Deutschland nach dem Schock: Es geht wieder aufwärts

Dr. Holger Schmieding, Foto: Berenberg

Das Leben muss weitergehen. Die Frage ist, nach dem weitgehenden Ende der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen und dem wirtschaftlichen Schock, der damit verbunden war, wie? Der Autor des vorliegenden Beitrags meint, dass sich dies zunächst in der zweiten Jahreshälfte 2020 und anschließend über die nächsten fünf Jahre entscheiden wird. Da benötige es einerseits nicht nur kurzfristige Konjunkturmaßnahmen, sondern eine Strategie, wie die Wirtschaftsleistung langfristig gestärkt werden und auf ein Vorkrisenniveau gebracht werden kann. Andererseits bedürfe es an Wachsamkeit, da lokale Krisenherde weiterhin ein Problem darstellen und sehr genau darauf geachtet werden müsse, nicht die Kontrolle zu verlieren und in einen zweiten Lockdown zu rutschen. Deutschland stehe momentan vergleichsweise gut da. Sollte die Regierung weiterhin besonnen handeln und ihre bisherige starke Führungsstrategie fortsetzen, könne dies auch so bleiben, meint der Autor. (Red.)

Mit Glück und Verstand kommt Deutschland bisher besser durch die Zeit des Virus als nahezu jedes andere große Land der westlichen Welt. Zwar ist bei uns der wirtschaftliche Schaden ausgeprägter als in den USA. Dafür liegt die Zahl der Corona-Todesfälle in den USA mit 366 pro 1 Million Einwohner weit über dem deutschen Wert von 107 (Stand Mitte Juni).

Mit einem Defizit im Staatshaushalt von knapp 20 Prozent der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr erkaufen sich die USA den milderen Konjunkturverlauf mit einem neuen Schuldenberg, der weit über das hinausgeht, was wir in Europa zu erwarten haben. Im Vergleich zu anderen großen europäischen Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien schneidet Deutschland bei nahezu allen Kriterien in diesem Jahr gut ab. Zunächst hatte Deutschland viel Glück in der Pandemie. Erstens waren wir durch die dramatischen Szenen aus Norditalien, wo das Virus in Europa als erstes massiv zugeschlagen hat, gewarnt. Zweitens waren viele der ersten Virusträger in Deutschland offenbar relativ junge und gesunde Heimkehrer aus dem Skiurlaub, bei denen die Infektion zumeist harmlos verlief. Auch das gab uns Zeit, die Risikogruppen besser zu schützen, als das vielen anderen Ländern gelungen ist. Angesichts eines weniger dramatischen Verlaufs der Pandemie konnten wir deshalb die Läden wieder früher öffnen als viele andere Länder.

Wichtige Rolle der Politik

Aber auch die Politik hat entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland die Krise relativ gut meistert. Erstens hat die deutsche Politik die Gefahr relativ früh erkannt und entsprechend reagiert. In den USA und Großbritannien haben die obersten Entscheidungsträger dagegen zumindest zunächst eher ihrem politischen Bauchgefühl als den Erfahrungen anderer Länder oder nüchternen Ratschlägen der internationalen Wissenschaft vertraut. Entsprechend nimmt die Pandemie dort einen wesentlich schwereren Verlauf als bei uns.

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Zweitens kann Deutschland dank der Haushaltsüberschüsse der vergangenen Jahre fiskalisch aus dem Vollen schöpfen. Bereits Ende März und Anfang April hat Deutschland neben umfangreichen Kreditgarantien einen direkten Fiskalstimulus von etwa 7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung angekündigt, der weitgehend innerhalb von etwa zwei Jahren wirksam werden dürfte. Frankreich mit knapp 5 Prozent sowie Italien mit gut 4 Prozent liegen weit zurück.

