Mit digitalen, vernetzten Angeboten Provisionserlöse steigern

Nick Jue, Foto: ING-DiBa AG

Als im Frühjahr 2020 die Aktienmärkte wegen des ersten Lockdowns dramatisch eingebrochen waren, haben viele Kleinanleger in Deutschland einen geeigneten Zeitpunkt für sich erkannt, um ihr Vermögen in Wertpapiere zu investieren. Vor allem junge Menschen im Alter bis zu 30 Jahren erzeugten durch ihr gesteigertes Interesse an den Börsen einen regelrechten Corona-Kleinanleger-Boom. Diese Entwicklung bietet aber nicht nur für Sparer in Zeiten mager verzinster Sparprodukte eine Alternative, sondern auch ein enormes Wachstumspotenzial für Banken, so der Autor. Banken sollten einen stärkeren Blick auf das Provisionsgeschäft richten und ihre Kunden zum Kauf von Wertpapieren motivieren beziehungsweise dabei beratend zur Seite stehen. Besonders wichtig sei dabei, die Kunden über digitale Kontaktpunkte abzuholen, da so auch ein leichter Zugang zu Beyond-Banking-Angeboten geschaffen würde, was künftig weitere Ertragspotenziale erschließen kann. (Red.)

Zinserlöse sind und bleiben eine wichtige Einnahmequelle für Banken. Um dauerhaft erfolgreich zu sein, reichen sie angesichts des Niedrigzinsumfeldes aber nicht mehr aus. Vielmehr muss als dauerhafte starke zweite Säule das Provisionsgeschäft treten. Nur mit breiter Diversifikation sind Kreditinstitute gut auf die Zukunft eingestellt. Im Fokus des Provisionsgeschäftes stehen Wertpapiere. Während des Corona-Jahres 2020 ist ihre Beliebtheit geradezu sprunghaft angestiegen. Dieses Momentum gilt es zu verstetigen. Um Menschen dauerhaft den Einstieg in Wertpapiere zu ermöglichen, bedarf es einer intelligenten Mischung aus einfachem Angebot, Customer Experience und einer Vielzahl digitaler Kontaktpunkte. Diese digitalen Kontaktpunkte können innerhalb oder - Stichwort Beyond Banking und Kooperationen - auch außerhalb der Bank liegen.

Entscheidend ist: Das Institut kommt auf vielfältigen Ebenen mit den Kunden ins Gespräch und kann sie für den Wertpapierhandel interessieren. Je digitaler die Prozesse und Tools gestaltet sind, umso effizienter gelingt dies. Und zudem stehen Banken damit nicht (mehr) unter dem Druck, ständig neue Kunden akquirieren zu müssen, um zu wachsen.

An die Stelle dieses quantitativen Ansatzes tritt ein qualitativer: Bevor Neukunden-Kampagnen gestartet werden, liegt der Fokus darauf, gezielt mit den bestehenden zu arbeiten und diese Zusammenarbeit stetig und profitabel zu vertiefen. Das Banking der Zukunft ist also vielschichtig, vernetzt und digital. Damit ist allen geholfen: Der Bank, weil sie jenseits von Zinsen höhere Erträge erwirtschaften kann, den Kunden, weil sie teilweise sogar zum Nulltarif, in jedem Fall aber ohne Barrieren in Wertpapiere investieren können - und nicht zuletzt auch der Aktienkultur in Deutschland.

Banken und Sparer sitzen im selben Boot

Das Corona-Jahr 2020 markiert einen Paradigmenwechsel in der Haltung zu Aktien. Laut dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) haben sich im Vergleich zum Vorjahr 2019 2,7 Millionen Menschen mehr zum Investieren in Aktien, Aktienfonds oder aktienbasierte ETFs entschlossen. Mehr als eine halbe Million - nämlich 600 000 und damit sogar nahezu 70 Prozent mehr als 2019 - haben sich zum ersten Mal für börsennotierte Wertpapiere entschieden. Insgesamt sind damit jetzt fast 12,4 Millionen Menschen in Deutschland am Aktienmarkt engagiert.

Diese Privatinvestoren eröffnen sich in den anhaltenden Niedrigzinszeiten die Möglichkeit, Renditen zu erzielen. Aber auch für Banken liegen in der neuen Nachfrage nach Aktien Chancen. Denn der Handel mit Wertpapieren ist Provisionsgeschäft. Darin liegen angesichts der Herausforderungen, vor denen der Bankensektor steht, auch für die Kreditinstitute Chancen. Denn das faktische Fehlen von Zinsen stellt die Banken vor ähnliche Herausforderungen wie die Sparer: Es ist bei dem aktuellen Marktzins für Kreditinstitute nicht einfach, im Zinsergebnis zu wachsen. So lassen sich mit Spareinlagen kaum noch Erträge erwirtschaften. Zugleich lässt sich der Zinsaufwand kaum noch weiter nach unten drücken, wenn die für die Bank zahl- und vertretbaren Zinsen auf Spar- und Einlageprodukte ohnehin kaum noch weiter zu senken sind.

