AUS DER BANKWISSENSCHAFTLICHEN FORSCHUNG

ESG-Kriterien in der Mittelstandsfinanzierung

Frederik-Bengt Blomeyer, Foto: F.-B.Blomeyer

Das Thema Nachhaltigkeit ist im Finanzsektor schon längst angekommen. Die zunehmende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der Kreditvergabe stellt Banken und Sparkassen allerdings vor erhebliche Herausforderungen. Denn seit Juni 2021 müssen sich die direkt von der EZB-Bankenaufsicht kontrollierten europäischen Häuser mit Nachhaltigkeitsrisiken befassen, wenn sie neue Kredite vergeben wollen. Ähnliches wird auch bei Vertragsanpassungen von Bestandskrediten ab 30. Jun 2022 gelten. So besagen es die Leitlinien für die Kreditvergabe und -überwachung der European Banking Authority. Damit wird der Finanzsektor noch stärker mit Blick auf die gesellschaftliche Verantwortung beim Thema Nachhaltigkeit in die Pflicht genommen als bisher. Inwieweit ESG-Aspekte aber derzeit in der Kreditfinanzierung überhaupt berücksichtigt werden und welche Gründe hierfür vorherrschen, zeigt der Autor anhand einer selbst durchgeführten Befragung auf. (Red.)

Die Forderung nach mehr gesellschaftlicher Verantwortung betrifft den Finanzsektor in besonderer Weise. Kapitalmärkten und ihren Akteuren kommt eine zentrale Schlüsselfunktion im Rahmen eines nachhaltigen Wirtschaftens zu, da diese maßgeblich für die weltweiten Finanzströme verantwortlich sind und ihre Investitionen zu einer effizienten Ressourcenallokation beitragen sollen. Dieser Beitrag beleuchtet die Relevanz und den Status quo der Berücksichtigung von ESG-Aspekten in der Kreditfinanzierung mit einem Fokus auf mittelständische Unternehmen als Kreditnehmer.

Vorgestellt werden die Ergebnisse einer Studie, in der Gespräche mit 14 Ansprechpartnern aus dem Bereich Markt folge/Kreditanalyse verschiedener Kreditinstitute durchgeführt wurden, wobei einige Gespräche mit Abteilungsleitern und Mitgliedern der Leitungsgremien sowie teilweise unter Einbeziehung weiterer Fach experten stattgefunden haben. Die Institute wurden gefragt, ob sie bereits Nachhaltigkeitsaspekte in der Kreditvergabe nicht kapitalmarktorientierter Kunden berücksichtigen. Alle Institute berücksichtigen entweder bereits Nachhaltigkeitsaspekte in der Kreditvergabe oder planen dies zumindest. Nachhaltigkeitsaspekte sind folglich jetzt schon ein Faktor in der Kreditgewährung, meistens in Form von Ausschlussgründen für bestimmte Geschäftstätigkeiten. Zudem führten einige Institute an, dass sie in der Kreditvergabe bereits Analysen über die Zukunftsaussichten von bestimmten Branchen und Produktgruppen durchführen, die besonders von disruptiven Veränderungen und Transformationsprozessen betroffen sind, wie zum Beispiel die Automobilindustrie und deren Zulieferer. Zudem geht es oft um die Fragestellung, ob bestimmte ESG-Faktoren die Kreditrückzahlung (in Gänze) gefährden könnten, wie beispielsweise die Belegenheit des Unternehmens oder der als Sicherheiten dienenden Assets in einem von Naturkatastrophen gefährdeten Gebiet. Nachhaltigkeitsaspekte spielen heute schon eine Rolle bei der Kreditentscheidung, können aber größtenteils noch nicht gemessen oder eingepreist werden.

