Bargeld lacht: Sollen wir Bargeld abschaffen?

Prof. Dr. Urban Bacher, Professor für Bankmanagement, und Prof. Dr. Hanno Beck, Professor für Wirtschaftspolitik, beide Hochschule Pforzheim - Die auch in dieser Zeitschrift Mitte dieses Jahres geführte Diskussion um eine Abschaffung des Bargeldes veranlasst die Autoren zu einer Bestandsaufnahme der Pro- und Contra-Argumente sowie einer eigenen Bewertung. Im Ergebnis sehen sie in einem Verzicht auf Bargeld weder eine Wunderwaffe im Kampf gegen Kriminalität, noch ein Mittel zur Beseitigung makroökonomischer Verwerfungen, die letztlich durch eine falsche Wirtschaftspolitik entstanden sind. Maßgeblich geprägt ist ihr Gesamturteil durch den hohen Stellenwert, den sie der bürgerlichen Freiheit einräumen. (Red.)

Die Schweden waren in Sachen Geld schon immer innovativ: Bereits 1661 führte man in Schweden als erstes Königreich Papiergeld ein. Eine Postkutsche konnte damit auf einen Schlag 50-mal mehr Geld transportieren als noch mit dem beschwerlichen Münzgeld. Auch heute, so scheint es, preschen die Schweden wieder vor: Die Schwedische Bank Swedbank verweigert seit Mitte 2013 den Bargeldverkehr und scheint damit im Trend zu liegen. Andere Länder ziehen nach und beschränken bereits Bargeldzahlungen. So sind seit 2011 Bargeldzahlungen in Italien nur noch bis 999 Euro möglich. In Frankreich sind 1000 Euro die Höchstgrenze für ausländische Händler. Einige Ökonomen fordern denn auch konsequenterweise die Abschaffung des Bargeldes, beispielsweise der Wirtschaftsweise Peter Bofinger oder der US-Ökonom Kenneth Rogoff, ehemaliger Chefvolkswirt des IWF. Gerüchteweise gibt es auch bei der EU-Kommission Pläne, das Bargeld zu beschränken. Was ist von der Idee zu halten - was bedeutet eine Welt ohne Bargeld?

Pro: Argumente für die Abschaffung von Bargeld

In Schweden gibt es kaum noch Barzahler. Deshalb ist dort jede vierte Bankfiliale bargeldlos, die Geldautomaten wurden abgebaut. Und wo es kein Bargeld gibt, gibt es auch keine Banküberfälle mehr. Die Innovatoren sehen einen eindeutigen Trend: Alles kann jederzeit und an jedem Ort elektronisch on- oder offline bezahlt werden. Von der Technik her geht es sogar für den Bürger ohne jedes Gerät: Man kann sich mit dem Fingerabdruck, seiner Iris, seinem Gesichtsumriss - oder noch besser - mit seiner DNA identifizieren und über Geldbeträge verfügen. Technisch machbar ist das und einfach zudem. Auch für Kleinstbeträge und den Offlinebetrieb gibt es heute schon Lösungen: Prepaidkarten und Mobile Wallets. Für Banken wäre die elektronische Form des Geldes doppelt lukrativ: die Bargeldversorgung ist für die Bank ein defizitäres Geschäftsfeld. Diese unnötigen Betriebskosten können eingespart werden, beim elektronischen Geld fallen hingegen Provisionen und Gebühren an.

Für die Abschaffung von Bargeld sprechen also zunächst einmal technische Gründe: Bargeld ist aufwendig, unhygienisch und risikoreich. Banken, so sagen Befürworter des Vorschlags, hätten anderes zu tun, als Geld zu horten, Automaten zu laden und Scheine zu zählen. Elektronisches Geld sei die Innovation, die effizient sei und sich international immer mehr durchsetzt. Die meisten Studien gehen auch von Kosten- und Effizienzvorteilen für elektronisches Geld aus, wenngleich hier Vorsicht angebracht ist, denn die meisten Studien vernachlässigen noch den zusätzlichen Aufwand, solche Systeme gegen Cyberkriminalität abzusichern. Empirisch gänzlich gesichert sind die Effizienzvorteile des elektronischen Geldes also nicht.