Drittens ist unser öffentlicher Dienst trotz vielfacher Unzulänglichkeiten besser darauf eingestellt, Hilfszahlungen und -kredite an die Arbeitnehmer, Unternehmen und Haushalte zu verteilen als in vielen anderen Ländern. So musste bei uns das Kurzarbeitergeld nicht erst erfunden werden. Wie man es handhabt und auszahlt, haben wir zuletzt in der Finanzkrise 2008/2009 geübt. Auch wenn die Größenordnung dieser Hilfen jetzt eine ganz andere ist als damals, so haben wir doch eine gewisse Routine. In Italien ist dagegen nur ein Teil der angekündigten Soforthilfen tatsächlich angekommen.

Seit Ende April mehren sich die Anzeichen, dass die Konjunktur nach einem beispiellosen Einbruch in den Monaten März und April mittlerweile die Talsohle durchschritten hat. Normalerweise folgen die Anzeichen für einen bevorstehenden Aufschwung in etwa einem bestimmten Muster. Ein geldpolitischer Stimulus setzt ein Signal gegen die Rezession und schafft Raum für mehr Ausgaben der Haushalte, Unternehmen und Staaten.

Unterstützt durch mehr Liquidität und in der Hoffnung auf eine Wende zum Besseren drehen die Finanzmärkte nach oben. Kurz darauf hellt sich auch die Stimmung der Analysten und danach auch der Unternehmen und Haushalte wieder auf. Dies zeigt sich dann in weniger zurückhaltenden Ausgaben für Konsum und Investitionen und somit in einer besseren Konjunktur.

Musterhafte Entwicklung

Nach dem Schock der Pandemie und der harten Maßnahmen, um das Virus einzudämmen, können wir dieses Muster derzeit im Zeitraffer beobachten. Die Geldmenge legt in der Eurozone seit Anfang März kräftig zu, die Aktienkurse haben sich kräftig erholt, der deutsche ZEW-Erwartungsindex weist mit einem Anstieg von - 49,5 im März auf + 63,4 im Juni steil nach oben.

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Selbst die Ifo-Geschäftserwartungen hatten sich bereits im Mai wieder etwas erholt auf 80,1 nach 69,4 im April.

Das zweite Quartal wird vor allem durch den absoluten Tiefpunkt im April geprägt, an dem die Wirtschaftsleistung in Deutschland vermutlich um etwa 25 Prozent unter normal gelegen hat. Die schwachen Zahlen im April für die Industrieproduktion (- 25 Prozent gegenüber Vorjahr), Ausfuhr (- 32 Prozent) sprechen dafür, auch wenn der Einzelhandel (- 6 Prozent) sich relativ gut gehalten hat.

Dem schwachen zweiten Quartal dürfte aber ein kräftiger Anstieg im dritten Quartal folgen, in dem Deutschland wohl etwa zwei Drittel des vorherigen Einbruchs ausgleichen kann. Dafür spricht auch ein Basiseffekt. Denn dank des bereits im Mai und Juni einsetzenden Aufschwungs beginnt das dritte Quartal also deutlicher höher als der Durchschnitt des Vierteljahres davor.

Wachsamkeit ist geboten

Für das Gesamtjahr 2020 erwartet Berenberg einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um etwa 7 Prozent, gefolgt von einem Anstieg um knapp 6 Prozent im Jahr danach. Im Sommer 2022 dürfte Deutschland dann wieder das BIP von Ende 2019, also der Zeit vor der Pandemie, erreicht haben. Alles in allem kann von einem in etwa hakenförmigen Verlauf der Konjunktur ausgegangen werden.

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Allerdings müssen einige Risiken im Auge behalten werden. Die Pandemie ist zwar in Europa unter Kontrolle, vorbei ist sie jedoch längst nicht. In weiten Teilen Lateinamerikas und manchen anderen Schwellenländern breitet sich das Virus rasch aus. Der Anteil dieser Länder an der Weltwirtschaft ist eher bescheiden. Aber auch in den USA ist die Lage mitunter unklar und stellenweise besorgniserregend. Während im Großraum New York die Pandemie ebenso abklingt wie in Europa, steigen die Fallzahlen in einigen anderen Staaten wie Kalifornien, Florida, Texas und Arizona. Für absehbare Zeit werden wir mit dem Virus leben müssen.

