Daten - das Öl der Fondsindustrie?

Christophe Hefti, Foto: Clearstream Fund Centre

Vor rund 20 Jahren hat die Fondsindustrie einen Wendepunkt erlebt. Investoren haben sich damals laut dem Autor emanzipiert und die Nachfrage nach Drittfonds nahm stetig zu. Ungefähr 2010 habe die Stimmung jedoch erneut umgeschlagen, da die Investoren von der Vielzahl der Fonds überfordert wurden. Investoren erhielten bei der Auswahl der Fonds und der Überwachung von Portfolios zunehmend Unterstützung von Distributoren. Diese wiederum versuchten, diese Aufgabe mit einer Unmenge an Daten zu lösen. Das Geschäft sei dadurch zunehmend komplexer und risikobehafteter geworden. Spezialisierte Fondsplattformen erreichten ein zunehmendes Investmentvolumen, da sie laut Hefti einen effizienteren Weg boten. Die zunehmende Regulierung hat die erforderliche Menge an Daten weiter deutlich ansteigen lassen. Gleichzeitig seien die Erträge der Branche durch zunehmende Transparenz gesunken. Fondsvertriebsplattformen würden die Zusammenarbeit von Anbietern und Distributoren optimieren. (Red.)

Die Investmentfondsindustrie ist einer der am schnellsten wachsenden Bereiche in der Finanzbranche. Während der Corona-Krise investierten mehr Privatanleger in Investmentfonds, insbesondere in ETFs, als in andere Investmentvehikel. Auch vor der Covid-Zeit erfreuten sich ETFs, aktive Publikumsfonds und spezielle Vorsorgefonds bereits längerfristig stetig steigender Beliebtheit. Die steigende Nachfrage, der sich stetig wandelnde Markt und insbesondere auch die Zunahme der Regulierungsdichte bringen natürlich auch wachsende und sich wandeln de Bedürfnisse aufseiten der Anleger mit sich, an die sich die Branche immer wieder anpassen muss.

Erste Phase: offene Investmentfonds für alle

Vor rund 20 Jahren sah sich die Fondsindustrie einem Wendepunkt gegenüber: Investoren emanzipierten sich und wollten nicht mehr nur in die eigenen Fonds investieren, die ihnen die Asset-Management-Abteilungen der Banken anboten. Fehlende Transparenz, bedingte Flexibilität und Entscheidungsfreiheit sowie ein nicht immer optimales Preis-Leistungs-Verhältnis entsprachen nicht mehr den Bedürfnissen der Anleger. Durch das Internet und die Allgegenwärtigkeit der Medien wurden Informationen einfacher zugänglich und damit auch Fonds einfacher zu vergleichen. Anleger wollten vermehrt selbst entscheiden, wie sie ihr Geld investieren und insbesondere eine größere Auswahl und Flexibilität haben.

Jede Bank und jeder Finanzintermediär, der seinem Kunden einen Mehrwert für dessen Investitionen bieten wollte, öffnete sein Produkteuniversum für Drittfonds. In bestimmten Fällen eher passiv auf Anfrage der Kunden, in vielen Fällen wiederum sehr aktiv durch die Gleichstellung von Eigenprodukten gegenüber Drittprodukten. Weiter begannen die Finanzintermediäre, auch unstrukturierte und passive Fonds von verschiedenen Fondsmanagern in ihr Portfolio aufzunehmen. In der Blütezeit dieser Phase boten viele Banken ihren Kunden eine immense Vielzahl unterschiedlicher Fonds an, die direkt auf jeden einzelnen Kundenwunsch maßgeschneidert waren.

Allein im drittgrößten Drittfondsmarkt Europas, der Schweiz, bekannten sich 2005 über 85 Prozent der Banken und Versicherungen zur offenen Fondsarchitektur. Und davon wiederum waren rund 75 Prozent von einer selektiven Architektur im Sinne des "Preferred Provider"-Ansatzes überzeugt. Ähnlich sah es im restlichen europäischen Markt aus. Im Jahr 2015 repräsentierte der europäische Anteil an Drittfonds rund 2 200 Milliarden Euro Volumen, was etwa die Hälfte des gesamten Fondsmarktes ausmachte. Dabei lag Deutschland mit rund 22 Prozent Drittfonds am Gesamtmarkt hinter anderen Ländern wie Großbritannien (35 Prozent) und der Schweiz (31 Prozent). Das prognostizierte Wachstum zeigte zu dieser Zeit aber klar in Richtung Drittfonds.

Aber am Ende dieser Phase hatten die Investoren die Qual der Wahl zwischen Tausenden Investmentfonds, was auch aufseiten der Banken einen nicht mehr zu bewältigenden Administrationsaufwand mit sich brachte.

