Die entscheidende Dekade zur Begrenzung der Erderwärmung hat begonnen

Carola von Schmettow, Foto: HSBC Deutschland

Sustainable Finance ist trotz der enormen Präsenz der Corona-Pandemie nach wie vor eines der Topthemen in der Finanzwelt. Das liegt zum einen an dem gesellschaftspolitischen Druck, aber auch an der Tatsache, dass die Nichterreichung der Pariser Klimaziele irreversible Konsequenzen für die ganze Welt zur Folge haben könnten. Da den Banken beim Wandel hin zu einer grüneren Wirtschaft eine besondere Schlüsselrolle zufällt, sollten diese auch ihre Kunden bei der Transition unterstützen sowie neben eigenem Engagement für mehr Transparenz in den Kreditbüchern sorgen, so die Autorin. Um herauszufinden, welche Transitionsrisiken für die Kunden bestehen sowie an welchen Stellen diese einen Finanzierungsbedarf für sich sehen, hat die HSBC eine Umfrage unter ihren Kunden durchgeführt. Dadurch könne genau bestimmt werden, welcher Anteil des Kreditbuchs auf welchen Sektor entfalle, was die Ableitung von Risikoszenarien ermögliche. (Red.)

Das Corona-Virus hat die Weltwirtschaft im Griff. Die Pandemie schränkt das tägliche Leben ein, lähmt ganze Wirtschaftszweige und Nationen. Weltweit steigen Arbeitslosigkeit und Armut. Parallel erreicht die Verschuldung der Staaten neue Rekordstände. Doch seitdem geimpft wird, scheint die Krise beherrschbar. Und dennoch hat die internationale Staatengemeinschaft in Friedenszeiten noch nie so viele Gelder zur Linderung einer Wirtschaftskrise bereitgestellt wie gegenwärtig. Die Pandemie gibt einen Vorgeschmack auf das, was passieren würde, wenn es den Staaten nicht gelingt, das Pariser Klimaabkommen zu erreichen, sprich, wenn die Erderwärmung nicht unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter gehalten werden könnte. Die Klimakrise würde unseren Planeten weitaus stärker treffen, als es Corona je könnte.

Diese Erkenntnis ist im vergangenen Jahr gereift: Das Thema Klimaschutz musste nicht wie üblich angesichts schlechter Wirtschaftszahlen zurückstecken, sondern hat bei Regierungen und Unternehmen an Popularität sogar noch gewonnen. Das zeigt exemplarisch die große Navigator-Umfrage von HSBC bei mehr als 10 000 Firmen in 39 Ländern. Im Herbst 2020, mitten in der Pandemie, stand das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda. Mehr als 90 Prozent aller befragten Unternehmen gaben an, in der aktuellen Phase ihr Geschäft auf nachhaltigere Füße stellen zu wollen. 86 Prozent von ihnen erwarten dank eines nachhaltigeren Geschäftsmodells in Zukunft höhere Umsätze.

Nachhaltigkeit gewinnt weiter an Relevanz

Politischer Rahmen für die Veränderungen ist und bleibt das Pariser Klimaschutzabkommen aus dem Jahr 2015. Schon jetzt, im Vorfeld der nächsten Klimakonferenz im November in Glasgow, ist absehbar, dass weitere Anstrengungen nötig sind, um die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen - von Politik, Wirtschaft und auch von den Banken.

In der Vergangenheit agierten die Banken eher zögerlich. Eine Umfrage von Deloitte unter europäischen Unternehmens-CFOs von Ende 2019 zeigt das sehr deutlich. Der Druck, beim Thema Klima zu handeln, kam damals vor allem von Kunden und Mitarbeitern - so die Auskunft von etwa 80 Prozent der befragten Finanzvorstände. Rund 60 Prozent gaben dagegen an, bislang keinerlei Druck durch ihre Kreditgeber zu spüren. Doch das ändert sich gerade.

Denn Banken können einen erheblichen Beitrag leisten, den Klimawandel aufzuhalten. Sie finanzieren die Investitionen der Unternehmen und können sie so auf dem Weg zur Klimaneutralität und Dekarbonisierung unterstützen. Das müssen sie schon aus eigenem Interesse, denn nur die Unternehmen, die die Transformation hin zur Klimaneutralität schaffen, werden auch künftig erfolgreich agieren und die gewährten Kredite zurückzahlen können.

HSBC sieht zwei fundamentale Risiken aus dem Klimawandel für Unternehmen und deren Geschäftsmodelle: physische Risiken und Transitionsrisiken. Erstere sind Risiken, die aus unmittelbaren Veränderungen des Klimas entstehen, zum Beispiel eine Überschwemmung von Produktionsstätten oder Lieferschwierigkeiten, beispielsweise durch Rhein-Niedrigwasser. Transitionsrisiken sind dagegen Risiken, die den Unternehmen durch den Übergang in eine CO2 -arme Wirtschaft entstehen, um das Paris-Ziel zu erreichen.

