Europas Zukunft: nachhaltig und digital aus der Krise

Marija Kolak, Foto: BVR (Hoffotografen)

Nach mehr als 18 Monaten seit Beginn der Covid-19-Pandemie ist Europa nun auf dem Weg aus der Krise. Es ist deshalb nun an der Zeit, in die Zukunft zu schauen, so die Autorin. Hierbei seien die künftigen Entscheidungen der neuen Regierung richtungsweisend. Eine Aufgabe der neuen Führung in Deutschland sei es, beispielsweise genügend Spielraum für wirtschaftliche Innovationen und Dynamik (vor allem in regulatorischer Hinsicht) zu schaffen und gleichzeitig Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit weiter voranzutreiben. Des Weiteren positioniert sich die Autorin klar gegen das Europäische Einlagensicherungssystem (EDIS), da inhaltliche Verbesserungen im Abwicklungsregime und Insolvenzrecht kurz- und mittelfristig mehr erreichen könnten, als eine vollständige Umkehrung der Zuständigkeiten für das Bankkrisenmanagement. (Red.)

In Deutschland haben die Bundestagswahlen am 27. September 2021 die Zähler auf null gesetzt. Nach der 16-jährigen Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel zeichnet sich ein Regierungswechsel ab. Die Sondierungsverhandlungen werden zeigen, welche Koalition an die Macht kommt und wie die neue Regierung aussehen wird.

Eine neue Regierung muss insbesondere zeigen, dass Spielraum für wirtschaftliche Innovation und Dynamik gegeben ist, damit die so wichtigen Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit nach der Pandemie ernsthaft angegangen werden können.

Im Gegensatz zu Berlin ist die europäische Legislaturperiode in Brüssel bereits im vollen Gange. Dort laufen zahlreiche Maßnahmen, die den Weg aus der Krise ebnen sollen. Auch hier stehen die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Vordergrund der Diskussionen.

Der Europäische Green Deal

Schon vor Covid-19 stand das Thema der Nachhaltigkeit durch den Europäischen Green Deal und seinem ambitionierten Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, im Mittelpunkt der Maßnahmen der Europäischen Kommission. Das hat sich auch durch die Pandemie nicht geändert, denn für die Europäische Kommission soll die Nachhaltigkeit ein integrierter Baustein des Wiederaufbaus nach der Krise sein.

Auch für den Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) ist das Thema Nachhaltigkeit von großer Bedeutung. Genossenschaftsbanken haben bereits heute einen großen Impact im Bereich Soziales. Die auf Beteiligung der Mitglieder angelegte Governance prädestiniert den BVR, den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft zu befördern. Dabei wird das Thema nicht als Zustand, den man erreichen kann, verstanden, sondern als Transformationsprozess.

Ende 2020 wurde das Nachhaltigkeitsleitbild der genossenschaftlichen Finanzgruppe beschlossen, welches ein klares Bekenntnis zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen und des Pariser Klimaabkommens enthält. Auch mit der Unterzeichnung der Unterstützererklärung zu den Prinzipien der Vereinten Nationen für ein verantwortliches Bankwesen Anfang 2021 hat der BVR die genossenschaftliche Nachhaltigkeitsausrichtung bestätigt.

In Brüssel arbeitet die Europäische Kommission seit ihrem ersten Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums aus dem Jahre 2018 intensiv an legislativen Maßnahmen, um die nötigen Finanzmittel für die nachhaltige Transformation der Wirtschaft zu beschaffen.

Der Aufbau einer nachhaltigen Taxonomie, ein EU-weit einheitliches Klassifikationssystem zur Festlegung von nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeiten, ist dabei generell eine gute Idee. Eine solche Klassifizierung kann und wird bei der Entwicklung nachhaltiger Produkte einen wichtigen Beitrag leisten und hat das Potenzial Finanzinstitute, Unternehmen und Verbraucher in ihren Entscheidungsprozessen zu unterstützen. Wichtig ist dabei, dass die Taxonomie am Ende auch in der Praxis umsetzbar ist.

Zu großer Umfang, wenig praktikabel

Auf europäischer Ebene deutet sich allerdings eine andere Realität an. Denn der von der Kommission veröffentlichte delegierte Rechtsakt zur Festlegung detaillierter Kriterien für die ersten beiden ökologischen Nachhaltigkeitsziele lässt einen Taxonomiekoloss befürchten, der aufgrund seines Umfangs und der Komplexität in der Praxis nur schwer anwendbar sein wird.

Wichtig ist bei der Annahme der nun folgenden delegierten Rechtsakte aber auch, dass dem Markt genügend Zeit für die Umsetzung gegeben wird, denn nur so können nachhaltige Prozesse in den Instituten geschaffen werden. Es ist wichtig, dass ausreichende Umsetzungsfristen auch bei Verzögerungen der politischen Diskussionen jederzeit gewährleistet werden.

