Corona-Krise: Ein Drittel ist vorbei

Dr. Ulrich Kater, Foto: DekaBank

Der plötzliche Ausbruch der Corona-Krise hat die gesamte Weltwirtschaft in einem bisher ungekannten Ausmaß getroffen. Laut dem Autor handelt es sich dabei um den stärksten Quartalsabsturz am Konjunkturhorizont in der Geschichte der Währungsunion. Dieser harte Absturz soll seiner Meinung nach aber nicht von Dauer sein, denn die Geld- und Fiskalpolitik hätten lehrbuchmäßig auf die drohenden wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise reagiert. Daher geht er davon aus, dass sich die Wirtschaft wieder schnell erholen wird. Der technische Fortschritt habe zudem dazu beigetragen, dass über lange und variable Kontaktsperrzeiten nachgedacht werden konnte, anstatt beispielsweise Bürobeschäftigte zu schnell wieder an die Standorte zurückzurufen. Darüber hinaus macht der Autor klar, worin der grundsätzliche Unterschied bei der Corona-Krise und der Finanzkrise 2008/2009 liegt und welche konjunkturellen Risiken und Probleme sich aktuell noch anbahnen. (Red.)

Zu Jahresbeginn lauteten die größten Gefahren für die Weltwirtschaft, dass der mühsam ausgehandelte Deal zwischen der Trump-Administration und der chinesischen Regierung doch nicht halten würde. Die europäische Wirtschaft startete äußerst hoffnungsvoll in das Jahr 2020, die Aktienmärkte begleiteten die Aufbruchsstimmung mit neuen Höchstständen. Die Frühindikatoren deuteten das Überwinden der Schwächephase aus dem zweiten Halbjahr 2019 an. Im Januar und Februar 2020 war der Euroraum noch auf Wachstumskurs. Der blitzartige Einschlag von Covid-19 und die damit einhergehenden starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens sowie die Produktionsstillegungen seit Mitte März in den Ländern der EWU haben das Bild vollständig gedreht. Eine einzige Woche nach dem Auftreten der Infektion in Italien reichte aus, um das Bild für die gesamte Weltwirtschaft um 180 Grad zu drehen.

Das hatte noch kein Konjunkturbeobachter erlebt, egal wie lange er schon in seinem Job arbeitete. Kein Wunder: Die letzte Pandemie hierzulande mit Effekten für das öffentliche Leben lag fast genau einhundert Jahre zurück. Und so mussten sich viele Beobachter ziemlich strecken, um am Konjunkturhorizont den stärksten Quartalsabsturz in der Historie der Währungsunion und darüber hinaus zu erkennen. Mit einem Minus von 3,6 Prozent war die BIP-Schrumpfung im ersten Quartal 2020 noch extremer als der bisherige Negativrekord während der Weltfinanzkrise im ersten Quartal 2009. Zum Auftakt des zweiten Quartals haben die Frühindikatoren im April abermals historische Einbrüche zu verzeichnen gehabt. So war der Gesamteinkaufsmanagerindex für den Euroraum auf 13,6 Punkte gefallen - ein Allzeittiefstand. Der französische Dienstleisterindex lag im April bei 10,2 Punkten und sein spanisches Pendant war sogar auf 7,1 Punkte gefallen.

Die Geld- und Fiskalpolitik haben angesichts der sich abzeichnenden schweren Wirtschaftskrise lehrbuchmäßig reagiert und damit die Rahmenbedingungen für eine schnelle Erholung geschaffen. Die notwendige Voraussetzung für eine wirtschaftliche Besserung war aber die Lockerung der Ausgangsbeschränkungen und die Wiederaufnahme der Produktion. Dies ist seit Anfang Mai in Europa im Gang. In China war dies schon deutlich früher der Fall. Dementsprechend haben sich dort auch die Frühindikatoren früher sprunghaft verbessert, was als Blaupause für die Entwicklung in Europa galt. Und so konnten sich die Einkaufsmanagerindizes der vier großen EWU-Staaten mittlerweile ebenfalls allesamt von den Tiefständen im April absetzen.

