Corona als Katalysator?

Nick Jue, Foto: ING

Während andere Teile der Wirtschaft durch die Covid-19-Pandemie und die deswegen beschlossenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens zum Erliegen kommen, werden von Banken auch weiterhin reibungslose Abläufe erwartet. Institute müssen sich Gedanken machen, wie sie sowohl ihren Kunden als auch ihren eigenen Mitarbeitern gegenüber ihrer Verantwortung nachkommen können. Auf der einen Seite muss intern gewährleistet werden, dass Mitarbeiter risiko- wie sorgenfrei ihrer Arbeit ortsunabhängig nachgehen können und auf der anderen Seite sollen Kunden mit ihren krisenbedingten Problemen weiter auf die Bank vertrauen können. Vertrauen, gewissenhaftes und schnelles Handeln sowie organisatorische Agilität seien im Moment Tugenden, deren Beachtung einen sicheren Weg durch die Krise ermögliche, meint der Autor des vorliegenden Beitrags. Der Schock durch Corona kann zerstören, ebenso können aus den Trümmern neue Möglichkeiten erwachsen. (Red.)

Wenn die Corona-Krise etwas Gutes haben sollte, dann vielleicht, dass wir erkennen, was wirklich wichtig ist: Freunde und Familie, Menschen, die einem nahestehen und etwas bedeuten. Und denen man vertraut. Vertrauen und sich aufeinander verlassen können ist das, was es braucht, um die aktuelle Phase der "sozialen Distanz" zu überwinden. Was für persönliche Beziehungen gilt, das gilt gewissermaßen auch für die Kundenbeziehung. Kunden müssen darauf vertrauen können, dass die Dinge auch in der Ausnahmesituation unkompliziert und reibungslos funktionieren. Für Unternehmen wird Vertrauen in der Krise somit zur harten Währung.

Die Beziehung zwischen Kunden und ihrer Bank bildet da keine Ausnahme. Ebenso wenig übrigens die zwischen der Bank und ihren Mitarbeitern, von denen die meisten auf einmal von zu Hause aus arbeiten. Für alle heißt es daher: Gerade in Krisenzeiten muss man sich aufeinander verlassen können. Insbesondere die finanziellen Auswirkungen des Corona-Virus beschäftigen gegenwärtig viele Menschen. Die wichtigste Aufgabe von Banken besteht mehr denn je darin, Antworten auf die akuten, individuellen Fragestellungen der Kunden zu bieten: Kann ich meine Kreditrate anpassen, Zins- und Tilgungsleistungen stunden, bekomme ich als Großunternehmen zusätzliche Liquidität?

Die oft beschworene Systemrelevanz vieler Institute rückt vermehrt in den Fokus und hat heute eine ausgesprochen gesellschaftliche Dimension. Es ist geboten, den Bankbetrieb reibungslos für alle Bürgerinnen und Bürger aufrechtzuerhalten und damit zur allgemeinen Beruhigung in einer Situation beizutragen, in der sich viele Menschen Sorgen um ihre Zukunft machen. Speziell den Hausbanken kommt hier eine besondere Verantwortung zu.

Banken können Teil der Lösung sein

Während die Banken vor zwölf Jahren im Verlauf der Finanzkrise als Auslöser des Problems begriffen wurden, richten sich heute eher Hoffnungen auf sie. Die Banken haben dafür in den vergangenen Jahren wichtige Voraussetzungen geschaffen, indem sie ihre Eigenkapitalbasis gestärkt und die Verschuldungsquoten reduziert haben. Andererseits ist die Ertragslage der Branche insgesamt nach Meinung der BaFin "nicht zufriedenstellend" und auch auf der Kostenseite sieht die Aufsicht nach wie vor erhebliche Herausforderungen.

Von elementarer Bedeutung ist daher eine möglichst niedrige Cost Income Ratio verbunden mit kosteneffizienten Prozessen in der Kundenbetreuung. Eine solche Cost Income Ratio ermöglicht es, steigende Risiko- und Refinanzierungskosten abzufedern. Eine wichtige Voraussetzung, um die erheblichen Herausforderungen der nächsten Monate von einer vergleichsweise stabilen Position aus anzugehen.

