Einfluss negativer Zinsen auf die Kreditwirtschaft

Abbildung 1: Umschichtungen von EZB-Anlagen in alternative Aktiva (in Prozent)

Dr. Frank Altrock, Professor für Bankbetriebslehre, Hochschule Trier, und Christina Mosebach, Universität zu Köln - Das niedrige Zinsniveau, das sich seit dem vergangenen Jahr gar in negativen Nominalzinssätzen manifestiert, bringt die Kreditwirtschaft im Hinblick auf ihre Ertragslage zunehmend unter Druck. Und etwa die Hälfte der Banken geht nach empirischen Erkenntnissen der Autoren davon aus, dass die extreme Niedrigzinsphase mittel- bis langfristig andauern wird. Dennoch zögert die Mehrheit der Institute, ihren Kunden negative Einlagenzinsen zu stellen. Das wird einerseits mit den erwarteten Kundenreaktionen begründet, andererseits aber auch mit operativen Schwierigkeiten etwa beim Kernbanksystem. (Red.)

Negative Realzinssätze, also negative um die Inflationsrate bereinigte Nominalzinssätze, sind kein neues Phänomen. Seit einiger Zeit sind jedoch im Euroraum nicht nur die Realzinssätze, sondern auch einige Nominalzinssätze bei der EZB und auf dem Geld- und Kapitalmarkt negativ: Mitte 2014 wurden die Zinsen der EZB auf ein Niveau unter null gesenkt. Seither erhebt die EZB Negativzinsen für Gelder, die von den Banken bei ihr angelegt werden. Auch im Interbankengeschäft ist der häufig als Referenzzinssatz verwendete 3-Monats-Euribor-Zins seit Mai 2015 negativ. Diese spezielle Konstellation motiviert verschiedene Fragenkreise: Inwieweit sind negative Zinsen mit gängigen Zinstheorien kompatibel? Welche volkswirtschaftlichen Konsequenzen können sich hieraus mittel- und langfristig ergeben? Welche Konsequenzen ergeben sich für Banken in diesem Zinsumfeld?

Zu den ersten beiden Fragen gibt es bereits Analysen und Beiträge.1) Eine der in diesem Zusammenhang erörterten Fragen ist, inwieweit sich die Investitionsbereitschaft und damit verbunden die Kreditnachfrage der Unternehmen durch sehr niedrige und nun sogar negative Zinssätze stimulieren lässt. Diese Fragen werden in dieser Arbeit nicht beleuchtet.

Belastendes Zinsniveau

Stattdessen soll die dritte Frage untersucht werden. Zunächst ist hier zu konstatieren, dass die Ertragslage der Banken zunehmend unter Druck gerät.2) Diese Erkenntnis folgt der gängigen Hypothese, dass Zinsmargen mit niedrigerem Zinsniveau sinken.3) In besonderem Maße gilt dies dann auch für negative, also besonders niedrige Zinsen. Eine breit angelegte Analyse der Auswirkungen lieferte kürzlich die Umfrage zur Ertragslage und Widerstandsfähigkeit deutscher Kreditinstitute im Niedrigzinsumfeld 2015 (sogenannte NZU-Umfrage) der deutschen Bankenaufsicht unter denjenigen deutschen Kreditinstituten, die unmittelbar von BaFin und Bundesbank beaufsichtigt werden. Hierbei wird von den beteiligten Banken quantitativ analysiert und gemeldet, wie sich ein Einfrieren des Niedrigzinsniveaus von Ende 2014 über fünf Jahre auf die Ertragslage der Häuser auswirken würde. Zudem werden Zins- und weitere Stressszenarien untersucht. Die Umfrage hat gezeigt, dass die anhaltend niedrigen Zinsen die deutschen Kreditinstitute in allen abgefragten Szenarien über einen Zeitraum von fünf Jahren deutlich belasten.4)

Diese Belastung ist zumindest in Teilen sicher auch dem Umstand geschuldet, dass nicht nur das Zinsniveau negativ ist (was aktivische und passivische Konditionsmargen unter Druck setzt), sondern auch kaum Steilheit in der Zinsstrukturkurve zu verzeichnen ist (was Fristentransformationserfolge verhindert).5)