Die aktuell diskutierte braune Taxonomie stuft der BVR kritisch ein, denn diese kann zu einer Stigmatisierung bestimmter Wirtschaftszweige führen und die europäische Volkswirtschaft letztlich beeinträchtigen. Vielmehr sollten Unternehmen mit Anreizen bei ihrer Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit unterstützt werden.

Die genossenschaftliche Finanzgruppe ist bereit, die nachhaltige Transformation der Wirtschaft zu begleiten. Es dürfen dabei aber keine übermäßigen bürokratischen Hürden geschaffen werden, da diese am Ende der Zielsetzung des europäischen Green Deal entgegenwirken.

Digitaloffensive aus Brüssel

Neben dem Thema Nachhaltigkeit ist auch die Digitalisierung in Brüssel ganz oben auf der Agenda von Kommissionspräsidentin von der Leyen, denn auch diese soll laut Europäischer Kommission bei dem Weg aus der Krise eine entscheidende Rolle spielen.

Es war überall zu sehen, wie die Digitalisierung durch die Covid-19-Pandemie in unserem Alltag an Bedeutung gewonnen hat. Diese Errungenschaften werden auch nach der Krise nicht verschwinden und die genossenschaftliche Finanzgruppe begleitet ihre Mitglieder und Kunden auf dem Weg ins digitale Zeitalter.

Schon lange vor der Pandemie, nämlich im Jahr 2018, wurde eine Digitalisierungsoffensive zur Stärkung der digitalen Vertriebswege gestartet. Die genossenschaftliche Finanzgruppe möchte, dass ihre Kunden selbst entscheiden können, auf welchem Weg sie mit ihrer Bank in Interaktion treten. Die traditionelle Filiale steht nicht mehr im Mittelpunkt, sondern ist einer von vielen möglichen Zugangswegen. Dennoch bekennt sich die Finanzgruppe weiterhin klar zu einer starken Präsenz vor Ort.

Die Europäische Kommission macht mit ihrer Digital-Finance-Strategie auch in Brüssel deutlich, welche wichtige Rolle die Digitalisierung im Finanzwesen spielt und kündigte legislative Maßnahmen an. Für die genossenschaftliche Finanzgruppe ist dabei wichtig, dass ein technologieneutrales Rahmenwerk geschaffen wird, welches einen fairen Wettbewerb aller Finanzmarktteilnehmer fördert. Um ein Level Playing Field zu schaffen, muss jedes Unternehmen, das Finanzdienstleistungen zur Verfügung stellt, auch den gleichen regulatorischen Anforderungen gerecht werden. Das Motto "gleiche Tätigkeit, gleiches Risiko, gleiche Regeln" muss dabei auch für die sogenannten Bigtechs gelten, die immer mehr eigene Finanzdienstleistungen anbieten.

Das richtige Gleichgewicht gefragt

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Digital Markets Act ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, denn er verpflichtet große, international tätige Plattformen (sogenannte Gatekeeper) anderen Marktteilnehmern den Zugang zu ihrer Infrastruktur zu ermöglichen.

Auch wenn die Digitalisierung viele Chancen mit sich bringt, so bestehen auch einige Herausforderungen. Zu diesen Herausforderungen gehört die Cybersicherheit. Das Ziel der Europäischen Kommission, alle Teilnehmer des Finanzsystems zu notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zu verpflichten, um Cyberangriffe und andere IKT-Risiken einzudämmen, ist deshalb richtig.

Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Verordnungsvorschlag zur Digital Operational Resilience im Finanzsektor, kurz DORA, welcher Anforderungen im Bereich der Cyberresilienz an alle Teilnehmer des Finanzsystems stellt, kann deshalb generell positiv bewertet werden. An vielen Stellen geht der Vorschlag aber über den von der Europäischen Kommission beabsichtigten Ansatz der Harmonisierung hinaus und bietet keinerlei Möglichkeiten, bei der Umsetzung nationale Besonderheiten, zum Beispiel in Bezug auf die Rolle der Verbundgruppen der Genossenschaftsbanken und Sparkassen im Bankensektor, zu berücksichtigen. Wichtig ist jetzt, dass der Rat der EU und das Europäische Parlament den Proportionalitätsansatz bei den weiteren Verhandlungen berücksichtigen.

Die Digitalisierung kann durch Innovation unser Leben vereinfachen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft sichern sowie zum Ziel des Europäischen Green Deal beitragen. Ein zukunftsfähiges regulatorisches Rahmenwerk für einen digitalen Weg aus der Krise muss deshalb die Bedürfnisse der europäischen Wirtschaft berücksichtigen und das richtige Gleichgewicht finden zwischen einem einheitlichen Rahmenwerk für alle Marktteilnehmer und ausreichendem Spielraum für die Entwicklung von Innovationen im Markt.

