Chinas Öffnung für den internationalen Finanzmarkt

Prof. Gerhard Stahl, Foto: G. Stahl

Die Befürchtung gravierender negativer Auswirkungen eines Handelsstreits gibt es schon seit der Wahl und dem Amtsantritt des amerikanischen Präsidenten (siehe Kreditwesen 1-2017), spürbar in der wirtschaftlichen Entwicklung niedergeschlagen haben sie sich hierzulande erst im laufenden Jahr, zuletzt in einer weiteren Erhöhung der Zölle durch die USA und die Abwertung der chinesischen Währung. Der zunehmende Protektionismus in den USA fördert derzeit gleichwohl wirtschafts- und finanzpolitische Annäherungen zwischen anderen Wirtschaftsräumen, beispielsweise der EU und China. In den vergangenen Jahren ist China bereits vom Empfänger von Investitionen zum großen internationalen Investor geworden. Zu nennen ist hier insbesondere das Großprojekt Seidenstraße in all seinen Facetten. Mit Blick auf die Finanzmärkte registriert der Autor in dem Land zwar auf absehbare Zeit keine vollständige Freizügigkeit des Kapitalverkehrs, wohl aber eine Bereitschaft zur schnellen Strukturveränderung und einer kontrollierten weiteren Marktöffnung, die es auch für Anleger attraktiv machen. (Red.)

Die wirtschaftliche Verflechtung mit China ist in den letzten Jahrzehnten sehr eng geworden. Die Volksrepublik ist inzwischen Deutschlands größter Handelspartner. Diese positive Wirtschaftsentwicklung erfolgt im Rahmen der strategischen EU-China-Partnerschaft. Jyrki Katainen, Vizepräsident der Europäischen Kommission, erklärte dazu: "Die EU und China sind strategische Wirtschaftspartner und auch Konkurrenten. Unsere Wirtschaftsbeziehungen können für beide Seiten von großem Nutzen sein, wenn der Wettbewerb fair ist und die Handels- und Investitionsbeziehungen auf Gegenseitigkeit beruhen."

Langwierige Verhandlungen über ein Investitionsabkommen

Seit 2013 verhandelt die EU mit China über ein umfassendes Investitionsabkommen, welches eine Neuregelung der Rahmenbedingungen für chinesische Unternehmen und Investoren in der EU und für europäische Unternehmen in China zum Ziel hat.

Auf dem EU-China-Gipfel im April 2019 wurde unter erheblichem Druck der europäischen Kommission von Chinas Ministerpräsident Li Keqiang die Verpflichtung akzeptiert, diese Verhandlungen endlich bis 2020 abzuschließen.

Jeden Tag werden Waren und Dienstleistungen von mehr als einer Milliarde Euro zwischen Europa und China gehandelt. China wurde durch ausländische Investitionen und chinesische Industriepolitik zur Werkbank der Welt. Durch den Wirtschaftsaufschwung der Volksrepublik und die Bildung einer wohlhabenden städtischen Mittelschicht entstand ein riesiger Markt. Auch wenn die Marktöffnung sehr vorsichtig und mit Auflagen erfolgt, China ist für viele deutsche Unternehmen der wichtigste Abnehmer und ein bedeutender Produktionsstandort geworden.

Inzwischen verändert sich aber das chinesische Wirtschaftsmodell grundlegend. Der billige Exporteur wird zum ernsthaften Wettbewerber und Technologieführer. Vom Empfänger von Investitionen wurde China zum großen internationalen Investor. Die ausländischen Direktinvestitionen Chinas (ADI) sind von 2005 bis 2017 von 10 Milliarden US-Dollar auf rund 177 Milliarden US-Dollar gestiegen.

Während in den achtziger und neunziger Jahren noch viele Investitionen europäischer Unternehmen in China stattfanden, gehen diese zurück; dagegen überwiegen jetzt deutlich die chinesischen Investitionen in Europa. Durch Unternehmensübernahmen und -beteiligungen wurde Europa zum chinesischen Investitionsschwerpunkt. In 2018 entfielen auf Europa 40 Prozent der chinesischen ADI. Diese tief greifenden Veränderungen erfordern immer dringlicher, dass die Regelungen für chinesische Unternehmen im europäischen Binnenmarkt und für europäische Unternehmen im chinesischen Markt angepasst werden, mit dem Ziel vergleichbare und ausgewogene Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.

Auf den internationalen Finanzmärkten kündigen sich durch Chinas Aufstieg Veränderungen an, auf die sich Wirtschaft und Politik in Europa vorbereiten sollten.

