Der digitale Euro - Stand der Entwicklung und Lücken in den Zielen

Prof. Dr. Friedrich Thießen, Foto: F. Thießen

Der digitale Euro elektrisiert die Menschen, obwohl seine Funktionsweise noch weitgehend unklar ist. Die EZB forciert die Entwicklung und hat im Sommer 2021 die Ergebnisse von Experimenten vorgelegt, welche technologische Fragen klären sollten. Doch nach wie vor bleiben vor allem viele rechtliche Fragen offen, so der Autor, welcher die Ergebnisse dieser Experimente analysiert und mit den Zielen der EZB sowie den Ansprüchen der Menschen an ein neues digitales Zentralbankgeld vergleicht. Er zeigt auf, dass sich der digitale Euro zwar im Hinblick auf die technischen Möglichkeiten zwar darstellen lässt. Aber die gewünschten Eigenschaften würden von den Projektprotagonisten nur teilweise beachtet werden. So wollen laut dem Autor zum Beispiel die Menschen keine weiteren Geräte nutzen, um dafür lediglich eine Alternative zum Bargeld zu haben. (Red.)

Die Bemühungen der EZB, einen digitalen Euro vorzubereiten, machen Fortschritte. Die EZB hat drei wichtige Publikationen dazu veröffentlicht. Im Herbst 2020 stellte sie in ihrem "Report on a digital Euro" Überlegungen zu einer Grundkonzeption vor. Im Frühjahr 2021 berichtete sie über Ergebnisse einer Befragung europäischer Bürger und Unternehmen. Im Juli 2021 berichtete sie dann über Experimente zur Lösung von Detailproblemen. Das zentrale Ergebnis lautet: Grundsätzlich ist der digitale Euro "machbar". Es gibt keine unüberwindlichen technischen Hindernisse. Offen ist aber immer noch die Frage, welchen konkreten Zielen das neue Geld dienen soll und ob mit den gefundenen technischen Lösungen diese Ziele erreicht werden können. Der folgende Beitrag wertet die drei genannten Publikationen zum digitalen Euro aus und zeigt den Stand des Projektes auf.

Was ist "digitales Geld"? In der Vorstellung der EZB ist digitales Geld eine schuldrechtliche Verpflichtung des Eurosystems, also Buchgeld, das die bisherigen zwei Geldformen, nämlich Bargeld und Geld auf Bankkonten, ergänzt. Neu soll sein, dass der digitale Euro als Verpflichtung der Zentralbanken einer breiten Masse von Nutzern verfügbar gemacht werden wird. Er soll für "the general public including citizens and non-bank firms" zur Verfügung stehen, sozusagen Zentralbankkonten "für jedermann".

Generell wird als Geld ein Instrument mit Wertaufbewahrungs-, Wertmessungs- und Zahlungsfunktion bezeichnet. Beim digitalen Geld der EZB steht die Zahlungsfunktion im Vordergrund. Die digitale schuldrechtliche Verpflichtung des Eurosystems soll nicht auf bestimmte in novative Technologien fixiert sein. Weder müssen die Daten auf Blockchains oder mittels Distributed-Ledger-Technologie (DLT) abgespeichert werden. Auch die "Programmierbarkeit" ist keine zwingende Eigenschaft des digitalen Geldes. In ihren Experimenten hat die EZB allerdings Kombinationen aller innovativen Techniken erprobt und funktionsfähige Lösungen gefunden.

Zwei Lösungen

Die EZB nennt zwei Formen, in denen der digitale Euro vorkommen soll, den "account-based digtal Euro" und den " bearer digital Euro". Der "accountbased digital Euro" ist die Kontolösung. Er stellt ein traditionelles Kontoguthaben der Nutzer bei der EZB (beziehungsweise beim Eurosystem) dar, also eine "unregelmäßige Verwahrung". Jede Zahlung erfolgt in der Form eines Zugriffs des Zahlers auf sein beziehungsweise ihr Konto beim Eurosystem mittels geeigneter Zahlungsaufträge. Die eigentliche Innovation liegt bei dieser Variante also in den Zahlungs-, das heißt Verwendungsmöglichkeiten der Guthaben.

