Herrhausen und die Deutsche Bank - Beginn eines Abstiegs?

Dr. Siegfried Jaschinski, Foto: Fotograf: Maks Richters

Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage der Deutschen Bank werden Diskussionen um die Rolle des vor 30 Jahren ermordeten Vorstandssprechers Alfred Herrhausen laut. Zahlreiche Veröffentlichungen, insbesondere das Buch von Friederike Sattler, "Herrhausen - Banker, Querdenker, Global Player", befassen sich mit den globalen Veränderungen und Weichenstellungen der Deutschen Bank in den achtziger und neunziger Jahren. Vor allem der Beginn des Investmentbankings unter Herrhausen wird von Kritikern als Argument angeführt. Der Autor, ein Zeigenosse Herrhausens, verteidigt ihn jedoch dahingehend, dass Herrhausen das Investmentbanking immer als dem originären Kundengeschäft untergeordnet ansah. Es war Teil der Dienstleistungen, welche die Bank ihren Kunden anbot. Die Verlagerung des Schwerpunktes der Deutschen Bank auf das reine Trading geschah erst mit der Ankunft Edson Mitchells und seines Teams Mitte der neunziger Jahre. (Red.)

Die achtziger Jahre waren geprägt von der Internationalisierung der deutschen Großunternehmen und dem Beginn des Investmentbankings mit der rasanten Deregulierung des Londoner Kapitalmarktes. Die Reaktion der Deutschen Bank war der forcierte Ausbau der internationalen Präsenz mit Repräsentanzen, Filialen und Akquisitionen, der wesentlich die Handschrift von Herrhausen trug. Um den größer und vielfältiger gewordenen Konzern steuern zu können, stand in den letzten Jahren die Reform der Organisationsstruktur von regional zu divisional im Zentrum kontroverser Diskussion, die Herrhausen kurz vor seinem Tod Anlass zu Rücktrittsüberlegungen gab.

Internationalisierung und Ausbau des Investmentbankings

Die Internationalisierung und gleichzeitig damit das Investmentbanking sind aus dem Relationship-Ansatz mit Unternehmen, bei denen die Deutsche Bank Hausbank war, entwickelt worden. Aus der starken Stellung in den Aufsichtsräten und über Beteiligungen der Deutschen Bank an deutschen Konzernen wurde die Notwendigkeit deutlich, Produkt- und Dienstleistungsspektrum sowie Präsenz im Ausland auszubauen, wenn die Position bei den Unternehmen behauptet werden sollte. Kurz skizziert dienten Filialen und Repräsentanzen dem kommerziellen Geschäft mit deutschen Kunden und multinationalen Konzernen mit Geschäft in Deutschland.

Das Angebot von Kapitalmarktprodukten wurde schwerpunktmäßig in London, New York, Tokio und Sydney über eigens gegründeten Tochtergesellschaften wie auch durch die akquirierten Banken Morgan Grenfell und Bain & Company bereitgestellt. Auf die Perspektive des europäischen gemeinsamen Marktes wurde mit zunehmender Präsenz in den europäischen Ländern reagiert, insbesondere sind hier der Erwerb der Banca d'Americana e d'Italiana und der Banco Commercial Transatlántico in Italien und Spanien zu nennen.

Der Schwerpunkt des damaligen Investmentbankings lag eindeutig in Deutschland. Kundenorientierung stand im Vordergrund. Die Emissionsabteilungen in Frankfurt und Düsseldorf für Kapitalerhöhungen und Börsengänge sowie Anleihen waren als Zentrale beziehungsweise Sekretariat nahe am Vorstand. Hinzu kam neben der Projektfinanzierung die Abteilung für Konzernentwicklung, die außer dem Beteiligungsmanagement auch Corporate-Finance-Themen bearbeitete. Die Übernahme und Weiterplatzierung des Beteiligungspaketes von Friedrich Karl Flick - in Höhe von 5 Milliarden Deutsche Mark - und 1 Milliarde Deutsche Mark Gewinn für die Deutsche Bank im Jahr 1985 war ein herausragendes Beispiel für die damalige Kompetenz der Deutschen Bank.

Die 80er - Kundenorientierung stand im Vordergrund

Der Versuch im Jahr 1988 mit der Übernahme und Weiterplatzierung eines 2,1 Milliarden US-Dollar schweren Aktienpaketes von Fiat aus dem Besitz von Libyen auch international Kompetenz zu zeigen, misslang und führte zu einem Dauerbestand von 2,1 Prozent an Fiat. Die im Inland vorhandene Expertise und Kapazität für derartige Transaktionen war im Ausland nicht ausreichend. Auch Trading und Sales waren im Schwerpunkt Deutsche Mark beziehungsweise Deutschland zentriert. Für das Aktiengeschäft standen Düsseldorf und Frankfurt und für das Anleihegeschäft Mannheim und Frankfurt.