Die Vorhersagen von Berenberg stützen sich somit auf eine zentrale Annahme. Auch die USA werden sich nicht gezwungen sehen, noch einmal in großen Teilen des Landes derart harte Lockdowns einzuführen, weil dies der Konjunktur nochmals einen harten Schlag versetzen würde. Stattdessen werden sich regionale Krisenherde regional eindämmen lassen. Zu dem Aufschwung in Deutschland, Europa und den USA tragen die Geld- und Fiskalpolitik wesentlich bei. Ein derartiger Schock, wie die Pandemie ihn gerade verursacht hat, prägt das Verhalten für längere Zeit. Es regiert die Vorsicht. Private Verbraucher werden sich mit ihren Käufen stärker zurückhalten als vorher, Unternehmen werden weniger investieren, als es sonst der Fall gewesen wäre. Damit die Konjunktur trotzdem kräftig in Gang kommt und aus dem kurzzeitigen Hochschnellen der Kurzarbeit nicht eine dauerhafte Arbeitslosigkeit vieler Menschen wird, muss der Staat für einige Jahre die Lücke schließen.

Chancen in der zweiten Jahreshälfte

Zunächst einmal leistet die Geldpolitik einen unverzichtbaren Beitrag, um die Rezession zu beenden und den Aufschwung zu stützen. In einer Krise steigt die Nachfrage der Haushalte, Unternehmen und Banken nach Vorsichtskasse sprunghaft an. Mit liquiden Reserven ist man für den Notfall gerüstet. Diese Liquidität stellt die Zentralbank zur Verfügung, indem sie durch den Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen ihre Bilanz ausweitet. Die Gefahr, dass die Zentralbank damit einen inflationären Konsumrausch auslösen könnte, ist angesichts der grassierenden Vorsicht der Verbraucher nahe null.

Bei steigender Arbeitslosigkeit zeichnet sich auch kein kostentreibender Lohndruck ab. Zumindest für die kommenden zwei bis drei Jahre dürfte die Inflation deutlich unter dem Zielwert der Europäischen Zentralbank von "unter, aber nahe bei 2 Prozent" bleiben. Zudem sorgt die Europäische Zentralbank dafür, dass auch in besonders unsicheren Zeiten die Risikoaufschläge und Finanzierungskosten nicht übermäßig ansteigen. Sie grenzt damit das Risiko ein, das die Angst vor einer Pleitewelle mit massiven Kreditausfällen eine Finanzkrise wie 2008/2009 heraufbeschwören könnte, die wiederum die Rezession vertiefen und verlängern würde.

Darüber hinaus ist der Koalition in Berlin mit dem Konjunkturpaket von 130 Milliarden Euro fast ein großer Entwurf gelungen. Natürlich kann nicht jede Einzelheit überzeugen. Aber die Grundlinie stimmt. Das Bündel von Maßnahmen wird kurzfristig die Nachfrage stärken. Die Vorzieheffekte der zeitweise abgesenkten Mehrwertsteuer geben dem privaten Verbrauch den nötigen Impuls zur genau richtigen Zeit, also im zweiten Halbjahr 2020.

Zudem kann das Paket dazu beitragen, unser Land fit für die Zukunft zu halten. Die zusätzlichen Investitionen in die Digitalisierung, den ökologischen Umbau und die öffentliche Infrastruktur gehen in die richtige Richtung. Die Krise hat wieder einmal offenbart, dass wir gerade in der digitalen Infrastruktur und der digitalen Modernisierung unserer öffentlichen Verwaltung noch erheblichen Nachholbedarf haben.