Wichtiger hingegen ist wohl das Argument, dass in einer Welt ohne Bargeld sämtliche Zahlungstransaktionen der Anonymität entrissen werden, was kriminelle Aktivitäten erschweren würde. Bargeld macht frei und kann nicht zum Ursprung verfolgt werden. Es ist in großen Scheinen leicht und gut zu transportieren und damit das ideale Transaktionsmedium für kriminelle Geschäfte. Jede elektronische Transaktion ist hingegen nachvollziehbar und dokumentiert. Wenn es also nur noch elektronisches Geld gibt, werden Schwarzgeschäfte und Geldwäsche deutlich erschwert. Der Ökonom Friedrich Schneider (Uni Linz) rechnet vor, dass die Schattenwirtschaft um 15 Prozent schrumpfen könnte, wenn das Bargeld abgeschafft wird. Ebenso könnten Einkünfte besser kontrolliert und besteuert werden. Kapitalverkehrskontrollen wären leichter möglich, sogar eine neue Steuer, eine Flattax auf Zahlungsströme, wäre machbar.

Geldpolitische Vorteile

Auch geldpolitische Vorteile erhofft man sich von der Abschaffung des Bargelds: Ist Geld nur noch elektronisch gespeichert im Umlauf, so würde dies das Instrumentarium der Notenbank effektiver machen. Liegt Bargeld nur noch in elektronischer Form vor, so die Idee, kann die Notenbank sämtliche Zahlungsmittelbestände bei Bedarf mit einem negativen Zinssatz belegen und damit dieses unorthodoxe Instrument der Geldpolitik effektiver machen. Bei physischem Bargeld kann der Bürger negativen Zinsen einfach durch den Besitz von Bargeld ausweichen, in einer Welt des elektronischen Bargelds hingegen ist diese Fluchttür versperrt.

Günstigerer Zahlungsverkehr, weniger Kriminalität, effektivere Geldpolitik - ist die Sachlage wirklich so eindeutig? Gegner dieses Vorschlags sehen das nicht so - und haben gute Argumente.

Contra: Argumente für den Beibehalt von Bargeld

Deutschland ist ein klassisches Barzahlerland - noch. Nach wie vor werden über 50 Prozent der täglichen Geschäfte in bar abgewickelt. Der bargeldlose Anteil steigt zwar kontinuierlich an, doch offensichtlich traut die breite Bevölkerung den Innovationen nicht ganz. Auch wenn man für alle Bereiche des Lebens und für alle Bevölkerungsgruppen einfache elektronische Off- und Onlinelösungen anbieten kann, brauchen Bezahlsysteme Akzeptanz. Die Bürger wissen genau, dass elektronische Bezahlsysteme in ihre Freiheitsrechte eingreifen und setzen bewusst auf Bargeld, das anonym ist und dem sie nicht ausgeliefert sind. Wir leben zwar in einer offenen und toleranten Gesellschaft, doch nicht jeder will, dass der Staat oder die Bank weiß, welche persönlichen Vorlieben man hat. Das betrifft nicht nur Tabuthemen wie Genussmittel und sexuelle Vorlieben. Es geht um Grundfreiheiten, um die Freiheit sich zu informieren, zu bewegen und auszutauschen, ohne Angst haben zu müssen, überwacht zu werden. Die Abschaffung des Bargeldes bedroht die informationelle Selbstbestimmung aller Bürger und ist damit politisch hochexplosiv.

Ob die mit der Idee der Abschaffung des Bargeldes verbundenen Ziele diesen massiven potenziellen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen rechtfertigen, ist diskussionswürdig, zumal nicht einmal klar ist, ob diese Ziele auch wirklich erreicht werden können. Angesichts der Proteste gegen die Datenpolitik großer Konzerne wie Google oder Facebook ist schwer vorstellbar, dass die Bürger dies ohne Weiteres hinnehmen werden; die Abschaffung des Bargeldes könnte zu einem heiklen politischen Balanceakt werden.

