, Währungen zu verschlechtern, zu manipulieren, um sich selbst zu begünstigen, einem behaupteten Gemeinwohl zu dienen oder in allfälligen Notlagen vorläufig einen Ausweg zu finden.

Die Deckung stellt die Frage, was ein Tauschmittel unter Marktbedingungen tatsächlich wert ist, also die Frage nach dem Marktpreis. Der Schwarzmarkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, also jener sich spontan bildende wirkliche Markt, der an die Stelle der staatlichen Fiktionen und Deformationen trat, und deshalb bekämpft wurde, entwickelte die Zigarettenwährung, in der Lucky Strikes an die Stelle der entwerteten Reichsmark traten - nach damaligem Recht Straftaten.

Ökonomisch betrachtet war der Schwarzmarkt eher ein Beleg für die Unzerstörbarkeit von Marktgesetzen und für die Kraft spontaner Zivilgesellschaft, die um Existenz und Verteilungsgerechtigkeit ringt, nachdem "der Staat" ihre Lebensgrundlagen durch Krieg und Zerstörung geraubt hat.

Doch alle staatliche Geldpolitik und Geldmengenbestimmung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die politische Herrschaft über das Geld (jedenfalls innerhalb der Matrix der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft) immer nur eine sektoral und funktionell begrenzte sein kann. Phänomene wie die Geldschöpfung etwa im Bankensystem, also außerhalb des Zentralbankgelds, können zwar mit geldpolitischer Steuerung beeinflusst, aber nicht kausal beherrscht werden, ohne den Markt in Leistungseinbußen verursachender Weise zu deformieren.9)

Institutionelles Brückenprinzip: Privatautonomie und Fungibilität

Der Verfassungsstaat des Grundgesetzes verabschiedet sich von dem tief enttäuschten romantischen Staatsvertrauen und möchte eine neue Fundierung, die von der Freiheit der Bürger ausgeht. Der Staat des Grundgesetzes dient der freien Entfaltung seiner Bürger in einer rationalen, berechenbaren Friedens- und Rechtsordnung, die die Freiheit des einen erst an den Rechten der anderen enden lässt.

Wirtschaftlich betrachtet garantieren die Grundrechte berufliche und gewerbliche Entfaltungsfreiheit mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und das Privateigentum mit Art. 14 GG. Privatautonomie und Vertragsfreiheit sind über die allgemeine Handlungsfreiheit als besondere Institutionen mit garantiert. Die Grundrechtsauslegung des vergangenen halben Jahrhunderts hat dem Zusammenhang zwischen individueller Entfaltungsfreiheit und den institutionellen Grundlagen einer Entfaltungsordnung relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet, weil die Institutionen des Zivilrechts, des Gesellschaftsrechts, des Bankenrechts und die Einrichtungen der staatlichen Geldpolitik gefestigt, anerkannt und in gewisser Weise als unerschütterlich galten.

Insofern ist auch die Institution des Geldes und ihre Konkretisierung des Bargeldes vergleichsweise wenig verfassungsrechtlich problematisiert worden, allenfalls im Blick auf die Inflationsgeschichte des 20. Jahrhunderts wurde die Notwendigkeit der Unabhängigkeit der Notenbank hervorgehoben und es bestand ein gewisses Misstrauen gegenüber übermäßiger Staatsverschuldung mit möglichen Effekten einer Währungsverschlechterung. Dabei liegt ganz unabhängig von aktuellen Entwicklungen des westlichen und des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems sowie der Emergenz von Krypto-Token im Bargeld ein reizvolles Feld für die grundrechtliche Rekonstruktion eines institutionellen Zusammenhangs.

Finanzverfassung, Währungsrecht und Geldordnung gehören nach überkommenem Verfassungsverständnis als Teil des Staatsorganisationsrechts zu einer Sphäre, die als nicht grundrechtsspezifisch und als prinzipiell auch nicht erreichbar mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gilt. Dieses überkommene Verständnis stammt aus einer Zeit, in der der Staat eine eigenständige Sphäre, mit eigener Raison, eigenem Wesen und eigener Vernunftqualität der Privatrechtsgesellschaft gegenübergestellt wurde.

Ausprägung der privaten Eigentumsordnung?

