Berücksichtigung von Marktliquiditätsrisiken

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Die Marktliquidität von Wertpapierbeständen der Eigenanlagen von Kreditinstituten ist von zentraler Bedeutung im Treasurymanagement. Die Steuerung und Integration der damit verbundenen Risiken in bestehende Steuerungs- und Risikomanagementsysteme kann durch eine geeignete Ergänzung etablierter Verfahren und Modelle in effizienter Weise gelingen. Der Autor vollzieht das beispielhaft am Value-at-Risk-Verfahren, wobei zunächst eine eigene bestandsindividuelle Marktliquiditätsdatenbank aufzubauen ist. (Red.)

Die verschiedenen Finanzinstrumente in typischen Eigenanlagenportfolios (Depot A) von Banken und Sparkassen weisen individuelle und erheblich divergierende Liquiditätsgrade auf. Liquidität in diesem Sinne meint die Veräußerbarkeit beziehungsweise Liquidierbarkeit einer bestimmten Position eines (Teil-)Portfolios aus Sicht des Inhabers am Markt des jeweiligen Instruments.

Liquiditätsunterschiede bei Assetklassen

Diese Möglichkeit zur Rücktransformation eines Finanzinstruments in liquide Mittel unterscheidet sich jedoch nicht nur zwischen den einzelnen Assetklassen (beispielsweise Aktien versus Anleihen versus Immobilen) oder innerhalb der einzelnen Klassen (Staatsanleihen versus Unternehmensanleihen versus Strukturierten Emissionen und so weiter) substanziell, sondern insbesondere auch im Zeitablauf.

Während generelle Liquiditätsunterschiede zwischen den Assetklassen üblicherweise bereits durch eine der institutsindividuellen Situation gerecht werdenden Portfoliostruktur im Rahmen der strategischen Assetallokation berücksichtigt sind, wird dem Umstand schwankender Liquidierbarkeit bestehender Positionen am (Sekundär-)Markt häufig nur ungenügend Rechnung getragen.

Die Marktliquidität einzelner Instrumente oder Assetsegmente hat über die Zeit nicht nur vor dem Hintergrund der umfangreichen Ankaufprogramme der Zentralbanken an den Sekundärmärkten in den vergangenen Jahren strukturell abgenommen, sondern bleibt in traditionellen Marktpreisrisikomodellen, wie dem Value at Risk (VaR), üblicherweise gänzlich unberücksichtigt. Auch aufsichtliche Kennziffern auf Gesamtbankebene, wie zum Beispiel die Liquidity Coverage Ratio (LCR), berücksichtigen zwar die grundsätzliche Marktgängigkeit, werden der spezifischen Handelbarkeit in unterschiedlichen Marktphasen nur unzureichend gerecht.

Integration in bestehende Modelle

Die Notwendigkeit der Berücksichtigung ergibt sich nicht nur aus der aufsichtsrechtlichen Anforderung, die institutsindividuellen Risiken vollumfänglich zu berücksichtigen (Normal Case wie auch im Stressfall), sondern wird nicht zuletzt in Phasen angespannter Marktverhältnisse, wie beispielsweise in der ersten Phase der Corona-Pandemie zu Beginn des vergangen Jahres, besonders deutlich.1)

Im Folgenden wird ein in der Literatur schon länger bekanntes und beschriebenes Verfahren aufgegriffen und ein Vorschlag zur Integration beziehungsweise der Erweiterung bestehender Verfahren und Modelle um das Marktliquiditätsrisiko in der Praxis dargestellt.

Berücksichtigung der Marktdimensionen

Als eine praktikable Berücksichtigung des Marktliquiditätsrisikos erscheint die Erweiterung bestehender Marktpreisrisikomodelle um den Aspekt der Liquidität des jeweiligen Marktes für das spe - zi fische Instrument. Diese wird üblicher weise durch die drei festgelegten Marktdimensionen Breite (marktinduzierte Kosten einer unmittelbaren Transaktion in Form der Geld-Brief-Spanne), Tiefe (unmittelbar handelbares Volumen ohne den Kurs beziehungsweise erstere zu beeinflussen) und Erneuerungskraft (Fähigkeit des Marktes auf die ursprüngliche Marktbreite zurückzukehren) charakterisiert.2)

Für die Praxis erscheint eine Messung der grundsätzlichen Marktliquidität auf Basis der Geld-Brief-Spanne beziehungsweise des Bid-Ask-Spreads der im Bestand befindlichen Aktien und Anleihebestände eine angemessene und hinreichende Approximation, da diese für die meisten Positionen über die gängigen Marktdatenprovider gut verfügbar sind. Die zusätzliche Berücksichtigung des jeweiligen Handelsvolumens wäre zwar grundsätzlich wünschenswert, ist in praxi insbesondere bei Anleihen durch den hohen OTC-Handelsanteil relativ schwierig. Eine explizite Berücksichtigung der Markterneuerungskraft scheint aus gleichen Gründen wenig praktikabel umsetzbar.