Bei weiter gehender Betrachtung lassen sich über die generellen Belastungen der Ertragslage hinaus die folgenden Fragen ausmachen: Führt der negative Einlagenzins der EZB zu auch langfristig nachteiligen Auswirkungen für die Banken? Schränken die Banken die Nutzung der negativ verzinsten Einlagefazilität tatsächlich ein und weichen hierfür auf andere Alternativen aus? Wie verändern sich Kreditnachfrage und Einlagenangebot unter negativen Geld- und Kapitalmarktzinsen? Sehen die Banken die geschäftspolitische Notwendigkeit, negative Referenzzinsniveaus auch auf negative Kundenzinssätze durchschlagen zu lassen? In welchem Ausmaß und welcher Art ist dies bereits geschehen und könnte zukünftig in Erwägung gezogen werden? Wie bewerten Banken die juristische Situation rund um negative Zinsen und welche operativen Konsequenzen ergeben sich hieraus in den verschiedenen Betätigungsfeldern? Hatten oder haben die Banken technische Probleme zu lösen, um die negativen Zinsen in den diversen IT-Systemen und in den Steuerungs- und Kernbankprozessen sachgerecht zu erfassen?

Generelle Bewertung und Prognose

Zu vielen dieser Fragen gab es bislang allenfalls vereinzelte Erkenntnisse und anekdotische Evidenz. Daher wurde im Sommer 2015 im Rahmen einer Abschlussarbeit an der Hochschule Trier eine breit angelegte Befragung deutscher Banken vorgenommen. Anhand eines Online-Fragebogens wurden alle deutschen Geschäftsbanken (1 780 Banken per Stand Dezember 2014) zu diesen Themen befragt. Rund 100 Banken haben sich an dieser Umfrage beteiligt. Darunter waren 65 Genossenschaftsbanken, 18 Sparkassen, 3 öffentlich-rechtliche-Banken6) und 14 Privatbanken. Somit entsprachen die Anteile der verschiedenen Bankengruppen unter den Teilnehmern in etwa deren Anteilen in der Grundgesamtheit. Am häufigsten wurden die Fragebogen innerhalb der Häuser vom Vorstandsstab (38 Prozent) und vom Controlling (27 Prozent) beantwortet.

Nur knapp die Hälfte der befragten Banken schätzt die aktuelle Situation als lediglich kurzfristige Anomalie ein, das heißt, mehr als die Hälfte der befragten Banken geht von einem mittel- oder langfristigen Andauern der gegenwärtigen Situation aus. Da die Realzinsen bereits seit einiger Zeit negativ sind, könnte man geneigt sein, den Vorzeichenwechsel dieses auch als Referenzzins interpretierbaren Nominalzinses als kein besonderes Ereignis anzusehen, sondern lediglich als im Ergebnis weitere graduelle Absenkung des Zinsniveaus. Rund 60 Prozent der befragten Banken sehen diesen Schritt indes als besonderes Ereignis an und erwarten infolge der negativ verzinsten EZB-Einlagenfazilität erhebliche Auswirkungen auf die Kreditwirtschaft. Dies deckt sich mit der aktuell vorgebrachten Überzeugung, dass negative Referenzzinssätze eine besondere Bedrohung sind für passivlastige Einlagenkreditinstitute, insbesondere viele Genossenschaftsbanken und Sparkassen.7)

Ebenfalls rund 60 Prozent der befragten Banken haben die (zwischenzeitlich in Teilen eingetretene) Ausdehnung negativer Zinsen von der Einlagenfazilität auf Geld- und Kapitalmarktzinssätze erwartet.

Bilanzstrukturelle Veränderungen und Kreditnachfrage

Eine nahe liegende Reaktionsmöglichkeit auf negativ verzinste Anlagen bei der EZB wäre das Ausweichen auf andere Anlageformen zur Anlage des Liquiditätsüberschusses. Knapp 80 Prozent der befragten Banken gaben hier indes an, keine oder nur geringe Veränderungen am Volumen der EZB-Anlagen vorzunehmen.

Wenn Banken Änderungen bilanzstruktureller Art vornehmen, gibt es hierfür unterschiedliche Stoßrichtungen. Neben der Forcierung der verschiedenen Segmente des Kundenkreditgeschäftes sind eine verstärkte Anlage liquider Mittel am Interbankenmarkt oder eine verstärkte Bargeldhaltung mögliche Alternativen. Wie Abbildung 1 dokumentiert, nimmt die Mehrzahl der Banken von einer Erhöhung der Bargeldhaltung und der Anlage bei anderen Banken Abstand. Letzteres mag damit begründet sein, dass auch Referenzzinssätze am Interbankenmarkt nach Risikobereinigung keine attraktivere Verzinsung bieten. Hingegen gibt die Mehrzahl der Banken an, die Kreditvergabe im Privatkundengeschäft und an kleine und mittlere Unternehmen zu forcieren.

