KREDITPOLITISCHE TAGUNG

"Das Erfolgsmodell Deutschland ist bedroht"

Dr. Volker Treier, Foto: Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.

Als Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) weist der Autor darauf hin, wie wichtig die Symbiose zwischen Banken und Wirtschaft für den ökonomischen Erfolg des Landes war und weiterhin auch ist. So hat gerade die granulare Bankenstruktur dazu beigetragen, dass sich ein erfolgreicher Mittelstand in allen Regionen in Deutschland etablieren konnte. Doch dieses Erfolgsmodell sieht er vor großen Herausforderungen. Dazu gehört vor allem die stets zunehmende Regulierung. Die Baseler Bankenregulierung, in der Folge auch eine nicht ausreichende Substituierung der Bankenfinanzierung des Mittelstands durch die Kapitalmarktunion und die Problematik durch die nicht auf den Mittelstand zugeschnittene nachhaltige Transformation der Wirtschaft sieht Treier als Bedrohung für die deutsche Wirtschaft. Daher fordert er dazu auf, bei allen Themenfeldern die individuellen Wirtschaftsstrukturen zu berücksichtigen. (Red.)

In dem Teaser für die 64. Kreditpolitische Tagung heißt es "Nur gesunde und 'gute' Banken können ihre Funktion für eine Volkswirtschaft erfüllen." Das unterschreibt der DIHK.

In der Riege der heutigen Redner repräsentiere ich die Realwirtschaft. Und "Banken und Realwirtschaft", das ist gerade in Deutschland grundsätzlich eine Erfolgsgeschichte. Kein Standort der Welt hat so einen breiten Mittelstand hervorgebracht wie Deutschland. Kaum eine Wirtschaft der Welt hat sich dabei in der Vergangenheit als so veränderungswillig und -fähig gezeigt wie Deutschland.

Und wenn es mal nicht so lief - siehe Finanzkrise -, dann hat der Finanzstandort Deutschland dennoch seine Stärke gezeigt: Eine Kreditklemme wie in anderen Ländern hat es in Deutschland in der letzten Krise nicht gegeben.

Die symbiotische Beziehung zwischen Banken und Realwirtschaft steht am aktuellen Rand vor großen Herausforderungen: globaler Protektionismus, demografische Entwicklung, ambitionierte Klimaschutzziele bis 2030 et cetera. Für die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit - was insbesondere unter dem Label "Sustainable Finance" läuft - findet sich in der deutschen Wirtschaft Unterstützung: Die Debatte um Klimaschutz und Energieeffizienz ist in der Mitte der Unternehmen angekommen. Unser Energiewende-Barometer von 2019 zeigt das ganz deutlich: 92 Prozent der Unternehmen befürworten zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen. Rund die Hälfte der Betriebe - in der Regel weniger energieintensive - nähme sogar eine höhere Belastung in Kauf, wenn dadurch Klimaschutzziele erreicht würden.

Unangemessene Regulierung birgt Risiken

Derzeit kommen uns aber an der Fähigkeit zur Veränderung des hiesigen Standorts Zweifel. Veränderung und Transformation der Wirtschaft scheitern womöglich nicht zuletzt an:

- der Baseler Bankenregulierung,

- einer unzureichenden Substitution der bankbasierten Unternehmensfinanzierung

durch die Kapitalmarktunion sowie

- einer Sustainable-Finance-Regulierung, die mit großkalibriger Taxonomie auf einen kleinteiligen Mittelstand in Deutschland trifft.

Für den Standort Deutschland sind die entsprechenden Verheißungen nach:

- mehr Finanzmarktstabilität,

- mehr Vielfalt in der Unternehmensfinanzierung und

- mehr Nachhaltigkeit

Chancen - aber bei unangemessener Umsetzung der Regulierung auch ein Risiko für die bislang symbiotische Beziehung von Banken und Realwirtschaft. Es mehren sich die Zweifel, ob es morgen noch genügend gesunde und "gute" Banken gibt, die ihre Funktion für die deutsche Volkswirtschaft in ihrer regionalen Ausdehnung erfüllen können.

Eine kleine Erfolgsgeschichte der deutschen Wirtschaft

Bevor ich auf die aktuellen Herausforderungen näher eingehe, möchte ich Ihnen erst einmal darlegen, worauf aus unserer Sicht der Erfolg des Standort Deutschlands auch und insbesondere beruht.