Physische Risiken und Transitionsrisiken

Beispiele für Transitionsrisiken sind politisch motivierte Veränderungen, etwa wenn fossile Brennstoffe gezielt verteuert und Umweltabgaben eingeführt werden. In der Folge kann einem Unternehmen oder einer ganzen Branche die Ertragsgrundlage wegbrechen. Ein Beispiel sind die steigenden Belastungen aus dem Handel mit CO2-Zertifikaten. Für die Industrie liegt der Preis für eine Tonne CO2 derzeit bei rund 40 Euro - das ist mehr als eine Vervierfachung gegenüber dem Jahr 2018. Schon aus politischen Gründen ist hier aber noch nicht Schluss. Der Preis soll laut Klimapaket der Bundesregierung für die Bereiche Verkehr und Heizen schrittweise auf 55 Euro steigen. Doch auch dieser Preis ist noch immer weit von dem entfernt, was nach Expertensicht nötig ist, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen zu können.

Eine weitere Gefahr: Vermögenswerte verlieren im Zuge der Transition plötzlich an Wert. Beispielsweise stehen bei vielen Energieunternehmen noch heute hohe Öl- und Kohlereserven als Aktivposten in der Bilanz. Möglicherweise darf aber in Zukunft nur noch ein Teil der weltweiten fossilen Reserven gehoben werden. In diesem Fall werden die aktivierten Reserven in der Bilanz möglicherweise wertlos. Das gilt auch für Produktionsanlagen, die auf fossile Energien angewiesen sind. Diese Vermögenswerte werden also zu sogenannten "Stranded Assets".

Risiko von Stranded Assets

Der Umbau der Geschäftsmodelle, "Stranded Assets" und steigende Ausgaben für CO2 -Emissionen kostet vielen Unternehmen viel Geld. Deshalb werden klimabezogene Risiken und Chancen immer stärker in den Fokus der Banken rücken - und sich auch in der Werthaltigkeit der Kreditportfolios niederschlagen. Das treibt übrigens auch die Aufsicht um. Klimarisiken werden uns also viel schneller und viel intensiver beschäftigen als noch vor wenigen Jahren beim Klimagipfel in Paris gedacht.

Es liegt also im ureigensten Interesse der Banken, ihre Kunden bei deren Transition zu unterstützen. Sie müssen selbst aktiv werden - um mehr Transparenz in ihre Kreditbücher zu bringen, um mit ihren Kunden in einen vertiefenden Dialog zu kommen, und nicht zuletzt: Weil der Klimaschutz jeden angeht.

Die HSBC ist diesbezüglich schon im Jahr 2017 aktiv geworden. Damals hatten sie sich dazu verpflichtet, bis Ende des Jahres 2025 ein Volumen von insgesamt rund 100 Milliarden US-Dollar für Unternehmen und Institutionen bereitzustellen, die ihr Geschäftsmodell nachhaltig ausrichten wollen - sei es über Kredite oder Investitionslösungen. Bis Ende des vergangenen Jahres wurden für dieses Programm bereits 93 Milliarden US-Dollar abgerufen - also viel rascher als es 2017 realistisch erschien.

Deshalb wurde im vergangenen Oktober die Summe erhöht. Für die Dekade bis 2030 stehen weitere 750 Milliarden bis eine Billion Dollar für grüne Finanzierungen bereit. Damit werden den Firmen sowie der öffentlichen Hand spezifische Finanzierungen ihrer Transitionsvorhaben, nachhaltige Infrastrukturlösungen und nachhaltige Investments angeboten.

Parallel zu den ersten 100 Milliarden Dollar hat die HSBC Fragebogen für diejenigen Kunden entwickelt, die aus Sicht des Instituts am stärksten von Transitionsrisiken betroffen sind. Die Fragen wurden in vier Kategorien aufgeteilt: Risiken, Governance & Strategie, Metrics & Targets sowie Geschäftsmöglichkeiten. Ziel war es, ein Verständnis für die Strategien bezüglich des Klimawandels zu schärfen. Gleichzeitig sollte herausgefunden werden, welche Transitionsrisiken sowie welchen Finanzierungsbedarf diese Kunden für sich sehen. So gelingt es auch, das Risikomanagement auf die Klima- und Transitionsrisiken auszurichten.