Diese kategoriale Unterscheidung ist heute nicht hinfällig geworden, aber sie ist durch die maßgebliche Individualperspektive der Grundrechte relativiert. Ein Staat, der beispielsweise zielgerichtet und ohne hinreichende Rechtfertigung die eigene Währung um ihre Stabilität etwa durch bewusste Inflationierung bringen würde, verstieße gegen Art. 14 GG, weil die private Eigentumsordnung in Geldforderungen materialisiert ist und eine Entwertung eine Teilentziehung des Eigentums ist, die bei einer bewussten in diese Richtung zielenden Geldpolitik der verantwortlichen Notenbank der öffentlichen Gewalt als Grundrechtseingriff zugerechnet werden müsste.

Insofern kann auch verfassungsrechtlich die Frage gestellt werden, ob das Bargeld, also eine Gestaltform des Geldes mit individuell-körperlicher, anonymisiert-formeller Verfügungs- und Aufbewahrungsmöglichkeit eine notwendige institutionelle Ausprägung der privaten Eigentumsordnung ist, die nicht oder nur mit hohem Rechtfertigungsaufwand kategorial entzogen werden kann, weil sie Privateigentum entzöge, sondern eine Bedingung für wirtschaftliche Selbstentfaltung. Bargeld wäre insofern ein Brückenprinzip zur Privatautonomie, ein notwendiges Instrument zur wirtschaftlich Selbstentfaltung, die individuelle verfügbar bleiben muss. Die Fungibilität der Privatautonomie setzt einen Kreis institutioneller Sicherungen voraus, zu denen eben auch Bargeld oder eine funktionelle Entsprechung gehören könnte.

Verschiedene Schutzgehalte

Eine rein oder überwiegend eigentumsdogmatische Betrachtung greift demgegenüber womöglich zu kurz,10) jedenfalls führt sie rasch zu einem eindeutigen Ergebnis, das aber womöglich gerade den institutionell bedeutsamen Kontext verfehlt. Denn die substanzielle Einschränkung des Bargeldverkehrs oder die gänzliche Abschaffung des Bargelds würde ja nicht zu einem Entzug von Eigentumspositionen führen, sondern zur Umstellung auf Buchgeld, das nach dieser bloßen Umwandlung dieselbe Werthaltigkeit aufweisen sollte wie das Bargeld, also eigentumsrechtlich neutral betrachtet werden kann. Davon zu unterscheiden wäre die Frage, ob der Staat über seine Zentralbank berechtigt wäre, eine gesteuerte Entwertung durch Negativzinsen, Buchungsabschläge oder Gebühren auf Guthaben vorzunehmen. Hier laufen verschiedene Schutzgehalte und Verfassungsdirektiven ineinander.

Zentralbankverursachte Negativzinsen in einem digital vollständigen, staatlich beherrschbaren Buchgeldsystem wären dann nicht nur ein Eigentumseingriff, sondern im Ergebnis womöglich auch die Auferlegung einer Abgabe, die als Sonderabgabe im deutschen Rechtssystem nur unter engen Voraussetzungen erlaubt ist. Jenseits solcher Problemlagen, die überhaupt erst in dieser Schärfe nach einer Bargeldabschaffung entstehen können, bleibt der Grundrechtsschutz gegenüber einer Einschränkung oder Abschaffung des Bargelds indes blass. Wenn man die Disposition über die Währung und damit über standardisierte Tauschmittel im Rahmen einer privaten Eigentumsordnung im Staat überantwortet, so fällt es schwer, einen grundrechtlich begründeten Anspruch auf eine bestimmte Form dieses Tauschmittels, etwa als Goldmünze, Kupferpfennig oder eben als gedruckte oder vielleicht auch mit Goldbeständen gedeckte Banknote herzuleiten.

