Bewegte Zeiten und dicke Bretter

Dr. Hans-Walter Peters, Foto: Matthias Haslauer

Bewältigung der Finanzkrise, Negativzinspolitik der EZB, Basel IV, MiFiD II, verändertes Kundenverhalten, Brexit, nationalistische Tendenzen bis hin zu Handelskriegen, Klimawandel und nicht zuletzt Corona - die vergangenen Jahre waren für alle Verantwortlichen rund um die deutsche Kreditwirtschaft alles andere als ein Zuckerschlecken. Was gestern galt, gilt heute nicht mehr. Die Grundlage mancher Geschäfte wurde entzogen - zu Recht oder zu Unrecht -, der Zugang zum Kunden wurde vielfältiger, auf der Ertragsseite brachen sicher geglaubte Einnahmen mehr und mehr weg und neue Wettbewerber traten verstärkt auf den Plan und beschleunigten den Wandel. Von dem mühsamen Wiederaufbau des verloren gegangenen Vertrauens gar nicht zu sprechen. Was ist das Geschäftsmodell der Zukunft, fragt die Aufsicht, fragen Anteilseigner, fragen aber auch Kunden und Mitarbeiter. In dieser Zeit dem Bundesverband deutscher Banken, der die kleinen Spezialisten ebenso zu vertreten hat wie die großen Universalbanken, als Präsident vorzustehen, ist spannend und herausfordernd. Hans-Walter Peters fasst die wesentlichen Geschehnisse seiner Amtszeit in Worte. (Red.)

Die vergangenen vier Jahre an der Spitze des Bankenverbandes waren in mehrfacher Hinsicht schnelllebige Zeiten. Mit dem Ausgang des Brexit-Referendums sollte sich zunächst die politische Agenda Europas von einem Tag auf den anderen verändern. Das Ausscheiden des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union erwies sich in der finalen Phase zwar als eine überaus zähe Hängepartie; unter dem Strich aber stehen der plötzliche Verlust eines prominenten Mitgliedsstaates und eine Vielzahl noch offener Fragen, die auch den Finanzsektor betreffen. Der Brexit legt obendrein den Finger in eine global klaffende Wunde: Nationalistische und protektionistische Tendenzen haben in den letzten Jahren neuen Auftrieb erfahren, und damit auch Sand in das Getriebe der internationalen Handelsbeziehungen gespült. Für eine Exportnation wie Deutschland stellt dies ohne Zweifel eine Belastung dar.

Währenddessen hat die Bekämpfung des Klimawandels eine ganz neue Aufmerksamkeit und Dringlichkeit bekommen, sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene. Damit ist auch das Thema "Sustainable Finance", das bis vor wenigen Jahren noch eine Angelegenheit für wenige Spezialisten war, zu einem für die Banken überaus wichtigen Handlungsfeld geworden. Davon abgesehen sind es aus Bankensicht vor allem die fundamentalen Veränderungen im digitalen Bereich, die die Institute quasi täglich aufs Neue herausfordern und sie dazu zwingen, weiter technologisch aufzurüsten, um ihren Kunden attraktive Dienstleistungen und Produkte anbieten zu können.

Schließlich die Corona-Krise, nach dem Motto "Das Schlimmste kommt zuletzt": Sie stellt auch für die Banken eine enorme Belastungsprobe dar, ein Ende ist noch nicht absehbar. Es scheint tatsächlich so, als wären wir in den letzten Monaten und Jahren von einer Herausforderung zur nächsten gesprungen.

Die Negativzinspolitik der EZB

Andere Themen haben allerdings eine erstaunliche Hartnäckigkeit unter Beweis gestellt - und zum Teil sind das genau jene Themen, die uns Banken besonders schwer auf dem Magen liegen. Prominentestes Beispiel hierfür ist die Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die im Jahr 2014 begonnen hat und - mit vier weiteren Zinssenkungen - bis zum heutigen Tage andauert. Sie hat die europäischen Institute seitdem über 25 Milliarden Euro gekostet. Dieser Betrag ist selbst unter Zuhilfenahme aller wohlwollenden Argumente, die sich zugunsten der EZB-Politik finden lassen, nicht zu rechtfertigen!

Es ist ja auch nicht so, dass wir die wohlwollenden Argumente der EZB-Politik übersehen. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder anerkannt, dass die Geldpolitik der EZB mit ihren (in Teilen) unkonventionellen Maßnahmen entscheidend dazu beigetragen hat, die Eurozone zu stabilisieren. Dass sie mit ihren andauernden Negativzinsen für Banken den Bogen aber deutlich überspannt und die Wettbewerbskraft der europäischen, gerade auch der deutschen Institute empfindlich geschwächt hat, haben wir ebenfalls wiederholt deutlich gesagt. Und bei dieser Kritik bleiben wir auch.

