Freihandelsabkommen aus Sicht der Wirtschaft

Dr. Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer, Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK), Berlin

Dr. Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer, Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK), Berlin - Die Bestandsaufnahme der deutschen Wirtschaft klingt nicht gerade ermutigend. Die Notwendigkeit und Bedeutung des Freihandels für Deutschland sieht der Autor gerade in den USA und in Europa längst von vielen protektionistischen Tendenzen bedroht. Dass der Welthandel schon im dritten Jahr in Folge schwächer zulegen dürfte als das Welt-BIP, wertet er als Alarmzeichen und Hinweis auf eine stockende internationale Arbeitsteilung. Als wichtigen Grund dafür nennt er Handelsbarrieren, und zwar weniger höhere Zölle, sondern vielmehr nichttarifäre Handelshemmnisse. Angesichts der durchaus beobachtbaren Freihandelsabkommen in anderen Teilen der Welt wirft er die Frage auf, wer den globalen Handel gestalten wird. Als besten Weg zur Handelsliberalisierung plädiert er zwar für den multilateralen Ansatz im Rahmen der WTO, registriert aber auch bei vielen plurilateralen Abkommen derzeit einen Stillstand. Mit Blick auf die EU verweist er als wichtigste Herausforderung für die nächsten Jahre auf die Klärung der Kompetenzverteilung und Zuständigkeiten im Bereich der Handelspolitik zwischen EU-Kommission, Europaparlament und Mitgliedsstaaten. (Red.)

"The last of big old-style trade agreements" - so bezeichnete der ehemalige Direktor der Welthandelsorganisation WTO, Pascal Lamy, die Transpazifische Partnerschaft TPP. Dieser Tage entscheidet sich deren Schicksal: Galt sie noch vor Kurzem als wichtigster Impulsgeber für die WTO, so stehen die zwölf Partnerländer des Freihandelsabkommens, das immerhin 40 Prozent des globalen BIPs abgedeckt hätte, nun vor dem Scheitern. Für den gewählten Präsidenten der USA, Donald Trump, ist TPP ein "Desaster", das seine Administration stoppen wird. Auch in vielen anderen Teilen der Welt werden die Diskussionen über den Freihandel immer emotionaler geführt. Haben Freihandelsabkommen überhaupt noch eine Chance und was ist die Alternative?

Globalisierung am Scheideweg?

Die Notwendigkeit und Bedeutung von Freihandel wird auch in Deutschland besonders lebhaft diskutiert. Die vielen deutschen Unternehmen hingegen, die ihren Umsatz auf den Weltmärkten verdienen müssen, berichten von einer zum Teil drastischen Zunahme von Handelshemmnissen. Protektionistische Tendenzen gibt es nicht nur im Wahlkampf der USA zu beobachten, sie sind in vielen Teilen der Welt schon Realität. Steht also die Globalisierung am Scheideweg?

Zunächst wäre es wichtig, die heimische Debatte zu versachlichen, schließlich hängen ein Viertel der deutschen Arbeitsplätze vom Export ab. 98 Prozent der Exporteure sind kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs). Hinzu kommt eine Vielzahl von kleinen wie großen Betrieben und Dienstleistern, die als Zulieferer von zu Hause mittelbar am Außenhandel hängen.

Steigt man tiefer in die Materie ein, zeigt sich: Die Weltwirtschaft wächst mit knapp drei Prozent in diesem und im nächsten Jahr sehr langsam. Zudem zeigt der Blick auf die Weltwirtschaft: Wenn es Wachstum gibt, dann vor allem außerhalb Europas. Noch frappierender: Der Welthandel legt schon im dritten Jahr in Folge schwächer zu als das Welt-BIP. Das heißt, dass die internationale Arbeitsteilung stockt. Ein wichtiger Grund dafür sind die Handelsbarrieren, die spätestens seit der Finanzmarktkrise hochgezogen werden. Dabei sind es weniger höhere Zölle, über die die deutsche Exportwirtschaft klagt, sondern vielmehr nichttarifäre Handelshemmnisse. Die Welt wartet nicht auf Europa oder die WTO.