Der Corona-Absturz war aber besonders stark, sodass sich selbst nach den Anstiegen im Mai und Juni die Einkaufsmanagerindizes für den Euroraum noch auf Rezessionsniveaus befanden. Die Anstiege bei den Frühindikatoren verbreiten aber die Hoffnung auf eine Rückkehr zu Wachstum im dritten Quartal. Für das abgelaufene zweite Quartal ist allerdings erst einmal mit einem weiteren neuen Rekordeinbruch bei der ökonomischen Aktivität zu rechnen. Nachdem der April und Teile vom Mai durch Ausgangssperren und Produktionsstillegungen geprägt waren, sind in Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien sowie im Euroraum insgesamt Schrumpfungen der wirtschaftlichen Leistung von jeweils mehr als 10 Prozent zu erwarten.

Tiefe, aber kurze Rezession

Bei der Beurteilung der konjunkturellen Folgen der Corona-Krise kommt man sehr schnell zu dem Schluss, es mit einem einzigartigen Geschehen zu tun zu haben, das mit anderen Konjunkturzyklen nicht zu vergleichen ist. Die eigentliche Corona-Rezession ist sehr tief, dürfte aber mit zwei Quartalen nur von kurzer Dauer sein. In den USA erklärte das für die Bestimmung der Rezessionszeiträume zuständige National Bureau of Economic Research den historisch langen US-Aufschwung, der seit der Finanzkrise angehalten hatte, im April für beendet. Während aber bei allen anderen Rezessionsdefinitionen in den USA zwischen dem Tiefpunkt einer Welle und dem Beginn des nächsten Aufschwungs Monate bis Quartale liegen, deutete die Behörde an, dass der neue Aufschwung für die USA bereits im Mai beginnen würde. Das Verharren auf dem prekären Produktionsniveau vom Beginn des zweiten Quartals war von Anfang an unwahrscheinlich und bewahrheitet sich auch nicht.

Der Wiederaufstieg der Konjunktur ist zumindest zu Beginn der Erholung so schnell wie nie zuvor, wie insbesondere die sprunghaften millionenhaften Jobzuwächse in den USA zeigen. Das liegt vor allem an der Art der Krise als einem äußeren Anlass, der bald (in einem Jahr) wieder vorüber ist; dies ist übrigens auch die Erfahrung mit der Spanischen Grippe. Damals kehrte die ökonomische Aktivität sehr schnell zurück, nachdem die Gesundheitskrise überwunden war. Damals waren Quarantäne- und Abgrenzungsmaßnahmen ähnlich, wenngleich sehr viel stärker lokal organisiert.

Insgesamt war die Fähigkeit zu sozialer Distanzierung allerdings viel begrenzter. Es ist ein Kennzeichen dieser Pandemie, dass dank des technischen Fortschritts für weite Bereiche der Wirtschaft überhaupt über lange und variable Kontaktsperrzeiten nachgedacht werden konnte. Noch vor zwanzig Jahren wären ohne die Möglichkeiten der digitalen Massenkommunikation alle Bürobeschäftigten nach kurzer Zeit an die Standorte zurückgerufen worden, weil die Dienstleistungssysteme zusammengebrochen wären.

Auch heute können sich nicht alle Volkswirtschaften diesen Wahlzustand leisten, wie der Blick in viele Schwellenländer zeigt. Ob durch möglichst wenige Beschränkungen der Verlust an Wirtschaftsleistung geringer ist, ist nicht eindeutig und wird erst im Nachhinein durch den Vergleich der durchaus unterschiedlichen nationalen Strategien beleuchtet werden können. Wirtschaftspsychologisch erscheint es jedoch neben den staatlichen Stützungsmaßnahmen für eine Wiedergewinnung des Wirtschaftsvertrauens entscheidend, dass man es hier nicht mit einem endogenen Geschehen wie etwa bei der Finanzkrise zu tun hat, sondern mit einer zeitlich begrenzten Einschränkung ähnlich einem Unfall oder einer Naturkatastrophe.