Von der überwiegenden Anzahl der Institute wird hervorgehoben, dass man sich bei dem Thema Nachhaltigkeit in der Kreditvergabe derzeit noch im Aufbauprozess beziehungsweise in der Pilotphase von Einführungsprojekten befindet.  Ein wesentlicher Treiber sind hier vor allem regulatorische Vorgaben, wie die EBA-Guidelines, der EZB-Leitfaden und das BaFin-Merkblatt. Nur wenige Institute berücksichtigen Nachhaltigkeitsaspekte bereits in einer standardisierten und für alle Kreditengagements anwendbaren Form, indem sie zum Beispiel eigene Kriterienkataloge festlegen, um zu bestimmen, ob eine Unternehmensfinanzierung als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie angesehen wird oder entwickeln eigene Kreditprodukte mit Bezug zu Nachhaltigkeits-KPIs und Einfluss auf die Kreditkonditionierung. Diese Produkte beschränken sich jedoch häufig noch auf die größeren Firmenkunden. Zudem wurden die Institute nach den wesentlichen Gründen für die derzeitige (oder perspektivische) Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten befragt.

Regulatorik als wichtigster Treiber

Performancegründe sind für viele Kreditinstitute ein (eher) wichtiger Faktor zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten. So unterstellen einige Interviewpartner durchaus einen Zusammenhang zwischen der Berücksichtigung von ESG-Kriterien und der Profitabilität beziehungsweise Kreditwürdigkeit eines Unternehmens im Peergroup-Vergleich. Hier drückt sich die Erwartungshaltung aus, dass die Zukunftsaussichten des Unternehmens auch vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeitsrisiken, wie den direkten Folgen des Klimawandels oder den Herausforderungen infolge regulatorischer Eingriffe und den gegebenenfalls damit einhergehenden Reputationsrisiken berücksichtigt werden müssen. Weiterhin wurde betont, dass dieser Zusammenhang nicht in allen Branchen und Unternehmen zwingend ist. So gibt es auch Beispiele von besonders nachhaltigen Unternehmen oder Investitionsprojekten, die im Nachgang nicht erfolgreich waren und zu Kreditausfällen geführt haben.

Hier gilt es auch zu berücksichtigen, dass die Kreditinstitute gerade erst damit beginnen, Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Rating-Systeme zu integrieren und ihnen deshalb nur wenige historische Daten vorliegen, um den mittel- bis langfristigen Zusammenhang von (bestimmten) ESG-Faktoren und der Unternehmensperformance herleiten zu können.

Großes Interesse an der Ausgabe von Nachhaltigkeitsprodukten

Die Regulatorik ist erkennbar der wichtigste Treiber für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Kreditvergabe, wobei dies insbesondere für die kleineren Institute gilt. Von besonderer Bedeutung sind hier die Verlautbarungen der Aufsichtsbehörden zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Risikosteuerung und die (zukünftigen) Offenlegungsverpflichtungen der Banken, etwa durch die Green Asset Ratio.

Die Selbstverpflichtung des Instituts ist ebenfalls bedeutsam für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten - hervorgerufen durch den Druck von Anteilseignern oder sonstigen Stakeholdern oder durch die Intention, in der Branche eine Vorreiterrolle einzunehmen, sowie eigene Reputationsrisiken zu minimieren. Weiterhin wollen viele Institute auch ihr eigenes ESG-Rating verbessern, was eine entsprechende Formulierung von Nachhaltigkeitszielen zur Folge hat. Mehrere befragte Institute sind zudem der Net Zero Banking Alliance beigetreten und verpflichten sich damit, ihr Portfolio bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Bei diesen Instituten besteht daher ein großes Interesse an der Ausgabe von nachhaltigen Kreditprodukten, um eigene Zielvorstellungen einzuhalten und das Volumen an nachhaltigen Finanzierungen und Investments bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auf ein festgelegtes Niveau zu erhöhen.

