Corona- Krise verschiebt ESG-Fokus vom "E" auf das "S"

Simon Bond, Foto: Columbia Threadneedle Investments

Bei Investments, die die ESG-Kriterien (Environmental, Social und Governance), also Umwelt- und Sozialkriterien sowie Aspekte guter Unternehmensführung einbeziehen, standen häufig Umwelt- und Governance-Aspekte im Vordergrund. Im Vergleich dazu führten Anlagen mit sozialem Schwerpunkt bis vor Kurzem eher ein Schattendasein. Ein möglicher Grund dafür ist, dass sich die Umwelt- und Governance-Kriterien eines Unternehmens leichter ermitteln lassen als soziale Faktoren. Zudem stand das Thema Klimaschutz spätestens seit dem Pariser Abkommen vom November 2016 in der öffentlichen Debatte weit oben auf der Agenda. Dies könnte sich laut den Autoren nun ändern: Angesichts der Corona-Krise werde eine Phase eingeleitet, in der Investments mit sozialem Schwerpunkt in den Vordergrund rücken. Des Weiteren erläutern die Autoren, wie sich der Nachhaltigkeitstrend entwickeln wird und auf welche Kriterien Anleger bei Social-Bond-Strategien achten sollten. (Red.)

Die Anleihenmärkte sind ein erstklassiger Gradmesser für das Interesse an ESG-Investments. Denn anders als bei Aktien lässt sich in den Emissionsbedingungen von Bonds festschreiben, wie das aufgenommene Fremdkapital eingesetzt werden darf. So haben sich in den vergangenen Jahren grüne Anleihen mit Fokus auf Umweltprojekten, soziale Emissionen mit Schwerpunkt auf gesellschaftlichen Entwicklungen und nachhaltige Papiere als Mischform aus grünen und sozialen Anleihen am Markt etabliert. Entsprechende Papiere lassen sich zusammenfassend als Bonds mit "spezifischer Verwendung der Emissionserlöse" definieren. Die Emissionserlöse solcher Anleihen fließen ausschließlich in vorab festgelegte Umwelt-, Sozial- oder - als Mischform aus beidem - Nachhaltigkeitsprojekte.

Angesichts des allgemeinen Trends hin zur nachhaltigen Geldanlage ist das Segment für grüne, soziale und nachhaltige Anleihen in den vergangenen Jahren rasant gewachsen. So beläuft sich das aufsummierte Emissionsvolumen mittlerweile auf über 800 Milliarden US-Dollar, wie eine Auswertung von Columbia Threadneedle Investments auf Basis von Bloomberg-Daten zeigt. Und das Momentum legt weiter zu: Von Anfang Januar bis Ende Juni 2020 kamen entsprechende Papiere im Volumen von 173 Milliarden US-Dollar auf den Markt, im Vergleichszeitraum 2019 waren es nur 130 Milliarden US-Dollar gewesen. Das entspricht einem Anstieg um 33 Prozent binnen eines Jahres.

450 Prozent Anstieg beim Emissionsvolumen von Social Bonds

Innerhalb dieses Universums dominieren bislang grüne Anleihen mit einem Volumen von rund 650 Milliarden US-Dollar, was einem Anteil von rund 80 Prozent entspricht. Die Emittenten haben Anleihen mit spezifischer Verwendung der Emissionserlöse demnach vor allem zur Finanzierung von Umweltprojekten begeben. Dies ist aufgrund der drohenden Risiken durch den Klimawandel wenig überraschend. Das könnte sich nun jedoch ändern: Die Corona-Krise gibt zusätzliche Impulse, die die Emissionstätigkeit von grünen auf soziale und nachhaltige Anleihen ausweiten könnten. Schließlich gilt es aufgrund der Krise, eine Reihe gesellschaftlicher Herausforderungen zu meistern - von gesundheitlicher Versorgung über finanzielle Hilfen für Mittelständler und Privathaushalte bis hin zur Schaffung einer zukunftsfähigen Infrastruktur. So belief sich das Emissionsvolumen sozialer Anleihen von Anfang Januar 2020 bis Ende Juni 2020 auf 44 Milliarden US-Dollar. Das bedeutet einen Zuwachs von 450 Prozent gegenüber den acht Milliarden US-Dollar im gleichen Zeitraum 2019. Gleichzeitig kamen neue grüne Anleihen im Umfang von 88 Milliarden US-Dollar auf den Markt - 14 Prozent weniger als die 103 Milliarden US-Dollar im Vorjahreszeitraum. Von diesen Emissionen dienen soziale und nachhaltige Anleihen im Volumen von 55 Milliarden US-Dollar Zwecken mit spezifischem Corona-Bezug. Hier zeigt sich der klare Zusammenhang mit der aktuellen Krise.

Zu den Emittenten sozialer Anleihen im Zuge der Corona-Krise gehören unter anderem die Council of Europe Development Bank und die European Investment Bank (EIB), deren Papiere mit einem Volumen von jeweils 1 Milliarde Euro im April auf den Markt kamen und aufgrund großer Nachfrage um ein Vielfaches überzeichnet waren. Das gilt übrigens durchgängig für alle Emissionen mit spezifischem Corona-Bezug im ersten Halbjahr 2020. Einige Emittenten, die schon seit Längerem am Markt für soziale Anleihen aktiv sind, gehen nun mit deutlich größeren Emissionen den nächsten Schritt: Die International Finance Corporation (IFC) beispielsweise legt seit 2017 soziale Anleihen auf, wobei sich der Ausgabewert der 28 Anleihen zum 31. Dezember 2019 auf 1,46 Milliarden US-Dollar belief. Die im April emittierte soziale Anleihe hatte indessen einen Emissionswert von 1 Milliarde US-Dollar, womit die IFC ihren Bestand an sozialen Anleihen auf einen Schlag fast verdoppelte.