Die konjunkturellen Unsicherheiten erstrecken sich mittlerweile weniger auf die Frage, ob die Erholung kommt, sondern eher darauf, wie diese ausfällt, insbesondere auf den letzten Metern der Aufholbewegung. Gegenwärtig ist es anhand der Daten unmöglich zu entscheiden, wo der reine Rückprall der ökonomischen Aktivität auf den außer gewöhnlichen Schock des Shutdown aufhört und wo ein neuer Aufschwung beginnt, geschweige denn, welche Eigenschaften dieser hat. Bei einem hochdynamischen Konjunkturgeschehen wie dem gegenwärtigen helfen die herkömmlichen Wirtschaftsdaten leider nur bedingt, also etwa die monatlichen Daten zu Wirtschaftsstimmung, Industrieproduktion oder Auftragseingängen. Monatliche Informationen sind einfach zu grob für das schnelle gesamtwirtschaftliche Geschehen, zudem benötigt die Aufbereitung von Wirtschaftsdaten ein bis drei Monate, wodurch die Zahlen bei ihrer Veröffentlichung für eine Gegenwartsdiagnose der Wirtschaft nicht verwendbar sind. Das ist so, als wolle man ein Formel-1-Rennen mit einem Foto pro Runde am Zieleinlauf dokumentieren, wobei dieses Foto auch jeweils noch aus der letzten oder vorletzten Runde stammt.

Das Datenproblem

Wir brauchen also Kameras an der Strecke mit Live-Aufnahmen. Das sind höherfrequente Daten: Passantenbewegungen, Restaurantreservierungen, Autozulassungen, Fluggastzahlen, Stromverbrauch liegen teilweise täglich vor und werden von den Analysten als Proxy für die aktuelle Entwicklung verwendet. Das Statistische Bundesamt in Deutschland experimentiert mit Umsatzsteuervoranmeldungen als zentraler Größe, die Notenbanken in Österreich oder in den USA haben Indikatoren zur wöchentlichen oder sogar täglichen BIP-Messung konstruiert beziehungsweise verbessert. Beim Blick auf diese Real-Time-Indikatoren erkennen wir, dass die konjunkturellen Lücken gegenwärtig noch groß sind. Zwar sind die Zuwachsraten enorm, angesichts der Tiefe des Einbruchs verharrten die Werte jedoch bis in den Juli hi nein noch auf Rezessionsniveaus. Man sollte das Tempo der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aber auch nicht überfordern. Gefühlt beschäftigt sich die Welt seit einer halben Ewigkeit mit der Corona-Krise, aber tatsächlich ist es erst ein halbes Jahr. Wenn man als Zäsur für den Beginn der Post-Corona-Zeit den Herbst 2021 ansieht, das ist der Zeitraum, in dem im Hauptszenario der meisten Konjunkturbeobachter die großen Impfkampagnen vorbei sind und das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland wieder auf Prä-Corona-Niveau ist, dann ist eher die Analogie zum Eishockey angemessen: Dann haben wir gesamtwirtschaftlich gerade das erste Drittel der Krise hinter uns gebracht. Auch wenn der Euroraum und die vier großen EWU-Länder im zweiten Halbjahr wieder positive Quartalswachstumsraten zwischen fünf und acht Prozent erzielen dürften, hinterlässt die Corona-Krise dennoch tiefe Bremspuren in den Ergebnissen für das Gesamtjahr. Die Wirtschaftsleistung im Euroraum dürfte 2020 um knapp neun Prozent schrumpfen. Im nächsten Jahr scheint hingegen ein spürbares Wachstumsplus von 7,5 Prozent möglich.

Chancen für Produktivitätssteigerungen

Die Erholung steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die zu erwartenden und in den Szenarien enthaltenen lokalen zweiten Wellen nicht noch einmal wie im Frühjahr eine komplette Schließung der Wirtschaft erfordern. Und auch das beste Aufholen wird nicht verhindern können, dass die Krise insgesamt natürlich Wohlstand gekostet hat. Wir werden einer Welt ohne Corona wohlstandsmäßig immer hinterherlaufen. Im Jahr 2022 liegt der erwartete neue Wachstumspfad noch etwa zwei bis drei Prozent unter dem alten und ganz aufholen wird man nie.

Neben dem spektakulären Risiko eines zweiten kompletten Shutdowns kommen die anderen Risiken für die Konjunktur eher schleichend daher. Das erste dieser Risiken ist die zu erwartende Dauerbelastung des Arbeitsmarktes. Unternehmen setzen jetzt enorme Effizienzprogramme auf, um die erhöhte Verschuldung über die kommenden Jahre abzuarbeiten. Das eröffnet Chancen für Produktivitätssteigerungen, aber die Leidtragenden sind die Beschäftigten, die sich umorientieren müssen. Gegenwärtig wird dies noch durch Kurzarbeiterregelungen und andere Programme kaschiert, aber diese Belastung kommt unweigerlich.