Neue Wege sind also gefragt - für Banken ebenso wie für Sparer: So wie sich immer mehr Sparer entscheiden, für das Erzielen von Rendite Neuland zu betreten und Anleger zu werden, müssen auch die Kreditinstitute innovative Ertragsquellen auf- und ausbauen. Für Banken lautet die Antwort: Qualitatives statt quantitatives Wachstum. Und es heißt, dass Bankangebote, wie beispielsweise das Girokonto, nicht mehr zwangsläufig und ohne Bedingungen kostenlos sind. Es kann in der heutigen Zeit nicht mehr primär darum gehen, mit Akquise-Programmen Neukunden zu gewinnen. Denn in diese muss erst einmal Geld investiert werden, ohne dass von Anfang an klar ist, ob diese Investitionen anschließend auch wirklich in Erträge münden. Das ist zumindest derzeit kein betriebswirtschaftlich sinnvolles Geschäftsmodell. Wichtig ist vielmehr, mit dem bestehenden Stamm die Erträge zu steigern, und das funktioniert in erster Linie über ein Produktangebot, das zusätzliche Provisionserlöse bringt. Nur dann kann profitables Wachstum generiert werden, und nur so können Banken noch wachsen.

Das Depot als Einstiegsprodukt

Und hier schließt sich der Kreis zu den Sparern, die zu Anlegern werden: Banken müssen es in Zeiten niedriger Zinsen ermöglichen, mehr aus dem Geld zu machen. Ein intelligentes Modell zielt daher darauf ab, das Wertpapierdepot neben dem Girokonto gezielt zum zentralen und attraktiven Einstiegsprodukt zu machen und Kunden dann über digitale Kontaktpunkte für weitere Leistungen zu gewinnen.

Jeder, der mehr aus seinem Geld machen will, muss sich mit dem Thema Wertpapiere beschäftigen. Diese Notwendigkeit ist übrigens nicht nur dem Umstand geschuldet, dass ansonsten kaum noch Renditen erwirtschaftet werden können. Sie hängt auch mit einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel zusammen. Denn mit den Wertvorstellungen verändern sich auch die Einstellungen gegenüber börsennotierten Wertpapieren in Deutschland. Immer mehr Menschen streben Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit für ihr Leben an und für sie gehört die Möglichkeit zwingend dazu, auch über ihre Finanzen selbstbestimmt zu entscheiden und ihre finanziellen Handlungsspielräume zu erweitern.

Daher sollten Banken ihre Kunden dabei unterstützen, ihre Finanzen selbst in die Hand zu nehmen. Entsprechend einfach und unkompliziert sollte der Zugang zu Wertpapieren gestaltet werden. Dies beginnt mit niedrigen Einstiegshürden, um Wertpapiere zu erwerben. Kostenlose ETF- Sparpläne mit niedrigen monatlichen Beträgen bilden hier einen passenden Startpunkt für ansprechende Customer Experience.

Zu dieser Customer Experience zählt das Angebot edukativer Begleitung. Für viele Erstanleger sind Wertpapiere immer noch Neuland und hier ist die Bank gefragt, auf Wunsch digitale Beratung zur Seite zu stellen und Kunden so eine gute Entscheidungsgrundlage für ein Wertpapierinvestment zu bieten. Denn zur Wertpapieranlage gehört auch Risiko, denn Aktienkurse können fallen. Das ist übrigens kein Widerspruch zu dem wachsenden Wunsch vieler, ihre eigenen Vorstellungen umzusetzen und auch ihre Finanzen unabhängig und nach ihren Präferenzen zu gestalten. Im Gegenteil: Eine digitale Wertpapierberatung der Bank gibt ihnen dafür die passende Starthilfe und unterstützt die Kunden dabei, sich zunehmend selbstbewusst und eigenständig im Wertpapiersektor zu bewegen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, nicht zu überfordern. Es muss immer darum gehen, eine Beratung und Anlageempfehlung zu geben, die Risikobereitschaft, finanzieller Situation und Anlagehorizont entspricht. Interessierte sollen Wertpapiere ohne Aufwand und mit einem guten Gefühl zu einem Teil ihrer Finanzen machen können.

Win-win-Situation

Apropos "gutes Gefühl": Wenn hier davon die Rede ist, dass immer mehr Menschen selbstbewusst ihre Entscheidungen auch in Finanzfragen treffen wollen, bedeutet dies nicht, dass sie nur an sich denken. Sie wollen vielmehr ihre Geldanlage immer häufiger mit einem gesellschaftlichen Wertbeitrag verknüpfen. Das Interesse an nachhaltigen Geldanlagen steigt stetig: Laut dem Jahresbericht 2020 des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) war das Volumen nachhaltiger Geldanlagen in Deutschland schon 2019 gegenüber dem Vorjahr um 23 Prozent sprunghaft angestiegen - Tendenz weiter steigend. Zum Wertpapierportfolio einer Bank, die mit der Zeit gehen will, gehören also zwingend auch nachhaltige Anlagemöglichkeiten.