Kunden sehen Finanzierungsbedarf

Dabei wurden zunächst sechs Sektoren identifiziert, die am stärksten vom Kampf gegen den Klimawandel betroffen sind: Automobil, Öl & Gas, Energie & Kraftwerke, Chemie, Metalle & Bergbau und Bau. Bis Ende 2020 hatte die HSBC über diese Fragebogen Informationen zu mehr als 40 Prozent ihres Kreditbuchs erhalten. Es kann also genau bestimmt werden, welcher Anteil des Kreditbuchs auf welchen Sektor entfällt, woraus Risikoszenarien abgeleitet werden können. Seit vergangenem Jahr wurde die Reihe der Sektoren um Immobilienwirtschaft, Transport, Landwirtschaft und das produzierende Gewerbe erweitert.

Hinter den Analysen und dem Engagement der HSBC stand schon damals eine ganz grundsätzliche Überzeugung: Banken sollten sich nicht von ihren Kunden trennen, wenn diese sich auf den mühsamen Weg der Transition begeben in Richtung Klimaneutralität. Banken müssen sich der Verantwortung stellen und ihren Kunden in der Übergangszeit den finanziellen Spielraum ermöglichen, den sie für die Transition benötigen.

Welche gewaltigen Investitionen nötig sind, zeigen die Berechnungen der EU. So sind zur Erreichung des Emissionsreduktionsziels von 40 Prozent bis 2030 jährlich 260 Milliarden Euro an zusätzlichen öffentlichen und privaten Investitionen notwendig. Und längst stehen Forderungen im Raum, das Emissionsreduktionsziel auf 60 Prozent bis 2030 zu verschärfen - immer im Vergleich zum CO2 - Ausstoß im Jahr 1990.

Net Zero Bank als Ziel

Zahlreiche Großfinanzierungen zeigen, wie punktgenau die HSBC dabei vorgeht. So wurden die Emission eines Zwei-Milliarden-Euro Green Bonds für Volkswagen zur Finanzierung von elektrischen Fahrzeugen begleitet oder eine Schlüsselrolle bei einer 950-Millionen-Dollar-Kreditfazilität der britischen Weir Group übernommen, deren Zinszahlung an nachhaltigen Performance-Indikatoren des Unternehmens knüpft.

Im Oktober 2020 wurde das grüne Finanzierungsvolumen auf bis zu einer Billion Dollar aufgestockt. Außerdem möchte die HSBC bis zum Jahr 2030 klimaneutral werden. Noch wichtiger aber: Sie hat sich dazu verpflichtet, dass auch die Aktivseite, also das Kredit- und Anleiheportfolio, bis spätestens 2050 klimaneutral sein wird. Danach sollen keine Firmen mehr finanziert werden, die netto CO 2 ausstoßen.

So wurde beschlossen, die Finanzierung der Energiegewinnung über Kohle bis zum Jahr 2030 in der EU und den OECD-Ländern auslaufen zu lassen; für alle anderen Länder soll dies bis 2040 gelten. Die HSBC hat sich ebenfalls dazu verpflichtet, jedes Jahr darüber Rechenschaft abzulegen, indem sie sich kurz- und mittelfristig an wissenschaftsbasierten Zielen messen lässt, die sich wiederum an der Einhaltung des Pariser Klimaabkommens orientieren.

Entscheidende Phase hinsichtlich der Klimaneutralität

Dieses Vorhaben der "net zero bank" ist ein globales Transformationsprojekt. Denn "Carbon Accounting" und das noch fortschrittlichere PACTA-Tool, mit dem man überprüfen kann, ob der Pfad, den die Unternehmen einschlagen, mit den Pariser Zielen übereinstimmt, erfordern ein ganz anderes Set von Kennziffern, eine andere Form der Buchhaltung und der Interaktion mit den Kunden, Investoren und Regulatoren. Das Institut muss in der Lage sein, den Beitrag jeder Finanzierungs- oder Investitionslösung zur Klimaneutralität genau zu bestimmen und das Kapital entsprechend zu allokieren.

Es ist klar: Wir sind in die entscheidende Phase eingetreten. Die Themen Nachhaltigkeit und Klimaneutralität haben während der Corona-Pandemie kräftig Fahrt aufgenommen. Die nächsten zehn Jahre werden zeigen, ob es uns gelingt, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten und eine globale Krise ungekannten Ausmaßes zu verhindern. Die Chancen standen nie besser, wenn die Banken die Transformation gemeinsam mit ihren Kunden anpacken. Gerade jetzt brauchen sie die Häuser an ihrer Seite, um die hohen Investitionen stemmen zu können, die erst die Voraussetzung für ein klimaneutrales und nachhaltiges Wirtschaften schaffen.

Carola von Schmettow Sprecherin des Vorstands, HSBC Deutschland, Düsseldorf
Carola von Schmettow , Sprecherin des Vorstands, HSBC Deutschland, Düsseldorf
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