Das chinesische Banken- und Finanzsystem

In der sozialistischen Marktwirtschaft Chinas wird der Bankensektor von den großen Staatsbanken dominiert, der internationale Kapitalverkehr stark reguliert; eine vollständige Freizügigkeit des Kapitalverkehrs ist zurzeit nicht zu erwarten. Allerdings finden auch im Finanzbereich eine schnelle Strukturveränderung und weitere Marktöffnung statt. Chinesische Investoren und chinesische Banken sind zunehmend weltweit präsent. Gegenwärtig gibt es bereits über 1 300 Niederlassungen von chinesischen Banken in 63 Ländern.

Die zunehmende internationale Bedeutung der chinesischen Währung zeigt sich auch daran, dass der Yuan seit 2016 eine offizielle Reservewährung für den Internationalen Währungsfonds ist.

Außerdem gibt es eine vorsichtige Öffnung des chinesischen Marktes für internationale Banken und Versicherungen. So erhielt die Schweizer UBS-Bank die Erlaubnis, die Beteiligung an ihrem chinesischen Gemeinschaftsunternehmen auf 51 Prozent aufzustocken. Allianz bekam inzwischen die Genehmigung, bestimmte Versicherungsgeschäfte durch Aufbau eigener Niederlassungen in China anbieten zu können.

Finanzzentrum Hongkong

China besitzt mit Hongkong eines der großen internationalen Finanzzentren, welches als Sonderverwaltungszone besonders günstige Bedingungen für internationale Finanzgeschäfte anbieten kann. Die chinesische Regierung wird dieses Finanzzentrum durch eine Entwicklungsstrategie (Great Bay Region) für eine Makroregion von 70 Millionen Menschen weiter stärken. Modernste Infrastruktur für Kommunikation und Verkehr, Sonderwirtschaftszonen mit Steuervergünstigungen, Förderung von Start-ups und Fintech-Unternehmen und eine neuartige Zusammenarbeit zwischen der Börse von Shenzhen und Hongkong sind Bausteine dieser Strategie.

Staatlich gefördert und von großen Unternehmen unterstützt ist China Vorreiter bei vielen innovativen Finanzdienstleistungen. Bei internetbasierten Zahlungssystemen sind chinesische Unternehmen besonders weit entwickelt und chinesische Kunden besonders aufgeschlossen. Wer sich in den Wirtschaftszentren Chinas aufhält, erlebt wie der Alltag bereits durch bargeldloses Zahlen bestimmt wird. Selbst der einfache Straßenhändler bietet über einen Barcode, der kopiert auf einem Papier an seinem kleinen Stand hängt, dem Kunden die Möglichkeit über Mobiltelefon zu bezahlen. Bei vielen Kaffee- und Restaurantketten ist Barzahlung inzwischen die seltene Ausnahme.

Viele Möglichkeiten für Anleger

Trotz Handelskrieg mit den USA, trotz Rückgang des Exportüberschusses, trotz Strukturwandel der chinesischen Wirtschaft mit dem Abbau von Überkapazitäten in der Kohle- und Stahlindustrie wird das chinesische Wachstum noch für Jahre überdurchschnittlich sein. Dies ergibt sich allein dadurch, dass noch mehr als 500 Millionen Chinesen in unterentwickelten ländlichen Gebieten leben. Die Entwicklung dieser Regionen wird noch für mehrere Jahre Produktivitätssteigerungen ermöglichen und neue Marktchancen bieten.

Außerdem ist China dabei seinen Binnenmarkt zu stärken, den privaten und öffentlichen Dienstleistungssektor zu entwickeln und in bestimmten Zukunftstechnologien eine Führungsrolle aufzubauen. Die schrittweise Öffnung des chinesischen Finanzmarktes erhöht die Möglichkeit für internationale Anleger an der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte teilzuhaben. Seit 2003 können speziell lizensierte internationale Investoren an den Börsen in Shenzhen und Shanghai Aktien von chinesischen Unternehmen erwerben. Auch der bisher unterentwickelte chinesische Anleihemarkt bietet zunehmend Möglichkeiten für internationale Investoren.

Die erhöhte Bedeutung der chinesischen Börsen führt dazu, dass die Entwicklung chinesischer Wertpapiere auch in internationale Indizes aufgenommen wird. Dies gilt zum Beispiel für den MSCI-Index für den internationalen Aktienmarkt oder für den Bloomberg-Barclay Index für internationale Anleihen.

