Geldpolitik: Getrennte Wege von Fed und EZB

Renditedifferenz der Staatsanleihen als ein Bestimmungsfaktor für den Wechselkurs Euro/US-Dollar

Prof. Dr. Diethard B. Simmert, Studiengangsleiter Corporate Finance, International School of Management (ISM), Dortmund, und Heiko Zülch, Kapitalmarktanalyst, Research, Kreissparkasse Köln - Die Geldpolitik der Fed sehen die Autoren derzeit zwar ebenso wenig auf einem stetigen Kurs wie die der Europäischen Zentralbank. Doch während sie die Grundausrichtung der amerikanischen Notenbank bei allem Schlingerkurs tendenziell in Richtung maßvoller Zinserhöhungen einstufen, erwarten sie von der EZB trotz aller Kritik aus Deutschland an der jüngsten Zinsentscheidung einen weiterhin expansiven Kurs. Durch das künstlich auf niedrigem Niveau gehaltene Zinsumfeld registrieren sie in der Wirtschaft diverse Probleme und/oder Verzerrungen, angefangen vom Festhalten von Unternehmen an unrentablen Geschäftsaktivitäten über eine Verfestigung von Strukturproblemen in einigen Ländern bis hin zu Risiken für die Finanzstabilität aus falschen Anlageentscheidungen. (Red.)

Die Unsicherheiten rund um den Globus haben in den letzten Monaten zugenommen. Sie reichen von Sorgen um die wirtschaftliche Dynamik, über den Ölpreisverfall und geopolitische Konflikte bis hin zu Überschuldungstendenzen in einzelnen Wirtschaftszweigen oder ganzen Ländern. Die Unsicherheit spiegelt sich in gesunkenen Aktienkursen sowie angezogenen Risikoprämien am Rentenmarkt, vor allem bei Emittenten mit schwächerer Bonität. Dem Agieren der Notenbanken wird in diesem Umfeld besondere Beachtung geschenkt. Mit ihrer Quasi-Nullzinspolitik und den darüber hinaus gehenden unkonventionellen Lockerungsmaßnahmen sind Fed, EZB & Co zu einem dominierenden Taktgeber der internationalen Kapitalmärkte geworden.

US-Notenbank: Leitzinswende bei unsicheren Wirtschaftsdaten

Als erste der wichtigsten Notenbanken rund um den Globus hat die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) damit begonnen, die Leitzinsen - erstmalig seit fast zehn Jahren - wieder vorsichtig anzuheben. Angesichts der fortgeschrittenen wirtschaftlichen Genesung der Vereinigten Staaten beschloss sie im Dezember letzten Jahres, nach vielen Monaten der Ankündigung, die Federal Funds Target Rate um 25 Basispunkte auf 0,25 bis 0,5 Prozent anzuheben. Zugleich stellte sie weitere maßvolle Zinserhöhungen in Aussicht.

Für die Marktteilnehmer ist fortan entscheidend, ob und gegebenenfalls wann und in welchem Ausmaß die Fed unter der Leitung von Janet Yellen die geldpolitischen Zügel weiter straffen wird. Dabei wird jeder einzelne Formulierungsbestandteil des Kommuniqués daraufhin analysiert und interpretiert, ob er entsprechende Hinweise enthält.

Die beschriebene Zunahme der Unsicherheiten hat dazu geführt, dass die Fed seit dem Zinsschritt im Dezember in einen geldpolitischen Schlingerkurs eingetreten ist. Zeugten die Dezember-Ankündigungen noch von entschlossener Überzeugung, so ruderten die Währungshüter bereits im Januar wieder zurück. Man rechne mit einer Verzögerung bei der Rückkehr zum Inflationsziel von 2 Prozent und kam zugleich zu einer Änderung bei der Beurteilung der Risiken. So wurde die noch im Vormonat verwendete Formulierung gestrichen, wonach die Risiken für das Wachstum und den Arbeitsmarkt ausgeglichen seien - ein erstes Anzeichen für wachsende Vorsicht beim Timing des nächsten Zinsschritts.

Am 10. Februar dieses Jahres äußerte sich Yellen an lässlich des halbjährlichen geldpolitischen Berichts der Fed vor dem Finanz- und Bankenausschuss des Kongresses. Hier formulierte sie Sorgen über zunehmende Abwärtsrisiken für die Wirtschaft und verwies dabei unter anderem auf den robusten Dollar, Probleme im Energiesektor infolge des Ölpreisverfalls, eine rückläufige Investitionstätigkeit und die jüngsten Verwerfungen an den Finanzmärkten. Positiv hob sie indes die Entwicklungen am Arbeitsmarkt (Lohnsteigerungen, Neueinstellungen) hervor. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die (auftragsgemäße) Fokussierung der Fed - neben der Inflation orientiert sie sich stark an den Entwicklungen am Arbeitsmarkt - durchaus fragwürdig erscheint. Schließlich zählen die Arbeitsmarktdaten zu den klassischen "nachlaufen den" Konjunkturindikatoren. Dass die Notenbank eben diese ins Zentrum ihrer geldpolitischen Überlegungen stellt, wirft Fragen auf.

