EPI - Wiederherstellung einer unternehmerisch bestimmten europäischen Payment-Strategie?

Laurenz Kohlleppel, Foto: L. Kohlleppel

Der Europäischen Payment Initiative werden aktuell nicht mehr allzu große Chancen eingeräumt, tatsächlich über den Projektstatus hinauszukommen und in die Umsetzung zu gelangen. Das liegt an enormen Investitionen, die notwendig wären, ebenso wie an mangelnder politischer Rückendeckung. Entsprechend ziehen sich mehr und mehr Banken, zuletzt die Commerzbank, aus EPI zurück und nehmen eine abwartende Haltung ein. Das ist ausgesprochen gefährlich, stellt der Autor in diesem Rück- und Ausblick zu Europas Zahlungsverkehrsstrukturen fest. Denn die europäische Kreditwirtschaft hat in den vergangenen Jahren nahezu alle Eigenständigkeit im Zahlungsverkehr aufgegeben und sich damit in eine große Abhängigkeit von Spielern außerhalb Europas begeben. Die Realisierung von EPI bedeutet für ihn nicht weniger, als ein Stück Emanzipation und Rückgewinnung von Souveränität für Europas Finanzindustrie im Retail Banking. Dafür muss der Ansatz aber weiterentwickelt werden. Einige Vorschläge unterbreitet der Autor. (Red.)

Schaut man vor einer Betrachtung des europäischen Umfeldes zunächst auf das eigene Land, ließ sich lange Zeit der Markt oder konkreter die Produktlandschaft des Zahlungsverkehrs in Deutschland im Retail Banking in verkürzter, aber doch einigermaßen zutreffender Weise durch EC-Karte/Girocard, Überweisungsverkehr und Lastschrift und für einen eher kleinen Teilmarkt noch eine Kreditkarte beschreiben. Mit den damit zur Verfügung stehenden Möglichkeiten war der Privatkunde bestens ausgestattet und der Handel schien sich wegen des anhaltend hohen Bargeldanteils bei seinen Umsätzen über einen scheinbar kostengünstigen Zahlungsverkehr zu freuen. Und die Kreditwirtschaft, so der Eindruck, schien damit ebenfalls ihren Frieden gemacht zu haben und den Zahlungsverkehr als Betätigungsfeld einer kleinen Kaste von Spezialisten im Zentralen Kreditausschuss, heute Deutsche Kreditwirtschaft - DK, angesehen zu haben. Diese kümmerten sich um eine technisch ausgereifte, sichere und kostengünstige Zahlungsverkehrsabwicklung.

Rückzug der Kreditwirtschaft

Als eigenständiges Geschäftsfeld mit Perspektive und hohem Gewicht wurde der Zahlungsverkehr dem Anschein nach kaum angesehen. Man konnte, von außen betrachtet, sogar den Eindruck gewinnen, dass man eigentlich insgesamt gut aufgestellt sei und sich auf seine Zahlungsverkehrspartner, das heißt die US-amerikanischen Kartensysteme, zur Abdeckung des Bedarfs im außereuropäischen Ausland verlassen konnte. Eigene unternehmerische Beteiligungen wurden daher zurückgefahren beziehungsweise veräußert. Dies ist natürlich ein verkürztes Bild, aber wahrscheinlich nicht ganz unzutreffend.

Ein solcher Ansatz kann durchaus schlüssig sein, wenn dieses Geschäftsfeld als von nicht wirklich strategischer Bedeutung wahrgenommen wird. Die deutschen Banken und Sparkassen standen schließlich in Europa auch nicht allein mit einer solchen Sicht. So könnte man sich rückblickend den Rückzug der Kreditwirtschaft aus Europay, einem eigenständigen europäischen Kartenzahlungssystem, dem Grunde nach vergleichbar den amerikanischen Schemes, aus Transaktionsbanken wie der GZS oder dem TAI/Equens oder auch dem Abschied vom Acquiring-Geschäft mit der Veräußerung der Concardis erklären. Geblieben sind Minderheitsbeteiligungen der Sparkassenorganisation oder ein eher mittelständisches Engagement der genossenschaftlichen Bankengruppe. Dass die Erlöse aus dem Zahlungsverkehr für viele Kreditinstitute für einen Anteil von bis zu 50 Prozent am Provisionsergebnis verantwortlich waren, hat diese Entscheidungen nicht grundsätzlich bestimmt.