Besonders wichtig ist ein Punkt, der in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle spielt. Die Koalition hat sich mit der Sozialgarantie 2021 dazu verpflichtet, die derzeit unvermeidlichen Löcher in den Sozialkassen aus dem Bundeshaushalt so zu stopfen, dass die Sozialversicherungsbeiträge auch 2021 nicht über 40 Prozent steigen. Diese Garantie hat nur einen Schönheitsfehler: Um Unternehmen Planungssicherheit zu geben, sollte sie auch über 2021 hinaus gelten. Das lässt sich hoffentlich nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 nachholen.

Lehren aus der Vergangenheit

Ein Blick in unsere Geschichte zeigt, warum dies so wichtig ist. In den 1990er Jahren hatte Deutschland die Kosten der Wiedervereinigung teilweise den Arbeitnehmern und Arbeitgebern über höhere Sozialbeiträge aufgebürdet. Nach einer kurzen Scheinblüte trieben überhöhte Lohnnebenkosten und der Reformstau immer mehr Unternehmen in die Standortflucht. Deutschland wurde zum kranken Mann Europas mit einer sich verfestigenden Dauerarbeitslosigkeit und einem Defizit im Staatshaushalt, das von 2002 bis 2005 sogar die 3-Prozent-Grenze überschritt.

Erst die Reformen rund um die Agenda 2010 brachten ab 2005 die Wende. Auch ohne eine harte Sparpolitik bescherte uns der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung um 28 Prozent von Anfang 2006 bis Ende 2019 sprudelnde Einnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen. Nachdem Deutschland auch noch die Finanzkrise überstanden hatte, ging die staatliche Schuldenquote von 82,4 Prozent 2010 und 75,7 Prozent im Jahr 2014 auf 59,8 Prozent Ende 2019 zurück. Während Deutschland Schulden abbaute, erlebte es gleichzeitig ein goldenes Jahrzehnt mit einem Zuwachs des privaten Verbrauchs von 15 Prozent innerhalb von zehn Jahren.

Auch das Konjunkturpaket wird zunächst einmal die Schulden erhöhen, vermutlich auf etwa 75 Prozent zum Ende dieses Jahres. Die Erfahrung zeigt: Wenn das Wachstum stimmt, können wir den Corona-Schuldenberg danach innerhalb von fünf Jahren wieder abbauen.

Die nächsten Jahre erfordern sichere Lenkung

Natürlich kann ein Deckel für die Sozialversicherungsbeiträge auf Dauer teuer werden. Aber er würde Politiker noch mehr als bisher dazu zwingen, bei jedem neuen Rentengeschenk die Folgen für den Bundeshaushalt zu bedenken. Auch steigende Ausgaben für Pflege- und Krankenversicherung würden dann letztlich den Bundeshaushalt belasten.

Aber noch teurer wäre es, diese Kosten statt von der Gesamtheit der Steuerzahler nur von den Beitragszahlern und Arbeitgebern tragen zu lassen. Denn jeder Arbeitsplatzverlust schwächt die Steuerbasis. Auch für den Staatshaushalt kommt es vor allem darauf an, dass Unternehmen bei uns Arbeitsplätze schaffen möchten, statt sie wie vor 20 Jahren lieber ins Ausland zu verlagern.

Letztlich hat es die Wirtschaftspolitik in der Hand: Unterstützt durch die Geld- und Fiskalpolitik kann die Konjunktur sich nach dem Abflauen des massiven Corona-Schocks wieder erholen. Wenn die Politik die Weichen richtig stellt, also neben der kurzfristigen Nachfrage auch das langfristige Angebotspotenzial der Wirtschaft stärkt, kann Deutschland innerhalb von fünf Jahren aus den neuen Schulden herauswachsen und zudem in der Gemeinschaft der westlichen Länder weiterhin zu den wirtschaftlichen Spitzenreitern gehören.

Dr. Holger Schmieding
Chefvolkswirt, Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG, London
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