Es kommt insofern darauf an, zu fragen ob die physische Verfügbarkeit, die Portabilität und praktische Handhabbarkeit, über das in einer Rechtsordnung als gesetzliches Zahlungsmittel standardisierte Tauschmittel vom Bürger aus seinen grundrechtlichen Gewährleistungen heraus verlangt werden kann. Beschränkungen des Bargeldverkehrs wird man ohne institutionelle Fundierung nicht per se als Eigentumseingriff klassifizieren und sodann nach entsprechenden Rechtfertigungen fragen können. Weiterführend dagegen ist die Überlegung, die in Zusammenhang mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung11) angestellt werden, weil insoweit die Abschaffung des Bargelds eine Verkürzung der Möglichkeiten der Privatheit und Anonymität bedeute.12) Insofern wird man ohne Probleme einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung sogar mit Art. 1 Abs. 1 GG diskutieren können und müssen.

Individuell-gegenständliche Verfügbarkeit von Geld

Allerdings ist damit der verfassungsrechtliche und auch gesellschaftstheoretische Reiz der Frage noch nicht erschöpft. Warum klammern sich Menschen an das Bargeld, wenn die wirkliche Eigentumsposition, die Sachherrschaft über etwas Nützliches, davon doch gar nicht berührt wird. Handelt es sich womöglich um einen Romantizismus, um einen haptischen Atavismus, wonach der Mensch nicht nur nützliche Dinge, sondern auch jene wie ein Fetisch behandelten Repräsentanten des Nützlichen gerne in Händen hält? Und deutet nicht in die Richtung einer derartigen Irrationalität auch ein Teil der verschwörungstheoretischen Diskussionsforen rund um die angebliche Abschaffung des Bargeldverbots?

Institutionell betrachtet sollen Grundrechte eine bestimmte Leistung erbringen.13) Die erste Leistung besteht darin, den gesellschaftlichen Entfaltungsraum frei von ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen zu halten: Grundrechte als Abwehrrechte.14) Bei der staatlichen Währungshoheit geht es allerdings ersichtlich nicht um klassische Eingriffssituationen, sondern um eine infrastrukturelle Voraussetzung zur Entfaltung der Freiheit, wie dies das bürgerliche Recht als die Ordnung für Privatautonomie und Vertragsfreiheit oder das Strafrecht als Schutz individueller und öffentlicher Rechtsgüter darstellen. Die Grundrechtsdogmatik ist hier weniger distinktiv als sie es bei den Abwehrechten sein kann, denn die Frage wie viel Infrastruktur, wie viel Leistung die öffentliche Hand übernimmt und wie sie das ausgestaltet, bleibt zuvörderst eine Frage, die dem demokratischen, dem parlamentarischen Gesetzgeber überantwortet ist und nicht den Freiheitsrechten der Verfassung sozusagen in genauer Stückelung der Währungseinheiten entnommen werden kann.

Infrastrukturverantwortung für freie Persönlichkeitsentfaltung

Andererseits mehren sich Anfragen an das Verfassungsrecht, die gerade die Infrastruktur der Freiheit im Zuge der digitalen Transformation der gesellschaftlichen Alltagswelt betreffen. Welchen Schutz benötigen Eigentumsrechte oder Urheberrechte im Netz, wie kann Vertragsfreiheit und Datenautonomie sicher gestellt werden, wie kann der gläserne Mensch verhindert werden. Dies sind neu zugespitzte Verfassungsfragen und genau in diesem Zusammenhang gehört auch die Diskussion über das Bargeld.

Die spontane Entwicklung und dann auch die hoheitliche Zulassung einer Geldwirtschaft hatten von vornherein einen institutionellen Charakter. Denn mit Geld ist ein lebensweltlich verankertes, alltagspraktisch im Geschäftsleben immer wieder bestätigtes Regelsystem so angelegt, dass es funktionale Ausdifferenzierung von Wirtschaft, Privatautonomie und politischer Herrschaft über ein rationales Finanzsystem und zugleich sozialen Zusammenhalt als Koordinierungsinstrument sichert. Geld ist zudem in seiner Abstraktion und Formalisierung des Tausches ähnlich wie der Vertrag und die Vorstellung von Rechtssubjektivität eine der Voraussetzungen für Individualisierung und Persönlichkeitsbildung. Lässt eine Gesellschaftsformation etwa im Übergang von traditionaler Gemeinschaftsbildung zum neuzeitlich westlichen Gesellschaftstyp dem Einzelnen größere Entscheidungsfreiheit, so nimmt sie konkrete Handlungsanweisungen und Rollen zurück und bildet dafür stärker formalisierte, abstrakte Regeln und Instrumente aus.