In einer Reihe anderer europäischer Länder hat es, zum Teil mit anderen Schwerpunkten, ähnliche Desinvestitionsprozesse gegeben, auch wenn es scheint, dass sie in Deutschland mit besonderer Konsequenz betrieben wurden. Allerdings kamen doch immer wieder Zweifel auf, ob dieser Rückzug, langfristig betrachtet, strategisch klug ist. So stellte die letztlich nicht weiter verfolgte Initiative unter dem Arbeitstitel "Monnet" in den Jahren 2007 bis 2011/12 den Versuch dar, strategische Handlungsfähigkeit und Gestaltungshoheit auf dem Feld des Zahlungsverkehrs zurückzugewinnen. Auch die vom Handel und faktisch den Acquirern im Jahr 2015 letztlich gewonnene Auseinandersetzung um die Höhe der Interchange, dem Anteil der Kartenemittenten an den Erlösen aus dem Karteneinsatz, hat in der Wahrnehmung der Kreditwirtschaft ebenfalls Spuren hinterlassen und anhaltendes Nachdenken zur Ertragsrelevanz dieses Geschäfts ausgelöst.

Der Status quo und seine Herausforderungen

Aus geschäftspolitischer Sicht ist der Zahlungsverkehrsmarkt Europa fragmentiert und stellt unverändert einen Flickenteppich aus einer Vielzahl nationaler Märkte dar. Zwar gibt es auf europäischer, seit dem Brexit genauer kontinentaleuropäischer Ebene bedeutende gemeinsame Lösungen im Zahlungsverkehr und seinen Institutionen, wie den Euro als gemeinsame Währung und eine hochentwickelte Regulierung und Standardisierung - Stichworte Berlin Group, SEPA und PSD2 - und die Europäische Zentralbank EZB. So ist die EZB die institutionelle Klammer, die sich unter anderem aktiv mit aktuellen Themen wie dem digitalen Euro (CBDC) befasst. Aber, und das ist der Fokus der hier angestellten Überlegungen, es gibt seit der Veräußerung von Europay keine unternehmerische Basis mehr für eine europäisch getragene und marktprägende Strategie im Zahlungsverkehr, schon gar nicht in Kontrolle der Kreditwirtschaft.

Einer der letzten Ansätze war der nicht erfolgreiche Versuch in Deutschland, die Concardis aus ihrer Verfassung als Gemeinschaftsunternehmen in eine neue konsequent unternehmerisch ausgerichtete Beteiligungsgesellschaft von Kreditinstituten mit internationaler Reichweite zu transformieren. Dies ist umso bemerkenswerter, als es sich in Europa um einen hoch attraktiven Markt von über 440 Millionen Menschen, davon mehr als 340 Millionen in der Eurozone, handelt, der zu den kaufkraftstärksten Regionen der Welt zählt. Die fehlende unternehmerische Basis zeigt sich dann auch darin, dass sich die europäischen Aktivitäten stärker auf der regulatorischen und institutionellen Seite als auf der Marktseite niederschlagen.

Damit soll die Vielzahl von Unternehmensgründungen im paymentnahen Bereich nicht übersehen werden, die aber - realistisch betrachtet - den Markt in Europa bis auf wenige Ausnahmen (Beispiel Klarna) nicht geprägt haben. Sie haben sich durchweg außerhalb der Kreditwirtschaft ereignet und kaum strukturbildenden Charakter gezeigt.

Vergleicht man Europa mit den anderen führenden Wirtschaftsregionen der Welt, finden wir in den USA, China, Japan, Russland und Indien eigene Zahlungsverkehrsinfrastrukturen und strategische Plattformen inklusive Produktwelten. Zwar gibt es mit der Girocard in Deutschland und Carte Bancaire in Frankreich erfolgreiche nationale Zahlungssysteme, aber diese haben nach Einschätzung vieler sowohl operativ als auch strategisch die Grenzen ihrer jeweiligen Potenziale erreicht.