Zweite Phase: Qualität statt Quantität

Um 2010 schlug die Stimmung um. Die Vielzahl der Fonds überforderten Investoren; gute Qualität, Rendite sowie hohe Liquidität waren längst nicht selbstverständlich. Aufwendungen in Bezug auf Research, Administration und Auswahl der geeigneten Instrumente nahmen den Großteil der internen Kapazitäten der Banken und der Asset Manager in Anspruch.

Investoren erwarteten mehr Unterstützung und Anleitung bei der Auswahl der Fonds und der Überwachung ihrer Portfolios hinsichtlich Faktoren wie Risiko und Performance. Fondsdistributoren, an die diese Aufgaben zunehmend ausgelagert wurden, versuchten mithilfe von Unmengen an Daten diesen Anforderungen Herr zu werden. Die Beziehungen zwischen Investmentgesellschaften und Vertriebsorganisationen wurden durch das Drittfondsgeschäft zunehmend komplexer und bisweilen auch risikobehafteter. Finanzintermediäre versuchten, entweder die Zahl der direkten Partnerbeziehungen durch Etablierung neuer Kriterien zu reduzieren oder eng mit Partnern und Plattformen zusammen zuarbeiten, welche damit verbundene Aufgaben und Risiken übernehmen konnten.

Neben den Investoren und Distributoren veränderten sich aber auch die Herausforderungen für die Fondsproduzenten. Die Zunahme der Produkte und Geschäftsbeziehungen stellte Asset Manager vor allem hinsichtlich Reputationsfragen und Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien (Compliance) hohe Hürden, die aber jederzeit beherrschbar bleiben mussten.

Es stellte sich zunehmend die Frage, ob ein eigenes Vertriebsnetz mit zahlreichen direkten Vertriebsverträgen inklusive laufender Überprüfung und Unterhalt noch der Königsweg zum Erfolg war. Die wachsenden Investmentvolumen, die über spezialisierte Fondsplattformen bewegt werden, haben diese Frage mehrheitlich beantwortet und zeigten den Zugang über Plattformen als den einfacheren, effizienteren und mit weniger Risiko behafteten Weg.

Polarisierung und Positionierung

Es kann festgehalten werden, dass die offene Fondsarchitektur in dieser Phase die Wertschöpfungsketten sowohl der Vertriebsträger als auch der Produzenten nachhaltig belebt hat. Die klassische mehrstufige und funktionale Unterteilung wich einer Polarisierung in Produktion und Vertrieb eigener Fonds und solche von Drittanbietern.

Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter mussten und müssen noch immer die strategisch elementare Entscheidung treffen, wie sie sich zwischen diesen Polen am besten positionieren wollen. Damit einher geht die Frage, welche Funktionen weiter zum Kerngeschäft zählen und welche Aufgaben eingekauft beziehungsweise durch Spezialisten betrieben werden. Eine Reihe von Risiko-, Compliance- und Kostenaspekten begleitet diesen Entscheid. Ist es angesichts dessen möglich, sich des administrativen Aufwands und operationellen Risikos zu entledigen, um mehr Zeit für das eigentliche Kerngeschäft zu haben - dies notabene ohne die Qualität des Angebots zu schmälern? Und inwiefern muss sich dazu gegebenenfalls das Geschäftsmodell ändern?

Druck steigt von allen Seiten

Heute ist der Fondsvertrieb wieder an einem Scheideweg. Die strengeren regulatorischen Anforderungen haben das Umfeld für Anlagefonds tiefgreifend verändert und ein Umdenken notwendig gemacht. Um bewusst gezielte Investitionsentscheidungen treffen zu können, sind objektive Informationen und Daten unabdingbar. Zeitgleich treiben die weiterwachsenden regulatorischen Anforderungen die Menge an benötigten Datensätzen in die Höhe. Eine Analyse bei Datenanbietern ergab, dass die für MiFID relevanten Daten im Durchschnitt zu einer Verfünffachung der generell notwendigen Daten geführt hatte.

Es stellt sich die Frage, wie man diese schiere Menge an Daten von unterschiedlicher Art und Qualität effizient und geordnet sammeln und aufbereiten kann, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Neue Compliance-Regeln, um die Investoren weiter zu schützen, wie zum Beispiel Eignungs- und Qualifikationsprüfungen (Eligibility-/Suitability-Check) eines Fonds für ein spezielles Anlegerprofil, verursachen höhere Komplexität und erfordern zunehmende Daten und Dokumentationskapazitäten.