WTO: Rückkehr als Global Player?

Auch wenn es nicht jeden Tag wahrzunehmen ist, rund um Europa werden Fakten mit neuen Freihandelsabkommen geschaffen. Unter chinesischem Leadership entsteht beispielsweise die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) mit Schwergewichten wie Indien und Japan. Noch größer könnte die APEC-Freihandelszone FTAP (Free Trade Area of the Asia-Pacific) mit fast 60 Prozent des Welt-BIPs werden. Und selbst einst binnenfokusierte Märkte wie der Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) entwickeln inzwischen ihre eigene Freihandelsagenda. Immer wichtiger wird daher die Frage, wer den globalen Handel gestalten wird. Die USA scheinen sich nach dem Ausgang der Präsidentschaftswahl bis auf ausgewählte bilaterale Abkommen international zurückzuziehen. Oder war die ganze Rhetorik im Wahlkampf nur ein Manöver?

Der beste Weg zur Handelsliberalisierung ist und bleibt der multilaterale Ansatz im Rahmen der WTO mit ihren 164 Mitgliedern. Lange Zeit stockten hier jedoch die Verhandlungen. Erst durch die Einigung zum Trade Facilitation Agreement Ende 2013 und insbesondere die Verständigung auf dem Nairobi-Ministerratstreffen Ende 2015 kam wieder etwas Bewegung in die Gespräche. Der lange Stillstand führte jedoch in der Zwischenzeit zu einem Umdenken hin zu plurilateralen Abkommen, also Abkommen, die nicht alle WTO-Mitglieder umfassen, wie dem Umweltgüterabkommen EGA sowie dem Dienstleistungsabkommen TiSA, die auch die EU derzeit mit einigen Partnerländern verhandelt. Doch selbst diese Initiativen von "Gleichgesinnten" sind 2016 vorerst gestoppt. So sieht sie also aus, die Alternative zu Freihandelsabkommen: keine Abkommen, Stillstand, ungelöste Herausforderungen.

Kompetenzen in Brüssel klären

Da also kurzfristig weiterhin keine großen Würfe auf globaler Ebene zu erwarten sind, handeln vor allem asiatische Länder, aber auch die EU, schon seit längerer Zeit bilaterale Abkommen aus. Diese werden als wichtige Impulsgeber (stepping stones) für das multilaterale System betrachtet, auch um dort neue Themen einzuspeisen. Denn in der WTO gelten immer noch die Regeln von 1995. Die Welt hat sich in den letzten 20 Jahren aber stark verändert. Und ohne modernisierte Handelsregeln stoßen deutsche Exporteure zunehmend auf ähnliche Herausforderungen. Die EU hatte daher bereits seit geraumer Zeit mit über 50 Staaten bilaterale Freihandelsabkommen in Kraft gesetzt und viele weitere sind noch in der Pipeline. Dass solche Handelsverträge positiv wirken, zeigt das EU-Korea-Abkommen. In den fünf Jahren seit Inkrafttreten sind die deutschen Exporte dorthin um mehr als die Hälfte gestiegen - die Autoverkäufe um deutlich mehr.

Umso wichtiger ist, dass es jetzt weitergeht. Das EU-Kanada Abkommen CETA, das Ende Oktober 2016 von beiden Seiten unterzeichnet wurde, zeigt den aktuellen Spagat zwischen Chancen und Herausforderungen. Derzeit wird dieses im Europäischen Parlament beraten, denn erst nach dessen Zustimmung wird es vorläufig in Kraft treten. Hierauf folgt der Ratifikationsprozess in allen nationalen Parlamenten. Mit CETA würde ein modernes Handelsabkommen umgesetzt werden. Modern bedeutet mehr als nur der Abbau von Zöllen. Nein, es geht um transparenteren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen, die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsprüfungen und den Schutz geografischer Schutzbezeichnungen der EU. Eigentlich also ein gutes Zeichen für die Handlungsfähigkeit Europas.