So ist die Girocard nur in Verbindung mit Co-Badging-Partnern (Mastercard, Visa) in der Lage, ihren Inhabern den Einsatz außerhalb Deutschlands zu ermöglichen. Ebenfalls ist der E-Commerce-Einsatz der Girocard aktuell nur mit Unterstützung durch Apple möglich. Hierfür sind unverändert auch traditionelle proprietäre Standards verantwortlich, die eine Girocard identifizieren und sich von den international etablierten Schemes unterscheiden - also ein schon technisch nur schwer zu überwindendes Hindernis. Dem Bedarf der Kunden nach international einsetz baren Zahlungsverkehr-Produkten und E-Commerce-fähigen Payment-Lösungen kann bis heute faktisch nur durch Kooperation mit in der Regel US-amerikanischen Partnern begegnet werden. Den Ansätzen aus Deutschland, Paydirekt und Giropay, ist der Durchbruch im Markt bisher nicht gelungen.

Europa fehlt eigene Zahlungsverkehrsinfrastruktur

Diese Entwicklung, gemeint ist das Ausbleiben eigener europäischer Payment-Strategien und Payment-Infrastrukturen, ist nicht von vornherein nur negativ zu sehen. Keine Volkswirtschaft muss autark sein. Internationale Arbeitsteilung ist Teil der Globalisierung und für das generell gewachsene Wohlstandsniveau der westlichen Industriegesellschaften verantwortlich. Bei der industriellen Fertigung ist eine solche Konstellation grundsätzlich unkritisch, selbst wenn man immer wieder die Abhängigkeiten von internationalen Lieferketten erfährt.

Lässt sich dieses ohne Weiteres auch auf Dienstleistungsmärkte übertragen, speziell auf diejenigen, auf denen mit Daten gehandelt wird? Auch im Payment-Geschäft werden im wesentlichen Daten gehandelt. Über ihre Verarbeitung kann eine bisher ungeahnte Transparenz von individuellen Lebensgewohnheiten und Persönlichkeitsprofilen der Kunden erzeugt werden. So betrachtet, erscheinen die Vorteile einer internationalen Arbeitsteilung nicht in gleicher Weise offensichtlich und es ist eben von hoher Relevanz, ob und in welchem Umfang man von internationalen Partnern und Lieferketten abhängig ist, die vielfach von ganz anderen Vorstellungen bezüglich des Managements von Daten und ihrer Verwertung geprägt sind. Vor der Digitalisierung haben sich die Fragen zur Nutzung, Kontrolle und dem Management von Daten nicht in dieser Qualität und Intensität gestellt.

Ein zweiter Aspekt ist sehr viel praxisnäher und hat damit zu tun, welche Auswirkungen von Payment-Infrastrukturen und -Ökosystemen auf die konkrete Geschäftspolitik zum Beispiel im Retail Banking ausgehen. Entscheidungen von Partnern im Payment-Geschäft können weitreichende Folgen für das Kundengeschäft einer Bank oder Sparkasse haben, siehe die aktuelle Entscheidung von Mastercard, Maestro einzustellen. Die Auswirkungen sind bekannt - Verlust der Auslandseinsetzbarkeit der Girocard. Nicht über eine eigene Zahlungsverkehr-Infrastruktur und umfassende Payment-Ökosysteme mit entsprechender Reichweite verfügen zu können, erzeugt also Abhängigkeiten, die über den reinen operativen Zahlungsverkehr hinausgehen und die autonomen Handlungsspielräume im Kundengeschäft und damit das eigene Geschäftsmodell gefährlich einengen können.

Ist das anders als in der Vergangenheit? Ja. Die durchgängige Digitalisierung des Bankgeschäfts hat dem Zahlungsverkehr eine zentrale Position im Transaktionsgeschäft zugewiesen. Dies hatte sich schon seit einer Reihe von Jahren abgezeichnet, ist aber nun nicht mehr zu übersehen. Der Zahlungsverkehr ist tatsächlich die "Drehscheibe" des Bankgeschäfts. Er erzeugt eine Fülle von Informationen, nicht nur über die Bonität und damit die Kreditwürdigkeit eines Kunden, und sichert eine hohe Zuverlässigkeit bei Identitätsüberprüfungen in digitalen Geschäftsprozessen. Er liefert ebenfalls einen hohen Anteil der Informationen über einen Großteil von Geschäftsprozessen und trägt erheblich zur volkswirtschaftlichen Vernetzung bei. Damit wird eine effiziente Payment-Infrastruktur Voraussetzung für eine Vielzahl weiterer Geschäfte.

