Finanzstandort Deutschland: Zukunft durch Vielfalt

Dominik Schütz, Foto: Stuttgart Financial

Nach Ansicht eines vom Autor zitierten Professors ist eine zu starke Homogenität eines Wirtschaftsstandorts nicht förderlich. Stattdessen würden zukünftig Vielfalt und Kreativität eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Daraus leitet Schütz ab, dass es vorteilhaft ist, eine hybride Form aus großen und kleinen Finanzzentren zu etablieren. Von der Strategie der Dezentralität und Vielfalt des finanzwirtschaftlichen Ökosystems profitiere der Finanzstandort Deutschland. Das hiesige Modell habe sich bewährt und auch als weniger krisenanfällig erwiesen. So seien alle fünf deutschen Finanzplätze in den Top 50 des Global Financial Centers Index vertreten, was kein anderes Land ähnlicher Größe vorweisen könne. Der Autor geht nicht davon aus, dass London nach dem Brexit als Finanzplatz ausgedient habe, wohl aber, dass Themen und Volumina nach Kontinentaleuropa verschoben werden. So seien bereits 675 Milliarden Euro Bilanzvolumen alleine nach Frankfurt "gewandert". (Red.)

Was macht einen wichtigen, internationalen Finanzplatz aus? Die meisten Menschen denken bei dieser Frage zuerst an den Kapitalmarkt, an große, zentralisierte Finanzplätze. Dort, wo sich die Finanzinstitute ballen, fallen sie auf - mitunter auch durch riskanteres und aggressiveres Marktverhalten auf. Dass Finanzzentren nicht mehr nur an der Konzentration von Unternehmen der Finanzwirtschaft gemessen werden, sondern vielmehr am gesamten wirtschaftlichen Ökosystem, ist eine alternative Perspektive in der Einschätzung von Finanzstandorten. Deutschland ist ein Beispiel dafür, wie erfolgreich diese Herangehensweise sein kann.

Wirtschaftsexperte Richard Florida, Professor für Regionale Wirtschaftsentwicklung an der Carnegie Mellon University, ist einer der Vorreiter einer neuen Sichtweise. Er plädiert für die Grundidee, dass zu starke Homogenität einem Wirtschaftsstandort nicht förderlich ist. Stattdessen seien Vielfalt und Kreativität die Eigenschaften, die ein Finanzstandort der Zukunft vorweisen müsse. In seinem Buch "The Rise of the Creative Class: and how it's Transforming Work" schreibt er darüber, wie die Innovationskraft kreativer Köpfe sich auf die Ökonomie auswirkt - und damit einen Finanzstandort beeinflusst. In den von ihm entwickelten Creativity Index fließen der Anteil der Kreativbranche, Offenheit und Diversität der Region, die Innovationskraft und der High-Tech-Index zu gleichen Teilen ein. Orientiert man sich an seiner Sichtweise, spricht einiges dafür, eine hybride Form aus großen und kleinen Finanzzentren zu etablieren, statt wie international derzeit vorherrschend auf Zentralisierung zu setzen.

Historisch betrachtet hat das Hybridmodell und die damit einhergehende Dezentralisierung bislang kaum Vorbilder. Schaut man nach London oder New York, zeigt sich: Die traditionellen, großen Finanzplätze der Welt setzen seit jeher stark auf Zentralität. Dieses sogenannte angelsächsische Modell hat einen klaren Fokus auf dem Kapitalmarkt und ist riskanter und kurzfristiger angelegt als was wir vom Finanzplatz Deutschland und von unseren föderalen Strukturen kennen. Unternehmen folgen im angelsächsischen Modell häufig dem Prinzip "Time to Market or Time to Fail". Doch ist das zukunftsfähig?

