Geld - nichts als eine Illusion?

Dr. Alexander Suyter, Geschäftsführer, Dr. Suyter GmbH, München - Im Zuge der teils krisenbedingten geldpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre sieht der Autor die EZB in einer politischen Gestaltungsrolle, die ihr weder zusteht noch gut zu Gesicht steht. Von der Geldpolitik über die Aufsichtspraxis bis zur Rechnungslegung registriert er eine Gremienarbeit von Spezialisten, die nicht direkt demokratisch legitimiert sind. Seine Kernfrage: Worin gründet das Vertrauen in das heutige Geldsystem? (Red.)

Subprimekrise, Finanzkrise, Bankenkrise, Eurokrise, Schuldenkrise ... Dauerkrise? Das sind allesamt Begriffe, die seit der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 die Runde machten - und immer noch machen. Aus Sicht eines europäischen Anlegers brachen im Sommer 2012 die Dämme seines bisher in das Eurogeldsystem eingebrachten Vertrauens. Weshalb? Und wie ist das Vertrauen wieder herzustellen?

Neue Dimension der Geldausweitung

In seiner inzwischen legendären Rede vom 26. Juli 2012 erläuterte Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), seine Vorstellung von der neuen Art der Rettungspolitik. Er sagte zu den Maßnahmen der EZB, diese würden so umfangreich ausfallen, dass es zur Rettung des Finanzsystems (oder auch der Staaten?) stets ausreiche, wörtlich "whatever it takes" - "koste es, was es wolle" ... "und glauben Sie mir, es wird genug sein". Damit wurden die Schleusen für unbegrenzte Geldvermehrung geöffnet. Sie mündeten dann im September 2012 in das OMT Outright Monetary Transaction genannte Programm der EZB.

Was ist so besonders daran? Anders als bei den Vorgänger-Maßnahmen QE (Quantitative Easing) gibt es bei OMT keinen festen Umlageschlüssel mit quotaler Zuordnung auf die Euroländer. Das Programm ist überdies vom Volumen her grundsätzlich unbegrenzt und mangels Parlamentsbeschluss nicht ausreichend legitimiert (Europäisches Parlament, nationale Parlamente). Über die für den deutschen Steuerzahler sich ergebenden Haftungsrisiken in Höhe des deutschen EZB-Anteils greift die EZB somit in die Budgethoheit des Bundestages ein. Bedingung für den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB zur Entlastung der Staaten und Banken - verkleidet als "Geldpolitik" - war die Auflage, dass die betroffenen Mitgliedsstaaten an einem mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) vereinbarten Reformprogramm teilnehmen, das heißt sich diesen Regeln unterwerfen. Durch Vorgabe derartiger Konditionen rutschte die EZB - nolens volens - in eine politische Gestaltungsrolle hinein, die ihr weder zu- noch gut zu Gesicht steht. Sie ist weder gewählt noch angemessen demokratisch dafür legitimiert.

In den USA sind Staat und Währungsraum kongruent. Für die Eurozone gilt dies aber nicht, da es sich mit dem Euro zwar um eine Währung, aber seit 2015 um 19 Staaten handelt. Die EZB füllt mit ihren expansiven Geldmaßnahmen lediglich das gestalterische Vakuum, das Politiker trotz zahlreicher Gipfeltreffen an der einen oder anderen Stelle hinterlassen. Die dadurch von der EZB "erkaufte Zeit" wurde von der Politik nicht in erforderlichem Maße genutzt. Politische Aktivitäten sind mangels europavertraglicher Voraussetzungen zu oft im Spannungsfeld und von der Abwägung nationaler gegenüber gesamteuropäischen Interessen geprägt und aus europäischer Perspektive deshalb mitunter divergierend. Im Sinne einer akuten Krisenintervention akzeptabel, dauerhaft jedoch nicht vertrauensfördernd ist es, wenn die EZB als staatspolitischer Quasi-Akteur auf den Plan tritt, um derartige Lücken in der europäischen Politik zu füllen, zumal sich ihr geldpolitisches Mandat nur auf die 19 Euroländer, nicht jedoch auf die 28 Länder der EU oder gar 31 Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) erstreckt.

