Corona als Trendverstärker für nachhaltige Investments

Alexander Schindler, Foto: Union Investment

Die intensive Nachhaltigkeitsdebatte der vergangenen Jahre sowie die zunehmende ESG-Regulatorik haben Spuren in den Portfolios institutioneller Investoren hinterlassen. Nur wenige Großinvestoren verzichten heute noch auf nachhaltige Anlagestrategien. Die Corona-Krise könnte diesen Trend noch verstärken, meint Alexander Schindler. Eine bremsende Wirkung der Krise auf dem Weg zum nachhaltigen Umbau der Krise befürchtet er nicht, zumal nachhaltige Assets in einer ersten Analyse in der Krise keinen Performance-Nachteil gegenüber nichtnachhaltigen Investment zeigten. Auch zieht Schindler aus der Krise den Schluss, dass es keine Alternative wäre, zugunsten der Umwelt auf Wachstum zu verzichten. Man sehe gerade, dass die Verwerfungen dadurch zu groß wären. Schindler fordert daher eine qualitative Veränderung des Wachstums. Er rechnet damit, dass das Thema Nachhaltigkeit bald wieder in den Vordergrund treten wird. (Red.)

Seit Jahren befragt Union Investment institutionelle Anleger in Deutschland nach ihrer Haltung zur nachhaltigen Kapitalanlage. Die aktuelle, im Frühjahr dieses Jahres durchgeführte Befragung überraschte mit einem Rekordwert. 80 Prozent der Studienteilnehmer gaben an, ESG-Kriterien bei der Kapitalanlage zu berücksichtigen. Noch vor fünf Jahren hatten sich lediglich 60 Prozent der deutschen Großanleger in diesem Sinne geäußert und im vergangenen Jahr lag der Anteil bei 72 Prozent. Diese Zahlen bestätigen, dass Nachhaltigkeit zu einer wichtigen Dimension in der Kapitalanlage geworden ist. Der Befragung zufolge geht die große Mehrheit der Investoren hierzulande davon aus, dass die Bedeutung nachhaltiger Anlagestrategien künftig weiter zunehmen wird.

Das war nicht immer so. Über eine lange Zeit hinweg war das Engagement der Investoren eher halbherzig. ESG-Strategien wurden oftmals nur pro forma und nicht systematisch genutzt. Vielen galt Nachhaltigkeit als ein mediengetriebenes Modethema mit erhöhtem Aufwand und Renditerisiken. Der letzte Punkt konnte inzwischen eindeutig entkräftet werden. Zahlreiche Studien belegen, dass der Einsatz nachhaltiger Strategien nicht mit Renditenachteilen verbunden ist. Und die Einordnung von Nachhaltigkeit als Modethema ist inzwischen einer Einschätzung gewichen, die den Einsatz von ESG-Kriterien als sinnvolle und notwendige Ergänzung des klassischen Risikomanagements betrachtet - und als zusätzliches Instrument, um innovative Wachstumsunternehmen zu identifizieren. Die Corona-Krise könnte der Verbreitung nachhaltiger Kapitalanlagen eine zusätzliche Dynamik verleihen, denn nicht selten haben sich Krisen in der Vergangenheit als Katalysator erwiesen. Sollte sich zeigen, dass das Risiko-Rendite-Profil nachhaltig gemanagter Portfolios in der Krise dem von traditionellen Portfolios überlegen war, könnte das noch mehr Investoren vom Nutzen nachhaltiger Investmentstrategien überzeugen.

Resilienz in der Corona-Krise

Schon in früheren Abschwungphasen konnte exemplarisch gezeigt werden, dass sich Aktien nachhaltig agierender Unternehmen besser entwickelten als der breite Markt. Nun aber stellt sich die Frage, ob ESG-Ansätze auch in der Corona-Krise resilienter waren. Im Wissen darum, dass es noch zu früh ist, die Robustheit der Strategien abschließend zu beurteilen, haben sich im Mai Spezialisten von Union Investment dieser Frage angenommen. Als Anlageuniversum wurde der MSCI World gewählt. Mit seiner internationalen Ausrichtung und einer breiten Sektorenzusammensetzung eignet er sich als verlässlicher Indikator für den globalen Aktienmarkt. In einem nächsten Schritt erfolgte die Sortierung aller Unternehmen nach ihrem ESG- Score. Im Rahmen einer stark vereinfachten Investmentstrategie wurden die besten 20 Prozent der Aktien gekauft (Long-Position) und die am schlechtesten bewerteten 20 Prozent der Titel gleichzeitig verkauft (Short-Position). Der gewählte Long/Short-Ansatz mag auf den ersten Blick nicht der einfachste sein. Er lieferte aber eine robuste Antwort auf die Fragen nach der Performance von ESG-Strategien und der Selektionskraft von ESG-Scores in der Corona-Krise. Im Gegensatz zu einem weniger komplexen Vergleich zweier Aktienindizes oder Portfolios ließen sich so Nebeneffekte reduzieren, die nicht zwingend ein Indiz für die Wirkung eines Nachhaltigkeitsansatzes sind.

Die Ergebnisse in Kürze: Während die mit einem schwächeren ESG-Score bewerteten Unternehmen in der Seitwärtsbewegung der Märkte zu Jahresbeginn noch gleichauf mit den Top-ESG-Titeln lagen, verloren sie im Abschwung ab Ende Februar. Zeitweise betrug der Vorsprung der Nachhaltigkeitsperformer über fünf Prozentpunkte. Obwohl auch Aktien mit guter ESG-Bewertung in der Krise Federn lassen mussten, ließen sich hier die Kursverluste in der aktuellen Krise zumindest abfedern.