Markt-/Preispolitik

Damit es allerdings zu der in Teilen von den Banken angestrebten und letztlich auch von der Zentralbank beabsichtigten8) Belebung des Kreditgeschäftes kommt, muss die nachgefragte Kreditmenge steigen. Die Änderung des Kreditnachfrageverhaltens wurde bei den teilnehmenden Banken pauschal abgefragt. Im Hinblick auf das bereits zu beobachtende Kundenverhalten lässt sich konstatieren, dass es mehrheitlich nicht zu veränderter Kreditnachfrage gekommen ist. Eine Differenzierung dieser Aussage kann der nachfolgenden Abbildung 2 entnommen werden. Hierbei fällt auf, dass eine stärkere Nachfrage insbesondere bei Privatkunden und kleinen und mittleren Unternehmen zu verzeichnen ist, jedoch insgesamt im relevanten Bereich der Kreditnachfrage eher zinsunelastische Nachfragesituationen auf den Kreditmärkten zu verzeichnen sind. Dies suggeriert, dass andere Faktoren das Kreditwachstum blockieren. Dass im Aggregat die Kreditzinssätze auch in den vergangenen Monaten gesunken sind und es zu lediglich moderaten Mengenausweitungen gekommen ist, kann im Übrigen auch der Bankenstatistik entnommen werden.9) Im Hinblick auf zukünftig erwartetes Kundenverhalten in diesem Segment ergibt sich ein nahezu identisches Bild.

Mit der vorgenannten Frage ist somit mutmaßlich bereits die Preispolitik der betroffenen Häuser angesprochen. In den etablierten Kalkulationsschemata der Banken wird die Preisuntergrenze für Kredite typischerweise durch den Aufschlag von Margenbestandteilen für Betriebskosten-, Ausfallkosten- und Risikokostenbestandteile ermittelt.10)

Insofern folgt aus einem negativen Referenzzinssatz (zum Beispiel 3-Monats-Euribor) noch kein negativer Kundenkreditzins. Bei hinreichend negativem Referenzzins könnten jedoch vom Wettbewerb auch negative Kundenkreditzinsen erzwungen werden. Wie Abbildung 3 dokumentiert, erwarten die befragten Banken ein solches Szenario ganz überwiegend nicht. Bei dieser Frage gibt es interpretatorischen Spielraum: es muss offenbleiben, ob die Banken mehrheitlich a) derart negative Referenzzinssätze für hinreichend unwahrscheinlich halten, b) trotz hinreichend negativer Referenzzinsätze keinen großen Wettbewerbsdruck auf negative Kundenkreditzinsen erwarten oder c) trotz hinreichend negativer Referenzzinsätze und großem Wettbewerbsdruck auf negative Kundenkreditzinsen das eigene Haus gegebenenfalls entgegen diesem Preisdruck weiterhin im Bereich positiver Kundenkreditzinsen platzieren wollen.

Die fehlende Erwartung negativer Zinsen im Kreditgeschäft deckt sich mit der Einschätzung, dass für Kreditprodukte, deren Verzinsung direkt an einem kurzfristigen Referenzzinssatz hängt (zum Beispiel variabel verzinsliche Kredite mit Zinsreferenz 3-Monats-Euribor), bei vielen Banken schon allein deswegen keine negativen Kreditzinsen angesetzt werden, weil der Referenzzinssatz, einer sich entwickelnden Marktusance folgend, für diesen Zweck bei null gefloort wird.11)