Ungeachtet dessen sagte Yellen, die US-Geldpolitik befinde sich "auf keinem vorgegebenen Kurs". Demnach ist die weitere geldpolitische Ausrichtung der Fed ungewiss. Bei ihrem jüngsten Zinsentscheid vom 16. März bestätigte die US-Zentralbank ihren Kurs in den Grundzügen. Erwartungsgemäß beließ sie die Leitzinsen unverändert. Auf Basis der Punkt-Projektionen des Federal Open Market Committee (FOMC) - den sogenannten "Dots" - haben sich allerdings die Erwartungen an das Leitzinsniveau zum Jahresende 2016 deutlich reduziert. Im Durchschnitt rechnen die Mitglieder des Gremiums nur noch mit zwei Zinsschritten à 25 Basispunkten, was gegenüber den Erwartungen von Ende 2015 eine Halbierung darstellt. Da es sich bei den "Dots" allerdings lediglich um eine Bestandsaufnahme der individuellen Erwartungen der FOMC-Mitglieder handelt, dürfen diese nicht als Plan der Notenbanker verstanden werden. Sollten sich die Wirtschaftsdaten in der zweiten Jahreshälfte wieder aufhellen, dürften auch die "Dots" wieder anziehen.

EZB: Gesprächsstoff durch weiterhin expansiven Kurs

Jüngst revidierte die EZB ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum im Euroraum mit dem Verweis unter anderem auf die schlechteren Stimmungsindikatoren, die schwache Entwicklung der Schwellenländer und den Mangel an Strukturreformen in Europa. Nicht zuletzt aufgrund des Ölpreisrückgangs geht sie lediglich noch von einer Inflationsrate von 0,1 Prozent im Jahr 2016 aus, nachdem sie im Dezember noch 1,0 Prozent erwartet hatte. Erwartungsgemäß lockerte sie den geldpolitischen Kurs abermals.

So wurden der Hauptrefinanzierungszins und die Spitzenrefinanzierungsfazilität um jeweils 5 Basispunkte auf 0,00 Prozent beziehungsweise 0,25 Prozent gesenkt. Beide Leitzinsen waren seit September 2014 nicht mehr angetastet worden, weshalb dies die Marktteilnehmer tendenziell überraschte. Der bereits negative Einlagesatz - auch als Strafzins für Banken bezeichnet - wurde von minus 0,30 Prozent auf minus 0,40 Prozent weiter ins Minus geführt.

Darüber hinaus wird das monatliche Wertpapierkaufprogramm ab April 2016 von 60 Milliarden Euro auf 80 Milliarden Euro auf gestockt. Es bleibt mindestens bis Ende März 2017 in Kraft. Darüber hinaus wurden Unternehmensanleihen aus dem Nicht-Bankensektor neu in das Spektrum der von der EZB zu erwerbenden Wertpapiere aufgenommen. Dies gilt zumindest für Schuldner mit guter bis mittlerer Kreditwürdigkeit (sogenannte Investment-Grade-Anleihen). Hier setzen die Zentralbankkäufe ab dem Ende des zweiten Quartals ein. Doch damit nicht genug. Als "Ausgleich" für die Belastungen, welche die Banken aus dem nochmals gesenkten Einlagesatz erfahren, legt die EZB besonders günstige Refinanzierungstranchen auf. Diese sind daran geknüpft, dass die Banken die aufgenommenen Mittel in Form von Krediten an die Wirtschaft weiterreichen. Die EZB kündigte vier dieser sogenannten TLTRO-Geschäfte (Targeted Longer-Term Refinancing Operations) an. Sie sollen jeweils eine Laufzeit von vier Jahren haben und im Juni dieses Jahres starten.