Auch die Vorstellung, dass die Abschaffung des Bargeldes die Steuermoral hebe und kriminelle Energie eingedämmt wird, ist blauäugig. Menschen sind erfinderisch und finden ihre Wege. Sie werden auf andere Wertgegenstände wie Gold und Luxusgegenstände oder auf andere Währungen ausweichen. Als Ausweg bietet sich nicht nur der US-Dollar oder der Schweizer Franken an, Krisen zeigen, dass sich schnell Ersatzwährungen wie Alkohol, Tabak oder Bitcoins etablieren. Auch Gutscheinsysteme - zum Beispiel bei Amazon, Alibaba oder Apple - würden rasch entstehen. Die Abschaffung von Bargeld mag zwar Sand in die Getriebe einiger krimineller Räderwerke schütten, stoppen wird sie diese Räder aber kaum; zudem wird sie auch neue kriminelle Geschäftsfelder heraufbeschwören: Eine bargeldlose Volkswirtschaft bietet ein breites Betätigungsfeld für Internetkriminalität - eine Form der Kriminalität, ausgeübt von Dieben und Falschmünzern, wird ersetzt durch eine andere Form, ausgeübt von Computerspezialisten. Zudem können dann auch ausländische Kriminelle im Inland vermehrt Straftaten verüben, ohne die Grenze überqueren zu müssen. Ein Server und ein Internetanschluss reichen aus, um in dem nunmehr bargeldlosen Land auf Raubzug zu gehen. Die Kriminalität würde ihr Gesicht ändern, aber nicht verschwinden.

Auch geldpolitische Risiken

Auch geldpolitisch ist die Abschaffung von Bargeld nicht risikolos. Zunächst muss man fragen, ob man eine bewährte Institution wie Bargeld abschaffen will, um eine unorthodoxe Form der Geldpolitik möglich zu machen, von der selbst ihre Befürworter sagen, dass sie nur in Ausnahmefällen genutzt werden sollte. Eine lange Zeit negativer Zinsen widerspricht allen grundsätzlichen Ideen der Mikroökonomik, es wäre eine verkehrte Welt, in der man dafür belohnt wird, dass man sich Geld leiht und gegebenenfalls verbrennt - es ist schwer vorstellbar, wie das langfristig ohne massive volkswirtschaftliche Verwerfungen funktionieren soll.

Schwer einzuschätzen ist, ob eine Abschaffung des Bargeldes zu einem Rückgang des Geldschöpfungsgewinns, der sogenannten Seignorage, und damit letztlich der Staatseinnahmen führen würde. Wird alles Bargeld durch elektronisches, staatliches Geld ohne Rückgang der Geldnachfrage ersetzt, so entsteht unmittelbar kein Verlust an Seignorage. Je größer aber die Ausweichreaktionen auf nichtstaatliche Zahlungsmittel sind oder je rascher die Umlaufgeschwindigkeit steigt und die Geldnachfrage sinkt, umso mehr verliert der Staat an Seignorage. Wenn allerdings durch die Abschaffung des Bargeldes illegale Tätigkeiten ausgetrocknet werden und die Schattenwirtschaft schrumpft, würde dies die Einnahmen des Staates erhöhen - die Seignorage, die man ohnehin auch als Alternative zu einer direkten Steuererhebung sehen kann, würde dann durch reguläre Steuereinnahmen ersetzt.

Geprägte Freiheit

Nicht zuletzt wären die Bürger bei einer Staats- und Bankenpleite ohne Bargeld machtlos. Wer Bargeld hat, kann durch die Flucht in Bargeld und Devisen seiner Missbilligung gegen ein herrschendes Währungsregime Ausdruck verleihen und sich vor schleichender und versteckter Enteignung über das Währungssystem schützen - in einer Welt digitaler Währungen könnten Regierungen den Geldverkehr nach Belieben einschränken oder sogar einstellen. Der Bürger ist diesem System ausgeliefert und wäre genötigt, der Pleite tatenlos zuzusehen. Roland Tichy, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, fasst das wie folgt in Worte: "Erst kommt der Ruin des Staatshaushaltes durch die Politik, dann kommen die Erfüllungsgehilfen in den Zentralbanken und am Ende steht das Ende der bürgerlichen Freiheiten. Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski brauchte vor 150 Jahren hierfür nur vier Worte: "Geld ist geprägte Freiheit."