Finanzierung großer Infrastrukturmaßnahmen

Die Seidenstraßeninitiative, die der chinesische Präsident bereits 2013 bei einem Staatsbesuch in Kasachstan der Öffentlichkeit vorgestellt hatte, fördert Infrastrukturprojekte in Asien, Europa, Lateinamerika und Afrika. Allein für Asien wird von Experten ein Investitionsbedarf von 8 000 Milliarden US-Dollar geschätzt. Als ein Beitrag zur Finanzierung dieses riesigen Investitionsbedarfs hat die chinesische Regierung 2016 mit Unterstützung europäischer und internationaler Partner die AIIB (Asian Infrastructure and Development Bank) als neue multilaterale Investitionsbank mit Sitz in Peking gegründet. Sie hat bereits 40 Projekte in 16 Ländern mit einem Gesamtvolumen von rund 8 Milliarden Euro gefördert. Außerdem gibt es noch nationale chinesische Finanzierungsinstrumente wie zum Beispiel den Seidenstraßenfonds und Unterstützung durch chinesische Staatsbanken.

Deutschland und andere europäische Länder waren Gründungsmitglieder und wurden Anteilseigner der AIIB, auch um auf die Kreditvergabe und Arbeitsweise Einfluss nehmen zu können. Internationale Standards zur Prüfung der Umwelt- und Sozialverträglichkeit müssen bei der Finanzierung von Großprojekten durch die AIIB genauso beachtet werden wie die Schuldentragfähigkeit der Kreditnehmer. Ein wichtiges Ziel ist es auch sicherzustellen, dass bei der Vergabe von Projekten europäische Unternehmen eine angemessene Beteiligungschance haben.

Die Verbreitung innovativer Finanzdienstleistungen

Digitale Bezahlung und die Kreditvergabe durch Fintech-Unternehmen haben in den letzten Jahren überall auf der Welt rasant zugenommen. Nach dem World Payments Report 2018 werden die digitalen Zahlungen bis 2021 um jährlich 12,7 Prozent zunehmen. Der Fintech- Kreditmarkt verzeichnete insbesondere in China, aber auch in den USA und dem Vereinigten Königreich ein überdurchschnittliches Wachstum.

Der Eintritt des Internethändlers Alibaba auf dem europäischen Markt, der in Belgien ein großes europäisches Logistikzentrum aufbaut, wird auch die Verbreitung von Alipay als digitales Zahlungsystem fördern. Wie benutzerfreundlich solche Systeme ausgelegt werden können, zeigt sich an Anwendungen, die in China schon entwickelt werden. Mit Gesichtserkennung oder biometrischen Daten kann sich der Kunde ganz einfach ausweisen.

Diese Entwicklungen werden dazu führen, dass neben den bestehenden Kreditinstituten neue Finanzakteure auftauchen. Dies kann zu zusätzlichen Dienstleistungen führen, hat aber auch erhebliche Risiken. Deshalb ist eine an gemessene Regulierung notwendig. Die Herausforderungen bestehen vor allem darin, durch Zulassungen und Verhaltensregulierung einen angemessenen Schutz von Verbrauchern und Anlegern zu gewährleisten.

Überschuldungsrisiken

Besorgniserregend sind die wachsenden Verluste bei Fintech-Krediten und das unseriöse Geschäftsgebaren in einigen Volkswirtschaften. Beispielhaft zeigt sich dies an den jüngsten Plattformzusammenbrüchen in China. Hier liefert China interessantes Anschauungsmaterial. Die schnelle Ausbreitung digitaler Finanzdienstleistungen, die Ausweitung der Kreditvergabe auch in ländlichen Gegenden und bei ärmeren Bevölkerungsgruppen trägt dazu bei, dass Überschuldungsrisiken entstehen.

Eine Gesellschaft, die in den letzten zwei Jahrzehnten noch eine Sparquote von über 30 Prozent hatte, bekommt inzwischen verschuldete Unternehmen und Haushalte. Dies wirkt sich dann auch auf traditionelle Finanzinstitutionen aus. Erste Regionalbanken mussten bereits von der chinesischen Regierung finanziell unterstützt werden. Auch wenn dadurch die Finanzstabilität Chinas nicht gefährdet ist, zeigt dies die Risiken innovativer und neuer Finanzdienstleistungen.

Schwerpunktverlagerung der Weltwirtschaft nach Asien

Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft verlagert sich nach Asien, dem bevölkerungsreichsten Kontinent mit rund 4,5 Milliarden Menschen. Bereits gegenwärtig wird fast 40 Prozent der Weltwirtschaftsleistung in Asien erzielt und China allein trägt ein Drittel des internationalen Wirtschaftswachstums. Diese Entwicklung wird sich auch in den Geld- und Finanzströmen und der Bedeutung der internationalen Finanzzentren widerspiegeln.

