Inflation - warum, wie viel und wenn ja, wie lange?

Dr. Christian Keller, Foto: Barclays Investment Bank

Die Inflationsraten haben rekordverdächtige Höhen. So notiert die Inflation in den USA auf dem höchsten Niveau seit den frühen 1980er Jahren und auch in der Eurozone hat diese trotz einem niedrigeren Niveau den höchsten Stand seit 1997 erreicht. Laut Keller ist dafür unter anderem die Kombination einer extrem lockeren Geldpolitik und gleichzeitig extrem expansiven Fiskalpolitik verantwortlich. Dazu kam es Corona-bedingt zu Angebotsstörungen, unter anderem weil vor allem in Asien eine rigide Corona-Politik immer wieder zu globalen Lieferengpässen führte. Zwar hätten die Geld- und Fiskalpolitik ihr Ziel einer schnellen wirtschaftlichen Erholung erreicht, doch laut Autor sind einige Ökonomen der Ansicht, dass die Regierungen und Notenbanken dabei über das Ziel hinausgeschossen seien. Einerseits sei zwar eine Normalisierung auf den Gütermärkten zu erwarten, doch weist Keller darauf hin, dass andererseits Investitionen in Resilienz und für den Klimaschutz hingegen preistreibende Wirkung entfalten könnten. Am Ende werde es darauf ankommen, ob es zu einer echten Trendwende auf den Arbeitsmärkten komme und dabei eine Lohn-Preis-Spirale ausgelöst werde. (Red.)

Die weltweit hohe Inflation war 2021 wohl eine der überraschendsten und wichtigsten ökonomischen Entwicklungen. Ein gewisser Anstieg der im Vergleich zum Vorjahr gemessenen Preise war vor dem Hintergrund der Entwicklungen in 2020 durchaus erwartet worden. Im zweiten Quartal 2020 hatte die Weltwirtschaft die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt, welche mit enormen Preisverfällen einherging. Ausgangsverbote, Produktionstopps und Reisebeschränkungen hatten zum Beispiel zur Folge, dass der Ölpreis zeitweise auf unter 40 US-Dollar fiel. Es war also antizipiert worden, dass eine Normalisierung der Lage im Laufe des Jahres 2021 zu (höheren) monatlichen Preissteigerungen im Vergleich zu den jeweiligen Monaten im Jahr 2020 führen würde. Darüber hinaus waren viele Preise im Dienstleistungssektor gar nicht mehr beobachtbar, da es teils Einschränkungen für die Durchführung gewisser Leistungen gab, die somit weder angeboten noch konsumiert werden konnten. Letzteres hat zu nicht unerheblichen Problemen in der statistischen Erfassung von Marktpreisen und wirtschaftlicher Wertschöpfung geführt. Statistiken der vergangenen zwei Jahre zur Entwicklung von Verbraucherpreisen und des Bruttosozialprodukts sind daher prinzipiell mit Skepsis zu betrachten.

Rekordhohe Inflationsniveaus in den USA und Europa

Doch können solche Messprobleme nicht davon ablenken, dass die Inflationsraten seit dem zweiten Quartal 2021 wesentlich rasanter angestiegen sind, als erwartet worden war und seither auch auf hohem Niveau geblieben sind. Die US-Verbraucherpreisindex-Inflation (CPI) erreichte im November mit 6,8 Prozent die höchste Rate seit den frühen 1980er Jahren. Die durchschnittliche Inflationsrate für den Euroraum ist nicht ganz so hoch (4,9 Prozent), aber hat auch die höchsten Raten seit Beginn der Messung 1997 erreicht. In Deutschland stieg die Inflation zuletzt sogar auf 6,0 Prozent.

Abbildung 1: Ein V-förmiger Aufschwung dank großem Stimulus Quelle: BEA, Eurostat, Haver Analytics, Barclays Research
Abbildung 2: Hohe liquide Ersparnisse bei den Haushalten Quelle: FRB, ECB, Haver Analytics, Barclays Research

Die von den Zentralbanken ausgegebene Maxime einer rein vorübergehenden ("transitory") Inflation ist mit jeder neuen monatlichen "Inflationsüberraschung" unglaubwürdiger geworden oder wirft zumindest die Frage auf, welche Zeiträume unter dem Begriff "vorübergehend" zu verstehen sind. Zuletzt gaben sowohl der Vorsitzende der US-amerikanischen Notenbank (Fed) Jerome Powell als auch seine Vorgängerin bei der Fed und jetzige US-Finanzministerin ("Treasury Secretary") Janet Yellen offiziell zu, dass der Begriff "transitory" wohl besser aus dem Vokabular zur Beschreibung der derzeitigen Inflationsentwicklung zu streichen sei. Will heißen, in den USA ist ohne geldpolitische Gegensteuerung eine zügige Rückkehr zum 2-Prozent-Inflationsziel nicht mehr zu gewährleisten.