Bisweilen wird auch angeführt, dass eine Währung als nationales Symbol einen psychologischen Wert für die Bevölkerung hat - dieses Argument entzieht sich einer ökonomischen Würdigung. Ein ökonomisch unmittelbar relevantes psychologisches Argument gegen eine reine immaterielle Währung ist allerdings der Befund, dass Menschen mehr Geld ausgeben, wenn sie nicht bar bezahlen. Was wirtschaftspolitisch gewünscht ist, kann aus der Perspektive des Konsumentenschutzes ein Nachteil sein. Ebenfalls als nachteilig könnten sich die verteilungspolitischen Wirkungen einer negativ verzinsten Währung erweisen - sie gehen vor allem zu Lasten der Bevölkerungsschichten, die kein Sachvermögen bilden können.

Von den Argumenten bleibt nach der rechtlichen und ökonomischen Analyse wenig übrig für die Bargeldgegner. Die Abschaffung von Bargeld ist weder eine Wunderwaffe im Kampf gegen Kriminalität, noch kann sie makroökonomische Verwerfungen beseitigen, die letztlich durch eine falsche Wirtschaftspolitik entstanden sind. Wer Wirtschaftskrisen beseitigen will, muss dort ansetzen, nicht beim Bargeld. Und die Entscheidung, ob die Effizienzvorteile des elektronischen Bargeldes die damit verbundenen Fragen des Datenschutzes rechtfertigen, sollte man den Bürgern selbst überlassen - diese werden bei einer von oben oktroyierten Abschaffung des Bargeldes diese Entscheidung ohnehin für sich selbst fällen und gegebenenfalls mit den Füßen abstimmen, nur dass dann offizielles Bargeld durch teurere Schattenwährungen ersetzt werden. Ein unnötiger Verlust an Freiheit, Rechtssicherheit, Notenbankgewinnen und Effizienz.

Modernes Geld hat keinen inneren Wert, es lebt allein von Vertrauen. Vertrauen in einen Anspruch an das Bruttosozialprodukt eines Landes, in dessen Politik und internationale Bündnispartner - und deren Versprechen. Die Bürger müssen der Politik und den Zentralbanken sowie deren Versprechen vertrauen. Wenn auch nur der Verdacht aufkommen könnte, dass der Staat sein Geld den Bürgern physisch nicht mehr anvertraut und die digitalen Möglichkeiten, auf das Geld seiner Bürger direkt zuzugreifen ausnutzen wird, fehlt es am Essenziellen des Geldwesens. Geld wird damit das Vertrauen entzogen, verliert damit seine Funktionsgrundlage. Bundesbankpräsident Jens Weidmann brachte es am 15. Juni 2015 auf den Punkt: "Die Diskussion um die Existenzberechtigung des Bargeldes geht am eigentlichen Problem vorbei ..."

Quellen

Bacher, Urban: Bankmanagement, 5. Auflage, Konstanz 2015.

Beck, Hanno/Prinz, Aloys: Die große Geldschmelze, Wie Politik und Notenbanken unser Geld ruinieren, München 2014.

Buhse, Malte: Warum die Welt ohne Bargeld nicht funktioniert, in: Handelsblatt 31. Dezember 2010. Deutsche Bundesbank: Zahlungsverhalten in Deutschland 2014, Dritte Studie über die Verwendung von Bargeld und unbaren Zahlungsinstrumenten, Frankfurt 2015.

Garcia-Swartz, Daniel D.; Hahn, Robert W.; Layne-Farrar, Anne (2006), The Move Toward a Cashless Society: A Closer Look at Payment Instrument Economics, Review of Network Economics, Vol. 5, Issue 2 (June 2006), S. 175 bis 198.

Humphrey, David B.; Bergendahl, Göran; Lindblom, Ted; Willesson, Magnus (2003), What Does It Cost to Make a Payment?, Review of Network Economics, June 2003 (Vol. 2), S. 159 bis 174.

Pöpsel, Frank: Warum das Bargeld wirklich abgeschafft werden sollte, in: Focus Online 1. Juni 2015. Rogoff, Kenneth (2014), Costs and benefits to phasing out paper currency, Presented at NBER Macroeconomics Annual Conference, April 11, 2014, Version May 5, 2014, URL http://scholar.harvard.edu/ files/rogoff/files/c13431.pdf

Prof. Dr. Urban Bacher , Professur für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und für Finanz- beziehungsweise Bankmanagement, Hochschule Pforzheim
Prof. Hanno Beck , Professur für Wirtschaftspolitik, Hochschule Pforzheim
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