Krisenmanagement und Einlagensicherung

Zudem führte die Europäische Kommission im Januar dieses Jahres eine Konsultation zur Reform des Rechtsrahmens für das Krisenmanagement und die Einlagensicherung durch. Ziel war zum einen die Berücksichtigung neuer Entwicklungen im Bereich der Bankenabwicklung seit der Annahme der entsprechenden Verordnung im Jahre 2014. Zum anderen wurde sondiert, wie die Blockade bei dem bereits im Jahre 2015 vorgelegten Vorschlag für ein Europäisches Einlagensicherungssystem (EDIS) überwunden werden könnte. In dem Konsultationspapier wurden auch Überlegungen zur Neuausrichtung von Einlagensicherung und Bankenabwicklung in die Diskussion gebracht, etwa die Schaffung einer Superbehörde, die für Einlagensicherung und Bankenabwicklung zuständig wäre (nach dem Vorbild der FDIC in den USA).

Der BVR unterstützt die Stärkung der Bankenunion und will diese aktiv mitgestalten. Gerade angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation in der EU infolge der Corona-Pandemie sind koordinierte europäische Ansätze in verschiedenen Politikbereichen von hoher Bedeutung. EDIS lehnt der BVR aber klar ab.

Das Vertrauen der Einleger in die Stabilität des Banken- beziehungsweise Finanzsystems ist ein hohes Gut, das über Jahrzehnte gewachsen ist. Daher benötigen wir keine pauschale Ausweitung der Kompetenzen des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB). Im Fokus der Weiterentwicklung des Krisenmanagements sollte stattdessen die Stärkung der existierenden und bewährten Strukturen stehen. Inhaltliche Verbesserungen, sowohl im Abwicklungsregime als auch im Insolvenzrecht, können kurz- und mittelfristig mehr erreichen als eine vollständige Umkehrung der Zuständigkeiten für das Bankkrisenmanagement.

Die Institutssicherungssysteme, wie das der deutschen Genossenschaftsbanken, schaffen Finanzstabilität und haben das seit vielen Jahrzehnten immer wieder bewiesen. Ihr großer Vorteil liegt in ihrem präventiven Ansatz - statt Gelder auszuzahlen, wenn eine Bank strauchelt, gilt es, Banken erst gar nicht zum Sanierungsfall werden zu lassen. Der Funktionsfähigkeit der institutssichernden Systeme muss daher in jeder Ausgestaltung des Krisenmanagements angemessen Rechnung getragen werden. Eine Ausweitung des Abwicklungsregimes auch auf rein regional tätige Banken in Kombination mit einem verfrühten Eingreifen der Abwicklungsbehörden würde die Handlungsmöglichkeiten von Institutssicherungssystemen einschränken und nicht mehr, sondern weniger Stabilität und Vertrauen schaffen.

Aus denselben Gründen bleibt die genossenschaftliche Finanzgruppe bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber EDIS, bei dem Mittel vergemeinschaftet werden und die Sicherung auch der kleinsten Bank zentralisiert wird. Es ist überaus zweifelhaft, dass EDIS zu einer europaweiten Risikominderung führen würde. Im Gegenteil, eine gemeinschaftliche Haftung bei Bankinsolvenzen setzt erhebliche Fehlanreize.

Hindernisse abbauen

EDIS ist, anders als oft behauptet, nicht der Schritt in Richtung Vollendung der Bankenunion. Nach Auffassung des BVR sollte sich die Diskussion stärker auf das ursprüngliche Ziel konzentrieren, das fälschlicherweise mit EDIS verbunden wurde: die Überwindung der Fragmentierung des Finanzbinnenmarktes. Tatsächlich umfasst die Liste der Hindernisse auf dem Weg zu einer echten Bankenunion mit einem einheitlichen Finanzmarkt eine ganze Reihe von Punkten, wie zum Beispiel die einheitliche, grenzüberschreitende Berechnung von Kapital und Liquidität, einheitliche Steuerregelungen und die grenzüberschreitende Abwicklung von Banken. Wer Fortschritte bei der Bankenunion erzielen will, muss sich auf diese Themen konzentrieren.

Der Blick auf die europäischen Themen zeigt: Während die deutsche Seite gerade in einem komplexen Aushandlungsprozess versucht, zu einer Regierungsbildung in Berlin zu kommen, befindet sich der Brüsseler Institutionenkreis längst in voller Fahrt. Der Rahmen für viele nationale Aktionen aus der Krise ist damit bereits auf Brüsseler Ebene gesetzt, auch wenn gerade im Finanzbereich jeder Einzelregierung ein entscheidendes Wort zukommt. Deutschlands Rolle muss dabei sein dafür zu sorgen, dass die Fahrt in die richtige Richtung fortgesetzt wird.

Marija Kolak , Präsidentin , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. (BVR)
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