Regierungsbanken als Emittenten

Weitere Emittenten im Zuge der Krise waren die International Bank of Reconstruction and Development, die zur Weltbank gehört, die Inter-American Development Bank und Inter American Investment Bank, die italienische Cassa Depositi e Prestiti, das spanische Instituto de Credito Oficial sowie die französische Caisse Francaise de Financement. Bei den drei zuletzt genannten Instituten handelt es sich um regierungsnahe Banken, die in ihren jeweiligen Ländern vor allem öffentliche Vorhaben finanzieren. Dies ist bemerkenswert, da der Großteil der Emissionen sozialer Anleihen bislang auf supranationale Organisationen entfällt, während Regierungen noch eher zurückhaltend agieren.

Die Emissionen im Zuge der Corona-Krise entsprechen im Wesentlichen den von der internationalen Vereinigung der Kapitalmarktexperten (ICMA) festgelegten Green und Social Bond Principles. Die ICMA hatte diese Selbstverpflichtungsregeln für grüne Anleihen 2016 und für soziale Anleihen 2017 veröffentlicht. Damit verfolgte sie das Ziel, gewisse Marktstandards zu etablieren - etwa für die Auswahl geeigneter Projekte, für die Mittelverwendung und Reportings - und damit das Wachstum grüner und sozialer Anleihen zu fördern. Die Emissionen der vergangenen Monate sind neben anderen spezifischen Verwendungen der Emissions erlöse auf das Gesundheitswesen, Finanzierungsmöglichkeiten für Kleinunternehmen, Beschäftigung und längerfristige grüne Infrastrukturprojekte ausgerichtet.

Orientierung an internationalen Emissionsstandards

Die zunehmende Emissionstätigkeit und der wachsende Markt im Bereich Social Bonds sind nicht nur aus gesellschaftlicher Sicht zu begrüßen. Auch Investoren profitieren davon, indem ihr verfügbares Anlageuniversum wächst. Der Wermutstropfen dabei: So interessant Social Bonds für Investoren sind, so schwierig sind sie trotz des wachsenden Marktes zu finden. Denn in der Regel sind die Anleihen nicht ohne Weiteres als Social Bonds zu erkennen.

Daher bedarf es einer umfassenden Marktkenntnis und Analyse sowie Zugang zu den entsprechenden Emittenten. Für Investoren, die nicht über die erforderlichen Ressourcen verfügen, können Investmentfonds mit Fokus auf Social Bonds eine Lösung sein. Das steigende Interesse der Investoren dürfte dazu führen, dass vermehrt entsprechende Anlagestrategien auf den Markt kommen werden.

Bei der Auswahl geeigneter Strategien sollten Investoren vor allem auf fünf Kriterien achten:

1. Mehrjährige Erfahrung des Anbieters im Management von Social-Bond-Portfolios;

2. Zusammenarbeit des Anbieters mit unabhängigen externen Experten wie etwa INCO - eine Gesellschaft mit Sitz in Paris, die in vier zentralen Bereichen aktiv ist, die allesamt zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen: Investments, Inkubation, Training und Veranstaltungen;

3. Ein breites Anlageuniversum einschließlich staatlicher, supranationaler und privatwirtschaftlicher Emittenten;

4. Akkreditierung durch unabhängige Prüfinstanzen wie zum Beispiel LuxFLAG eine Luxemburger Agentur, welche die Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung unterstützt, indem sie durch Auditierung und Vergabe eines ESG-Labels für förderfähige Investitionsvehikel Klarheit für Investoren schafft, und

5. Regelmäßige Berichte zum konkreten gesellschaftlichen Nutzen der Investitionen im Portfolio.

Investoren, die diese Kriterien im Auge behalten, können mit Social Bonds doppelt profitieren: zum einen durch die finanzielle Rendite, die sie erzielen, zum anderen durch den gesellschaftlichen Nutzen, den sie stiften.

Früher galt das Interesse der Investoren im Bereich ESG vorwiegend dem Klimawandel. Während dieser auch weiterhin eine große Rolle spielt, rückt er aktuell etwas in den Hintergrund. Denn aus allgemeiner öffentlicher Perspektive ebenso wie aus Investorensicht steht nun die akute Corona-Krise im Mittelpunkt. Columbia Threadneedle geht davon aus, dass dieser Trend hin zu einer verstärkten Emission sozialer Anleihen sich während und nach der Corona-Pandemie fortsetzt. Das ist begrüßenswert. Um die vielfältigen und umfangreichen Herausforderungen zu meistern, sind jedoch zusätzliche Emissionen notwendig. Gerade auch Regierungen sind aufgefordert, verstärkt entsprechende Papiere zu strukturieren und zu begeben, um endlich aus dem Schatten supranationaler Organisationen herauszutreten.

Simon Bond Director Responsible Investment Portfolio Management, Columbia Threadneedle Investments, London
Benjamin Kelly Senior Analyst Global Research, Columbia Threadneedle Investments, London
Simon Bond , Director Responsible Investment Portfoliomanagement, Columbia Threadneedle Investments, Frankfurt am Main
Benjamin Kelly , Senior Analyst Global Research, Columbia Threadneedle Investments, London

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