Die zweite Form ist der "bearer digital Euro". Hier soll ein digitaler Datensatz existieren, der die Eigenschaft eines Inhaberinstrumentes besitzt. Dieses Inhaberinstrument "repräsentiert" - früher hätte man gesagt "verbrieft" - die Forderung an das Eurosystem. Dieser Datensatz soll - so die Hoffnung - zwischen beliebigen Parteien offline digital hin und her transferiert werden können.

Wo aber werden die Daten über das digitale Geld gespeichert? Die EZB unterscheidet eine zentrale und eine dezentrale Lösung. Im Fall "centralized" werden die Daten "in the central bank's ledger" gespeichert und alle Zugriffe, das heißt alle Zahlungsaufträge, alle Zu- und Abbuchungen, darin bearbeitet. Jeder einzelne Zahlungsauftrag muss auf diese zentrale Datenbank zugreifen. Im Fall "decentralized" werden die Daten in einer noch zu entwickelnden Form so gespeichert, dass sie offline von peer zu peer transferiert werden können. Dies kann die EZB dann nicht mehr direkt überwachen und steuern. Es soll "some decentralisation of responsibilities" für die Sicherheit der Transfers und der Datenspeicherung geben. Dafür sollen gesicherte Hardware und überwachte Intermediäre eingeschaltet werden.

Welche Techniken dabei akzeptiert und gewünscht werden, hat die EZB in ihrer Umfrage überprüft. Die Antworten der Befragten waren wenig überraschend. Privatpersonen stimmten den Techniken, die heute bereits verlässlich verwendet werden, wie Mobile Phones, Smartcards, Smartwatches zu. Bei Software wird überwiegend an Wallets in Mobiltelefonen gedacht. Befragte aus dem professionellen Bereich schlagen darüber hinaus auch Chip-Systeme in beliebigen "hardware devices" vor.

Übertragung des digitalen Geldes

Wenn man nun einen digitalen Euro als Kontoguthaben oder als Inhaberinstrument auf einem eigenen Gerät hat, fragt man sich, wie man ihn verwenden kann. Dieser Teil des digitalen Euro den die meisten zukünftigen Nutzer wahrscheinlich als den spannendsten und wichtigsten ansehen, ist von der EZB noch nicht ausgearbeitet worden. Er soll zusammen mit der "payment industry" entwickelt werden. Generell können Transaktionen eines digitalen Euro zentral oder dezentral ausgelöst werden.

Eine zentrale Transaktion liegt vor, wenn eine Verbindung mit der zentralen Datenbank des Eurosystems vorhanden ist. Die Aufträge, Zahlungen vorzunehmen, werden zur Zentralbank geroutet und innerhalb der "central bank infrastructure" verarbeitet. Wie erhält die EZB die Zahlungsaufträge? In einem "direkten" Modell können die End-user von sich aus, also "direkt", auf ihre Konten bei der EZB zugreifen und dem Eurosystem unmittelbar ihre Anweisungen geben. Diese direkte Beziehung der Privatpersonen zur EZB könnte allerdings das Einlagengeschäft der Banken gefährden. Deshalb gibt es auch Überlegungen, Zahlungsaufträge über Banken und andere Intermediäre laufen zu lassen. Das wird als "intermediated access" mittels "supervised intermediaries" bezeichnet.

Eine dezentrale Transaktion liegt vor, wenn Ansprüche an die Zentralbank offline von peer-to-peer transferiert werden. Das Eurosystem würde nur "rules and requirements for the settlement of digital euro transactions that are then recorded by users and/or supervised intermediaries" festlegen. Es könnte die Aufgabe von "supervised institutions" sein, die Vorgänge zu überwachen und als "gatekeeper" zu fungieren.

Ergebnisse der Experimente

Damit sind die Grundzüge des digitalen Geldes erläutert. Sie erscheinen weit weniger spannend als es der Hype um diese Geldform vermuten lässt. Was die meisten Nutzer erwarten, sind sicherlich neue, praktische Zahlungsmöglichkeiten und nicht zwingend eine neue Geldform. Prüfen wir, was die "Experimente" der EZB gebracht haben! Die Experimente, die im September 2020 starteten und im Sommer 2021 zum vorläufigen Abschluss kamen, wurden vier Gebieten zugeordnet: (i) Datenbank und Zahlungsfunktion, (ii) Privatsphäre und Geldwäsche, (iii) Geldmengenkontrolle, (iv) end-user access.