Der Aufbau des Geschäfts bei der Deutsche Bank Capital Markets (DBCM) in London war Euromarkt-orientiert mit Anleihen in den unterschiedlichsten Offshore-Währungen (australischer, neuseeländischer, US-Dollar et cetera). Der seit 1984 mehrstufige Erwerb der Merchant Bank Morgan Grenfell sollte insbesondere die Expertise bei Mergers & Acquisitions (M&A) stärken. Handelskapazität war kaum vorhanden, eine starke Stellung bestand im Asset Management. Damit wurde weitgehend risikofreies, aber durchaus provisionsträchtiges Dienstleistungsgeschäft mit guten Verbindungen zu britischen Unternehmen und institutionellen Anlegern erworben. So konnte der Ausbau der Relationship zu Corporates mit Produkt-Know-how bei M & A und neuen Kundenverbindungen fortgeführt werden.

Die Akquisition des Beratungsunternehmens Roland Berger lässt sich ebenfalls in diese Strategie einordnen. Die Veränderung der Geschäftsstruktur der Deutschen Bank in der Ausnutzung der Bilanz und neuer Schwerpunktsetzung in der Übernahme von Risiken sollte erst ab Mitte der neunziger Jahre mit dem Abwerben eines 40-köpfigen Teams von Merrill Lynch unter Edson Mitchell erfolgen. In dieser Zeit ging die dominierende Stellung im Unternehmensgeschäft zunehmend verloren.

Strukturreform und stärkere Zentralisierung

Die nach dem Tod von Alfred Herrhausen umgesetzte Strukturreform in der Deutschen Bank mit der Entmachtung der Regionen und einer starken funktionalen Zentralisierung führte ebenfalls zu einer Lockerung der engen Verbindungen zu den Unternehmen. Während für Konzerne eine Betreuung in den jeweiligen Regionen immer weniger sinnvoll war, da die nachgefragten Produkte und Dienstleistungen direkt von Zentralabteilungen zur Verfügung gestellt wurden, war die Lage bei mittelständischen Familienunternehmen eine andere. Langjährige persönliche Beziehungen in der Kundenbetreuung waren für den Geschäftserfolg entscheidend.

Mit der ausgesprochenen Zentralisierung war in Krisenzeiten - wie im Jahr 1992 geschehen - die Entscheidungskompetenz vor Ort nicht mehr vorhanden und Karrieren von Führungskräften innerhalb der Deutschen Bank verkürzten die Verweildauer in der Region. Dies war ein erhebliches Handicap für das Verhältnis der Deutschen Bank zu Familienunternehmern und resultierte in einem zunehmenden Wettbewerbsnachteil gegenüber den ortsgebundenen Sparkassen.

Die 90er - geprägt von notwendigen Anpassungen

Die Veränderung der Ausrichtung der Deutschen Bank in den neunziger Jahren wurde durch zwei wesentliche äußere Einflüsse mit bewirkt: Erstens die neue internationale Rechnungslegung IAS mit der Aufdeckung der stillen Reserven und zweitens die Reduzierung in der steuerwirksamen Bildung von Wertberichtigungen im Gefolge der Wiedervereinigung.

Mit dem Jahresabschluss 1995 zeigte der Deutsche-Bank-Konzern seinen ersten IAS-Abschluss, der gegenüber dem HGB ein um circa 25 Prozent höheres Eigenkapital bei etwa gleichem Jahresüberschuss aufwies. Die nach HGB mögliche Bewertung der Beteiligungen mit historischen Buchwerten erfolgte im IAS zu aktuellen Börsenkursen. Damit sank die Rendite auf das Eigenkapital erheblich und für den Markt wurde deutlich, dass ein erheblicher Ergebnisbeitrag von Dividenden aus dem Industrie-Beteiligungsportfolio stammte, die zu hohen Renditen bezogen auf das historische Kursniveau führten. Damit wurde klar, dass die Deutsche Bank ein strukturelles Ertragsproblem im Bankgeschäft hatte.

Im selben Jahr wurde die Möglichkeit der Banken, steuerlich wirksame Wertberichtigungen nach eigenem Gutdünken vorzunehmen, strukturell verändert. Der Anfang wurde bei Länderrisiken gemacht. Das Finanzministerium entschied im Einklang mit dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred) bei der Bildung von Wertberichtigungen nicht mehr die Diskrepanz beispielsweise bei Russlandrisiken zwischen der BfG mit 30 Prozent und der Deutschen Bank mit 90 Prozent zu dulden. Das war der Beginn der neuen Wertberichtigungsleitlinie, nur noch im Umfang von nachweisbaren Risiken Wertberichtigungen vornehmen zu können.