Um die Bedeutung der Negativzinsen noch einmal anhand von Zahlen anschaulich zu machen, lohnt ein Vergleich mit den USA. Die amerikanische Notenbank Fed hat in der Vergangenheit nicht nur der Versuchung widerstanden, Negativzinsen einzuführen. Sie zahlt den Banken seit 2009 auch Guthabenzinsen auf deren Überschussliquidität. Wenn man beide Zahlen gegenüberstellt - die Zinsbelastung der europäischen Banken durch die EZB seit 2014 einerseits, die Zinszahlungen der Fed auf die Überschussliquidität der amerikanischen Institute im selben Zeitraum andererseits - und anschließend die Differenz errechnet, landet man bei einem dreistelligen Milliardenbetrag: Der Vorsprung der US-Institute gegenüber den Banken aus dem Euro-Raum beläuft sich auf über 120 Milliarden Euro. Angesichts dieser Zahl kann es einem leicht schwindlig werden.

Wettbewerbsnachteile gegenüber den USA

Es stimmt schon: Im vergangenen Herbst hat sich die EZB endlich zu einem Staffelzins für Einlagen der Banken durchgerungen. Gleichwohl zahlen die europäischen Institute auch jetzt noch - auf ein Jahr hochgerechnet - knapp 5 Milliarden Euro "Sondersteuer" an die EZB. Gerade in der gegenwärtigen Situation, in der die Banken ihr Kreditengagement angesichts der Corona-Krise deutlich ausbauen müssen und ausbauen wollen, fehlt dieses Geld besonders, schließlich würde es die Kreditvergabekapazitäten stärken.

Aus diesem Grund habe ich vor Kurzem den Vorschlag gemacht, dass die EZB nicht nur die Negativzinspolitik beenden, sondern obendrein in Höhe der bislang an sie entrichteten Negativzinsen (etwa 26,5 Milliarden Euro) kernkapitalfähige Nachranganleihen von Banken kaufen möge, um damit das Eigenkapital der Banken in ganz Europa massiv zu stärken. Die Institute könnten dadurch weitere Kredite in Höhe von 265 Milliarden Euro gewähren, was in der jetzigen Lage wichtig und hilfreich wäre. Doch losgelöst davon, ob die EZB diesen Vorschlag aufgreift oder nicht: Mit negativen Leitzinsen, die über Jahre andauern, können und wollen wir uns nicht abfinden. Sie gehören - auch und gerade im Interesse des Sparers - abgeschafft. Je schneller, desto besser.

MiFID II - ein Regulierungsärgernis

Ein anderes Beispiel für eine unverhältnismäßige Belastung der Banken beziehungsweise für ein andauerndes Ärgernis ist die Wertpapierrichtlinie MiFID II, die Anfang Januar 2018 in Kraft getreten ist. Sicherlich wäre es unfair, die Richtlinie allein auf ihre zum Teil destruktiven Komponenten zu reduzieren. In den mehrtausendseitigen Dokumenten stecken manche sinnvollen Ansätze, um die Transparenz im Wertpapiergeschäft zu erhöhen und den Schutz der Anleger zu stärken. Wenn eine gesetzgeberische Maßnahme allerdings als Anlegerschutz deklariert wird, im Ergebnis aber viele Kunden nachhaltig verärgert und nicht wenige davon abhält, sich überhaupt erst im Wertpapiergeschäft zu engagieren, ist die Sache mehr als nur schlecht gelaufen.

Das Problem, das wir mit MiFID haben, ist einfach zu benennen: Die Informations- und Dokumentationspflichten der Institu te wurden noch einmal erheblich ausgeweitet und lassen keine sinnvolle Differenzierung bei den Anlegern zu: Kleine wie große, private wie institutionelle, Anleger ohne Erfahrungsschatz und Anleger, die jeden Tag mehrfach ordern, müssen über einen Kamm geschoren werden. Besonders pikant und vielfach kritisiert: Seit Beginn des Jahres 2018 müssen die Institute nicht nur persönliche Gespräche in der Bankfiliale dokumentieren. Sie müssen zusätzlich auch jedes einzelne Telefonat aufzeichnen, das zu einem Wertpapiergeschäft führen könnte - ob der Kunde dies ablehnt oder nicht, spielt keine Rolle. Insgesamt haben die Aufzeichnungs- und Informationspflichten mit MiFID II ein Niveau erreicht, das das Prinzip der Verhältnismäßigkeit mit Füßen tritt.