Nicht eindeutig zu beantworten ist die Frage, ob die ultralockere EZB-Geldpolitik bislang von Erfolg gekrönt ist oder nicht. Positiv ist in jedem Fall zu vermerken, dass sich die günstigen Kreditbedingungen allmählich in einer Ausweitung der Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte niederschlagen. Vom primär verfolgten Ziel einer Inflationsrate von nahe 2 Prozent ist man allerdings noch weit entfernt. Vor allem aufgrund des Ölpreisverfalls sank die Inflation im Währungsraum zuletzt sogar wieder unter die Nulllinie. Die Kerninflation allerdings, bei der schwankungsfreudige Komponenten wie Energie- und Nahrungsmittelpreise außen vor bleiben, belief sich immerhin auf 0,7 Prozent. Doch auch dies ist aus Sicht von Mario Draghi nicht ausreichend. Die Geldpolitik im Euroraum dürfte daher auf absehbare Zeit stark expansiv bleiben.

Begleiterscheinungen der unkonventionellen Geldpolitik

Für die zukünftige Entwicklung dürfte sich der Fokus der Zentralbank weiterhin auf die am Markt vorherrschenden Inflationserwartungen richten. Primär gilt es sicherzustellen, dass diese fest verankert bleiben. So sind die sogenannten 5J/5J-Inflationserwartungen (erwartete Preissteigerung in fünf Jahren für die darauf folgenden fünf Jahre) seit Jahresbeginn von 1,68 Prozent zeitweilig unter 1,4 Prozent gesunken - eine Entwicklung, die - auch mit Blick auf den Glaubwürdigkeitsaspekt - zweifelsohne zu dem neuen Maßnahmenpaket beigetragen hat.

Derweil sind die Begleiterscheinungen der Niedrigzinspolitik präsenter denn je. Beispielsweise rentieren große Teile des europäischen Staatsanleiheuniversums im negativen Bereich. Für Anleihen der Bundesrepublik gilt dies aktuell sogar bis in das achtjährige Laufzeitsegment. Das künstlich auf niedrigem Niveau gehaltene Zinsumfeld sorgt an diversen Stellen der Wirtschaft für Probleme und/oder Verzerrungen. Nur einige Beispiele:

- Unternehmen halten an Geschäftsaktivitäten fest, die in einem "normalen" Zinsumfeld nicht rentabel wären. Als Folge daraus bleiben realwirtschaftlich eigentlich gebotene Kürzungen auf der Angebotsseite aus. Damit wiederum stellt sich die Frage, ob die Zentralbank mit ihrer Niedrigzinspolitik nicht selbst dazu beiträgt, dass sich die angestrebte Inflationsbeschleunigung nicht einstellt.

- Auch auf politischer Bühne zieht die Zinspolitik Probleme nach sich: Strukturreformen wären in vielen Ländern der Währungsunion dringend notwendig, um die Investitionsbedingungen zu verbessern und die internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen beziehungsweise zu erhalten. Sie bleiben jedoch oftmals aus, da durch das künstlich geschaffene Niedrigzinsniveau der politische Handlungsdruck sinkt und damit die Reformbereitschaft geschmälert wird.

- Selbst um eine nur moderat positive Rendite zu erwirtschaften, werden Investoren dazu gezwungen, ihre Vorstellungen bezüglich der Ausgestaltung ihrer Vermögensanlage zu überdenken. Auch verhaltene Renditeerwartungen sind nur noch zu erfüllen, wenn an den Stellschrauben Anlagedauer und/oder Risikogehalt gedreht wird. So mancher Großinvestor wird dazu gezwungen, Anpassungen seiner Anlagerestriktionen in Erwägung zu ziehen. Dabei dürfte die Einführung solcher Investitionsleitplanken durchaus einen Hintergrund gehabt haben. Es ist bereits zu beobachten, dass die Anlagequoten in risikobehafteten Anlageklassen ansteigen. Je länger dieses Umfeld anhält, desto gewichtiger dürften die daraus resultierenden Risiken für die Finanzstabilität werden.

Euro/US-Dollar-Kursentwicklung durch Notenbanken geprägt

Die Notenbanken stellen auch den wohl gewichtigsten Einflussfaktor für die Entwicklung des Währungspaares Euro/US-Dollar dar. In den aktuellen Notierungen ist bereits eingepreist, dass die EZB an ihrer ultralockeren Geldpolitik festhält, während man von der Fed eine sehr moderat restriktive Ausrichtung erwartet. Sollte es zu Abweichungen von dieser Erwartungshaltung der Märkte kommen, dürfte sich dies beim Euro/Dollar-Verhältnis niederschlagen. Die Abbildung zeigt, dass bereits die Aussicht auf eine auseinander driftende geldpolitische Ausrichtung von Fed und EZB dazu geführt hat, dass die Renditedifferenzen zwischen US-Treasuries und Bundesanleihen (hier: jeweils zweijährige Laufzeit) deutlich angestiegen sind und dass diese Entwicklung den Euro im großen Bild belastet.