Da ist es ein Glücksumstand, dass es dem deutschen Arbeitsmarkt an Fachkräften mangelt, sodass man davon ausgehen kann, dass ein Teil von freigesetzten Beschäftigten wieder einen Job findet. In vielen Fällen wird dies jedoch auch sehr aufwendig sein, denn vielfach stimmen in dieser Krise die abgebauten Qualifikationsprofile nicht mit den gesuchten überein. Erhöhte Arbeitslosenzahlen werden daher noch lange nach dem Ende der akuten Krise vorherrschen, wenngleich die Arbeitslosenraten um die sechs Prozent in Deutschland oder im höheren einstelligen Bereich in den USA auch nicht historisch hoch ausfallen werden. Eine der langfristigen gesellschaftspolitischen Folgen der Krise in diesem Bereich ist jedoch ein weiteres Anheizen der Verteilungsdebatte, denn wie nach der Finanzkrise gibt es wieder große Verlierergruppen, die ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen sollten.

Das zweite Risiko liegt in der zu erwartenden Welle der Kreditausfälle. Zwar ist der Markt für Unternehmensfinanzierungen in beispielloser Weise gestützt worden und die Notenbanken haben mit einer Vermeidung einer sich selbst nährenden Abwärtsspirale genau ihr Ziel erreicht. Aber bereits jetzt hat die Flut von Neuemissionen des Krisenjahres 2020 das Volumen des gesamten letzten Jahres in Höhe von 1 120 Milliarden US-Dollar erreicht. Weltweit kommt nun die Marke von 2 000 Milliarden US-Dollar in Reichweite, was aktuell um 57 Prozent über dem gleichzeitigen Stand vom letzten Jahr liegt. Allerdings hält die Konjunkturbelastung noch an, in einigen Branchen noch sehr lange.

Steigende Insolvenz zahlen werden wohl eher ein Thema ab dem Herbst sein, und es hängt von der Reaktion des Bankensystems ab, ob hie raus noch einmal über eine Verschlechterung der Finanzierungskonditionen negative Impulse auf die Konjunkturerholung ausgehen werden. Ein Vorteil in dieser Lage liegt darin, dass diese Belastungen quasi mit Ansage daherkommen und die Kreditgeber sich bereits jetzt wappnen können.

Wer zahlt das alles?

Wenn diese Risiken oder andere die Erholung doch zu Fall bringen sollten, dann liegt es jedenfalls nicht an mangelndem Einsatz der Staaten. Die Regierungen haben diesmal nicht nur das kleine, sondern sogar das große Krisen-Einmaleins abgearbeitet und das zügig, zielgerichtet und kraftvoll. Die Krisenprogramme umfassen hauptsächlich Fiskalpakete mit direkten nachfrage- und einkommenswirksamen Ausgaben, also etwa Kurzarbeitergeld, Zuschüsse oder Gesundheitsausgaben und Finanzprogramme, die von der Kreditgewährung bis hin zur Beteiligung reichen. Daneben wurden umfangreiche regulatorische Anpassungen und Ausnahmen getroffen auf einer Reihe von Gebieten, vom Insolvenzrecht bis zur Bankenregulierung.

Die Nachfrageausfälle in den meisten Ländern aufgrund der coronabedingten Schließungen reichen im Gesamtjahr 2020 von etwa sechs bis zwölf Prozent. Diese Lücke rein rechnerisch durch Fiskalmaßnahmen und Kreditprogramme zu füllen, ist in allen Ländern gegeben, wenngleich auch in stark unterschiedlichen Verteilungen zwischen fiskal und kreditpolitischen Maßnahmen. In einigen Ländern wie in Deutschland sind die direkten Zuschüsse, Kurzarbeitergelder oder Gesundheitsaufwendungen sehr hoch, in anderen Ländern wie etwa Italien oder Spanien liegt aufgrund der bereits vorher angespannten Haushaltslage der Schwerpunkt eher auf Kreditfazilitäten. Aber insgesamt war der Schirm für die Wirtschaft in den entwickelten Volkswirtschaften sehr zügig aufgespannt, jetzt muss es nur noch aufhören zu regnen.