Abbildung 1: Gründe für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten Quelle: F.-B. Blomeyer

Einfluss von ESG-Aspekten auf Kreditentscheidungen

In der nächsten Frage wurden die teilnehmenden Institute zudem befragt, welchen Einfluss ESG-Aspekte derzeit oder perspektivisch auf die Kreditentscheidung haben werden. In den Instituten existieren bereits Kriterienkataloge, welche bestimmte Branchen und Geschäftsmodelle von der Kreditfinanzierung ausschließen, sowie zum anderen Analysen zu besonders von ESG-Risiken betroffenen Unternehmen, die jetzt schon zu Ablehnungen von Kreditanfragen führen können. Gerade in diesen Fällen geht es den Instituten jedoch auch um die Frage, ob es möglich ist, diese als "braun" eingestuften Unternehmen durch die Art der Finanzierung in der Transformation zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell zu unterstützen. Insofern werden nicht alle derartig eingestuften Unternehmen gänzlich als Geschäftskunden ausgeschlossen. Es ist zu erwarten, dass sich diese Praxis in der gesamten Branche durchsetzen beziehungsweise noch verschärfen wird, um weitere nicht ESG-konforme Engagements aus den Kreditbüchern herauszuhalten und damit den nachhaltigen Anteil des Portfolios im Sinne der Green Asset Ratio zu stärken. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass vonseiten der Kreditinstitute eine große Nachfrage nach taxonomiekonformen Kreditengagements besteht und insofern ein sogenanntes "hunting for green assets" einsetzen könnte.

Bei vielen Instituten finden Nachhaltigkeitsaspekte derzeit noch keine Berücksichtigung in den Kreditkonditionen. Es wird jedoch mehrheitlich davon ausgegangen, dass diese zukünftig - zumindest teilweise - Einfluss auf den zu leistenden Zins und die bereitzustellenden Sicherheiten haben werden, weil diese aus Sicht der Banken wesentliche Hebel sind, um eigene taxonomiekonforme Produkte zugunsten der Green Asset Ratio attraktiver zu gestalten und die Transformation beim Kunden zu unterstützen. So gibt es bereits jetzt einzelne Produkte, die an die Erreichung bestimmter Nachhaltigkeits-KPI, wie zum Beispiel CO2-Emissionswerte, oder die Erreichung bestimmter Sozialstandards geknüpft sind, die jedoch häufiger bei den größeren Firmenkunden zur Anwendung kommen und nicht als standardisiertes Produkt in der Mittelstandsfinanzierung.  Die oben beschriebenen Performancegründe sowie die regulatorischen Verlautbarungen, welche die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in das Kreditrisiko verlangen, führen nach Auffassung der Befragten - zumindest auf langfristige Sicht - ebenfalls zu direkten Auswirkungen auf die Kreditkonditionierung. Allerdings gilt es zu bedenken, dass den Kosteneinsparungen durch die Konditionserleichterungen die Kosten des Nachweises, zum Beispiel durch eine ESG-Ratingagentur, gegenüberstehen. Insofern muss es sich hier regelmäßig um größere Finanzierungen handeln, damit die Kostenersparnis überwiegt.

Nutzung institutsspezifischer Standards

Die Teilnehmer wurden um eine Einschätzung gebeten, woraus sich in ihrem Institut derzeit (oder perspektivisch) die Anforderungen an die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten ergeben. Hierbei gaben die meisten Institute an, dass es sich um eine Mischung aus externen Richtlinien und institutsübergreifenden Standards und internen Richtlinien beziehungsweise institutsspezifischen Standards handelt, wobei sich letztere oft aus ersteren ergeben werden. Allenfalls die Institute, die sich dem Thema bereits vorher angenommen haben oder in der Umsetzung der Richtlinien schon sehr weit sind, arbeiten mangels institutsübergreifender Richtlinien derzeit (noch) mit internen Richtlinien, rechnen aber auch mit einer Konsolidierung in diesem Bereich. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass einige Institute ihre Spezifika, zum Beispiel durch die Schwerpunktsetzung auf bestimmte Branchen oder Geschäftsmodelle, wohl beibehalten werden und es daher zu Ergänzungen der übergeordneten Leitlinien kommen wird. Viele Institute befinden sich jedoch gerade am Anfang der Umsetzung der regulatorischen Vorgaben und waren zum Zeitpunkt der Umfrage damit beschäftigt, ihr Portfolio auf Nachhaltigkeitsaspekte, wie den CO2-Fußabdruck ihrer Kunden, zu untersuchen und zu messen.