An die Stelle stark integrierter Familien- oder Feudalgemeinschaften treten dann deutlich formalere Prinzipien der Privatautonomie oder marktstrukturelle geldwirtschaftliche "Vergesellschaftung", wo - bei Geld als eine soziale Treuhandinstanz gesehen wird.15) Institutionen basieren auf normativer Regelorientierung, die rechtlicher Natur sein kann, aber nicht sein muss. Institutionen speichern Erfahrungen und orientieren sich an grundgebenden Modellen sozialer Ordnung, die in Gerechtigkeits- oder Funktionsdiskursen zwischen Normativität und Faktizität repräsentiert sind und die für den Handelnden unmerklich sich als multiples Rahmenangebot vor seine Handlung schiebt beziehungsweise überhaupt sie erst als Kommunikationsangebot für ihn und andere verständlich macht.16)

Institutionen schlagen in der normativen wie funktionellen Matrix der westlich-neuzeitlichen Gesellschaft immer auch eine Brücke zwischen individueller Verfügungsmöglichkeit und den funktionellen Umsetzungsanforderungen der Gesellschaft. Wird für heute mit Blick auf die digitale Transformation verlangt, dass zur Sicherung der Datenautonomie bestimmte Daten, wie sie beispielsweise im Straßenverkehr anfallen, persönlich zurechenbar und portabel ausgestaltet sein müssen und dafür der Staat eine Infrastrukturverantwortung trägt, so geht es auch darum, das Währungssystem so auszugestalten, dass der individuelle Zugriff in einer freiheitsschonenden Weise erhalten bleibt. Es darf demnach keine Entwicklung begünstigt oder zugelassen werden, die den einzelnen zu einem Netzwerkelement degradiert und ihn einem digitalen oder automatisierten Verwertungsmechanismus unterwirft, den er als intransparent erlebt und nicht hinreichend durch Verfügungen beherrschen kann, der aber umgekehrt seine Datenspur verfolgen, rekonstruieren, kombinieren und auswerten kann.17)

Pflicht zur Garantie einer stabilen Währung

Genau an dieser Stelle werden die scheinbaren Atavismen derjenigen, die unbedingt noch Münzen oder Geldscheine in der Hand behalten möchten, zu einem verfassungsrechtlichen Argument, das mit außerrechtlichem normativem Gehalt unterfüttert wäre. Es gibt insofern bereits jetzt Gründe dafür, dass der Verfassungsstaat anders als autoritäre oder diktatorische Systeme nicht Antreiber einer gesellschaftlich ohnehin bereits platzgreifenden Substitution des Bargeldverkehrs sein darf. Umgekehrt könnte es durchaus folgerichtig sein, dass eine Schutzpflicht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Wahrung einer privatautonomen Wirtschaftsordnung besteht, die auf Erhaltung des Bargeldes gerichtet ist oder doch von entsprechend beherrschbaren Äquivalenten.

Ebenso wie es zunehmend angesichts der Transformation gesellschaftlicher Verkehrsverhältnisse durch die digitale Wirtschaft zu einer Infrastrukturaufgabe des Staates im internationalen und europäischen Verbund wird, die Technikentwicklung und die Entwicklung des wirtschaftlichen Wettbewerbs so zu gestalten, dass Privatautonomie, allgemeines Persönlichkeitsrecht und Selbstentfaltung im Rahmen eines fairen Wettbewerbs möglich und als Rechtsinstitute wirksam bleiben,18) so wird man eine entsprechende infrastrukturelle Verantwortung auch im Hinblick auf Zahlungsmittel annehmen dürfen.

Was könnten die Inhalte einer geldspezifischen Infrastrukturverantwortung des Verfassungsstaates sein, der verpflichtet ist, Grundlagen der Privatautonomie im Wirtschaftsverkehr zu gewährleisten? Ein Staat, die Staaten oder ein Staatenverbund, sie haben unter normativen und funktionellen Maßgaben die Pflicht, eine stabile Währung als Teil einer funktionierenden Privatrechts- und Marktwirtschaftsordnung zu garantieren.19) Die Währungs- und Geldordnung kann insofern auch verfassungsrechtlich nicht vollständig der Gestaltungsfreiheit des demokratischen Gesetzgebers überantwortet sein: Die Ausgestaltung, insbesondere Zugriffs- und Verfügungsbefugnisse müssen auf die einzelne Person hin ausgerichtet und freiheitsgerecht sein.