Dezentralisierung statt Konzentration

Klar ist, dass sich die Wirtschaft und der Finanzmarkt verändern. Innovationen, Netzwerke und Diversität hängen eng miteinander zusammen und sind auch für den Finanzmarkt relevant. Ein Blick auf die deutschen Finanzplätze zeigt sehr unterschiedliche Schwerpunkte: Wo Frankfurt traditionell einen Schwerpunkt als Bankenzentrum hat, profitiert Hamburg von einer breiten Realwirtschaft unter anderem aus dem Logistiksektor, dem Handel und der Gesundheitswirtschaft. In Nordrhein-Westfalen herrschen beispielsweise neben dem Versicherungssektor exportstarke Unternehmen und die kreative Start-up-Szene in vielen regionalen Zentren vor. In Stuttgart dagegen hat sich durch den diversen Mittelstand mit kleinen und mittelgroßen Weltmarktführern ein diverser Finanzsektor entwickelt. Außerdem ist die starke Vernetzung mit der ebenfalls diversifiziert aufgestellten Wissenschaft an den Finanzplätzen hilfreich.

Diese Beispiele machen klar: Der Finanzstandort Deutschland profitiert von einer Strategie der Dezentralität und Vielfalt des finanzwirtschaftlichen Ökosystems. Konzentration, so der Grundgedanke, schöpfe Potenziale nicht aus. Statt auf Machtprinzipien wird auf Kooperation und Netzwerke gesetzt, wobei die Prägung durch andere Kulturen und die damit einhergehende Diversität eine wichtige Rolle spielt. Die deutsche Kultur der (mitunter weltweit erfolgreichen) Mittelständler, die häufig auf mittel- bis längerfristige Geschäftsbeziehungen setzen, sind neben der starken Regionalität ebenfalls Schlüsselfaktoren dieser Entwicklung. Entsprechend spielt der Kapitalmarkt am Standort Deutschland zwar eine Rolle, deutlich gewichtiger sind jedoch die Intermediäre. Historisch betrachtet hat das deutsche Finanzsystem - und damit auch die Finanzplätze - einen deutlichen Schwerpunkt auf Banken und Versicherungen, weniger auf dem Kapitalmarkt. Wenngleich auch Private Equity und Venture Capital für innovative Startups in den letzten Jahren auch hier deutlich an Bedeutung gewonnen haben.

Diese Schwerpunkte sind keineswegs als nachteilig zu bewerten, denn das deutsche Modell hat sich bewährt und als weniger krisenanfällig erwiesen. Nicht zuletzt sind alle fünf deutschen Finanzplätze unter den Top 50 des GFCI (Global Financial Centers Index). Das ist bei keinem anderen Land ähnlicher Größe der Fall. Länder wie China und die USA entwickeln sich zwar ebenfalls in diese Richtung, jedoch sind diese aufgrund der Größe kaum vergleichbar. In diesem Zusammenhang und mit Blick auf den Creativity-Index ist erwähnenswert, dass auch die Wettbewerbsfaktoren des GFCI über die Entwicklung des Finanzsektors hinausgehen: Reputation, wirtschaftspolitische Bedingungen, Humankapital und Infrastruktur sind weitere Bereiche, die für den internationalen Vergleich hinzugezogen werden. Die von Florida geforderten Faktoren Diversität und Kreativität fließen unter anderem in die Lebensqualität, Offenheit und Innovationskraft mit ein und sorgen für Standortvorteile.

Europäische Finanzstandorte nach dem Brexit

Doch auch wenn es in Deutschland anders aussieht: International spielt der Kapitalmarkt eine tragende Rolle, und der Finanzmarkt ist nun mal ein globales System. Nichtangelsächsische Modelle bringen jedoch eine gewisse Vielfalt in die Europäische Union, was wiederum ein Wettbewerbsvorteil für den gesamten europäischen Raum ist. Nicht zuletzt jetzt, da London als der zentrale Finanzplatz der EU durch den Brexit entfällt. Der Gedanke, London hätte als europäischer Finanzplatz ausgedient, ist jedoch ungerechtfertigt. Als historischer Handelsplatz für Kapital ist es unwahrscheinlich, dass London seine Bedeutung für den Kapitalmarkt komplett verlieren wird. Allerdings werden sich mit dem Brexit Themen und Volumina verlagern. Darauf sind die europäischen Standorte vorbereitet.