Anschließend wurden die Institute um eine Einordnung gebeten, welchen Einfluss bestimmte Merkmale des Kreditnehmers oder der Transaktion derzeit (oder perspektivisch) auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten haben.

Unternehmensgröße und Branchenzugehörigkeit relevant

Erkennbar haben die Unternehmensgröße und die Branchenzugehörigkeit des kreditnehmenden Unternehmens den größten Einfluss. Die Relevanz des Kriteriums der Unternehmensgröße rührt auch aus der entsprechenden Regulatorik, mit der die Kreditinstitute konfrontiert werden.

Daraus sollte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass kleinere Unternehmen nicht von der Thematik betroffen wären. Auch diese Unternehmen werden zukünftig einer ESG-Bewertung unterzogen, wobei die Relevanz und die Anforderungen an die Bereitstellung unternehmensindividueller Informationen in Abhängigkeit von der Größe und dem ausgereichten Kreditvolumen zunehmen werden. Dies ist neben der Regulatorik auch dem internen Vorgehen der Institute zur Erfüllung der eigenen Transparenzpflichten geschuldet. So bietet es sich an, für die Ermittlung der Green Asset Ratio zunächst mit den größeren Kreditvolumen zu beginnen.

Traditionelles Kriterium

Das Vorliegen einer Konzernstruktur sowie der internationale Tätigkeitsbereich eines Unternehmens gehen oft mit steigender Unternehmensgröße einher, sind aber keine selbstständigen Kriterien für die Relevanz von Nachhaltigkeitsaspekten. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für das Kriterium der Kapitalmarktorientierung, wobei diesbezüglich aus Sicht der Kreditinstitute auch die Sensibilität der anderen Stakeholder, insbesondere der Investoren, als entscheidender Aspekt für die Relevanz von ESG-Aspekten hinzutritt. Hinsichtlich der Bedeutung des Transaktionsvolumens rechnen einige Befragte mit der Einführung von Bagatellgrenzen für sehr kleine Obligo.

Das Kriterium des Tätigkeitsbereichs, beziehungsweise der Umstand, auf welchen Märkten das Unternehmen agiert, kann Einfluss auf die Gewichtung der einzelnen ESG-Faktoren haben. So rücken bei international agierenden Unternehmen, zum Beispiel im Falle der Präsenz in Schwellen- und Entwicklungsländern, verstärkt auch die Sozial- und Governance-Faktoren in den Blickpunkt. Der Aspekt der Branchenorientierung beziehungsweise des Geschäftsmodells spielt nach Auffassung der Kreditinstitute eine übergeordnete Rolle, da nicht alle Branchen und Geschäftsmodelle gleichermaßen von Nachhaltigkeitsaspekten betroffen sind. Die Branche ist ein traditionelles Differenzierungskriterium in der Kreditanalyse der Banken und wird auch bei der Bewertung der Nachhaltigkeitsrisiken als Vergleichs- und Orientierungsmaßstab Anwendung finden. Sonstige unternehmensindividuelle Faktoren sind für die Institute von untergeordneter Bedeutung.

Abbildung 2: Einfluss bestimmter Merkmale auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten Quelle: F.-B. Blomeyer