Die Ursache für die Veränderung lag in der Wiedervereinigung, welche die Suche nach neuen Steuerquellen erforderte und eine steuerlich wirksame Reduzierung des Jahresüberschusses nicht mehr zuließ. In der Konsequenz führte das bei der Deutschen Bank dazu, plötzlich auftauchende Unternehmensrisiken gegen bereits vorhandene Wertberichtigungen nicht mehr aufrechnen zu können. Die bisher gezeigte Stabilität im Kreditgeschäft unterlag nun größeren Schwankungen, auf die der Kapitalmarkt mit einer geringeren Bewertung der Aktie reagierte. Der Druck auf die Deutsche Bank, ein höheres Ergebnis zu erwirtschaften, nahm damit zu.

Die Investmentbanker

Edson Mitchell und Anshu Jain kamen ebenfalls 1995 von Merrill Lynch zur Deutschen Bank. Beide und ihr Team von 40 Personen waren im Handel von Zinsprodukten wie Derivaten und Anleihen tätig. Dieses Geschäft wurde schwerpunktmäßig ausgebaut und bildete bis zur Finanzmarktkrise die Hauptertragsquelle der Deutschen Bank. Mit liquiden Anleihen, Geldmarktprodukten, Devisen und Zinsderivaten wurde im sogenannten Flow-Geschäft Geld verdient, indem aus einer marktdominanten Stellung kalkulierbare Risiken in der Eigenpositionierung genommen werden konnten, da die marktbewegenden Kundengeschäfte bekannt waren. Außerdem übernahm die Bank im bilanzwirksamen Eigenhandel größere Positionen bei strukturierten und Kreditprodukten zur späteren Weiterplatzierung, die später in der Finanzmarktkrise größtenteils problematisch wurden.

Dies war ein völlig anderer Schwerpunkt im Investmentbanking. Alfred Herrhausen verfolgte stets einen Relationshiporientierten Ansatz. Die höheren Risiken aus der Eigenpositionierung der Bank hatten zwar höhere Ergebnisse zur Folge, wurden allerdings im Kapitalmarkt in der Bewertung der Aktie nachteilig berücksichtigt und gerieten nach der Finanzmarktkrise zu einer schweren Hypothek.

Dagegen war es das Ziel von Herrhausen, die global expandierenden Unternehmen eng begleiten zu können und für diese das nötige Produkt- und Dienstleistungsspektrum international bereitzustellen. Dies sollte im Investmentbanking mit dem Ausbau von M&A und Equity Capital Markets sowie der notwendigen Platzierungskraft bei internationalen Anlegern erfolgen. Was bei der Übernahme des Flick-Paketes im Inland erfolgreich gelungen und bei der Übernahme des Fiat-Paketes misslungen war, ist nach Herrhausens Ermordung nicht mehr schwerpunktmäßig weiterverfolgt worden.

Im Vergleich zur starken Position im Zins-, Devisen- und Anleihegeschäft bis zur Finanzmarktkrise ist es der Deutschen Bank nicht gelungen, eine ähnliche Position in den Corporate-Finance-Disziplinen von M & A sowie Equity Capital Markets mit internationaler Platzierungskapazität zu erreichen. Die gute Ausgangsposition bei den deutschen Konzernen in den achtziger Jahren konnte nicht genutzt werden.

Herrhausen hatte eine andere Vision

Der Einstieg bei der Investmentbank Morgan Grenfell in der Ära Herrhausen hatte zu keiner signifikanten Änderung des Geschäftsmodells der Deutschen Bank geführt. Der Gewinn an M&A-Expertise und neuen Kundenverbindungen stand im Zeichen der Fortentwicklung und Sicherung der exzellenten Stellung der Deutschen Bank bei den Unternehmen. Erst als das Merrill-Lynch-Team mit Edson Mitchell Mitte der neunziger Jahre zur Deutschen Bank kam, verlagerte sich der Schwerpunkt des Konzerns in ein globales Tradinghaus, das massiv die Bilanz und das exzellente Rating nutzte.

Das Wirken Herrhausens, der bei der Ruhrgas und der VEW seine Prägung in der Tätigkeit bei Unternehmen erfahren hatte, diente mit dem Ausbau der internationalen Position und des Produkt-Know-hows für die neuen Anforderungen globalisierender Konzerne und kann als ein letzter Höhepunkt der dominanten Stellung der Deutschen Bank bei deutschen Unternehmen gesehen werden.

Dr. Siegfried Jaschinski Partner, Augur Capital AG, Frankfurt am Main
Dr. Siegfried Jaschinski , Partner, Augur Capital AG, Frankfurt am Main
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