Europäische Perspektiven für die Sparkassen

Michael Breuer, Foto: Fotostudio Schmidt-Dominé

Das Projekt Europa basiert auf dem soliden Fundament gemeinsamer Werte und findet in der Bevölkerung breite Zustimmung, gerade in Deutschland. Unterschiede beziehungsweise die Vielfalt in Europa sollte als Vorteil gesehen und nach den Prinzipien der gelebten Solidarität umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund stuft der Autor die anstehende Europawahl aus Sicht der Sparkassen-Finanzgruppe als elementar ein. Mit Blick auf die europäische Bankenstruktur plädiert er für eine Diversität und ermuntert die S-Gruppe, ihre eigenen Anliegen klar zu formulieren, von der Einlagensicherung über die Position im Handelsstreit bis hin zur Digitalisierung. (Red.)

Wenige Tage vor der Europawahl scheinen das "Wohl und Wehe" der europäischen Zukunft auf das "Ob und Wie" des Brexits reduziert. Das momentane Schauspiel in Großbritannien und die Ungewissheit, ob und wann es zu einem wie auch immer gearteten Rückzug des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union kommt, verengt den Blick der Menschen und deren Gedanken zu Europa.

Gemeinsame Werte als solides Fundament

Dabei ist in einem Zeitalter wachsender weltweiter Spannungen in den internationalen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen eine starke und handlungsfähige Europäische Union wichtiger denn je. Nur eine einige und stabile Europäische Union kann zum wirtschaftlichen Wohlstand und gesellschaftlichen Fortschritt auf unserem Kontinent beitragen. In den regelmäßig durchgeführten Umfragen der EU-Kommission, in denen die Meinung der Bürger zur Europäischen Union abgefragt wird, zeigt sich ein recht klares Bild. Demnach sieht eine Mehrheit der Europäer die Hauptstärke Europas in der Wahrung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit, gefolgt von der gemeinsamen wirtschaftlichen Stärke der EU, dem hohen Lebensstandard und den guten Beziehungen zwischen den EU-Staaten.

Diese gemeinsamen Werte sind ein solides Fundament, das über die Jahrzehnte eine gemeinsame Basis für das europäische Miteinander gebildet hat. In den vergangenen Jahren hat dieses Fundament jedoch angefangen zu bröckeln, selbst in grundlegenden Fragen gehen die Meinungen teils deutlich auseinander. Die Unabhängigkeit der Justiz, die Pressefreiheit, das Recht auf politisches Asyl - es gibt viele Beispiele, bei denen sich zeigt, dass diese für eine Demokratie wesentlichen Werte nicht selbstverständlich sind.

Dieses Fundament der Werte muss aber gegeben sein, um gemeinsam die Zukunft erfolgreich und langfristig gestalten zu können. Gerade deshalb ist es unerlässlich, dass sich die Sparkassen für ein freiheitliches Europa einsetzen, in dem Rechtstaatlichkeit und Demokratie aus Überzeugung gelebt werden. Im Vorfeld der Europawahl müssen sie deutlich machen, was die wichtigen Themen für Europa sind und aufzeigen, dass ein gemeinsames Vorgehen bei den großen Zukunftsthemen letztlich Vorteile für alle bringt.

Auf einer gemeinsamen Basis europäischer Werte sollte es dann möglich sein, Unterschiede zu achten und als Vorteil zu begreifen. "In Vielfalt geeint", so lautet das Motto der Europäischen Union.

Der Schwerpunkt des Handelns europäischer Institutionen lag über viele Jahr auf dem zweiten Teil des Leitspruchs, sprich einer stärkeren Harmonisierung, während die Wahrung der Vielfalt in den Hintergrund geriet, ja sogar oft als lästig empfunden wurde. In den letzten Jahren, auch bereits vor der Brexit-Abstimmung in Großbritannien, wurde jedoch deutlich, dass die Bürger in der EU die Errungenschaften des geeinten Europas, wie den freien Personenverkehr und den Frieden zwischen den Mitgliedsstaaten, zwar sehr schätzen. Einer fortschreitenden Zentralisierung, deren Ende nicht absehbar ist, stehen sie jedoch zunehmend ablehnend gegenüber. Je undurchschaubarer die Welt um sie herum wird, desto mehr wissen die Menschen kleinere überschaubare Einheiten zu schätzen. Das gilt zuvorderst für die Nationalstaaten, die besonders stark die Identität prägen, aber auch die Heimatregion oder die eigene Stadt bieten sich hier als Orientierungsrahmen an.

Laut einer repräsentativen Umfrage, die das Forsa-Institut 2016 im Auftrag des DSGV durchgeführt hat, finden 86 Prozent der Befragten die Idee der EU gut. Gefragt danach, wie die Akzeptanz der EU bei den Bürgern gesteigert werden könnte, sprach sich dennoch knapp die Hälfte für eine Rückübertragung von Kompetenzen auf die Ebene der Nationalstaaten aus.

Die Vielfalt Europas als Wert an sich

Eine Zentralisierung und Vereinheitlichung in allen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen kann und sollte nicht das Ziel sein. Es gilt vielmehr, die Vielfalt Europas als Wert an sich, wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Gerade die Vielfalt zeichnet Europa als Kontinent aus. Eine Vielfalt an Sprachen, eine reiche Kultur, verschiedene Wirtschaftsstrukturen - wir sollten auf die Unterschiede stolz sein und die Identitäten der EU-Bürger wertschätzen. Die Menschen leben gerne in einer Gemeinschaft, die eine einheitliche Basis für das Zusammenleben in Europa bietet, die aber Unterschiede respektiert und nutzt.