Worüber hier gesprochen wird, ist eine Win-win-Situation: Kunden haben die Möglichkeit, mit der Hilfe ihrer Bank die ersten Schritte in die Wertpapieranlage zu gehen und damit in zinsfreien Zeiten Rendite zu erzielen. Und die Bank hat die Möglichkeit, ihre Provisionserlöse zu steigern und somit neue Ertragsquellen zu erschließen. Diese Ertragsquellen bilden die Grundlage für profitables Wachstum. Profitabel bedeutet: Neue Angebote müssen konsequent, also "end-to-end", digital sein. Denn digitale Services bieten größtmögliche Effizienz und sind für die Customer Experience unverzichtbar. Zugleich bilden sie einen der Treiber für die Steigerung des Wertpapierhandels. In diesem Zusammenhang sei noch einmal das Deutsche Aktieninstitut zitiert: "Attraktive Smartphone-Apps" werden hier als einer der Gründe "für das Erwachen einer neuen 'Generation Aktie'" angeführt, und es liegt nahe, dass Apps gerade für die 600 000 neuen Wertpapierbesitzer unter 30 Jahren eine zentrale Rolle spielen. Um gerade solche Kunden auch für weitere provisionsbasierte Leistungen zu begeistern, tun Banken also gut daran, ihre Apps jederzeit auf dem aktuellsten Stand zu halten und regelmäßig neue Features zu integrieren.

Digitalisierung fördert Provisionserträge

Zugleich gilt der Grundsatz: Je digitaler der Zugang zum Einstiegsprodukt Wertpapierdepot, umso leichter lassen sich Zugänge zu weiteren Leistungen schaffen. Denn genau das muss der Anspruch bei diesem Modell sein: Möglichst viele Kunden dafür zu begeistern, über die bereits genutzten Angebote hinaus weitere Dienstleistungen der Bank in Anspruch zu nehmen. Das Wertpapierdepot wird neben dem Girokonto immer mehr zum Ausgangspunkt für den gezielten Ausbau der Kundenbeziehung hin zu einer nachhaltig profitablen Beziehung. Mit dem Depot werden digitale Kontaktpunkte zu weiteren Produkten geschaffen, zum Beispiel zur Baufinanzierung.

Eine immer wichtigere Rolle spielen in diesem Zusammenhang Beyond-Banking-Angebote. Dieser Bereich der Vernetzung zu Dienstleistungen, die jenseits der Kernleistungen von Banken liegen und von externen Produktpartnern erbracht werden, steht noch am Anfang. Die Palette von Leistungen, zu denen über digitale Kontaktpunkte der Bank ein unkomplizierter Zugang geschaffen werden kann, ist groß. Entscheidend ist, Kunden genau dann ein Angebot abseits der eigentlichen Bankleistung zu machen, wenn es für sie relevant ist. Die wenigsten der Kunden, die eine Baufinanzierung suchen, denken vermutlich gleich zu Beginn über eine entsprechende Versicherung nach. Wahrscheinlich gelangen sie aber im Prozess an einen Punkt, an dem sie sich darüber Gedanken machen. Und genau dann gilt es, mit dem passenden Produkt parat zu stehen - also innerhalb der Customer Journey zum richtigen Zeitpunkt ein relevantes Angebot zu machen.

Beyond-Banking-Angebote

Verschiedene Standbeine und Ertragsquellen sind nötig, um als Bank finanziell gesund und stabil zu bleiben. Damit das auch in Zukunft so bleibt, müssen Banken bereit sein, neue Wege zu gehen und Provisionserlöse neben Zinserträge zu stellen. Entscheidend ist dabei nicht das "Ob" - diese Frage ist längst geklärt - sondern das "Wie". Intelligente, digital vernetzte und App-basierte Services, die Angebote für unterschiedliche Lebens lagen machen und dabei ganz gezielt bankfremde Leistungen einbeziehen, werden dabei künftig den Unterschied machen. Ebenso wie die Customer Experience.

Es geht im Kern darum, selbst bestimmte Kunden mit einem Kompass auszustatten, statt ihnen den Weg vorzugeben. Die Bank, die dies am besten schafft, hat die Chance auf substanzielles, profitables Wachstum auch in Zeiten, in denen der klassische Zinserlös vorerst der Vergangenheit angehört.

Nick Jue Vorsitzender des Vorstands, ING in Deutschland und Head of Region Germany, Frankfurt am Main
 
Nick Jue , Vorsitzender des Vorstands, ING in Deutschland und Head of Region Germany, Frankfurt am Main
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