Rund ein Viertel aller Banken in der Europäischen Union sind aus Deutschland. Darunter sehr viele gesunde und "gute" Banken. Die kleinteilige Bankenstruktur in Deutschland hat die Entwicklung eines breiten Mittelstands bis in die entferntesten Winkel dieses Landes begünstigt. Mit den Sparkassen, den Genossenschaftsinstituten und den Privatbanken ist der deutsche Mittelstand in den Regionen groß geworden, konnte weiterwachsen, sich spezialisieren und sich in globale Wertschöpfungsketten integrieren.

Die entscheidende Voraussetzung für diese Erfolgsgeschichte der deutschen Wirtschaft war und ist die Fähigkeit der Banken, den Unternehmen über all ihre Entwicklungsphasen auch in Zeiten großer Transformationen als Finanzierungspartner zur Seite stehen zu können. Die Banken haben für die Handlungsfähigkeit der Unternehmen gesorgt und damit Veränderungen in und durch die Unternehmen häufig überhaupt erst möglich gemacht.

Mittelstand - das sind mehr als 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland - braucht einen Ansprechpartner, der seine finanziellen Bedürfnisse und Möglichkeiten mit ihm klärt. Dabei gilt: "Eventually, all Business is Local" und "Banking is People Business".

Wegen der regionalen Verankerung und häufig auch persönlichen, lokalen Verwurzelung hat die Bank natürlicherweise einen Informationsvorsprung bei der risikoadäquaten Bewertung der vielfältigen Geschäftsmodelle im Mittelstand.

Regionale Verankerung als Erfolgsmodell

Dieses Wissen hat die dezentrale Bankenstruktur im Übrigen mit der IHK-Organisation gemeinsam. Auch die IHKs kennen die für den Unternehmenserfolg entscheidenden lokalen Standortbedingungen. Wir als Organisation wissen, was um das eine Unternehmen herum passiert - der Markt, die Branche, der Standort. Und wir sind dabei nicht auf Deutschland beschränkt, sondern verfügen mit den Auslandshandelskammern (AHK) über ein globales Netzwerk in 92 Ländern mit 140 Standorten.

Was uns derzeit allerdings von den Banken leider unterscheidet ist, dass wir Finanz-Kompetenzzentren bei den AHKs weltweit aufbauen, während Banken ihre Korrespondenzbankennetze eher ausdünnen. Die anhaltende Niedrigzinspolitik setzt den Banken kurzfristig besonders zu: Angesichts geringer Ertragschancen im Niedrigzinsumfeld sehen sie sich gezwungen, irgendwie und irgendwo einzusparen.

Dass unser exportorientierter Mittelstand damit womöglich seine Finanzierungspartner im Auslandsgeschäft verliert, dürfen wir aber nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen. Gerade unsere mehr als 1 300 Hidden Champions - die jeweils Weltmarktführer in ihrer Nische sind, was kein anderer Standort auf dieser Welt bisher hervorgebracht hat - sind darauf angewiesen, auch morgen noch Finanzierungslösungen für ihre Integration in globale Wertschöpfungsketten zu finden.

Diese Hidden Champions sind Teil der mehr als 3 Millionen mittelständischen IHK-Mitgliedsunternehmen in Deutschland. Deren Vielzahl und Vielfalt hat maßgeblich zum Wohlstand und der gesellschaftlichen Stabilität in Deutschland beigetragen. Das ist das entscheidende Merkmal der Erfolgsgeschichte von der symbiotischen Beziehung zwischen Banken und Realwirtschaft am hiesigen Standort.

Die Gefahr besteht, dass mit der Art und Weise der Umsetzung der Baseler Bankenregulierung, der Kapitalmarktunion sowie neuerdings der angedachten Regulierung für ein "nachhaltiges" Finanzwesen - Sustainable Finance - diese Erfolgsgeschichte infrage gestellt wird.

Können Banken morgen noch Partner für den Mittelstand sein?

Viele Mittelständler benötigen unter anderem eine "atmende" Betriebsmittelfinanzierung und langfristige Kapitalzusagen für die fristenkongruente Refinanzierung des Anlagevermögens, zudem Sicherungsgeschäfte sowie eine Abwicklung von Auslandsgeschäften. Aufgrund der Liquiditätsanforderungen ist die Langfristfinanzierung bereits schwieriger geworden, "Basel IV" sorgt für einen zusätzlichen Auftrieb bei den Kapitalanforderungen. Angesichts des Anstiegs der regulatorischen Overheadkosten stellt sich vielfach zusehends die Frage, ob es sich aus rein bankbetriebswirtschaftlicher Sicht zukünftig noch lohnt, den mehr als zwei Millionen Kleinst- und Kleinunternehmen noch das notwendige Leistungsspektrum heutiger Unternehmensfinanzierung vorzuhalten oder nicht?