Zahlungsverkehr nimmt zentrale Position ein

Je konsequenter die Zahlungsverkehr-Abwicklung technisch zum Beispiel im Rahmen einer integrierten Plattformlösung abgebildet ist, umso aussagekräftiger ist das Bonitäts- und damit Risikomanagement einer Bank. Zunehmend spielt dieser Aspekt auch bei Nichtbanken eine Rolle, wenn sie sich mit dem Aufbau eigener Payment-Infrastrukturen befassen. Und diese gerade erst begonnene Entwicklung - Stichwort Krypto-Currencies - setzt sich fort.

Was lässt sich hieraus ableiten? Zahlungsverkehr und seine Infrastruktur sind integrale, kaum abkoppelbare Bestandteile einer digitalisierten Volkswirtschaft, nicht nur des Finanzwesens. Er hat die Funktion eines Scharniers zwischen den Prozessen der Realwirtschaft und der finanzwirtschaftlichen Welt. Damit kommt seiner Kontrolle und der Fähigkeit zu seiner Gestaltung grundlegende Bedeutung zu. Er ist nicht mehr das bloße passive Schmiermittel einer Ökonomie. Es kann daher nicht überraschen, dass sich eine Vielzahl von Unternehmensgründungen um Zahlungsverkehrsthemen dreht. Und in Ländern mit eher autoritären Gesellschaftmodellen zeigen die staatlichen Instanzen daher ein großes Interesse an der Kontrolle, Beherrschung und Analyse der Payment-Prozesse inklusive der damit befassten Unternehmen.

Gefährlicher Verlust an europäischen Handlungsalternativen

Was heißt das für Europa und Deutschland? Auf einen Nenner gebracht, ist die Entwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte durch einen anhaltenden Verlust an eigen ständiger Gestaltungs- und Steuerungsfähigkeit des europäischen und deutschen Kreditgewerbes bezüglich der für das Retail-Kundengeschäft maßgeblichen Payment-Infrastruktur und der Produktwelten charakterisiert. Wenn die hier zum Ausdruck gebrachte Einschätzung bezüglich der Effekte grundsätzlich zutrifft, lassen sich die Auswirkungen nicht nur auf operative Fragen des Tagesgeschäfts beschränken. Aber schon im Tagesgeschäft zeigen sich die Folgen sehr plastisch anhand der bereits erwähnten von Mastercard getroffenen Entscheidung. Mit dem Wegfall der Maestro-Funktionalität verliert ein Großteil der deutschen Bankkunden die Fähigkeit zum Auslandseinsatz ihren Debitkarten, der Girocard, dem bisherigen Ankerprodukt des Retail-Bankings in Deutschland. Diese büßt einen wichtigen Teil ihrer Funktionalität ein.

Was ist zu tun? Mangels eigener Optionen stützt man sich, wie aktuell bei einigen Instituten zu sehen, als Kartenemittent entweder auf die Alternative zur Girocard, dem Debitkartenprodukt von Mastercard beziehunsgweise Visa, und verzichtet komplett auf die Girocard, wie es einige Institute tun, oder man greift zu einer kostenträchtigen und je nach Realisierung technisch aufwendigen und investitionsträchtigen Kombilösung (Zweitkarte oder Co-Badge-Karte).

Es wird deutlich, in welchem strategischen Dilemma sich die Institute befinden. Mangels eigener Handlungsalternativen in Europa ist man zwingend auf den Wettbewerber angewiesen, um im Retailgeschäft angebotsfähig zu bleiben. Gestaltungsmöglichkeiten auf der Konditionenseite, zum Beispiel mit Blick auf den Handel, existieren dann oft auch nur noch zulasten der eigenen Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Ein ähnliches Bild zu fehlenden echten Handlungsoptionen zeigt sich bei der Lieferfähigkeit zu marktfähigen E-Commerce-Zahlungsinstrumenten mit internationaler Reichweite.