Persönliches Gespräch mit Unternehmen im Vordergrund

In der Folgefrage wurden die Kreditinstitute befragt, aus welchen Quellen sie derzeit (oder perspektivisch) ihre Nachhaltigkeitsinformationen beziehen. Von den meisten Instituten wird die besondere Bedeutung, die derzeit noch das persönliche Gespräch mit dem Unternehmen einnimmt, hervorgehoben. Daneben ist auch ein freiwillig aufgestellter Nachhaltigkeitsbericht eine wichtige Quelle, sofern dieser vorliegt. Der Lagebericht dient nur teilweise als geeignete Quelle für die Erhebung von ESG-Informationen, da viele Unternehmen sich hierin kaum zu Nachhaltigkeitsaspekten äußern oder keine relevanten Informationen preisgeben. Bei vielen Instituten wird mangels Alternativen derzeit (noch) überwiegend mit diesen drei Quellen gearbeitet. Die Institute nutzen ebenfalls eigene Checklisten und (Analyse-)Leitfäden oder entwickeln diese gerade, um ESG-Informationen strukturiert, standardisiert und vergleichbar zu sammeln. Einige Institute geben an, dass externe Ratings von ESG-Ratingagenturen durchaus von Relevanz sein können. Diese spielen aufgrund der damit verbundenen Kosten im Mittelstandsgeschäft eher eine untergeordnete Rolle. Zudem hat sich am Markt noch kein Standard für ein einheitliches ESG-Rating oder standardisiertes Informationsmedium herausgebildet, welches den Informationsbedürfnissen der Kreditinstitute in Gänze gerecht wird. Zudem hinterfragen sie, ob die Ratingagenturen auf die für Banken relevanten Faktoren achten würden.

Für die breite Masse von Mittelstandsfinanzierungen werden die Institute - auch für die Umsetzung der EBA-Guidelines - eher auf interne ESG-Ratings beziehungsweise -Scores setzen. Allerdings wird davon ausgegangen, dass sich eine Branche von externen Dienstleistern herausbilden wird, welche die erforderlichen ESG-Daten (zum Beispiel regionale und/oder branchenspezifische ESG-Risiken, taxonomierelevante Informationen sowie Klimaprognosen und Szenarioanalysen) für einzelne Unternehmen und Branchen sammeln und den Banken und Sparkassen zum Beispiel über standardisierte Schnittstellen kostenpflichtig zur Verfügung stellen werden.

Abbildung 3: Bedeutung unterschiedlicher Quellen für Nachhaltigkeitsinformationen Quelle: F.-B. Blomeyer

Zudem wird auch die Kundengröße Einfluss auf die Relevanz der Quellen und die Bewertung der ESG-Kriterien haben. So lassen die EBA-Guidelines zu, dass man für Kleinst- und kleine Unternehmen kein individuelles Nachhaltigkeitsrisiko ermitteln muss, sondern auf ein ESG-Branchen-Scoring abstellt. Von dieser Vereinfachungsmöglichkeit wollen die Kreditinstitute auch Gebrauch machen und bei der Beurteilung ihres Portfolios möglichst auf eine Brancheneinwertung setzen.

Identifizierte Schwierigkeiten und Herausforderungen

Bezogen auf die größten Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Kreditvergabe wird deutlich, dass die Datenverfügbarkeit das wesentliche Problem darstellt. Gerade in den aktuellen Gesprächen mit den mittelständischen Kunden wird die mangelnde Beschäftigung innerhalb der Unternehmen sowie die fehlende Erfahrung der Kundenbetreuer mit dem Themenbereich Nachhaltigkeit deutlich.

So mangelt es bei den meisten Unternehmen nicht nur an einer entsprechenden Kommunikation von ESG-Daten, sondern bereits die Definition, Erhebung und Analyse von wesentlichen ESG-Informationen findet regelmäßig nicht statt.  Für die Messung der CO2-Emissionen in ihren Portfolios sind die Kreditinstitute daher gezwungen, statistische Mittelwerte heranzuziehen.Hier macht sich demnach auch das mangelnde Bewusstsein in den Unternehmen für den Einfluss von ESG-Aspekten auf die Kreditvergabe bemerkbar.

Mangelnde Standardisierung, Vergleichbarkeit und Verlässlichkeit

Allerdings wird auch die Definition von relevanten Nachhaltigkeitsinformationen von einigen Instituten als Schwierigkeit gesehen. Dies beinhaltet sowohl die Feststellung, welche ESG-Daten das Risiko eines Unternehmens und eines Kredits beeinflussen als auch deren Erhebung und Nachprüfbarkeit. Sofern Daten vorliegen, wird deren Analyse oft durch die mangelnde Standardisierung, Vergleichbarkeit und Verlässlichkeit erschwert. Als weiteres Problem werden die Dynamik der Regulatorik und die Komplexität der Regelungen angeführt. Durch die Bindung personeller und finanzieller Ressourcen in den Instituten gebunden ergibt sich ein höherer Bearbeitungs- und Diskussionsaufwand.