Positive Kennziffern sind allerdings lediglich eine notwendige, jedoch keineswegs hinreichende Bedingung, damit die Banken in der aktuellen Situation die ihnen zugedachte Rolle als Stabilisator der Realwirtschaft sowie der Gesellschaft insgesamt wahrnehmen können. Ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung müssen die Institute vielmehr auf insgesamt drei Ebenen nachkommen: einer psychologischen, einer kommunikativen und einer organisatorisch-strukturellen. Alle drei Ebenen, insbesondere die psychologische und kommunikative, sind eng miteinander verbunden.

Die psychologische Ebene

Eines der wichtigsten Assets für Banken in einer Ausnahmesituation wie der Corona-Krise ist gelebte Wertschätzung. Denn sie schafft die Voraussetzung, damit die Business Continuity gesichert ist. Mitarbeiter, die sich mit ihren Sorgen und Problemen alleingelassen fühlen, können keinen funktionierenden Bankbetrieb aufrechterhalten. Es kommt daher für eine Bank den eigenen Mitarbeitern gegenüber entscheidend darauf an, diese mit ihren Sorgen ernst zu nehmen und ihnen unterstützend zur Seite zu stehen. Viele stehen vor der Aufgabe, eine tragfähige Betreuungslösung für ihre Kinder finden zu müssen. Hier bietet es sich zum Beispiel an, durch das kurzfristige und unbürokratische Bereitstellen zusätzlicher bezahlter Urlaubstage wertvolle Freiräume zu schaffen.

Zudem sollte es möglichst vielen Mitarbeitern ermöglicht werden, in das Homeoffice zu wechseln. Im Zeitalter digitaler Dienstleistungen lässt sich hier durchaus auf einen Erfahrungsschatz aus gelernten Abläufen und Mechanismen zurückgreifen. Dieser ist naturgemäß umso größer, je substanzieller bereits vor der Corona-Krise die digitale Ausrichtung der Arbeitsabläufe gewesen ist. Und diejenigen, die darauf angewiesen sind, weiterhin vom Institut aus zu arbeiten, müssen natürlich Arbeitsbedingungen vorfinden, die den gesundheitlich-hygienischen Anforderungen gerecht werden.

Die kommunikative Ebene

Wertschätzung wird in der Corona-Ausnahmesituation nicht zuletzt durch einen engmaschigen, transparenten und frühzeitigen Dialog mit den Mitarbeitern sowie den Kunden ausgedrückt. Die Handlungsfähigkeit der Bank nach innen und außen bleibt nur dann gegeben, wenn das Topmanagement sich zeitnah mit einer Einschätzung zur Lage offen und transparent an die Belegschaft wendet. Die Mitarbeiter brauchen Orientierung, welche Maßnahmen ihr Haus konkret ergreift, um der Krise zu begegnen.

Dabei geht es nicht nur um das "große Ganze", also die Frage, wie die Bank grundsätzlich zu Corona steht, wie sie ihre gesellschaftliche Verantwortung definiert und dieser nachkommen will. Es geht ebenso um konkrete Verhaltenstipps, zum Beispiel wie mobiles Arbeiten am besten funktioniert und wie die Arbeitsabläufe auf Abteilungsebene im Zeichen von Homeoffice und Videokonferenzen am besten organisiert werden. Im weiteren Verlauf bedarf es regelmäßiger Einordnungen zu aktuellen Lageentwicklungen und stetiger Ergänzung zusätzlicher Verhaltenstipps und Hilfestellungen über die internen Kanäle.

Nur wenn die Mitarbeiter auf diese Weise in die Lage versetzt werden, ihren Tätigkeiten weiterhin bestmöglich nachgehen zu können, sind sie auch in der Lage, ihren Kunden in der schwierigen aktuellen Situation zur Seite zu stehen. Im Moment geht es dabei vor allem darum, Kunden die Sorgen zu nehmen. Und davon gibt es, wie bereits erwähnt, viele.

Um mit dieser Situation umgehen zu können, brauchen Kunden einen Banken-Partner auf Augenhöhe, der für sie erreichbar ist, ihre individuelle Situation versteht und ihnen hilft, passgenaue Lösungen zu finden. Denn fest steht: Die Menschen können und wollen sich heutzutage so frei entfalten, wie wohl kaum eine Generation davor. Sie wollen "ihr Ding machen" und diese Selbstständigkeit trotz Corona bewahren. Kunden erwarten auch während der momentanen Pandemie, dass ihre Hausbank sie so persönlich, unkompliziert und kompetent wie möglich begleitet, um dieser Lebenseinstellung Rechnung zu tragen.