Auf der anderen Seite sieht sich die Branche steigender Transparenz und dadurch abnehmenden Erträgen gegenüber. Dabei gilt es Wege zu finden, um mit zusätzlichen Dienstleistungen weitere Ertragsquellen zu erschließen. Neue Vorschriften bedeuten immer auch Chancen: Wichtig ist, diese frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig umzusetzen. Solche Lösungen sind in Verbindung mit speziellen Dienstleistern vorhanden, die ihrerseits ihre Kernkompetenz und Tools zur Verfügung stellen, um die Finanzintermediäre so zu unterstützen, dass sie sich voll und ganz auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können - ohne dabei Abstriche bei der Produktqualität machen zu müssen.

Standardisierung - ein erster Schritt

Die Wettbewerbsfähigkeit von Finanzintermediären wird künftig nicht nur anhand des angebotenen Produktspektrums und der Performance gemessen, sondern zunehmend auch daran, wie effizient Datenerhebung, -aufbereitung und -bereitstellung neben dem Tagesgeschäft bewältigt werden.

Und hier wird wieder klar: Die effiziente Nutzung von Daten ist einer der Knackpunkte der heutigen Finanzindustrie. Um auf das Beispiel Regulierung zurückzukommen: Vor MiFID hatte Clearstream Fund Centre ungefähr 220 Datenpunkte für einen einzelnen Fonds. Nach MiFID änderte sich die Sachlage drastisch: Pro Fonds waren weitere 500 bis 600 Datenpunkte nötig, um regulierungskonform zu bleiben. Heute verwaltet, über wacht und aktualisiert Clearstream Fund Centre circa 950 Datenpunkte pro Fonds - insgesamt also etwa 60 Millionen für alle 70 000 Fonds, die in Fund Centre verfügbar sind.

Dies kann quantitativ und qualitativ nur bewerkstelligt werden, sofern die Datenfelder eine klare Identifikation haben und nur bestimmte Werte in den Datenfelder möglich sind. Damit können maschinen- und KI-nahe Tools die Datenmengen verarbeiten, prüfen und weiterverarbeiten. Standardisierung der Daten ist hier das Schlüsselwort. Ein solcher Standard etabliert sich seit einiger Zeit in der Fondsindustrie. "Openfunds"-Standard ist eine Bewegung, die von vielen Vertriebseinheiten, wie Banken und Versicherungen, und Asset Manager getragen wird. Openfunds ist eine Non-Profit-Organisation, die die klare Standardisierung von wichtigen Datenfeldern und deren Inhalte zum Ziel hat. Damit können die Unmengen an Daten besser, qualitativ umfassender und effizienter verarbeitet werden.

Der offene Zugang ermöglicht die einfache Anpassung und die effiziente Integ rierung der Daten in die eigenen Systeme und Tools. Durch den Opensource-Charakter, wie bei Opensource-Software, kann der Standard kontinuierlich durch alle Mitglieder verbessert und zum Nutzen aller angereichert werden.

Dritte Phase: Daten ja, aber bitte smart

Lösungen, die auf neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI) und Algorithmen basieren, sollen Vertriebsgesellschaften, Banken und Finanzintermediären wie auch Investoren die Möglichkeit geben, immer und überall auf die Daten zuzugreifen und sie sinnvoll zu nutzen. Das bietet neue Möglichkeiten für alle Beteiligten: Distributoren, Asset Manager und Investoren.

Gerade im Bereich der Kundenberatung, am sogenannten Point of Sale, kann der Kundenberater dem Investor mit der digitalen Verknüpfung von Kundenprofilen und Fondsdaten sowie smarten Algorithmen innerhalb von Sekunden geeignete Produkte zur Verfügung stellen. Sogenannte Eligibility-/Suitability-Tools vermindern unter den lokalen Regulierungsvorschriften des Marktes maßgeblich eine Falschberatung des Beraters und vermindern so das Risiko der Bank.

Durch die smarte Verwendung von verschiedenen Marktdaten, Trendanalysen, Daten zu Produktlancierungen und Vertriebsverhalten ergeben sich für Finanzintermediäre spannende Einsichten, sogenannte "Market Insights", wie ihr eigenes Produktportfolio im Gegensatz zu den Mitbewerbern strukturiert ist. Es ergeben sich Einsichten, wo allenfalls Lücken bestehen, die unter Umständen durch neue innovative Fondsprodukte ergänzt werden sollten. Solche smarte Analysen können die Kosten für falsche Produktlancierungen oder Marktanalysen maßgeblich vermindern. Ebenfalls helfen sie, die Vertriebseinheiten gezielter und nachhaltiger zu steuern.

Technologien sind kein Allheilmittel, sondern bringen auch neue Kosten, Prozesse und Risiken mit sich. Deshalb bedarf es Lösungen, die unkompliziert zu implementieren sind und nachhaltig Mehrwert schaffen. Insourcing beziehungsweise Integrierung von externer Fachkompetenz in die eigene Umgebung ist hier besonders wichtig.