Die Studienergebnisse belegen die Relevanz und die Nutzung von ESG-Informationen in der Kreditvergabe an mittelständische Unternehmen. Maßgeblich hierfür sind die regulatorischen Anforderungen und Verlautbarungen der Aufsichtsbehörden, die zukünftig zu einer verbindlichen Integration von ESG-Kriterien in das Risikomanagement führen und die Kreditvergabe sämtlicher Unternehmensgrößen beeinflussen. Hinzu treten die Transparenzanforderungen der EU-Taxonomie, die dazu führen, dass Institute ihr Portfolio auch nach ESG-Kriterien bemessen und steuern werden. Zusammen mit der Selbstverpflichtung zur CO2-Neutralität hat dies für den Mittelstand weitreichende Informationsbedürfnisse der Banken zur Folge.

Nachhaltigkeit ist aus Sicht der Banken ein Querschnittsthema, das alle Unternehmen gleichermaßen betrifft. Merkmale wie Unternehmensgröße, Transaktionsvolumen und Branchenzugehörigkeit beziehungsweise Geschäftsmodell haben allenfalls Einfluss auf die Gewichtung und den angeforderten Berichtsumfang der Nachhaltigkeitsinformationen. Dabei wird die Datenverfügbarkeit momentan als das wesentliche Problem in der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten angeführt. Im Mittelstand werden diese weitestgehend nicht erhoben und analysiert, geschweige denn berichtet. Das Bewusstsein für die Relevanz von ESG-Faktoren ist in vielen Unternehmen (noch) nicht gegeben. Dies wiegt umso schwerer, als sich die Berichterstattung auch durch Konditionsvorteile bei den Zinszahlungen und bereitzustellenden Sicherheiten positiv auswirken kann.

Keine nationalen Alleingänge bei Regulierung

Für den Gesetzgeber ergeben sich aus dieser Untersuchung interessante Hinweise zur möglichen Normierung und Differenzierung einer mittelstandsadäquaten Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sowohl die Banken als auch die Unternehmen verlangen handhabbare und verständliche regulatorische Vorgaben, wobei es weniger um die Masse, als um die Relevanz und Standardisierung der benötigten Informationen geht. Nationale Alleingänge in der Regulierung sind aber sowohl aus Gründen der Vergleichbarkeit als auch wegen drohenden Wettbewerbsnachteilen für Unternehmen und Kreditinstitute abzulehnen.

Fußnoten

1) Vgl. Ossig (2021), S. 388-390.

2) Vgl. C.9; D.12; E.8. Im Folgenden werden die Transkripte der durchgeführten Interviews zitiert. Den einzelnen Transkripten wurde ein Buchstabe von A - J zugeordnet. Die Zahl steht für die Seite des Transkripts, auf der sich die zitierte Aussage befindet.

3) Vgl. B.7; D.12; G.9; H.14

4) Vgl. A.2; C.10; D.11; E.8; F.8 f.; J.8.

5) Vgl. EBA (2020); EZB (2020); BaFin (2019).

6) Vgl. H.2.

7) Vgl. B.8.

8) Vgl. C.10; D.12; F.9 f.; G.9 f.; J.7; H.14 und H.16.

9) Vgl. B.8; C.10; D.12 f.; G.10.

10) Vgl. E.8 f.

11) E.9; ähnlich: E.15 f.

12) Vgl. A.7 f.; C.10.

13) A.7 f.

14) Vgl. A.7; B.8 f.; C.11; D.12 f.; E.10; G.11.

15) Vgl. D.12 f.; F.9; C.12; H.15.

16) Vgl. hierzu B.8. Für Informationen zu der Net Zero Banking Alliance: GSFC Germany (2021).

17) Vgl. H.1.

18) Vgl. B.9; C.11; D.13; E.10; F.10; G.12; H.16.

19) Vgl. H.16; sowie B.18 f.

20) Vgl. A.8; G.12.

21) Vgl. A.8.