Negative Einlagenzinsen: Mehrheit zögert

Deutlich anders stellt sich die Fragestellung der Zinspolitik im Einlagengeschäft dar. Wie in der Tagespresse berichtet, hat in Deutschland die Skatbank (Direktbanktochter der VR-Bank Altenburger Land) als eine der ersten Häuser mit Wirkung zum November 2014 negative Einlagenzinsen auf besonders hohe Einlagen eingeführt; im Oktober 2015 führte die Alternative Bank als erste Schweizer Bank negative Einlagenzinsen ein. Der Evidenz folgend, zögert indes die Mehrzahl der Banken, der Kundschaft negative Zinssätze zu stellen. In einer derartigen Marktsituation ist zu berücksichtigen, dass bei sehr niedrigen positiven Referenzzinsniveaus, spätestens jedoch mit Erreichen eines Referenzzinssatzes von null in der Margenkalkulation kein Raum mehr ist für Kostendeckung und Gewinnerzielung. Denn die Berücksichtigung von Kosten- und Gewinnbestandteilen würde bei niedrigen positiven Referenzzinsniveaus mutmaßlich und bei negativen Referenzzinsniveaus zwangsläufig zu negativen Einlagenzinssätzen führen. Dies würde - einer gängigen Argumentationslinie folgend - letztlich aus psychologischen Gründen offenkundig zu massiven Verwerfungen im Geschäftsvolumen führen.12) Auch die NZU-Umfrage konstatiert einen starken Druck auf die passivischen Konditionenbeiträge aufgrund der geschäftspolitischen beziehungsweise wettbewerblichen "Null-Prozent-Zinsuntergrenze".13) Sicherlich hält die Banken auch die Alternative der Bargeldhaltung durch die Kunden von spürbar negativen Einlagenzinssätzen ab.

Sollte das Unterschreiten der "Null-Untergrenze" tatsächlich einen starken Impuls zum Abzug signifikanter Teile der Spareinlagen geben, kann dies zu einer Kettenreaktion führen. Der Abzug der Spareinlagen könnte von anderen Einlegern beobachtet werden, die zunächst keine Veranlassung zum Abziehen der Bankeinlagen sahen. Aus Sorge vor Illiquidität der Bank könnten auch diese Einleger ihre Einlagen abziehen, was dann genau die befürchtete Illiquidität der Bank als Folge eines Bank-Runs bewirkt.14) Der Finanzsektor wäre destabilisiert durch einen Bank-Run, der letztlich zumindest teilweise von der Geldpolitik der Zentralbank induziert wäre.15)

Negative Zinsen für Unternehmenskunden

Vor diesem Hintergrund hat die Frage, ob die befragten Banken erwarten, dass den Einlagenkunden negative Einlagenzinsen gestellt werden, eine besondere Bedeutung. Wie Abbildung 4 detailliert, ergibt sich hier ein je nach Kundensegment sehr unterschiedliches Bild: während mit 84 Prozent die überwiegende Mehrzahl der Banken nicht an eine Weiterbelastung negativer Zinsen an Privatkunden denkt, ist dies bei der Weiterbelastung negativer Zinsen an Großunternehmen exakt umgekehrt.

Eine Analyse der Weitergabebereitschaft in Abhängigkeit von der Bankgruppenzugehörigkeit zeigt, dass Privatbanken stärker als Sparkassen und Genossenschaftsbanken bereit sind, negative Zinsen an Privatkunden weiterzugeben. Vordergründig überrascht dieses Resultat, wenn man einmal annimmt, dass sich Einleger von Privatbanken zinselastischer verhalten als Einleger von Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Demnach müssten Privatbanken nach Stellung negativer Einlagenzinssätze in relativer Betrachtung höhere Einlagenabzüge fürchten als Sparkassen/ Genossenschaftsbanken.

Auf der anderen Seite hat das Einlagengeschäft in Sparkassen und Genossenschaftsbanken tendenziell eine stärkere Bedeutung (Anteil an der Bilanzsumme und Ergebnisrelevanz) als im Privatbankensektor. Es kann vermutet werden, dass in diesen Sektoren der Wunsch der Kunden nach sicherer, einfacher Anlage dominiert, und Zinsnachteile im Vergleich zu alternativen Anlagen bis zu einem gewissen Grad in Kauf genommen werden und es zu langfristigen Bindungen kommt. Diese Eigenschaft hat in normalen Zeiten einen substanziellen Wert (franchise value) für die betreffenden Häuser, der sich aus der Diskontierung zukünftiger Erträge in Zeiten höherer Zinsniveaus speist. Kommt es vor diesem Hintergrund zu einer Unterschreitung der null als mutmaßlich psychologisch wichtiger Zinsuntergrenze, kann es zu Zerstörung von Vertrauen und zu den beschriebenen Einlagenabzügen kommen. Letztlich würde dadurch auch der "Markenkern" beschädigt.