Die grundsätzliche Antwort, wo der Ausweg aus einem solchen Dilemma zu finden ist, ist naheliegend. Eine eigene europäische Lösung ist unverzichtbar, um ein Mindestmaß an Gestaltungsfähigkeit und Kontrolle über die Payment-Welt und die von ihr beeinflussten Folgegeschäfte zurückzugewinnen. Dies ist gleichbedeutend mit der Rückgewinnung der Kontrolle über die Zugangsmedien und -kanäle zum Girokonto.

Zu vermeiden, als Kreditinstitut auf einen bloßen Anbieter von Buchungsverfahren zurückgestuft zu werden, ist eine andere Formulierung des gleichen Ziels. Mit Instant Payment und den Zahlungsverkehrsverfahren der SEPA-Familie liegen bereits wichtige Lösungen vor. Aber diese reichen nicht aus. Ein großer Anteil der Zahlungsvorgänge wird heute über Karten, in welchem Formfaktor auch immer, abgewickelt, und eine immer noch große Zahl von Bartransaktionen muss noch durch digitale Instrumente abgelöst werden. Mit jedem Institut, das sich bei seinem Zahlungsverkehrsangebot von der Girocard oder auch anderen europäischen Instrumenten zugunsten eines Wettbewerbsangebots löst, wird ein Stück Markt faktisch neu verteilt - mit den genannten potenziell langfristigen Auswirkungen.

EPI - Emanzipation und Rückgewinnung von Souveränität

Daher hat die "European Payment Initiative" (EPI) eine so große Bedeutung. Ihre Realisierung bedeutet nichts weniger als ein Stück Emanzipation und Rückgewinnung von Souveränität für Europas Finanzindustrie im Retail Banking. Das Ziel kann nicht darin bestehen, sich nach einer Etablierung von EPI Kooperationen mit den bekannten Playern im Payment-Markt zu verweigern oder sich abzuschotten und autark zu werden - das kann nicht Gegenstand einer intelligenten Strategie sein. Sondern es geht darum, sich Alternativen zu schaffen und sich zu Partnerschaften auf Augenhöhe zu befähigen. Vereinfacht gesagt, befreit man sich aus einer "take it or leave it"-Position und wird zu echten Kooperationen unter Wahrung eigener marktpolitischer Interessen befähigt.

Wenn man also die Analyse der Marktbedeutung des Retail Bankings und des Payment-Markts akzeptiert und gleichzeitig in den Überlegungen einschließt, dass im Wettbewerb der Wirtschaftsräume Europa keine Kompromisse auf zentralen Geschäftsfeldern eingehen darf, dann duldet die Wiederherstellung der europäischen Souveränität im Payment-Geschäft keinen Aufschub. Um dieses Ziel zu erreichen, sind zum einen eigenständige wettbewerbsfähige Produkte zu entwickeln und zwar nicht nur auf den klassischen Feldern des Kartenzahlungsverkehrs, sondern auch auf den aktuellen Payment-Feldern des Open Bankings und zukünftig der Krypto-Currencies.

Zum anderen ist der Aufbau oder zumindest die Bereitstellung einer geeigneten Infrastruktur vorzusehen. Schon wenn man einen Blick auf die etablierten Schemes wirft, wird klar, was mit dem Aufbau von Infrastruktur gemeint ist: natürlich Technik und operative Verfahren, aber auch die Etablierung eines Rechtsrahmens von Verträgen in einem internationalen Kontext, dazu eine Markteinführungskonzeption und -umsetzung inklusive Kundengewinnung, um nur die wesentlichen Arbeitsgebiete zu nennen. Kann das gelingen und dazu noch einen Business Case tragen? Natürlich wird sich letztlich an der Antwort auf diese Frage eine erfolgreiche Etablierung der "European Payment Initiative" entscheiden. Mit der Gründung von EPI ist eine Grundlage geschaffen, die über erhebliches Potenzial verfügt. Sie ist von einer großen Zahl führender europäischer Kreditinstitute und darüber hinaus einigen Dienstleistern und Acquirern initiiert und vorangetrieben worden und konzeptionell und strategisch darauf ausgelegt, Europa wieder in ernst zu nehmendem Umfang handlungsfähig zu machen. Die bestehenden Herausforderungen in der Finanzierung und der Herstellung eines belastbaren Business Case sollten daher nicht dazu führen, dass am Ende EPI das gleiche Schicksal wie Monnet ereilt. Das wäre mehr als nur das Scheitern eines Projektes.