In Deutschland wird, wenig überraschend, Frankfurt als Bankenstadt das größte Stück vom Kuchen abbekommen. Doch die Metropole am Main steht stellvertretend für den großen Erfolg des deutschen Finanzplatzes, wenn es darum geht, sich die Bruchstücke Londons in der Post-Brexit-Welt zu sichern. Laut Bundesfinanzministerium und BaFin sind 55 Banken und Finanzdienstleister sowie drei Versicherungen umgezogen oder werden dies in Kürze tun - das sind etwas mehr als die Metropole Paris geschafft hat und etwas weniger als Luxemburg.

Besonders schön aus Frankfurter Sicht ist die große Zahl an Europazentralen oder Hauptquartieren für Kontinentaleuropa, die in Hessen eine neue Heimat finden werden - das gilt sowohl für große Institute aus den USA (Goldman Sachs, Morgan Stanley und J.P. Morgan) oder Fernost als auch aus dem Vereinigten Königreich selbst. Gemessen an der Zahl der verlagerten Stellen liegen Frankfurt und Paris nach Daten der jeweiligen Zentralbanken mit rund 2 500 bislang jedenfalls gleichauf. Ganz weit vorne hat Frankfurt und damit Deutschland die Nase, wenn man die Verlagerung von Bilanzpositionen ansieht. Laut Bundesbank summieren sich diese für Frankfurt auf 675 Milliarden Euro, erwartet werden bis zu einer Billion Euro. Die französische Hauptstadt muss sich nach offiziellen Daten der Banque de France hingegen mit rund 170 Milliarden Euro zufriedengeben.

Frankfurt profitiert am meisten

Für die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des sich verändernden Systems sind vor allem Integration und das Zusammenspiel der einzelnen Finanzplätze entscheidend. An dieser Stelle werden die Rolle und Notwendigkeit von Initiativen wie Germany Finance deutlich. Ihre Aufgabe ist es, die Dezentralität zu bündeln und dem Finanzstandort ein Gesicht zu geben. Germany Finance ist ein informeller Zusammenschluss und Plattform von vier aktiven Initiativen der deutschen Finanzplätze Frankfurt, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Stuttgart. In Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) und der GTAI (Germany Trade & Invest) setzt sich Germany Fi nance dafür ein, den Finanzstandort Deutschland als Ganzes zu stärken. Dazu gehört neben der Repräsentation und zielgerichteten Kommunikation nach außen die Förderung der Vielfalt und des Austausches zwischen den einzelnen Finanzplätzen.

Chancen durch Vielfalt

Als Plattform für den gesamten Standort stellt sich die Initiative ökonomisch wichtigen Themen und deren kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen auf die Finanzwelt. Dazu gehören Standortfaktoren und Nachhaltigkeit ebenso wie Fragestellungen im Bereich Human Resources sowie digitaler Transformation und Innovation, Letztere vor allem unter dem Gesichtspunkt Fintech und Insurtech. Die Initiative stützt die einzelnen Finanzplätze, ihre Vielfalt als Stärke zu nutzen und gleichzeitig mithilfe von Kooperation und Best-Practice-Austausch Synergieeffekte zu schaffen. Wie sich das wirtschaftliche Umfeld für Deutschland entwickeln wird, kann niemand in Gänze vorhersagen. Fest steht jedoch, dass die Vielfalt der Standorte besondere Chancen und Potenziale bietet und deswegen weiterhin im Zentrum der Arbeit steht.

Dominik Schütz Sprecher, Germany Finance, Stuttgart
 
Dominik Schütz , Sprecher, Germany Finance, Stuttgart
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