Echte Reformen gefragt

Es mangelt nach wie vor daran, Strukturen und Abläufe neu zu organisieren und echte Reformen auf die Spur zu bringen: Für den gesamten Euroraum, die EU und den EWR. Ohne den Vertrag über die Europäische Union - Stand immer noch Lissabon 2007 - zu reformieren und für die Herausforderungen der Zukunft zu modernisieren, wird es auf Dauer nicht gehen, so unbeliebt und politisch kompliziert die Gemengelage dabei auch sein mag. Das zeigen zum Beispiel die Bestrebungen der EU-Kommission oder auch der Bericht der fünf Präsidenten europäischer Institutionen, namentlich der EU-Kommission (Juncker), des EU-Parlaments (Schulz), der EZB (Draghi), des EU-Rats (Tusk) und der Eurogruppe (Dijsselbloem): Diese möchten im ersten Schritt bis 2017 eine vergemeinschaftete EU-Einlagensicherung etablieren - ein fragwürdiges Vorhaben, solange die Voraussetzungen dafür nicht geschaffen sind, etwa durch Risikokonsolidierung im jeweils nationalen Bankensektor.

EU-Zentralisierung und Risikoteilung stehen bei diesen Vorschlägen im Widerstreit zur mangelnden oder zu zaghaften Bereitschaft, auf nationale Souveränität zugunsten Europas zu verzichten. Solange das Haftungsprinzip nicht klar geregelt, formuliert und EU-rechtlich verankert wird, erscheinen auch die Schritte zwei und drei, nämlich ein gemeinsames länderübergreifendes Schatzamt sowie ein Budget für die Eurozone, allenfalls wie vage Absichtserklärungen. Noch viel dramatischer zeigen sich die Defizite auf europäischer Ebene allerdings in den humanitären Geschehnissen jenseits der Finanzwelt.

Die schlichte Realität: Seit die EZB die Geldschleusen geöffnet hat - die anderen Notenbanken in Japan, USA und China verfahren im Grundsatz genauso - schwimmt die Eurozone zwar in Liquidität, ertrinkt aber zugleich in exorbitanten Staatsschulden. Glaubt wirklich irgendwer ernsthaft daran, dass diese Schulden je zurückbezahlt oder zurückgeführt werden können?

Die Ära des kreditbasierten Geldsystems

Die Malaise zeigte sich rückblickend unter anderem schon am 15. August 1971, als US-Präsident Nixon die wertmäßige Bindung des US-Dollars (Greenback) an Gold aufhob. Damit wurde die Verpflichtung gegenüber ausländischen Zentralbanken, Greenbacks in Gold zu tauschen, über Nacht aufgegeben. Denn das zunehmende Leistungsbilanzdefizit der USA war immer mehr zum Damoklesschwert geworden. Nixon sagte, der Wegfall der Dollar-Gold-Konvertibilität sei "vorübergehend". Es wurde dauerhaft und gilt bis heute als Signal für eine ungebremste Staatsverschuldung.

Es ist gut für die USA, dass sie ihr Defizit mit selbstgedruckten US-Dollars bezahlen und somit den Gläubiger-Ländern aufs Auge drücken können. Wie sagte John Connally, 1971/72 Nixons Finanzminister, so treffend und bis heute gültig: "It is our currency, but it is your problem." Auch der Euro unterliegt keiner Gold- oder anderen Sachwertbindung. Das gesamte kreditbasierte Geldsystem funktioniert deshalb anstelle einer Wertbindung ersatzweise nach komplizierten, von Fachleuten ersonnenen Regeln - mal mehr mal weniger gut.

Es gibt nur wenige Experten, die das System noch durchschauen, da es von vielen Einflüssen durchdrungen ist. Die wachsende Komplexität zeigt sich auch daran, dass immer neue, vor allem internationale und europäische Institutionen geschaffen und benötigt werden oder an Bedeutung gewinnen, zum Beispiel das FSB Financial Stability Board, EBA European Banking Authority als Bestandteil des ESFS European System of Financial Supervisors, ESB European Stability Board, EFSF European Financial Stability Facility, nationale Finanzstabilitätswächter und viele mehr. Allein die institutionelle Komplexität und mögliche Interessenkollisionen lassen dies leicht erahnen.

Zum Beispiel kann die Doppelrolle der EZB als Notenbank (Geldpolitik) einerseits und als europäische Bankenaufsicht (Supervisor) andererseits zu einem deutlichen Interessenkonflikt führen, zumal die Bankenaufsicht zum Teil zusätzlich auch noch bei nationalen Behörden angesiedelt ist. In der Notwendigkeit, eine echte Trennung von Geldpolitik und Bankenaufsicht herbeizuführen, offenbart sich abermals das Erfordernis für die Änderung der EU-Verträge. Demgegenüber liegt die Verantwortung für Wirtschafts- und Fiskalpolitik im Wesentlichen noch bei den Staaten, jedoch meist mit zunehmender europäischer Abstimmung. Einigen wichtigen Eurostaaten fehlt allerdings bis heute schlicht die Bereitschaft, weitergehende politische Funktionen nach Brüssel zu transferieren. Das ist jedoch eine maßgebliche Voraussetzung für ein politisch und ökonomisch stabiles Europa, das als Verbund und Wertegemeinschaft einzelner Staaten aufgebaut ist.