22) Vgl. A.8; B.9; C.11; D.13; E.10; F.10.

23) Vgl. B.9; D.13 f.; E.11; F.10; G.12; H.16 f.; J.7.

24) Vgl. G.12; H.17.

25) H.17. Ähnlich hierzu: E.10; F.10 f.

26) Vgl. H.18.

27) Vgl. A.8; E.12; F.11; G.13.

28) Vgl. C.12; H.1-3 und H.18.

29) Vgl. C.12; F.11.

30) Vgl. B.9.

31) Vgl. E.13. So sollen auch nach den EBA-Leitlinien die mit ESG-Faktoren verbundenen Risiken grundsätzlich auf Ebene des einzelnen kreditnehmenden Unternehmens beurteilt werden, wobei dies bei Klein- und Kleinstunternehmen auch auf Ebene des Portfolios erfolgen kann, vgl. EBA (2020), S. 39.

32) H.21; ebenso: G.14.

33) Vgl. G.18; C.13; D.16; E.19.

34) Vgl. B.10; C.13 f.; E.12 f.; F.11; G.13; H.20 f.

35) Vgl. H.22; F.12.

36) Vgl. E.13; H.29; F.11. Diese Tendenz wird durch das Lieferkettengesetz ebenfalls noch verstärkt.

37) Vgl. B.9; C.19; E.13; D.16; F.12; H.32.

38) Vgl. D.16; H.22.

39) Vgl. D.17; E.14; F.13; H.22.

40) Vgl. A.11; D.17; E.14; F.13.

41) Vgl. B.10; C.14; D.16 f.; E.14; F.13.

42) Vgl. C.14; G.15.

43) Vgl. H.26; E.14; C.14; F.13; G.14 f. Wobei diese Checklisten i.d.R. die Informationen aus den anderen Quellen aufnehmen und es sich insofern eher um Datenverarbeitungstools handelt.

44) Vgl. A.10; F.14; G.15.

45) Vgl. A.11; D.17; E.14; H.26.

46) B.10 f.; ähnlich: G.15.

47) Vgl. C.14; E.14..

48) Vgl. A.10 f.; B.11; G.16.

49) Vgl. EBA (2020), S. 39.

50) E.15.

51) So gibt es kein Institut, welches das Problem der mangelnden Datenverfügbarkeit nicht angeführt hat. Vgl. A.11; B.12; C.15; D.17; E.15; F.14; G.16; H.26; J.9 f.

52) F.13. Ebenso: J.9 f.

53) Vgl. A.11; B.12; D.17; F.14.

54) Vgl. B.12; D.17 f.

55) E.15; ähnlich F.14.

56) Vgl. C.15; D.17; E.15 f.; H.26; J.8 f. Hier wird zudem auch auf das fehlende Backtesting verwiesen, vgl. E.15 f.

57) Vgl. A.11; D.17; G.16 f.; H.26; J.8 f.

58) Vgl. J.9 f.

Literaturverzeichnis

BaFin (2019) Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, abgerufen am 14.5.2021, URL: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/dl_mb_Nachhaltigkeitsrisiken.html, abgerufen am 21.10.2021.

EBA (2020) EBA/GL/2020/06 - 29 May 2020 - Final Report - Guidelines on loan origination and monitoring, abgerufen am 2.6.2021, URL: https://www.eba.europa.eu/regulation-and-policy/credit-risk/guidelines-on-loan-origination-and-monitoring.

EZB (2020) Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken - Erwartungen der Aufsicht in Bezug auf Risikomanagement und Offenlegungen, abgerufen am 20.5.2020, URL: https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.202011finalguideonclimate-relatedandenvironmentalrisks~58213f6564.de.pdf.

GSFC Germany (2021) Net Zero Banking Alliance Germany - Projektcharta, abgerufen am 20.09.2021, URL: https://gsfc-germany.com/net-zero-banking-alliance-germany/.

Ossig, Christian (2021) "Maßnahmen für den Aufbruch in die Nachhaltigkeit", Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 74, 388-390.

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Frederik-Bengt Blomeyer , Doktorand , Universität Osnabrück

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