Nachhaltiger Umbau der Wirtschaft

Das kombinierte Long-/Short-Portfolio profitierte zudem gleich doppelt. Zum einen, weil die Toptitel weniger verloren als ihre Pendants mit schwächerer ESG-Bewertung. Zum anderen, weil die fallenden Kurse der Nachhaltigkeitsverlierer auf der Short-Seite zur Performance beitrugen. Die Analyse zeigt, dass mithilfe einer ESG-Strategie selbst in der ersten, besonders schweren Phase der Corona-Krise bessere Ergebnisse zu erzielen waren. Weitere aktuelle Untersuchungen, etwa des Analysehauses Scope oder von Refinitiv Eikon, scheinen die höhere Widerstandsfähigkeit von Unternehmen mit ESG-Ausrichtung ebenfalls zu bestätigen.

Auch in anderer Hinsicht wird die Corona-Krise die Verbreitung der nachhaltigen Kapitalanlage wohl vorantreiben. Denn in dramatischer Weise hat das Virus der Welt die Verletzlichkeit von Wirtschaft und Gesellschaft vor Augen geführt. Außerdem haben die massiven wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns gezeigt, dass ein Zurückfahren der Wirtschaft zwar ökologisch temporär Vorteile bringen mag, aber aufgrund der damit einhergehenden sozialen Verwerfungen keine Alternative ist. Die Welt ist auf Wachstum angewiesen, es braucht aber eine qualitative Veränderung von Wachstum. Der bereits angestoßene nachhaltige Umbau der Wirtschaft bekommt vor diesem Hintergrund eine zusätzliche Dringlichkeit. Im Gegensatz zu früheren Krisenphasen ist zudem den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft diesmal bewusst, dass eine nachhaltige Transformation nicht auf die lange Bank geschoben werden kann. Das zeigt sich auch daran, dass die in Europa und auf nationaler Ebene beschlossenen oder angedachten Maßnahmen der Corona-Konjunkturprogramme explizit mit dem Aufbau einer nachhaltigeren Wirtschaft verknüpft worden sind.

Kein nachhaltiger Umbau ohne privates Kapital

Der Finanzwirtschaft und damit auch den Investoren kommt bei der Transformation eine besondere Rolle zu. Ohne die Bereitstellung privaten Kapitals und der damit verbundenen Umlenkung von Finanzströmen kann ein nachhaltiger Umbau nicht gelingen. Vor diesem Hintergrund werden institutionelle Investoren künftig stärker in die Pflicht genommen. Natürlich können sie nicht zu bestimmten Investitionen gezwungen werden. Allerdings steigt der Druck, über veränderte Transparenzpflichten vermehrt Auskunft über die ESG-Relevanz ihrer Investments zu geben.

Die sich verändernden regulatorischen Bedingungen sind daher für Investoren der wichtigste Faktor, sich künftig mehr mit Fragen der nachhaltigen Kapitalanlage zu befassen. In der eingangs angesprochenen Studie äußerten sich 70 Prozent der Befragten entsprechend. Das ist nicht verwunderlich, zumal auch auf der Privatkundenseite neue Nachhaltigkeitsanforderungen gestellt werden. So sollen Bankberater zukünftig verpflichtet werden, ihre Kunden nach deren Nachhaltigkeitspräferenzen zu fragen.

Neue Situation durch Transformation

Auch die potenziellen Auswirkungen des nachhaltigen Umbaus auf die eigenen Portfolios werden von den Investoren als handlungsleitend angesehen. Sie sind sich einig, dass die Transformation die Karten an den Kapitalmärkten neu mischen und sowohl Anlagechancen als auch Anlagerisiken mit sich bringen wird. Dies gilt besonders mit Blick auf die Maßnahmen zur Reduktion der Erderwärmung. 92 Prozent der Investoren sind überzeugt, dass die damit verbundenen Risiken noch nicht angemessen bepreist sind.

Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis gelangte Ende vergangenen Jahres auch die globale Investoreninitiative PRI (Principles for Responsible Investment) in einer Studie über die Auswirkungen der Klimapolitik auf die Kapitalanlage. Die Untersuchung ermittelte, dass die im MSCI ACWI Index enthaltenen Unternehmen bis 2025 insgesamt Bewertungsabschläge von 3,1 bis 4,5 Prozent hinnehmen müssen. Das entspricht einem Volumen von 1,6 bis 2,3 Billionen US-Dollar. Ähnliches, so die Studienautoren damals, gelte für bis zu einem Drittel der im FTSE 100 enthaltenen Titel.

Corona-Krise als Beschleuniger des Umbaus

Die Corona-Krise wird sich nicht als "Game Changer", voraussichtlich jedoch als Beschleuniger des nachhaltigen Umbaus der Wirtschaft erweisen. Zwar sind die CO2-Emissionen durch die Pandemie kurzfristig stark gesunken. Gleichzeitig ist das öffentliche Interesse am Klimawandel geringer geworden, denn die Pandemiebekämpfung zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Diese Entwicklung ist allerdings nur temporärer Natur.

Der Klimawandel wird schon bald wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken, und der Strukturbruch durch die Corona-Krise wird genutzt werden, um nicht nachhaltige Wirtschaftsmodelle und Gewohnheiten umzustellen. Als Investor darauf zu spekulieren, dass die angestoßenen Maßnahmen zur Transformation durch die Pandemie an Relevanz verlieren, ist leichtsinnig. Die Corona-Krise wird den Wandel nicht aufhalten.

Alexander Schindler Mitglied des Vorstands, Union Investment, Frankfurt am Main
 
Alexander Schindler , Mitglied des Vorstands , Union Investment
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