Aktuell ist zu lesen, dass sich nicht nur in anderen europäischen Ländern, sondern auch in Deutschland, Institute von EPI distanzieren beziehungsweise sich mit der Konkretisierung ihrer Beteiligung schwertun. Damit wird die Sicherstellung der finanziellen Grundlage vor zusätzliche Probleme gestellt und das Engagement der Institute, die sich unverändert zu EPI bekennen, belastet. Daher sollten sich, wenn das strategische Ziel von EPI unverändert ernst genommen wird, die laufenden Anstrengungen zum einen darauf richten, das Bekenntnis der Institute zur Beteiligung zu sichern.

Zum anderen sind auch Optionen zu einer möglichen Flexibilisierung des Ursprungsmodells zu entwickeln, die das strategische Ziel im Kern intakt halten, aber gleichzeitig die Entscheidung zum Einstieg erleichtern beziehungsweise die Realisierung absichern. Solche Ansätze können zum Beispiel in der Fokussierung des Geschäftsmodells liegen, sprich einer Konzentration zum Beispiel auf die innovativen Zahlungsverfahren, die am Beginn ihres Lebenszyklus stehen und eine nachhaltige Perspektive bieten, und weniger auf die "Klassiker" des Kartengeschäfts, auch wenn diese noch das laufende Marktgeschehen bestimmen.

Dies zu analysieren, kann nicht an dieser Stelle geschehen. Solange die eigenen Kunden über wettbewerbsfähige und universell einsetzbare Zahlungsinstrumente verfügen und das Zielbild einer Eigenständigkeit Europas im Zahlungsverkehr glaubwürdig bleibt, sind solche Optionen erwägenswert. Vielleicht lassen sich auch Varianten der Beteiligung an EPI finden, die nicht den Status eines Gesellschafters mit allen damit verbundenen Rechten, aber auch unternehmerischen Risiken haben, aber dennoch zum Beispiel als Lizenzteilnehmer eine qualifizierte Mitwirkung erlauben.

Trotz aller damit verbundenen Herausforderungen finanzieller, operativer und in Europa immer auch politischer Natur ist jedenfalls nicht erkennbar, wie eine glaubwürdige Alternative zu EPI aussehen könnte. Daher sollte jeder Weg, auch wenn es sich um eine Kompromisslösung handeln sollte, ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Die entscheidenden Kriterien sind: die Wiederherstellung der europäischen Eigenständigkeit in diesem zukunftsträchtigen Markt und eine unternehmerisch tragfähige Umsetzung.

Der Blick über den Tellerrand

Mit einer Umsetzung von EPI wird ein weiteres Ziel sichtbar, das generell mit dem Aufbau innovativer Strukturen in Europa verbunden ist: die Herstellung eines Umfeldes für junge kreative Unternehmen. Sie benötigen für ihren Erfolg eine belastbare und institutionell abgesicherte unternehmerische Infrastruktur und werden außerordentlich von den damit eingerichteten Rahmenbedingungen profitieren, in denen sie ihre Vertriebschancen realisieren wollen, seien es Anbieter von Plattformen für datenbasierte Geschäftsmodelle, seien es Anbieter von Dienstleistungen im Grenzbereich zwischen Finanz- und Realwirtschaft oder vielen anderen mehr.

EPI kann wichtiger Teil einer solchen Infrastruktur sein. Damit werden auch, und das ist primär ein politischer Effekt, Märkte für Unternehmen geöffnet, die zukünftig nicht allein von den traditionellen Playern, mögen sie aus der Kreditwirtschaft und ihrer Peripherie oder anderen Umgebungen stammen, bespielt werden. Insofern kann EPI eine Katalysatorfunktion einnehmen, deren Effekte weit über die ursprüngliche Konzeption hinausgehen. Gleichzeitig wird davon auch EPI profitieren, indem ein Ökosystem entsteht, das der Erreichung der ursprünglichen strategischen Ziele dient.

Laurenz Kohlleppel , Mitglied des Aufsichtsrates, GBS Software AG, Karlsruhe / Frankfurt am Main
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