Wegen der konzeptionellen Komplexität basiert das heutige Geldsystem in erster Linie auf dem Vertrauen der Teilnehmer in die Werthaltigkeit des Geldes. Denn wenn ein Unternehmen Zinszahlungen zu leisten hat und sich dafür immer wieder und vor allem immer mehr neues Geld leihen muss, spricht man gemeinhin von einer Schuldenspirale, die beim Aufdecken gerichtliche Maßnahmen nach sich ziehen kann. Das gilt aber nicht bei der institutionell aufgebauten Geldschöpfungspolitik, in der Staaten, Notenbanken und Geschäftsbanken die Hauptrollen spielen. Worin liegt der Unterschied, wenn Staaten neue Schulden aufnehmen, um die Zinsen für ihre bisherigen Schulden zu begleichen?

"In God we trust" findet sich zwar nicht deshalb auf der Rückseite von US-Dollarnoten, ganz abwegig wäre es jedoch nicht. Oder sollte es besser heißen "In gold we trust"? Auf diese Weise war das Vertrauen früher zu Zeiten der Goldbindung faktisch unterlegt. Seit 1971 kam es dann zu einer enormen Schuldenausweitung, da die geldmengenbegrenzende Wirkung der Goldbindung weggefallen war. Fünf Billionen Schulden häuften die USA in 25 Jahren zwischen 1976 und 2001 an. Die gleiche Menge schaffte G. W. Bush schon nach acht Jahren, Obama benötigte dafür nicht einmal mehr vier Jahre.

Müsste es heute also heißen "In debt we trust", weil Geld per Kredit theoretisch grundsätzlich fast beliebig geschaffen werden kann? Kehrt der sich selbst am Schopfe aus dem Sumpf ziehende Münchhausen auf der Bühne der Weltfinanz wieder? Ist der Sumpf schon besonders tief, wie die milliarden- bis billionenschweren Aktionen der Notenbanken weltweit nahelegen?

Damit das bisherige System am Laufen gehalten wird, müssen dann und wann die Regeln bedarfsweise verändert werden, wie etwa in der Rechnungslegung, im Aufsichtsrecht, in der Geldpolitk, ohne dass es die Allgemeinheit wahrnimmt. Es ist zu komplex und nur etwas für wenige Experten. Außerdem tauchen viele derartige Veränderungen nicht mehr in Gesetzen oder Richtlinien auf (EU: Directives), sondern in Verordnungen (EU: Regulation), deren Beschluss keines Parlamentes mehr bedarf. Die Musik spielt also in Gremien, die von fachkundigen Spezialisten besetzt, jedoch nicht direkt demokratisch legitimiert sind.

Unschöne Spuren im Finanzsystem

Dennoch funktioniert das heutige Geldsystem bis heute weitgehend. Zumindest wird viel getan, um diesen Anschein zu wahren. Dabei ist das entgegengebrachte Vertrauen die entscheidende "Währung". Denn ohne Vertrauen könnte das heutige Geldsystem nicht einmal existieren - es wäre eine Illusion. Jeder sollte sich selbst einmal die Frage stellen: "Worauf gründe ich konkret mein Vertrauen in das heutige Geldsystem?"

Ob und wie sehr das Vertrauen leidet, wenn die Niedrig- und teils Negativzinsen vor allem mittel- und langfristig mehr und mehr ihre unschönen Spuren im Finanzsystem hinterlassen? Der Versicherungskonzern Talanx hatte 2010 deshalb auf dem Gerichtswege eine Gleichbehandlung mit Geschäftsbanken einzuklagen versucht und ein insolvenzfestes Konto bei der Bundesbank eingefordert, allerdings ohne Erfolg. Aus Sicht des Anlegers das Angesparte in größerem Umfang und ohne maßgeblichen anstehenden Liquiditätsbedarf für längere Zeit nur auf Konten zu hinterlegen, offenbart somit einen Mangel an strategischer Ausrichtung. Deshalb kommt der Aufteilung des gesamten Vermögens nach Anlageklassen eine besondere Rolle zu.

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