Um die Zahlungsfunktionalität verschiedener Datenbankstrukturen zu testen, wurde der "centralized ledger" des "account based Euro" an das TARGET Instant Payment Settlement System (TIPS) angeschlossen und "issuance, redemption and distribution of a digital Euro" getestet. Die Frage war, ob TIPS so skaliert werden konnte, dass es auch beim Anfall von Massenzahlungen noch befriedigende Performancewerte erreichte. Weiter wurden Interfaces getestet, um die Datenbank an den SEPA-Raum und Transaktionen im Sinne der Richtlinie PSD-2 anzubinden.

Viele Fragen offen

In einem wichtigen Test wurde der "centralized ledger" an (von privaten Intermediären betriebene) Plattformen (mit Zahlungsfunktionalitäten) angebunden, die DLT-Technologien nutzten. Die EZB interessierte sich für das Zusammenspiel einer traditionellen zentralisierten Infrastruktur, wie sie das TIPS-System darstellt, mit modernen dezentralen Techniken. Die zentrale Datenbank des digitalen Euro bei der EZB fungiert in diesem Modell als "Brücke" des Liquiditätstransfers zwischen den Plattformen. Das heißt, die Plattformen "clearen" ihre Zahlungsaufträge über ihre Konten bei der EZB.

Besonders überzeugend fand die EZB ein Zweistufensystem ("tiered approach"), bei dem das Eurosystem digitale Euro-Konten in einer zentralen traditionellen Datenbank über das traditionelle TIPS-System bereitstellt, während "supervised intermediaries" Zugang dazu haben und dann ihrerseits den End-usern diverse moderne Zahlungsdienste anbieten. Es zeigte sich: Über das TIPS-System können effiziente Verbindungen zu jeder Art von Zahlungsdienstleister-Plattformen hergestellt werden - das ergaben die Experimente. Die Zahlungsinnovationen finden bei diesem Modell bei den Intermediären statt. Über die Zweistufigkeit ist das System offen für jedwede Innovationstätigkeit bei den Intermediären, und die EZB mischt sich nicht in den (privaten) Markt der Zahlungsdienste ein. In anderen Experimenten wurde der digitale Euro (als "fixed value token") auf einer Datenbank des Eurosystems in Form einer Blockchain verbucht. Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie die Eigentümerschaft eines Blockchain-Euro ermittelt werden kann. Das getestete System sah so aus, dass sich die End-user dem Wallet Provider gegenüber durch digitale Zertifikate (e-IDs im Sinne der EU-Regulation 910/2014 (e-IDAS) ausweisen. Der Zugang zu den digitalen Euros auf der Blockchain wird, wie das bei Blockchains üblich ist, durch kryptografische Schlüssel gewährleistet, mit denen Transaktionen "unterschrieben" werden.

Diese Schlüssel können an andere Enduser transferiert werden und ermöglichen auf diese Weise "offline"-Zahlungstransaktionen. Die Wallet Provider können die Schlüssel mit den e-IDs zusammenbringen, sodass die Eigentümerschaft der digitalen Euros auf der Blockchain zweifelsfrei geklärt werden kann. Was die Skalierbarkeit und die Performance-Kennziffern anbetrifft, zeigt sich die EZB sehr optimistisch. Viele rechtliche Fragen sind aber offen. Ungeklärt ist zum Beispiel, welchen Rechtsstatus die nodes in DLT-Systemen haben. Ein zentraler Punkt des digitalen Euros ist seine praktische Einsatzmöglichkeit. Der digitale Euro soll (i) in einer Vielzahl von Situationen durch (ii) eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzer eingesetzt werden können. Er soll "überall" verfügbar sein, also im realen Leben wie auch in der digitalen Welt auf jeder Plattform und in jeder bilateralen Beziehung. Das erfordert ein ganzes Arsenal an Zugangsmitteln. Die Experimente zeigten, dass folgende Techniken auf der Nutzerseite gut funktionieren: Mobiltelefone mit entsprechenden Apps, Web-Apps, diverse Karten mit sicheren Lesegeräten sowie "point-of-integration/sale"-Applikationen. Dagegen scheiden NFC- und Bluetooth-Techniken aus wegen Schwächen bei größeren Datenmengen und Herstellerbeschränkungen in verschiedenen Geräten.