Die organisatorische Ebene

Worauf es neben den psychologischen und kommunikativen Grundlagen besonders ankommt, ist ein Höchstmaß an organisatorischer Flexibilität. Nur die Fähigkeit eines Institutes, innerhalb weniger Stunden, maximal Tage, eine Arbeitsorganisation einzunehmen, die von zentral auf dezentral umstellt und dennoch weiterhin präzise funktioniert, kann entschlossen durch unsichere Zeiten manövrieren. Auch wenn dieser Faktor eher technisch-strukturell angelegt ist, besitzt doch auch er eine ausgeprägte psychologische Komponente.

Denn auf diese Weise zeigt die Bank ihren Kunden, dass sie in den finanziellen Fragen weiterhin auf sie zählen können und sorgt gerade dadurch für eine gewisse Beruhigung in einer Zeit, in der sonst viele bisherige Selbstverständlichkeiten infrage gestellt werden. Digital ausgerichtete Banken mögen bei dieser Umstellung einen gewissen Vorteil haben. Eine Herausforderung bedeutet eine Umstellung in dieser Größenordnung dennoch auch für sie. Denn wenn Tausende Mitarbeiter in wenigen Tagen ins Homeoffice wechseln, reicht es nicht aus, leistungsfähige Internetverbindungen mit belastbaren Servern innerhalb kürzester Zeit einzurichten.

Die mobilen Datenverbindungen - ebenso zu Kunden wie zu Geschäftspartnern - müssen genauso sicher sein wie vorher. Hier müssen vor allem IT, Datenschutz- und Compliance-Beauftragte eng zusammenarbeiten. Bei der Umstellung hilft es, wenn die Organisation als Ganzes gewohnt ist, mit einem Höchstmaß an Eigenverantwortung zu arbeiten. Eine agile Denkweise ist dafür die Grundvoraussetzung.

Die Post-Corona-Zeit

Und was kommt nach Corona? Die akute Krisensituation wird ein Ende finden und überwunden sein. Zugleich beginnt die Zeit der Auswertung und des Lernens. Notfallpläne müssen für künftige Krisen angepasst werden. Dabei aber wird es nicht bleiben: Unsere Welt wird nach der Krise vermutlich nicht mehr dieselbe sein wie vorher. Der Ökonom Joseph Schumpeter hat das berühmte Diktum von der "Kreativen Zerstörung" geprägt. Und vielleicht wird er im Zusammenhang mit Corona einmal mehr recht behalten.

Von Zerstörung zu sprechen wäre zwar übertrieben, aber ein Katalysator für grundlegende Veränderungen werden Corona und dessen Folgen allemal sein. Schon jetzt zeigt sich beispielsweise, dass viele sich vom Bargeld abwenden. Dies ist durch die - berechtigte oder unberechtigte - Angst vor Ansteckung bedingt, und es ist fraglich, ob das Bargeld danach noch einmal eine Renaissance erleben wird, wenn die Menschen erst einmal die Vorteile digitaler Bezahlmethoden kennen- und schätzen gelernt haben.

Ohnehin wird die Digitalisierung im Banking einen Schub erleben. Banken müssen sich auf Kunden einstellen, die künftig deutlich digitalaffiner sein werden als bisher und in der Krise gelernt haben, dass mobile, smarte Bankgeschäfte hervorragend funktionieren und in ihrer Qualität unabhängig von dem Ort sind, an dem sich die Kunden gerade aufhalten.

Wer selbstbewusst durch sein Leben geht und auch während der Corona-Krise kein Problem hatte, sich im Homeoffice selbst zu organisieren und vieles in die eigene Hand zu nehmen, setzt auch bei seinen Bankgeschäften auf Selbstständigkeit und wird diese Haltung künftig vermutlich noch verfestigen. Geschäftsmodelle, die diese deutlich steigenden digitalen Kundenpräferenzen nicht ausreichend berücksichtigen, werden stärker denn je auf dem Prüfstand stehen.

Nick Jue Vorsitzender des Vorstands, ING in Deutschland und Head of Region Germany, Frankfurt am Main
Nick Jue , Vorsitzender des Vorstands, ING in Deutschland und Head of Region Germany, Frankfurt am Main
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