Unter Berücksichtigung dieser Hypothesen kann vermutet werden, dass der Privatbanksektor, zumindest der aktivlastige Teil dieses Sektors, weniger stark von Verwerfungen im Kundeneinlagenbereich bedroht ist als der Sparkassensektor und der Genossenschaftsbankensektor (zumindest der passivlastige Teil dieser Sektoren). Insofern resultiert für diese Sparkassen und Genossenschaftsbanken ein größeres Bedrohungspotenzial als für andere Banken. Manch einer erkennt in einem Andauern dieser Situation eine existenzielle Bedrohung der bestehenden, auf Regionalität und Dezentralität aufbauenden Struktur der deutschen Kreditwirtschaft.16)

Einlagengeschäft insgesamt unattraktiv?

Ausgehend von diesen Überlegungen kann vermutet werden, dass sich aus dem Einlagengeschäft kurzfristig keine positiven Erfolgsbeiträge erwirtschaften lassen. Ob es gleichwohl lohnend ist, kurzfristige Verluste aus dem Einlagengeschäft hinzunehmen, hängt von den Annahmen darüber ab, ob sich weiterhin eine Kundenbindung erhalten lässt und ob mittel- bis langfristige Zinsniveaus wieder positive passivische Konditionsmargen erlauben. Möglicherweise sind ab einem gewissen Punkt nicht nur die aktuellen Erfolgsbeiträge, sondern auch die franchise values aus dem Einlagengeschäft negativ, was die Fortführung des Einlagengeschäftes insgesamt unattraktiv werden lässt.

Zusätzliches Bedrohungspotenzial ergibt sich in der aktuellen Situation sicher auch dadurch, dass ausgehend von der aktuellen Liquiditätsausstattung bei den Banken ein Überangebot für Kredite besteht. Dies führt wettbewerbsbedingt mutmaßlich zur Margenerosion auch auf der Aktivseite und möglicherweise zu Ausweichreaktionen in höhere Spread- und Risikoregionen, was Gefahren birgt.17) Diese sehr negativen Aussichten werden unter Umständen kurzfristig dadurch kaschiert, dass höher verzinsliche Aktivabestände aus der Vergangenheit aktuell noch Ergebnisbeiträge liefern (beziehungsweise in barwertiger Betrachtung noch Liquidationswerte oberhalb der Buchwerte aufweisen). Dieser Effekt wird jedoch bei andauerndem Niedrigzinsniveau sukzessive wegfallen.

Kompensation

In einer weiteren Frage wurde nicht die Pricing-Reaktion auf negative Referenzzinssätze im Allgemeinen abgefragt, sondern die spezielle Kompensationsnotwendigkeit für Ausfälle aus dem negativen EZB-Einlagenzins durch andere profitabilitätsrelevante Entscheidungen im Privatkundenbereich. Rund 85 Prozent der befragten Banken sehen keine Kompensationsmöglichkeiten durch Kosteneinsparungen und rund 85 Prozent der befragten Banken keine Kompensationsmöglichkeiten durch Erhöhung der Kreditzinsen für Privatkunden. Hingegen sehen rund 65 Prozent der befragten Banken die Notwendigkeit (und Möglichkeit?), diese Ausfälle durch gesenkte Einlagenzinsen für Privatkunden zu kompensieren.

Rund 70 Prozent der befragten Banken gaben an, zur Kompensation der durch die Strafzinsen der EZB belasteten Ertragslage eine gewisse Notwendigkeit zur Erhöhung von Kontoführungsgebühren für Privatkunden zu sehen. Dies kann auch aus theoretischer Sicht insbesondere dann eine erwägenswerte Alternative sein, wenn der Einlagenzins infolge des negativen EZB-Zinses auf Basis von Opportunitätsüberlegungen (Fund Transfer Pricing mit Reservehaltungserfordernis für Einlagen) auch bei noch nicht negativen Referenzzinssätzen eigentlich gesenkt werden müsste, jedoch aus den dargestellten Gründen nicht weiter gesenkt werden kann. Für Geschäftskunden ergaben sich nahezu identische Prozentsätze. Auch wenn in dieser Befragung nicht abgefragt, kann spekuliert werden, ob unter negativen Referenzzinsen (also zum Beispiel 3-Monats-Euribor) nicht generell die Erhöhung von Kontoführungsgebühren oder die Forcierung des Provisionsgeschäfts ein probates Mittel ist, um die dargestellten Belastungen zumindest in Teilen zu kompensieren.18)