Kaum Mehrwert für Nutzer

Damit ist gezeigt, an was die EZB arbeitet. Sie legt die Grundzüge der technischen Konzepte durchaus breitwillig offen. Aber wozu das Ganze dient, welche Ziele man mit dem neuen Geld verfolgt, dazu ist die EZB relativ schmallippig. Bechtel, Gross und Sandner erkannten nach den ersten Veröffentlichungen der EZB kaum einen Mehrwert der Nutzer: "The question arises, who is supposed to use the ECB's digital euro and for what reasons? In its current form, the ECB's digital euro might neither cater to the needs of European citizens nor to the needs of the European industry."  Die Autoren kritisieren, dass die EZB wenig mehr als "regulation, supervision, and financial stability" liefere. Die EZB selbst nennt drei Hauptziele des digitalen Euro wobei das zweite Ziel Probleme aufwirft und die EZB zum dritten Ziel selbst kaum etwas beiträgt.

Wettbewerbsaspekte: Das erste Ziel der EZB ist ein abwehrendes: die EZB möchte im Wettbewerb mit China und anderen Währungsräumen nicht zurückfallen und im Währungsgebiet des Euro Zahlungssysteme "at the technological frontier" anbieten. Geldbestände sollen nicht zu anderen Zahlungssystemen abwandern, welche die EZB nicht kontrollieren kann ("ensure that payments in the euro area ... are conducted under its direct control" ). Der Stolz auf den Euro als modernes Zahlungsinstrument soll zur europäischen Integration beitragen.

Modernisierung des Zahlungsverkehrs erforderlich

Wertaufbewahrung: Zum zweiten soll ein neuer "store of value in the euro area" , also ein attraktives Wertaufbewahrungsmittel entstehen. Das Mittel darf aber nicht so attraktiv sein, dass es den Banken das Depositengeschäft wegnimmt, weil sonst deren Kreditgeschäft litte.

Zahlungsverkehr: Zum Dritten soll eine Modernisierung des Zahlungsverkehrs erfolgen. Das ist wahrscheinlich das Ziel, welches für die meisten End-user das zentrale darstellt. In diesem Punkt ist die EZB aber erstaunlich wenig konkret. Sie formuliert nur, dass der digitale Euro ein Teil von modernen Zahlungsverfahren sein werde, die am Point of Sale insbesondere der Online-Welt beginnen. Dabei ist fraglich, wie der digitale Euro überhaupt dahin kommen soll und was die Leistung der EZB dabei wäre. Die Online-Welt ist durch proprietäre digitale Systeme gekennzeichnet, die ihre eigenen Zahlungsverfahren und weitere eigene Finanzdienstleistungen fördern ("embedded finance"), die befriedigend funktionieren. Was will die EZB liefern, das dazu führt, dass jeder Online-Anbieter danach giert, eine Schnittstelle zum digitalen Geld der EZB zu installieren? Die EZB formuliert wünschenswerte Eigenschaften wie cheap, secure, risk-free, easy to use, efficient, ohne diese mit Maßnahmen zu hinterlegen. Was aber wäre ein modernes Zahlungssystem, das die Wünsche von Nutzern zeitgemäß befriedigt?

Die Menschen tragen Handys mit sich und wollen nicht weitere Geräte nutzen müssen, nur um einen Bargeldersatz zu haben oder sich zu authentifizieren. In der EZB-Befragung vom April 2021 waren Handys, Smartcards und Smartwatches von Privatpersonen akzeptiert worden. Weitere Geräte wurden nicht gewünscht. Komplizierte Software-Hardware-Prozeduren wurden ebenso abgelehnt. Diese Ziele scheinen erreichbar.