Geld als unentbehrliche Institution

Das staatlich verantwortete Geldsystem wird unter institutionellen Anforderungen vermögens- und substanzschützend sein müssen, solange keine übermäßigen Zielkonflikte zur Gewährleistung einer dynamischen sozialen Marktwirtschaft entstehen. Die mit der Währung garantierte Disponibilität über private Vermögen verlangt eine Ausgestaltung des Geldsystems, das körperliche Verfügbarkeit und anonymen Tauschverkehr grundsätzlich einschließt, jedenfalls wenn man Maß nimmt an lebensweltlichen Verfügungsbedürfnissen und der normativen Signatur des westlichen Gesellschaftstyps. Mit der Gefahr von deviantem, gemeinwohlschädlichem und kriminellem Verhalten kann eine spezifische, eine begrenzte Einschränkung von Freiheiten gerechtfertigt werden, aber nicht die Beseitigung eines sozialadäquaten, nicht per se schädlichem Verhalten wie der Bargeldnutzung. Insofern ist zwischen Gestaltung und Beseitigung einer institutionellen Konkretisierung zu unterscheiden.

Gleichgültig, ob Bargeld tatsächlich "geprägte Freiheit" oder nur gefühlte Freiheit ist, wird doch deutlich, dass Geld und auch in der Sonderform des Bargeldes im hier verfolgten Ansatz als eine Institution auffällt, die für die operative Schließung des Wirtschaftssystems und für die strukturelle Kopplung von politischer Herrschaft und marktregulierter Wirtschaft unentbehrlich ist. Die Unterkategorie des Geldes in Form des politisch im Wert garantierten Bargeldes macht exemplarisch deutlich, wo der Brückenschlag einer Institution hin zur individuellen Lebenswelt und einer normativen Grundordnung erfolgt.

Eine normative Grundordnung, die dem Primat des methodischen Individualismus und nicht eines harmoniezentrierten Kollektivismus folgt, wird eine Institutionen wie die des Geldes auch nach dem Verhalten bis in die Emotionalität hinein beurteilen und entsprechend ausprägen. Die Verfügungsmacht über tauschbare Vermögen in Zurechnung auf das Individuum ist eine infrastrukturelle Erwartung, die man nicht geringschätzen darf, vor allem wenn man eine "finanzielle Privatsphäre" für normativ geboten hält.

Fußnoten

1) Gemeint ist hier eine aus Sicht des Rechts normative Metaordnung, die auf einem axiomatischen Fundament, einer Grunderzählung von der Idee des Menschseins steht. Siehe dazu mit unterschiedlichen konzeptionellen Vorverständnissen: Friedrich August Hayek, The Constitution of Liberty, 1960; Christian Volk, Die Ordnung der Freiheit. Recht und Politik im Denken Hannah Arendts, 2010.

2) Zur Zahlungsmittel- und Wertaufbewahrungsfunktion sowie zu den heute geläufigen verschiedenen Geldarten siehe Ottmar Issing, Einführung in die Geldtheorie, 15. Aufl. 2014, S. 1 ff.

3) Depositen als Verfügung über Weizenlieferung kannte man bereits im Altertum bei den Babyloniern und in Altägypten: Alexander Djazayeri, Die Geschichte der Giroüberweisung. Von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zum modernen Zahlungsdiensterecht, 2011, S. 23 f.

4) Zur Idee kryptografischer Algorithmen, Kim Ngyen, Zertifizierungsdienste in der Post-Quantum-Ära, in: Datenschutz und Datensicherheit (DuD) 2017, Volume 41, 17 ff. sowie John P. Conley, Blockchain and the Economics of Crypto-tokens and Initial Coin Offerings, Vanderbilt University Department of Economics Working Papers 17-00008.

5) § 14 Abs. 1 Satz 2 BbankG: "Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel." Siehe auch Art. 128 AEUV.