Probleme: Vertragsrichtlinien und IT-Systeme

Infolge der Existenz negativer Referenzzinssätze sind Geschäftsbanken im Interbankenmarkt direkt mit negativ verzinsten Positionen konfrontiert und könnten indirekt bei hinreichend negativen Referenzzinssätzen veranlasst sein, wie im vorherigen Abschnitt dargestellt, auch negative Zinssätze im Kundengeschäft zu veranschlagen. Operative Konsequenzen können sich im Bankbetrieb aufgrund der negativen Zinssätze bei den Vertragswerken, IT-Systemen und bei den Prozessen ergeben. Einen Überblick über die tatsächlich bei Banken zu verzeichnenden Problemlagen gibt die Abbildung 5.

Hieraus wird ersichtlich, dass im Hinblick auf die vorliegende Situation Vertragsrichtlinien und IT-Systeme als deutlich problemintensiver als Prozesse wahrgenommen werden. Eine Detailanalyse lässt erkennen, dass sich die Genossenschaftsbanken etwas mehr als die anderen Bankengruppen vor schwer oder nicht zufriedenstellend lösbare Probleme gestellt sehen. Es stellt sich die Frage, wie die Häuser auf diese Problemlagen reagiert haben. Abbildung 6 lässt erkennen, dass rund zwei Drittel der befragten Banken zum Zeitpunkt der Befragung noch keine oder kaum Änderungen vorgenommen haben. Die Frage, ob die Stellung negativer Zinsen im Kundengeschäft vertragsrechtlich überhaupt zulässig ist, ist zunächst einmal ungeklärt. Eventuell sind bestehende Verträge und Rahmenwerke anzupassen. Es ist argumentiert worden, dass durch den Übergang der Verzinsung in den negativen Bereich die Rechtsnatur des Einlagenvertrags verändert wird. Unter negativer Verzinsung ist der Einlagenvertrag demnach ein echter Verwahrungsvertrag nach § 688 BGB. Banken, die je nach Marktumfeld positive und negative Zinssätze ansetzen wollen, benötigen als Rechtsgrundlage einen Typenmischvertrag aus echter Verwahrung und Darlehen beziehungsweise unregelmäßiger Verwahrung. Bestehende Verträge decken diese Rechtsanforderung offenbar häufig nicht ab. Daher bedarf es einer Vertragsanpassung, was für Termineinlagen unproblematisch, für revolvierende Sicht- und Spareinlagen jedoch problematisch ist. Eine Vertragsänderung, Information und lediglich stillschweigende Zustimmung ist offenbar nicht ausreichend.19) Es ist auch die Auffassung vertreten worden, dass Sparkassen und Genossenschaftsbanken infolge der Bindung durch Satzungen und Gesetze der Sparkundschaft nur strikt positive Zinssätze stellen dürfen.20)

Auch im Derivategeschäft, insbesondere bei Zins swaps, ist auf den ersten Blick unklar, ob zum Beispiel bei einem Festzinszahlerswap auch auf dem variablen Bein des Swaps, also damit auf beiden Beinen eine Zahlung erfolgen muss, oder ob nicht ein Floor greift. Ebenso ist hier zu klären, ob gestellte Cash-Collaterals negativ verzinst oder nullverzinst werden. Unter Umständen sind auch hier bestehende Verträge oder Vertragsannexe zu Rahmenverträgen zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen beziehungsweise zu ergänzen. Die ISDA hat hierzu im Mai 2014 im "Collateral Agreement Negative Interest Protocol" festgelegt, dass die variablen Zinssätze nicht gefloort werden und somit potenziell negativ werden. Offenbar haben viele Banken dieses Protokoll unterzeichnet. Ein solches Protokoll gibt es für den Deutschen Rahmenvertrag (DRV) nach unserer Kenntnis aktuell nicht.