Wünschenswert wäre es auch, keine Kontonummern oder Bankverbindungen kennen zu müssen. Wenn eine Person "irgendwie" identifiziert ist (Facebook, Skype und so weiter), dann soll eine Zahlung möglich sein und ankommen. Weiter wird gewünscht, Zahlungen hätten eine unmittelbare Bestätigung durch den Empfänger zur Folge. Bei "schief gelaufenen" Zahlungen sollte es ein einfaches und durchschaubares Prozedere bei Rückabwicklungen geben. Dies sind Ergebnisse der EZB-Befragung vom April 2021 und es scheint, dass diese Ziele erreichbar sein werden. Allerdings bieten auch Bigtechs ähnliche Konzepte, sodass die EZB nicht allein dastehen wird.

Wunsch nach Globalität

In der globalisierten Welt wünschen sich Nutzer solche Zahlungssysteme, mit denen man beliebige Partner in beliebigen Ländern erreichen kann. Nutzer wünschen sich ganz selbstverständlich einen Euro, der "outside the Euro-area" ohne Beschränkungen effizient verwendbar ist. Die Befragung der EZB vom April 2021 hat ein ganz klares Bekenntnis der Befragten zur universellen, weltweiten Verwendbarkeit des digitalen Euro aufgezeigt. Die Menschen wünschen dabei hohe Geschwindigkeit, niedrige Kosten und Wechselkurstransparenz. "Instantaneous Payments" wären wünschenswert.

Diese Globalität ist die EZB aber offenbar in keiner Weise zu liefern bereit. Sie spricht nur davon, dass ein digitaler Euro mit anderen CBDCs vernetzt sein sollte, um ein attraktives globales Zahlungssystem zu erhalten. Das ist vielleicht gut gemeint, aber letztlich erkennt man hier die Beschränktheit der nationalstaatlich begründeten großen Währungsblöcke. Bei Konkurrenzprodukten wie Libra/ Diem entfällt der nationalstaatliche Gedanke von vornherein. Die Systeme von Facebook, Appel, Paypal oder Amazon vernetzen Menschen und Unternehmen weltweit. Sie sind von vornherein global ausgerichtet. Wenn die EZB schon über ein neues Geld nachdenkt, dann sollte das sich entwickelnde System dem Wunsch nach Globalität entsprechen.

Ein zentraler Punkt aus europäischer Sicht ist die Unabhängigkeit Europas von ausländischen Eingriffen in das Zahlungsgeschehen. Die Befragung der EZB hat die Wichtigkeit dieses Aspektes deutlich gemacht. Es geht um die "strengthening the role of the Euro as an international means of payment." 

Innereuropäische Kapitalströme

Die Eingriffe der USA in den iranisch-europäischen Zahlungsverkehr sind hier das abschreckende Beispiel. Möglich wurden diese Eingriffe durch die Logik des traditionellen Korrespondenzbankensystems. Ein neues Zahlungssystem muss Europa unabhängig von jedweden ausländischen Mächten machen. Dazu muss es ein zentralisiertes System sein, dass die Verbindungen zu den Ländern der Welt direkt und ohne Umwege über Dritte herstellt. Hierbei könnte ein zentralbankbezogener digitaler Euro eine gute Lösung sein. Das Zahlungssystem muss offen sein für Nutzer aus aller Welt. Jedermann und jedefrau sollte sich zuschalten können.

Ein Thema spart die EZB gänzlich aus, und das ist vielleicht das spannendste: den möglichen Zusammenbruch der Zusammenarbeit der europäischen Länder. Der digitale Euro wird als Schuld des Eurosystems definiert ("a liability of the Eurosystem"). Was heißt das in räumlicher Hinsicht? Halten Italiener den digitalen Euro bei der Banca d'Italia? Oder werden digitale Euro bei der EZB in Frankfurt gehalten? Das sind bei wirtschaftspolitischen Turbulenzen entscheidende Unterschiede. Der digitale Euro entsteht durch Geldschöpfung zum Beispiel im Wege der Offenmarktpolitik bei den nationalen Zentralbanken oder bei der EZB. Im ersteren Fall kann das geschöpfte Geld über die Zahlungsmedien des Euro-Systems, TARGET und TIPS, in jedes andere Land transferiert werden, im letzteren Fall ist das Geld schon bei einer übernationalen Einrichtung.