Der Preis einer zunehmenden Zentralisierung, über das sinnvolle Maß hinaus, ist dagegen zu hoch. In Großbritannien wurde vor Augen geführt, was passieren kann, wenn die Bürger den Eindruck gewinnen, ihr Land mit all seinen Facetten würde in einem großen europäischen Zentralstaat untergehen und Nachteile erfahren. Wer nicht möchte, dass sich weitere (Teil-)Staaten aus der EU verabschieden, der muss sich wieder auf das besinnen, was das Fundament der Europäischen Union ausmacht und was die Menschen schätzen. Und das sind gemeinsame Grundwerte wie Demokratie, Frieden zwischen den verschiedenen Nationalstaaten, die Freiheit, sich über die Grenzen hinweg zu bewegen, wachsender Wohlstand und sicherlich die gemeinsame Stärke anderen Wirtschaftsmächten gegenüber.

Klare Formulierung der Anliegen

Deshalb ist die anstehende Europawahl auch für die Sparkassen-Finanzgruppe von elementarer Bedeutung. Obwohl vorwiegend regional agierend sind die Institute dennoch vielfältig eingebunden und betroffen in und von Entscheidungen der europäischen Institutionen. Als größte und erfolgreiche Bankengruppe von Europas wichtigster Volkswirtschaft gilt es deshalb, die eigenen Anliegen vor solch einer wichtigen politischen Weichenstellung klar zu formulieren.

Die Sparkassen setzen auf eine EU, die dezentral gewachsene Strukturen anerkennt. Sie setzen auf eine EU, die einen gemeinsamen und verlässlichen Rahmen setzt, aber die nicht versucht, erfolgreichen regionalen und subsidiären Strukturen durch unverhältnismäßige und an den konkreten Bedürfnissen vorbeigehende regulatorische Maßgaben unnötige Grenzen zu setzen.

Diversität ist die Basis für eine leistungsfähige und stabile Finanzwirtschaft. Das heißt: Allein auf europäische Großbanken zu setzen und deren Fusionen auch noch zu forcieren, ist aus Sicht der Sparkassen der falsche Weg.

Eine besondere Entwicklung gab es auf europäischer Ebene beim EU-Bankenpaket. Die abgestufte Regulierung nach dem Prinzip der Proportionalität ist ein Fortschritt. Positiv ist zudem, dass die Europäische Bankenaufsichtsbehörde nun konkrete Vorschläge erarbeiten soll, wie die administrativen Kosten im Meldewesen gesenkt werden können. Damit ist ein erster Schritt zur Beachtung des Proportionalitätsprinzips in der Finanzmarktregulierung getan, weitere müssen aber folgen.

Verantwortung und Haftung

Ganz entscheidend für die Akzeptanz der Menschen für Europa ist der Grundsatz, dass Verantwortung und Haftung in einem gemeinsamen Markt nicht auseinanderfallen dürfen. Es gibt kaum ein Beispiel, an dem sich dies besser dokumentieren lässt, als an der vereinheitlichten Einlagensicherung. Es gibt einen klaren Rahmen, in dem die Sicherungssysteme in der EU bereits heute funktionieren können. Diesen auszugestalten und verbindlich umzusetzen, ist viel wichtiger, als darauf hinzuwirken, dass die Sparerinnen und Sparer mit ihren Einlagen für unkalkulierbare Risiken europaweit haften müssten.

Es gibt jedoch Bereiche, in denen die Europäische Union zukünftig stärker gemeinsam agieren sollte. Es bedarf einer europäischen Antwort auf den Angriff der US-amerikanischen und chinesischen Internetgiganten. Ein EU-Wettbewerbsrecht muss dafür sorgen, dass Unternehmen auf nationaler und europäischer Ebene im Digitalbereich leichter und enger zusammenarbeiten können. Es muss verhindert werden, dass sich die Giganten des Internets mit ihrer Infrastruktur abschotten können.

Für die Frage des Miteinanders in der Europäischen Union gibt das Subsidiaritätsprinzip einen guten Orientierungsrahmen: Da wo ein gemeinsames Handeln auf europäischer Ebene Sinn macht, sollten die Kräfte gebündelt werden. Überall dort, wo die Vorteile einer verstärkten Zentralisierung geringer sind als die Nachteile, die sich dadurch ergeben, sollte die Regelungshoheit auf der Ebene der Nationalstaaten verbleiben. Oder auch - wie in der föderal organisierten Bundesrepublik - auf der Ebene der Bundesländer oder sogar Kommunen.

Eine Politik, die sich an den Lebensräumen der Bürger orientiert und je nach Fragestellung verschiedene Lösungen ermöglicht, hat sich gut bewährt, für die Bundesrepublik, aber auch für die Sparkassen-Finanzgruppe. Die Gruppe macht es vor: Die Sparkasse ist in ganz Deutschland vor Ort, wichtige Entscheidungen können schnell getroffen werden. Dennoch arbeiten die Sparkassen in Deutschland zusammen, wo es sinnvoll ist. Und auch in Europa und weltweit kooperieren Sparkassen und verwandte Institute. Eine gelebte Subsidiarität ist eine gute Leitlinie für ein zukunftsfähiges und leistungsstarkes Europa.

Michael Breuer

Präsident, Rheinischer Sparkassen- und Giroverband (RSGV), Düsseldorf

Michael Breuer , Präsident, Rheinischer Sparkassen- und Giroverband (RSGV), Düsseldorf
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