Bei der Diskussion darüber, "wer das denn alles bezahlen soll", kommt häufig das Missverständnis auf, dass der Staat seine Schulden doch irgendwann komplett zurückzahlen müsse. Das jedoch ist eine Vorstellung, wie sie bei natürlichen Personen gilt. Der Staat ist aber wie auch ein Unternehmen auf Dauer angelegt. Wie bei Unternehmen kann es auch beim Staat sinnvoll sein, mit "Fremdkapital" zu arbeiten. Die plakativste Erklärung dafür lautet, dass die künftigen Generationen die heutige nicht nur danach beurteilen wird, welchen Schuldenberg diese hinterlassen hat, sondern auch welches Ausmaß an Wohlstand, Infrastruktur und anderen öffentlichen Gütern. Daher müssen Verschuldung und staatliche Leistungen in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Anders als bei den privaten Haushalten geht es angesichts einer Maximalbelastungssituation wie der gegenwärtigen nicht darum, wann die Verschuldung wieder auf Null zurückgeführt werden kann, sondern ob die staatliche Verschuldung tragfähig sind. Bei absehbaren Nullzinsen für viele Jahre ist das auch bei der aktuellen erhöhten Verschuldung der Fall.

Ein ähnlicher Graben liegt zumindest zwischen den akuten Inflationsängsten durch den gegenwärtigen Geldmengenzuwachs und den tatsächlich zu erwartenden Entwicklungen für die unmittelbar kommenden Jahre. Inflationär für die Verbraucherpreise wird ein Umfeld aus extrem niedrigen Zinsen und steigenden Geldmengen nur dann, wenn die Haushalte und Unternehmen das Geld auch ausgeben. Danach sieht es jedoch nicht aus - und das unabhängig von den coronabedingten Einschränkungen.

Vielmehr halten die privaten Haushalte zunehmen mehr Geld dauerhaft als Einlagen auf ihren Konten. Die Einlagen im Bankensystem steigen stark an, und die "Inflation" findet unmittelbar am ehesten noch an den Märkten für Vermögensgüter statt. Denn die hohe Vermögenshaltung hat eher demografische Gründe. Der unmittelbare Effekt der Corona-Krise ist demgegenüber klar deflationär: Die Nachfrage kommt langsamer auf die Beine als das Angebot. Ändern kann sich diese Inflationsumgebung, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, was absehbar in einer Reihe von Jahren der Fall sein sollte.

Europäische Unterschiede

Bereits vor der Corona-Krise gab es beträchtliche Unterschiede in wichtigen makroökonomischen Strukturkennzahlen. Dazu gehören etwa Verschuldung oder die strukturelle Arbeitslosigkeit, aber auch "weiche" Faktoren wie Effektivität der Regierung, Korruptionskontrolle und Rechtsstaatlichkeit. Im Potenzialwachstum, der langfristigen wirtschaftlichen "Normalgeschwindigkeit" einer Volkswirtschaft, werden diese Unterschiede verdichtet. Hier klaffen unter den vier großen EWU-Ländern große Lücken. So lag nach Angaben der OECD diese 2019 zwischen 1,4 Prozent (Deutschland) und 0,2 Prozent (Italien). Frankreich und Spanien kommen auf 1,2 Prozent beziehungsweise 0,9 Prozent.

Die Corona-Krise wird die bestehenden Unterscheide verstärken und damit die politischen Nerven aufs neue strapazieren. Der jetzt entstehende Wiederaufbaufonds ist ein Hilfsfonds angesichts einer Naturkatastrophe. Das Grundproblem der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit innerhalb der Währungsunion wird er nicht angehen. Er wird die finanziellen Schwachstellen im Euro noch nicht einmal entscheidend verstärken, wie die drohende Rating-Herabstufung Italiens im Herbst deutlich machen wird. Insgesamt gilt aber auch hier, was für alle durch die gegenwärtige Krise ausgelösten Entwicklungen gilt: Die Corona-Krise schafft keine neuen Trends, sondern beschleunigt nur bereits bestehende, ebenso wie sie bereits bestehende Probleme schonungslos offenlegt.

Dr. Ulrich Kater Chefvolkswirt, DekaBank, Frankfurt am Main
Dr. Ulrich Kater , Chefvolkswirt , DekaBank - Deutsche Girozentrale, Frankfurt am Main
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