Und es tut sich noch mehr: 2016 begannen die Verhandlungen mit den aufstrebenden Volkswirtschaften Indonesien und den Philippinen, aber auch die längere Zeit ruhenden Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten wurden wieder aufgenommen. Das bisher größte und wichtigste Abkommen könnte bald das EU-Japan-Abkommen sein. Das viele Hin und Her innerhalb Europas bei CETA, also einem Abkommen mit einem engagierten internationalen Partner, der die eigenen Werte teilt, hat zu viel Verunsicherung geführt. Um weltweit wieder als wertiger Partner wahrgenommen zu werden, muss die EU nach außen mit einer Stimme sprechen.

Zentral für die Arbeit der EU in den nächsten Jahren ist die Klärung der Kompetenzverteilung im Bereich Handelspolitik, für die die EU-Kommission, unter Einbeziehung des Europaparlaments und der Mitgliedsstaaten, zuständig ist. Welche Verhandlungsbereiche betreffen so eindeutig nationale Kompetenzen, dass auch jedes Nationalparlament den Abkommen zustimmen muss? Bereits 2014 hatte die EU-Kommission den Europäischen Gerichtshof um dahingehende Klärung gebeten, die voraussichtlich Anfang 2017 ansteht.

Außenwirtschaftlicher Erfolg - kein Selbstläufer

Für den Erfolg der deutschen Wirtschaft auf internationalen Märkten sorgen die Unternehmen jeden Tag durch gute wettbewerbsfähige Produkte, durch Innovationen und spannende Dienstleistungen. Handelsabkommen sind jedoch ein wichtiger Baustein. Denn wachsender Umsatz und Export sind kein Naturgesetz. Das bisschen Außenwirtschaft macht sich nicht von allein. So wichtig es ist, danach zu fragen, was Freihandelsabkommen für einen Nutzen haben, so richtig ist es auch, erst einmal die Frage vorwegzustellen, wo Deutschland ohne internationale Arbeitsteilung stehen würde. Leider kommt diese Analyse oftmals zu kurz. Auch in der Wirtschaft gibt es Fragen über die Ausgestaltung mancher Abkommen.

In den Diskussionen - so zumindest der Eindruck - sind die Chancen des Freihandels zuletzt zu kurz gekommen. Zu den Chancen gehört zweifelsohne, dass es mithilfe von Freihandelsabkommen zu schaffen ist, sich mit geeigneten Partnerländern auf gemeinsame Regeln zu einigen, unter denen die Interessen im Handel und im Wettbewerb stehen. Dazu gehört die Bewahrung und Fortentwicklung der hiesigen Standards für Umwelt, Verbraucherschutz und Arbeit.

Ein vermeintlich kleines Thema: Damit insbesondere auch KMUs von EU-Abkommen profitieren können, sollten möglichst einfache Ursprungsregeln für Waren definiert werden. Dies ist in vielen EU-Abkommen derzeit leider nicht der Fall und wird zu Recht von den Mitgliedsunternehmen kritisiert. Zudem müssen unbürokratische Verfahren für den erforderlichen Ursprungsnachweis geschaffen werden, die für Hersteller und Exporteure leicht verständlich und in der Praxis leicht anwendbar sind. Ein wichtiges Mittel hierfür wäre ein Onlinetool, das kostenlos und leicht verständlich alle Anforderungen des jeweiligen Partnerlands an Exporteure darlegt und so Bürokratie abbaut. Für den DIHK geht es bei Freihandelsabkommen vor allem um Bürokratieabbau, nicht Demokratieabbau.

Dafür sollte die EU noch stärker als bisher aktiv werden und auf globaler Ebene für ein wertebasiertes, offenes Handelssystem eintreten. Andere werden sich anschließen, doch es braucht einen Vorreiter und einen langen Atem.

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