Bevormundung der Kunden

Die anfängliche Vermutung, dass MiFID II mit erheblichen Kollateralschäden einhergehen werde, ist im vergangenen Jahr auch empirisch bestätigt worden. 2019 hat die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) in einer Studie die Auswirkungen von MiFID II auf Kunden und Banken und Sparkassen in Deutschland untersuchen lassen. Das Ergebnis: Viele Kunden fühlen sich durch die Fülle an Informationen überfordert, verunsichert - und teilweise auch bevormundet. Kein Wunder: Professionelle Anleger haben ein anderes Schutzbedürfnis als Kleinsparer, die Richtlinie aber schert alle Anleger über einen Kamm. Schließlich die Telefonate: Viele Kunden werten die Aufzeichnungen als Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte und haben sich aus dem Telefongeschäft zurückgezogen.

Die Verärgerung unserer Kunden ist schlimm genug. Besonders gravierend aber ist, dass immer mehr Banken dazu übergehen, infolge der starren Regulierung und der steigenden Kosten Wertpapierberatung nur noch in ausgewählten Filialen anzubieten.

Schon die Implementierung von MiFID II hat sich als eine überaus teure Angelegenheit erwiesen. So hat die Studie ergeben, dass bei deutschen Banken Kosten von deutlich mehr als 1 Milliarde Euro angefallen sind, um die europäischen Regulierungsvorgaben von MiFID II/MiFIR zu erfüllen - die laufenden Ausgaben noch nicht mitgerechnet.

Anlegerschutz ist eine wichtige und ernste Angelegenheit, die nicht zum Nulltarif zu haben ist. Aber genauso richtig ist: MiFID II in seiner gegenwärtigen Form ist unbefriedigend und sollte daher dringend modifiziert werden. Gerade vor dem Hintergrund der auch von der Politik anerkannten Notwendigkeit, mehr Menschen von der Aktienanlage zu überzeugen, leuchtet es nicht ein, der Wertpapierberatung solch große Brocken in den Weg zu legen. Mit unseren Bedenken haben wir durchaus schon Gehör gefunden. Hoffen wir, dass sich die Sache zum Besseren wenden lässt.

Es liegt in der Natur der Sache beziehungsweise im Wesen eines Verbandes, mit einigen Argumenten stärker durchzudringen, mit anderen weniger stark - viele Faktoren spielen hierbei eine Rolle. In eigener Hand haben wir es hingegen, die eigene Organisation und die angeschlossenen Einrichtungen so aufzustellen, dass sie zukunftsfest sind und ungeahnte Herausforderungen bewältigen können. In den letzten Jahren hat es mindestens zwei Kraftakte gegeben, die der Verband erfolgreich gestemmt hat: zunächst die Reform des Einlagensicherungsfonds der privaten Banken, dann die schrittweise Überführung der HSH Nordbank in diesen Einlagensicherungsfonds, die 2022 abgeschlossen sein wird.

Die private Einlagensicherung

2017 war es zunächst gelungen, den Einlagensicherungsfonds an ein neues regulatorisches Umfeld anzupassen und im Sinne der privaten Kunden zu stärken. Im Zusammenspiel mit der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken - der gesetzlichen Einlagensicherung - sorgt sie auch weiterhin zuverlässig für den hohen Schutz deutscher Spareinlagen. Beim Thema Einlagensicherung hat unser Credo immer gelautet und lautet auch heute: Das Wohl der Sparer und Einleger hat oberste Priorität. Von den hohen Standards, die die privaten Banken sich selbst gesetzt haben, darf deshalb nicht abgerückt werden.

Dieser Gedanke hat die Beteiligten auch während der Verhandlungen um den Übergang der HSH Nordbank aus der Institutssicherung in den Einlagensicherungsfonds geleitet. Nach vielen intensiven und konstruktiven Runden wurde im Herbst 2018 ein Weg gefunden, wie der Wechsel in den Einlagensicherungsfonds zum 1. Januar 2022 erfolgen kann. Diesen beispiellosen und komplexen Vorgang - den Übergang eines ehemals öffentlich-rechtlichen, nun privatisierten Instituts in die private Einlagensicherung - mitgestaltet zu haben, war sicherlich einer der schönsten Erfolge in vier intensiven Jahren an der Spitze des Verbandes.

Dr. Hans-Walter Peters Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter, Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG, Hamburg, und von April 2016 bis April 2020 Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken
Hans-Walter Peters , Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter, Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG, Hamburg, und von April 2016 bis April 2020 Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken
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