Im Kredit- und Einlagengeschäft gaben rund 50 Prozent der befragten Banken keine erkennbaren juristischen Probleme an. Von den verbleibenden rund 50 Prozent gaben rund 20 Prozent der Banken an, beträchtliche juristische Probleme ausgemacht zu haben. Unter den IT-Systemen scheinen die Kernbanksysteme und die Controllingsysteme stärker als die übrigen Systeme mit Problemen wegen negativer Zinsen belastet zu sein. Ein Einfluss faktor mag hier die Unsicherheit über die sachgerechte Erfassung und Verbuchung negativer Zinssätze in der Gewinn- und Verlustrechnung sein.21) Wenig Schwierigkeiten scheinen die befragten Banken diesbezüglich mit ihren Front-Office-Systemen zu haben. Abbildung 7 zeigt die dies bezüglichen Einschätzungen in der Übersicht.22)

Auswirkung auf Kreditnachfrage bleibt fraglich

Im Rahmen einer Befragung aller deutschen Banken im Sommer 2015 konnte aus den Antworten von rund 100 Banken folgendes Bild gewonnen werden:

- Die Banken gehen von einem mittel- oder langfristigen Andauern der gegenwärtigen Zinssituation mit negativen Zinsen aus und erwarten erhebliche Auswirkungen auf die Kreditwirtschaft.

- Offenbar schränken die Banken die Nutzung der negativ verzinsten Einlagefazilität nur wenig zugunsten anderer Anlagen ein.

- Es gibt keine klare Aussage zur Frage, ob es zu einer Ausweitung der Kreditnachfrage und/oder des Kreditvolumens infolge des Negativzinsumfeldes gekommen ist. Tendenziell scheint es zu einer Belebung des Kreditgeschäftes mit Privatkunden und kleinen und mittelständischen Unternehmen gekommen zu sein.

- Negative Zinssätze im Kreditgeschäft der Banken werden überwiegend nicht erwartet. Im Einlagengeschäft ergibt sich ein differenziertes Bild: die Mehrzahl der Banken lässt keine Veranlassung zur Stellung negativer Zinsniveaus an Privatkunden, wohl aber an Unternehmenskunden erkennen. Privatbanken scheinen eher als Sparkassen und Genossenschaftsbanken bereit zu sein, Einlagenkunden mit negativen Einlagenzinsen zu konfrontieren.

- Die befragten Banken geben an, auf Probleme überwiegend im Bereich von Vertragsrichtlinien und im Bereich der IT-Systeme gestoßen zu sein.

- Unter den IT-Systemen scheinen die Kernbanksysteme und die Controllingsysteme stärker als die übrigen Systeme mit Problemen wegen negativer Zinsen belastet zu sein.

Die Mehrzahl der Banken hatte zum Zeitpunkt der Befragung noch keine oder kaum Anpassungen an Vertragswerken/-richtlinien und IT-Systemen vorgenommen, auch wenn bereits Probleme identifiziert wurden. Insofern scheint das Thema "negative Zinsen" in der Kreditwirtschaft eine unverändert hohe Relevanz zu haben. Banken, die eine Bestandsaufnahme möglicher Probleme ihrer Häuser im Umfeld negativer Zinsen durchführen wollen, können die Checkliste in Abbildung 8 als Ausgangspunkt nehmen.

Die Autoren danken Jens Biehsmann und Prof. Dr. Jörg Gutsche für die kritische Durchsicht des Manuskripts sowie Anregungen. Besonderer Dank gilt Prof. Dr. Axel Wieandt, der neben Anregungen zum Manuskript zuvor auch in anderem Zusammenhang den Impuls zur Beschäftigung mit dem Thema gab.

Fußnoten

1) Vgl. zum Beispiel Brühl/Walz (2015); vgl. Polleit (2015), S.18 ff.; vgl. van Suntum (2015); vgl. Belke (2015), S. 14ff.; vgl. Gareis (2014).

2) Vgl. ähnlich BDB (2014).

3) Vgl. auch unlängst Busch/Memmel (2015).

4) Vgl. BaFin (2015), S. 7.

5) Vgl. Wieandt (2015), S. 30.

6) Diese wurden in den nachfolgenden Auswertungen mit der Gruppe der Sparkassen zusammengefasst.

7) Vgl. Burghof (2015), S. 6; vgl. Otte (2015), S. 9f. Demgegenüber weist Cœuré darauf hin, dass dies im Falle von passivlastigen Banken für alle Referenzzinssenkungen und nicht nur für negative Referenzzinsen gilt, vgl. Cœuré (2014), S. 4.

8) Vgl. Cœuré (2014), S. 6.