In diesem Kalenderjahr - also auf kürzere Sicht - war indes die gestiegene Risikoaversion unter den Marktteilnehmern ein bestimmender Faktor für das Währungspaar. Insbesondere seit Anfang Februar war diese Tendenz zu beobachten und sie ging mit einer merklichen Aufwertung von Euro und Yen zur US-Devise einher. Zurückzuführen war dies auf sogenannte Carry Trades. Bei diesen Geschäften sollen Gewinne erzielt werden, indem Geld in einer Niedrigzinswährung (zum Beispiel Euro, Yen) aufgenommen und dann in einer höherverzinslichen Währung (zum Beispiel US-Dollar) angelegt wird. Teile der Euro-Aufwertung (bis Mitte Februar erreichte die Gemeinschaftswährung ein Zwischenhoch von 1,1375 US-Dollar) standen im Zusammenhang mit solchen Geschäften, denn üblicherweise werden bestehende Carry Trades dann aufgelöst, wenn die Risikoaversion der Marktteilnehmer ansteigt. Dies war in der ersten Februarhälfte der Fall; das Kapital aus den Carry Trades floss in die Niedrigzinswährungen zurück und Euro und Yen werteten zum US-Dollar merklich auf. Dies geschah, obwohl die Geldpolitik der Notenbanken eigentlich das Gegenteil hätte erwarten lassen. Schließlich hatten sowohl die Bank of Japan als auch die EZB weitere geldpolitische Lockerungen in Aussicht gestellt, während die Fed grundsätzlich an ihrem im Vergleich restriktiveren Kurs festhielt.

Zuletzt blieben die Schwankungen am Devisenmarkt ausgeprägt. Allein am 10. März 2016, dem Tag des jüngsten EZB-Entscheids, lag die Euro/US-Dollar-Handelsspanne zwischen 1,0820 und 1,1217 US-Dollar. Seit Anfang März hat der Euro zum Greenback rund 4 Prozent aufgewertet - primär handelt es sich dabei um eine Folge des Zurückruderns der US-Notenbank, die nunmehr - wie beschrieben - einen verhalteneren Zinserhöhungskurs in Aussicht gestellt hat.

Kaufkraftparität als Argument gegen weitere Euro-Abwertung

Die Ausrichtung der Notenbanken spricht eine klare Sprache zugunsten der US-Währung. Gegen eine fortgesetzte US-Dollar-Stärke sprechen indes kaufkraftparitätische Überlegungen. Bereits auf dem aktuellen Niveau gilt der Euro zum US-Dollar als unterbewertet. Nach Berechnungen der OECD wäre der Euro auf Basis der Kaufkraftparität mit rund 1,30 US-Dollar etwa fair bewertet. Dies unterstreicht, dass eine dauerhafte Euro/US-Dollar-Notierung unterhalb der Parität (1 Euro entspräche dann 1 US-Dollar) - wie sie von manchen Analysehäusern kolportiert wird - aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich ist. Abseits der Notenbankpolitik und der sonstigen zahlreichen Unwägbarkeiten richtet sich der Blick der Devisenmarktteilnehmer auch auf das politische Geschehen im Euroraum. Angesichts der Tatsache, dass bislang keine gemeinsame Position bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms gefunden werden konnte, sollte es nicht überraschen, wenn die Zweifel am Zusammenhalt der Währungsunion wieder zunehmen - ein potenzieller Belastungsfaktor für den Euro. Die ausgeprägte Risikoaversion an den Finanzmärkten hat sich zuletzt wieder etwas gelegt. Zudem hat der Aufwertungsdruck, der sich aus der Auflösung von Carry Trades auf den Euro ergeben hatte, nachgelassen beziehungsweise sich sogar wieder umgekehrt. Daher orientieren sich die Marktteilnehmer wieder verstärkt an den auseinanderdriftenden geldpolitischen Ausrichtungen der Notenbanken.

Auch wenn die Fed zuletzt etwas vorsichtiger geworden ist - grundsätzlich hält sie an ihrem eher restriktiven Kurs fest, während die EZB das geldpolitische Gaspedal weiter durchtreten dürfte. Isoliert betrachtet spricht dies für den US-Dollar. Kaufkraftparitätische Überlegungen stehen einer stärkeren US-Dollar-Aufwertung allerdings im Wege. Der seit dem Frühjahr 2015 zu beobachtende, schwankungsintensive, per saldo aber seitwärts gerichtete Verlauf des Währungspaares könnte somit noch eine Weile Bestand haben.

Prof. Dr. Diethard B. Simmert , Studiengangsleiter Finance & Management , International School of Management (ISM), Dortmund, Frankfurt am Main
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