6) Es ist zudem auch die Faktizität, die wie ein Annahmezwang wirkt, denn der Rückgriff auf ein stabiles gesetzliches Zahlungsmittel, das muss nicht die eigene Währung sein, ist im Geschäftsverkehr gleichsam eine Notwendigkeit, wenn man nicht spekulativ handeln will.

7) Michael D. Bordo, The Bretton Woods International Monetary System. A Historical Overview, in: Michael D. Bordo/Barry Eichengreen (Ed.), A Retrospective on the Bretton Woods System: Lessons for International Monetary Reform, 1993, S. 3 ff.

8) Zu Banknoten: "Das Regierungsmonopol auf die Geldausgabe war schon schlimm genug, solange Metallgeld vorherrschte. Doch es wurde zu einem anhaltenden Mißstand, seit Papiergeld (oder anderes Zeichengeld), das sowohl bestes als auch schlechtestes abgeben konnte, unter politische Kontrolle geriet." Friedrich August von Hayek, Entnationalisierung des Geldes, 1977, S. 11 f.

9) Zur Entwicklung der Geldtheorien im Kontext der Frage des Umfangs der Reichweite geldpolitische Steuerung: Victoria Chick, Über Geld und Geldtheorien, in: Prokla, Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 123 (2001), S. 227 ff.

10) Siehe dazu Hans-Jürgen Papier, Gesetzliche Begrenzungen von Bargeldzahlungen - verfassungsrechtlich zulässig?, 3. Bargeldsymposium 2016, S. 2 ff.

11) BVerfGE 65, 1 (43); Bernhard Schlink; Das Recht der informationellen Selbstbestimmung, in: Der Staat 1986, 233 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Informationelle Selbstbestimmung in der Informationsgesellschaft - Auf dem Wege zu einem neuen Konzept des Datenschutzes, AöR 1998, 513 ff.; Udo Di Fabio, Grundrechtsgeltung in digitalen Systemen, 2016, S. 43 ff.

12) Hans-Jürgen Papier, Gesetzliche Begrenzungen von Bargeldzahlungen - verfassungsrechtlich zulässig?, 3. Bargeldsymposium 2016, S. 2 ff.

13) Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen: zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat, 1990,1 ff.

14) Ralf Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte: reflexive Regelung rechtlich geordneter Freiheit, 2003.

15) Peter Spahn, Geld als Institution einer Marktökonomie, in: Michael Schmid/Andrea Maurer (Hg.), Ökonomischer und soziologischer Institutionalismus, 2006, S. 307 (316 f.).

16) Zur Frame-Selection: Russell H. Fazio, Multiple Processes by Which Attitudes Guide Behavior. The MODE Model as an Integrative Framework, in: Zanna (ed.), Advances in Experimental Social Psychology, 1990, 75 ff.

17) Siehe dazu Regel 6 der "Ethischen Regeln für den automatisierten und vernetzten Fahrzeugverkehr" der vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Ethikkommission automatisiertes und vernetztes Fahren, Bericht, 2017 S. 11 und 22.

18) Udo Di Fabio, Grundrechtsgeltung in digitalen Systemen, 2016, S. 90 ff.

19) Die Rolle der EU als ordnungspolitischer Akteur ist deutlich gewachsen, nicht nur weil Bezahlsysteme in der Digitalwirtschaft sich ausbreiten, sondern weil auch das Vordringen von protektionistisch abgeschirmten Mitspielern wie China vermutlich eine weit größere Herausforderung darstellen werden als die US-amerikanischen Plattformen. 2016 sollen über Smartphones in China 5,5 Billionen US Dollar umgesetzt worden sein (Der SPIEGEL, Nr. 7, vom 10. Februar 2018, Der China-Algorithmus) die bargeldlose Wirtschaft wird dort längst Wirklichkeit. Welche Infrastrukturverantwortung hat Europa auf ein freies Netz frei von totalitärer Überwachung zu drängen, bevor solche Akteure in Europa Einfluss gewinnen.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich des 4. Bargeldsymposiums der Deutschen Bundesbank am 14. Februar 2018 in Frankfurt am Main.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio

Institut für Öffentliches Recht - Abteilung Staatsrecht, Universität Bonn, Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D.

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