9) Vgl. Bundesbank (2015).

10) Vgl. zum Beispiel Hartmann-Wendels et al. (2015), S. 683ff.

11) Vgl. o.V. (2015a), S. 2.

12) Vgl. Burghof (2015), S. 7.; vgl. Otte (2015), S. 9f.; vgl. o.V. (2015c).

13) Vgl. BaFin (2015), S. 4.

14) Vgl. Burghof (2015), S. 7.

15) Demgegenüber stellt Cœuré die Frage nach dem Wirkungszusammenhang: Hat ein destabilisierter Finanzsektor zu negativen Zinsen geführt oder führen negative Zinsen zu einem destabilisierten Finanzsektor? Vgl. Cœuré (2014), S. 3 f., der als Heilmittel gegen unbeabsichtigte Destabilisierungseffekte auf die Bankenaufsicht verweist.

16) Vgl. Burghof (2015), S. 7.

17) Vgl. Wieandt (2015), S. 30.

18) Vgl. zur damit angesprochenen Frage des Bundlings für das Pricing in Banken zum Beispiel Blahusch (2012), S. 194ff. und S. 222ff.

19) Vgl. im einzelnen Tröger (2015), S. 11 ff. Zu einer anderen Einschätzung hinsichtlich der Rechtsnatur des Einlagenvertrages in Zeiten negativer Zinsen kommen Weigel/Meyding-Metzger (2015), S. 189.

20) Vgl. Burghof (2015), S. 6.

21) Zur Darstellung alternativer Posten der GuV zur sachgerechten Erfassung negativer Zinsen vgl. Löw (2015), S. 66 ff. und Weigel/Meyding-Metzger (2015), S. 186ff.

22) Vgl. auch o.V. (2015b).

Literatur

BaFin, Ergebnisse der Umfrage zur Ertragslage und Widerstandsfähigkeit deutscher Kreditinstitute im Niedrigzinsumfeld, in: https://www.bafin.de/Shared-Docs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2015/meldung_150918_pressegespraech_niedrigzinsumfeld.html (Aufruf 19.11.2015), 2015.

Belke, A., Negativzins - Marktverzerrung und Systemwechsel, in: ifo Schnelldienst (68) 2015, H. 2, S. 14-18.

Blahusch, M. O., Preismanagement im Privatkundengeschäft von Banken - eine empirische Analyse des Passiv- und Dienstleistungsgeschäftes unter besonderer Beachtung von Behavioral Pricing, Springer Gabler, 2012.

Brühl, V./Walz, U., Das anhaltende Niedrigzinsumfeld in Deutschland - ökonomische Effekte auf private Haushalte und ausgewählte institutionelle Investoren, CFS Working Paper No 506/2015.

Bundesbank, Bankenstatistik August 2015 - Statistisches Beiheft 1 zum Monatsbericht, in: https:// www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Statistische_Beihefte_1/ 2015/2015_08_bankenstatistik.pdf?__blob= publicationFile, 2015 (Aufruf: 24.11.2015).

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Hartmann-Wendels, T./Pfingsten, A./Weber, M., Bankbetriebslehre, 6. Aufl., Springer, 2015.

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o. V. (2015b), Negativzins überfordert Banksysteme - warum Banker nicht mit Minuszeichen umgehen können, in: Manager Magazin 2015, H. 6 beziehungsweise http://www.manager-magazin.de/unternehmen/banken/banksysteme-kommen-nicht-mit-negativzinsen-klar-a-1022159.html (Aufruf: 24.11.2015).

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Tröger, T., Negative Zinsen auf Einlagen - juristische Hindernisse und ihre wettbewerbspolitischen Auswirkungen, in: ifo Schnelldienst (68) 2015, H. 2, S. 11-14.

van Suntum, U., Kann der natürliche Zins negativ werden?, in: Wirtschaftswoche, 8.11.2014 beziehungsweise: http://www.wiwo.de/politik/konjunktur/pro-talfahrt-der-zinsen-kann-der-natuerlichezins-negativ-werden/10953044.html (Aufruf: 24.11. 2015).

Weigel, W./Meyding-Metzger, A., Der Ausweis eines "Phänomens" - Negative (Nominal-)Zinsen im Abschluss von Kreditinstituten, in: Zeitschrift für internationale Rechnungslegung (10) 2015, H. 5, S. 185-192.

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