Etablierte Marktpreisrisikomessmodelle wie der Value at Risk berücksichtigen das Marktliquiditätsrisiko zunächst nicht, da diese Marktdaten auf Basis von Mittelkursen (Mid-Price) beziehungsweise davon abgeleiteten Zins- und Spreadkurven verwenden. Die für eine tatsächliche Transaktion relevanten Geld-Brief-Kurse und deren Schwankungen im Zeitablaufen bleiben daher in diesen Modellen unberücksichtigt.3)

Aufbau einer eigenen Marktliquiditätsdatenbank

Für die Institute bietet es sich daher an, zunächst eine eigene bestandsindividuelle Marktliquiditätsdatenbank für ihre marktgehandelten Instrumente aufzubauen. Hierzu scheint eine systematische Datenerhebung von Geld-Brief-Kursen (Qask - Qbid) zu festen Erhebungszeitpunkten über die verschiedenen Marktdatenprovider am geeignetsten. Hieraus können dann die für jedes Finanzinstrument i die jeweiligen mittleren relativen Geld-Brief-Spannen Delta qi,t zum Erhebungszeitpunkt t ermittelt werden:

Formel 1

Für ein entsprechendes Teilportfolio aus n Finanzinstrumenten mit einem jeweiligen Marktwert4) Vi,t erhält man so einen wertanteiligen mittleren Marktliquiditätsspread Delta Qt für das jeweilige Teilportfolio zum Erhebungszeitpunkt t:

Formel 2

Die Bestimmung und anschließende Verwendung des Teilportfoliomarktliquiditätsspreads in den weiteren Berechnungen ist insbesondere für grundsätzlich konstante Teilportfolios mit annährend gleichbleibenden Merkmalen (Aktien: Large versus Small Cap, Anleihen: Staaten, Pfandbriefe, Unternehmen) eine Möglichkeit, auch neu hinzukommende beziehungsweise ausgetauschte Instrumente, für die überhaupt noch keine Datenbasis vorhanden ist wie zum Beispiel Neuemissionen, unmittelbar und ausreichend adäquat im Teilportfolio zu berücksichtigen.

Bestimmung des Marktliquiditätsrisikos

Das zu berücksichtigende Marktliquiditätsrisiko kann dann aus den so erhobenen Querschnittsdaten der einzelnen Wertpapiere im Zeitlängsschnitt über die Verteilungsmomente der Stichprobenerhebungen als Market Liquidity at Risk (MLaR)5) bestimmt werden:6)

Formel 3

Dieser kann schließlich additiv zum reinen Marktpreisänderungsrisiko-VaR berücksichtigt werden und so das gesamte Marktpreisrisiko als Summe des VaR aus Marktpreisänderungsrisiken und VaR aus Marktliquiditätsrisken abbilden.

Das dargestellte Verfahren beschreibt eine verhältnismäßig einfache Heuristik, das bestandsinhärente Marktliquiditätsrisiko in die bestehenden Risikomessmodelle einzubeziehen. Die über die letzten Jahre zu beobachtenden Trends und Entwicklungen enger werdender Teilmärkte, gerade in angespannten Marktverhältnissen oder ausgeprägter Stressphasen, verstärken die Bedeutung und Notwendigkeit einer entsprechenden Berücksichtigung und Integration. Gerade in einer Zeit in der klassische Zins- und Spreadanlagen kaum noch ein adäquates Rendite-Risiko-Verhältnis bieten und Anleger zunehmend versuchen eine Illiquiditätsprämie zu vereinnahmen, ist dieser Aspekt keinesfalls zu vernachlässigen.

Fußnoten

1) Die Deutsche Bundesbank hat die Thematik speziell in dieser Marktphase (Februar bis April 2020) in ihrem Monatsbericht November 2020, S. 41f. aufgegriffen. Eine grundsätzliche Analyse findet sich auch im ESMA Workingpaper No.1 2018, Liquidity in fixed income markets - risk indicators and EU evidence. Auch zu finden unter URL: https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/esma50-165-651_wp_bond_liquidity.pdf. Abgerufen am 26.03.2021.

2) Vgl. Pohl, Michael und Schierenbeck, Henner (2009): Die Berücksichtigung von Liquiditätsrisiken und Marktilliquiditäten im Risikomanagement und Accounting, S. 8f. Auch zu finden unter URL: https://institutional.union-investment.de/dam/jcr:6c680744-214b-47c6-a5e6-a2fdac458ea1/E_1.8_Edition_Liquiditaetsrisiken_Marktilliquiditaeten_07.... Abgerufen am: 26.03.2021.

3) Vgl. Bangia et al. (1998): Modelling Liquidity Risk, S. 3. Auch zu finden unter URL: https://www.researchgate.net/profile/Til_Schuermann/publication/2325504_Modeling_Liquidity_Risk_With_Implications_for_Traditional_Market_Risk_Me.... Abgerufen am: 26.03.2021.

4) Kurswert bei Aktien beziehungsweise Cleanvalue bei Anleihen.

5) In Anlehnungen an den für Marktpreisrisiken gebräuchlichen Value At Risk.

6) Vgl. Bangia et al. (1998), S. 8 für ein einzelnes Instrument. Die Autoren sprechen schließlich vom liquiditätsrisikoadjustierten Value at Risk (LAdj-VaR).

Die vorliegenden Darstellungen und Ausführungen spiegeln die persönliche Meinung des Autors wider und müssen nicht mit denen der Sparkasse Pforzheim Calw übereinstimmen.

Martin Reuß , Controlling/Backoffice Eigenanlagen, Risikocontrolling, , Sparkasse Pforzheim Calw

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