Ein Beispiel sind Fondsvertriebsplattformen. Diese sind Bindeglied zwischen Fondsdistributoren und Fondsanbietern und bieten eine zentrale Anlaufstelle für beide Seiten. Sie sind zwar ein weiteres Glied in der Vertriebskette, verringern aber die Komplexität auf allen Seiten erheblich und helfen so, Kosten und Risiken zu vermindern. Um alle relevanten Fondsdistributoren zu erreichen, müssen Fondsanbieter somit nur mit der Plattform kommunizieren und nicht mit 500 Distributoren einzeln. Neben der Zentralisierung ist ein weiterer Vorteil die Standardisierung: Datensätze, Verträge, Kommunikation und regulatorische Anforderungen werden an einem Ort erfasst, strukturiert und einheitlich ins System eingegeben und können somit einfach und effizient beiden Seiten - Asset Manager und Vertriebseinheiten - zur Verfügung gestellt werden.

Auch in der Etablierung und Weiterentwicklung von digitalen Tools spielen die Plattformen eine erhebliche Rolle, können sie doch die Bedürfnisse der verschiedenen Distributoren, Asset Manager zentral und effizient einfließen lassen. Über neue Technologien können die Plattformen kontinuierliche Anpassungen an die Erfordernisse des Marktes ermöglichen, ohne dass die Intermediäre dies selbst durchführen müssen.

Sogenannte Daten-Hubs, wie der "Fund-Compass" bei Clearstream Fund Centre, vereinen das Zusammenfügen und die Validierung von verschiedenen Datenquellen. Dabei können Analysen gezielt über ausgeklügelte Such- und Filterkriterien erstellt werden. Aber wie werden aggregierten Daten noch smarter? Seit einigen Jahren sind Buzz-Wörter wie Blockchain, Distributed Ledger Technology, Künstliche Intelligenz oder Big Data nicht mehr aus der Finanzwelt wegzudenken. Aber wie viel davon bleibt ein Hype und welche Lösungen können hier realistische, anwendbare Lösungen liefern?

DLT - die Toolbox für jedermann?

Eine Technologie, die vor allem in der Finanzindustrie hohe Erwartungen als "Game Changer" generiert, ist die Distributed Ledger Technology (DLT), worunter auch die Blockchain-Technologie fällt. Auf der einen Seite ist die Rede davon, dass sie im Stande ist, sämtliche Geschäftsbereiche von Banken grundlegend zu verändern. Betont wird insbesondere der durch die Dezentralisierung der Datenverarbeitung für den Finanzsektor disruptive Charakter der Technologie. Auf der anderen Seite sind es gerade die Unternehmungen der Finanzindustrie, die sich intensiver als alle anderen mit dieser Technologie auseinandersetzen und große Erwartungen an ihren praktischen Einsatz haben. Erwartungen sind, dass die Transaktionsprozesse effizienter gestaltet, Zwischenschritte minimiert und Identifizierungsprobleme behoben werden können.

Blockchain-basierte Lösungen haben klare Vorteile, die teils ganze Systemketten optimieren können und teils ganz neue Ansätze bieten. Ein dezentrales Orderbuch schafft zum Beispiel Transparenz bis in die gesamte Lieferkette und ist sehr schwer zu manipulieren oder zu ändern.

Für Fondstransaktionen mit vielen Intermediären und Knotenpunkten ein Traum. Sämtliche Transaktionen und Daten können jederzeit und von jedem selbst überwacht und an einem Platz gesammelt werden und der Besitzer hat somit die totale Kontrolle. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass das aber noch weit entfernt von der Realität ist. 950 Datenpunkte pro Fonds müssen auch auf der Blockchain verwaltet werden. Außerdem hat sich gezeigt, dass öffentliche Blockchains für Transfers von vertraulichen Daten und Gütern nicht den Anforderungen der Regulatoren sowie der Anleger genügen. Hier sehen Experten weiterhin neutrale Stellen, die Vertrauen schaffen in der Pflicht.

Schließlich wird die Fondsbranche unter den gegebenen Umständen neue Geschäftsmodelle entwickeln müssen, die mithilfe moderner Fondsplattformen umgesetzt werden können. Diese Plattformen sind nicht nur eine wichtige Ressource, sondern auch vertrauenswürdige Partner, die Investoren bei den heutigen Herausforderungen zuverlässig zur Seite stehen und mit neuen Ideen aktiv eine erfolgreiche Zukunft der Fondswelt mitgestalten.

Christophe Hefti Head of Sales Investment Fund Services Central & East Europe, Clearstream, Zürich
 
Christophe Hefti , Head of Sales Investment Fund Services Central & East Europe, Clearstream, Zürich
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