Kann eine stärker kapitalmarktbasierte Unternehmensfinanzierung den flexiblen Finanzierungsbedarf im Mittelstand kompensieren? Die Antwort ist: Die meisten Mittelständler brauchen Banken, weil sie strukturell kaum kapitalmarktfähig sein können. Typische Organisationsstrukturen zum Beispiel mit Aufspaltungen in Form von Betriebs- und Besitzeinheiten erschweren dem Mittelstand häufig mangels Vermögensmassen einen Kapitalmarktzugang. Zudem stellen kapitalmarkterforderliche Reporting- und Controlling-Strukturen für die meisten Mittelständler unverhältnismäßige Aufwandsposten dar. Überhaupt kann der Kapitalmarkt die vom individuellen Geschäftsmodell abgeleiteten Finanzierungsbedürfnisse mangels Skaleneffekte auch grundsätzlich kaum bedienen. Das ist in den USA mit ihrem hoch entwickelten Kapitalmarkt nicht anders. Weshalb die USA Local und Community Banks bei der Umsetzung der Baseler Bankenregulierung relativ großzügig ausnehmen.

Mit der Taxonomie aus der Sustainable-Finance-Regulierung wird der Versuch gestartet, Finanzierungsströme stärker zentral zu lenken. Die dafür erforderlichen Transparenzanforderungen betreffen in erster Linie die paar Tausend, zumeist kapitalmarktfähigen Unternehmen, insbesondere durch umfangreiche Offenlegungs- und Berichtspflichten. Aber die Transformation der Wirtschaft soll auch über die Bankbilanz forciert werden, zum Beispiel über Vorgaben für die bankbasierte Kreditgewährung. So verschlechtern sich vielfach beispielsweise nicht nur Finanzierungskonditionen des Mittelstands, deren Produkte sowohl in "grünen" als auch in "braunen" Wertschöpfungsketten weiterverarbeitet werden - von den damit einhergehenden bürokratischen Belastungen der Unternehmen ganz zu schweigen. Vielmehr stellt sich auch mit der Anpassung der Geschäftsmodelle aufseiten der Banken im Grundsatz die Frage, ob der Zugang zu verschiedenen Finanzierungsoptionen für Teile des Mittelstands überhaupt noch gegeben sein wird.

Individuelle Wirtschaftsstruktur berücksichtigen

Zu berücksichtigen ist weiter, dass in Zeiten der wirtschaftlichen Transformation die Baseler Bankenregulierung, die Kapitalmarktunion und die Regulierung für ein nachhaltiges Finanzwesen kurzfristig umgesetzt werden sollen, während insbesondere die mittelständische Wirtschaft eigentlich mittel- bis langfristige Zeitfenster - im Regelfall mehr als fünf Jahre - für eine angemessene Transformation der eigenen Geschäftsmodelle benötigt.

Erfolgt die Umsetzung der drei Regulierungsansätze eins zu eins, ohne Ansehen der individuellen Wirtschaftsstruktur in den jeweiligen europäischen Mitgliedsländern, dann würde der Standort Deutschland zuerst weitere Banken verlieren, insbesondere in der Fläche, und schließlich auch Teile des Mittelstands. Damit würde die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Form des Wirtschaftens an unseren Standorten in der Breite unter Umständen gar nicht erst stattfinden.

Den Willen zur Veränderung hat die deutsche Wirtschaft - denken Sie an die 92 Prozent der Unternehmen, die sich laut unserer Umfrage für den Klimaschutz aussprechen. Fähig zur Transformation werden wir allerdings nur sein, wenn Politik und Aufsicht für eine angemessene Regulierung des Standorts Deutschlands sorgen, sodass Banken auch zukünftig ihre Funktion für die Volkswirtschaft erfüllen können. Dafür streiten wir gern.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 64. Kreditpolitischen Tagung "Perspektiven für den (Finanz)Standort Deutschland" am 24. Januar 2020 in Frankfurt am Main.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Dr. Volker Treier Dr. Volker Treier, Mitglied der Hauptgeschäftsführung, Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V., Berlin
Dr. Volker Treier , Außenwirtschaftschef und Mitglied der Hauptgeschäftsführung , Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V., Berlin
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