Mit großem Eifer vorangetrieben

Dort ist es vor lokalen wirtschaftlichen Verwerfungen geschützt. Wenn einzelne Länder aus der EU ausscherten oder Kapitalverkehrskontrollen einführten, politisch und wirtschaftlich eigenständige Wege gingen, dann kann es sein, dass die EZB auf Forderungen an dieses Land aus dem Geldschöpfungsprozess "sitzen bleibt", gleichzeitig aber die geschöpften digitalen Euro an jedes andere Land auszahlt. Diese Länder müssen insoweit Teile ihres Bruttosozialproduktes abgeben, erhalten aber keinen Gegenwert. Viele weitere problematische Konstellationen sind denkbar. Die Frage der räumlichen Zuordnung des digitalen Euro und die Konsequenzen in Krisen muss geklärt werden.

Die jüngsten Publikationen der EZB zeigen, dass der digitale Euro mit größerem Eifer vorangetrieben wird, als viele vermuteten. Technisch scheint es für gewisse grundlegende Prozesse keine unüberwindlichen Hürden zu geben. Aber ob der digitale Euro die Wünsche der Nutzer erfüllen wird, bleibt noch offen. Zum einen umgibt die EZB den digitalen Euro mit Restriktionen wie zum Beispiel die Konzentration auf das Eurogebiet sowie geldpolitische und bankenbezogene Rücksichtnahmen. Zum anderen will die EZB die eigentlichen Eigenschaften des digitalen Euro als schickes, modernes Zahlungsinstrument der "payment industry" überlassen. Die payment industry, allen voran die Bigtechs verfolgen aber eigene Agenden und sind nicht auf eine neue Geldform der EZB angewiesen. Wie die EZB es schaffen will, dass ihr Geld von den Plattformbetreibern den eigenen Kreationen vorgezogen wird, steht noch nicht fest.

Nutzeranonymität:
 
Ein digitaler Euro als Bargeldersatz sollte gewisse Anonymitätseigenschaften haben. Die EZB spricht meist von "privacy", um das harte und endgültige Wort Anonymität zu vermeiden. Fest steht, dass der Eigentümer eines digitalen Euro nicht anonym sein kann - er oder sie muss bekannt sein, was über e-IDs geregelt wird. Nur die Transaktionen können anonym sein. Die Europäische Zentralbank nennt folgende Anonymisierungstechniken:- Mittels One-time-pseudonyms, also für jede Transaktion ein anderes, wird es Geldempfängern erschwert, auf die Absender zu schließen.- Transaction-mixing: Bei dieser Technik werden Transaktionen vertauscht, sodass die Beziehungen zwischen Sender und Empfänger weiter aufgebrochen werden.- Payment channel network: Zahlungen finden in bilateralen Kanälen statt, die je nach den Festlegungen der Netzwerkbetreiber mit wechselnden Anonymitätsgraden ausgestattet sein können.Die Authentifizierung der Nutzer erfolgte in den Experimenten der EZB mittels bereits etablierter spanischer und baltischer e-IDs, die gut eingebunden werden können. Die EZB sieht in "government-issued" e-IDs große Vorteile, weil mehrere Probleme damit auf einen Schlag erleichtert werden: Das KYC-Prinzip wird durchgesetzt. Der Wechsel von Service-Providern wird erleichtert. Geldpolitischen Anforderungen wird genügt.
 