Wie wichtig und anspruchsvoll der asiatische Markt geworden ist, zeigt sich beispielhaft bei der größten europäischen Bank. Die HSBC, mit Sitz in London und einer Bilanzsumme von über 2 000 Milliarden Euro, erzielt inzwischen 80 Prozent des Gewinns in Asien. Die Bank, welche 1865 in Hongkong gegründet worden war und lange unangefochtener Marktführer in diesem sehr profitablen Finanzplatz blieb, sieht sich zunehmender Konkurrenz ausgesetzt. Dies bezieht sich nicht nur auf den Wettbewerb mit chinesischen Staatsbanken, sondern betrifft auch neue Konkurrenten.

In den letzten Monaten wurden von der Aufsichtsbehörde in Hongkong acht Lizenzen an start-ups für internetbasiertes Direktbanking vergeben. Diese neuen Konkurrenten werden unter anderem von der Bank of China und großen chinesischen Unternehmen wie Tencent und Alibaba unterstützt.

Es verwundert daher nicht, dass bei der überraschenden Absetzung des HSBC-Vorstandsvorsitzenden John Flint, am 6. August 2019 nach nur 18 Monaten im Amt, in der Fachpresse auch auf seine mangelnde Strategie für Asien und China hingewiesen wurde.

Während die amerikanischen Großbanken, unterstützt durch den Dollar als dominierende internationale Reservewährung, die internationalen Finanzmärkte bestimmen, nimmt der Einfluss der europäischen und insbesondere kontinentaleuropäischen Banken ab. Seit der Finanzkrise 2007 haben die Banken im Euroraum ihre internationalen Geschäfte um mehr als 40 Prozent zurückgeführt. Dagegen haben japanische und auch chinesische Banken ihre internationale Präsenz erheblich ausgeweitet. Die vier großen chinesischen Geschäftsbanken haben seit dem Jahr 2007 ihre ausländischen Anlagen auf rund 1 000 Milliarden US-Dollar vervierfacht.

Keine wirkliche Alternative zum Dollar als Reservewährung

Es liegt im deutschen und europäischen Interesse auch in Zukunft einige international ausgerichtete Geschäfts- und Investmentbanken mit Sitz in der EU zu bewahren. In einer Zeit geopolitischer Konflikte, wo Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zunehmend politisiert werden, muss europäische Gestaltungsfähigkeit auch im Finanzsektor gewahrt bleiben.

Die amerikanische Regierung verschärft gegenwärtig den US-China-Konflikt auch dadurch, dass China vorgeworfen wird, den Yuan manipulativ abzuwerten. Ein Streit über Handelsbeziehungen scheint in einen "Währungskrieg" überzugehen, indem ökonomische Fakten eine immer geringere und politische Ziele eine immer größere Rolle spielen.

Ökonomisch kann nämlich durchaus erklärt werden, dass zusätzliche amerikanische Zölle auf chinesische Importe die chinesische Währung schwächen. Von der chinesischen Regierung sowohl mehr Marktwirtschaft und Freizügigkeit des Kapitalverkehrs als auch einen stabilen Wechselkurs zu fordern, ist nicht sehr kohärent. Schließlich hat die chinesische Zentralbank über Monate durch Interventionen eine stärkere Yuan-Abwertung verhindert. Dies hat den Internationalen Währungsfonds sogar dazu motiviert, eine stärkere Flexibilität des Yuan-Kurses zu empfehlen.

In diesem politikdominierten internationalen Umfeld ist es für Europa notwendig, die europäische Bankenunion mit einheitlichen Regelungen für Aufsicht, Abwicklung und Finanzierung zu vollenden. Dies wird grenzüberschreitende Bankenfusionen und damit die Schaffung international wettbewerbsfähiger europäischer Geschäftsbanken erleichtern. Eine Bankenunion, als wesentliche Ergänzung einer vertieften Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion, wird auch dazu beitragen, die europäische Finanzsouveränität gegen politischen Druck von außen abzusichern.

Es wird sicher noch Jahre dauern, bis sich eine wirkliche Alternative zum Dollar als internationale Reservewährung entwickelt. Da die gegenwärtige amerikanische Regierung die starke Stellung des Dollars als politisches Druckmittel einsetzt, versucht allerdings sowohl die Europäische Union die internationale Rolle des Euros zu stärken, als auch die chinesische Regierung die internationale Verwendung des Yuan zu fördern. Während der Euro in einigen Verwendungsbereichen wie im internationalen Zahlungsverkehr mit einem Anteil von über 30 Prozent bereits eine Alternative zum US-Dollar darstellt, wird der Yuan für internationale Zahlungen mit knapp 2 Prozent noch kaum benutzt.

Prof. Gerhard Stahl Peking University HSBC Business School, Shenzhen
Prof. Gerhard Stahl , Peking University HSBC Business School, Shenzhen
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