Geldpolitische Anforderungen:
 
Das Eurosystem möchte gerne die Menge der digitalen Euro pro Person beschränken, um eine Umgehung von geldpolitischen Maßnahmen durch digitale Eurokonten zu verhindern. Dies könnte zum Beispiel nötig werden, wenn die Geldpolitik Negativzinsen erfordert, der digitale Euro als Bargeldersatz aber über einen Nullprozent-Zins verfügen soll. Auch über Beschränkungen von Transaktionshöhen denkt die EZB nach.Keine Probleme existieren, solange der digitale Euro in einer zentralen Datenbank der EZB liegt. Werden dagegen Intermediäre eingeschaltet und Wallet-Lösungen installiert, dann müssen die Wallets entsprechende Kontrollfunktionen beinhalten, um zu verhindern, dass jemand mehrere Wallets betreibt. Die Experimente zeigten, dass dies möglich ist. Bei Offline-Zahlungen müssen die "secure hardware devices" "internal validation checks" durchführen und von Zeit zu Zeit Verbindungen mit der Datenbank der EZB aufnehmen, "to ensure that the rules were not breached."** Vergleiche Eurosystem (2021), Seite 7.

Fußnoten

1) Die EZB schreibt "euro" klein. Im vorliegenden Text wird die Großschreibung verwendet.

2) ECB (2020), Seite 6.

3) ECB (2021) Eurosystem report on the public consultation on a digital euro, EZB, Frankfurt. Die EZB führte Anfang 2021 eine Befragung europäischer Bürger und Unternehmen zu ihrem Konzept durch. Die Ergebnisse wurden im April 2021 veröffentlicht. Über 8 000 Antworten, davon 95 Prozent von Privatpersonen, wurden abgegeben.

4) Eurosystem (2021), Digital euro experimentation scope and key learnings, EZB, Frankfurt

5) Vergleiche VÖB (2020); Sandner, Klein, Gross (2020); Gross, Herz, Schiller (2020)

6) ECB (2020), Seite 6.

7) Bank of England (2020), Seite 9.

8) "The analysis focuses on the design of a digital euro for use in retail transactions available to the general public", ECB (2020), Seite 6

9) FTR (2020), Seite 2. ECB (2020), Seite 29.

10) Vergleiche FTR (2020)

11) FTR (2020), Seite 88 pdf. Die EZB verwendet auch nicht die Begriffe "Token" oder "Kryptowährung" für ihr Geld. Vergleiche ECB (2020), Seite 30; "We use the term tokens to mean representations of existing assets"; ECB (2020), Seite 29. Vergleiche auch Sandner, Blassel (2020), FTR (2020), Seite 8 PDF.

12) ECB (2020), Seite 30; vergleiche Sandner, Blassel (2020); vgl. Belke, Beretta (2020).

13) ECB (2020).

14) ECB (2020), Seite 36.

15) ECB (2021), Seite 24.

16) ECB (2021), Seite 24.

17) Vergleiche ECB (2020), Seite 36.

18) ECB (2020), Seite 37.

19) Das ist die Datenbank des Eurosystems, in der die digitalen Euros der End-user verzeichnet sind.

20) Eurosystem (2021), Seite 1 PDF. Digital euro experimentation scope and key learnings.

21) Eurosystem (2021), Seite 2 PDF.

22) Eurosystem (2021), Seite 3.

23) Vergleiche Eurosystem (2021), Seite 7.

24) Vergleiche Bechtel, Gross, Sandner (2020).

25) Vergleiche Bechtel, Gross, Sandner (2020).

26) ECB (2020), Seite 12. "The issuance of CBDCs by major foreign central banks could enhance the status of other international currencies at the expense of the euro", ECB (2020), Seite 14.

27) ECB (2020), Seite 12.

28) ECB (2020), Seite 12.

29) ECB (2020), Seite 11.

30) ECB (2020), Seite 9.

31) Vergleiche ECB (2020), Seite 10.

32) Vergleiche ECB (2020), Seite 10. Die Bundesbank fasst es so zusammen: "attraktiv für die Nutzung in allen denkbaren Situationen des alltäglichen Zahlungsverkehrs", vgl. Balz, Diehl, Winter (2020), Seite 13.

33) ECB (2021), Seite 23.

34) Vergleiche Consonni u.a. (2021), Seite 13.

35) ECB (2021), Seite 27.

36) ECB (2020), Seite 25, S. 14.

37) Vergleiche Financial Stability Board (2020).

38) Vergleiche Hoffmann, Schröder, Pasing (2021), Seite 2.

39) ECB (2021), Seite 27.

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Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
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