Stimulus-geboostete Nachfrage und Angebotsengpass

Was ist geschehen? Um dies zu verstehen, muss man bei der wirtschaftspolitischen Reaktion auf die von der Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise anfangen. Die Kombination einer extrem lockeren Geldpolitik bei einer gleichzeitig extrem expansiven Fiskalpolitik hat es in diesem Ausmaß in Friedenszeiten noch nie gegeben. Zinssenkungen und massive Liquiditätsspritzen verhinderten eine Finanzkrise, während großzügige Einkommenstransfers die Folgen von Arbeitslosigkeit abfederten. Unter politischen Entscheidungsträgern und Beamten herrschte auch international Einigkeit, nicht die vermeintlichen Fehler zu wiederhohlen, die für die sehr langsame Erholung der Volkswirtschaften nach der großen Finanzkrise in den Jahren 2008/09 verantwortlich gemacht wurden: überschnelle Reduzierung von Fiskaldefiziten, um Staatsschulden zu stabilisieren ("Austerität"), und vorschnelle Versuche, die Geldpolitik trotz geringem Inflationsdruck zu normalisieren. Durch die diesmal "koordinierte" und länger andauernde Geld- und Fiskalexpansion wurde tatsächlich eine sehr schnelle Erholung der Wirtschaft nach einer tiefen, aber kurzen Rezession möglich. Im Gegensatz zum sehr langsamen Aufschwung nach der Finanzkrise 2008/09 - als das Bruttosozialprodukt in den USA und der Eurozone erst 2011 (USA) und 2015 (Eurozone) wieder den Vorkrisenstand erreichte - gelang dies den USA bereits Mitte und der Eurozone Ende dieses Jahres. Ein sogenannter V-förmiger Aufschwung.

Dieser Verlauf ist natürlich erfreulich, doch gab es schon früh Warnungen, dass die weitere Ausdehnung des fiskalpolitischen Stimulus in den USA Anfang 2021 möglicherweise zu viel des Guten war. Renommierte Ökonomen wie Larry Summers und Olivier Blanchard, die in der Vergangenheit durchaus für eine aktivere Fiskalpolitik geworben hatten, gaben früh zu bedenken, dass das zusätzliche 1,9 Billionen US-Dollar umfassende und als Rettungsprogramm ("American Rescue Plan") titulierte Fiskalpaket zu groß sei. Es übersteige bei Weitem auch die höchsten Schätzungen der verbleibenden Produktionslücke ("output gap") und würde somit zu Überhitzung und Inflation führen. Diese Meinung wurde zu dem Zeitpunkt viel kritisiert. Die weitere Entwicklung hat Summers und Blanchard aber wohl recht gegeben: in der größten Wirtschaft der Welt wurde zu viel Nachfrage generiert. Staatliche Einkommenstransfers haben in den USA dazu geführt, dass die Haushaltseinkommen während der Rezession nicht fielen, sondern anstiegen. Da aber gleichzeitig die Möglichkeiten zum Konsum durch Covidbedingte Restriktionen stark eingeschränkt waren, haben sich in den vergangenen zwei Jahren große zusätzliche Sparvermögen bei privaten Haushalten angehäuft. Am stärksten in den USA, aber auch in Europa. Diese können in der Zukunft für weitere starke Nachfrage sorgen.

Zero tolerance in der Covid-Politik in Asien

Dass aus "viel" "zu viel" wurde, hat auch mit der Angebotsseite zu tun, die der höheren Nachfrage bei Weitem nicht gerecht wird. Die Gründe für diese Angebotsknappheit sind vielschichtig. Zunächst wurden zu Beginn der Pandemie teilweise Planungsfehler gemacht: Konfrontiert mit der durch Covid-19 generierten hohen Unsicherheit und aufgrund der Erfahrung des schwachen Wirtschaftsaufschwungs nach der Finanzkrise 2008/09, begannen viele Sektoren Kapazitäten zu reduzieren und sich für längerfristig niedrigere Nachfrage zu wappnen. Dies erzeugte Engpässe als wider Erwarten die Nachfrage schnell und stark anzog. Des Weiteren implementierten China und andere asiatische Länder, die das Zentrum der globalen Lieferketten bilden, eine "zero tolerance" Covid-Politik. Dies hat zur Folge, dass auf die Entdeckung jeglicher neuer Infektionsfälle schnell und weitreichend mit Restriktionen geantwortet wird. So wurden beispielweise wichtige chinesische Containerhäfen zeitweise komplett geschlossen, nachdem nur wenige Arbeiter positiv auf Covid getestet wurden. In Malaysia kam es zu Schließungen wichtiger Halbleiter-Hersteller und auch in den für viele Liefer ketten so zentralen Ländern Taiwan and Korea kam es zu Produktionsunterbrechungen. Dies hat zu einer extremen Verknappung in der Produktion, aber auch beim Transport von vielen wichtigen Gütern geführt. Das betrifft sowohl den direkten Konsum als auch die Weiterverarbeitung. Die mangelnden Chips für die Autoproduktion sind ein globales und für Deutschland besonders schmerzhaftes Beispiel.

Gute Gründe für fallende Inflationsraten 2022

Diese Kombination aus hoher Nachfrage und reduziertem Angebot hat in manchen Güterkategorien teilweise zu enormen Preissteigerungen geführt, die sich in der Folge auch im durchschnittlichen Warenkorb bemerkbar machten. So lagen Gebrauchtwagenpreise in den USA in manchen Monaten teilweise mehr als 40 Prozent über dem Vorjahr. In Europa waren diese Entwicklungen weniger stark ausgeprägt, aber auch in Deutschland stiegen Gebrauchtwagenpreise zuletzt um mehr als 9 Prozent. Solche Entwicklungen werden sich kaum Jahr für Jahr wiederhohlen und gleichzeitig sollten sich Angebotsengpässe im Laufe der Zeit auflösen. Es gibt bereits erste Anzeichen einer Entspannung zum Beispiel im Halbleitermarkt oder auch bei der Containerverschiffung. Neue Infektionswellen, wie derzeitig ausgelöst durch die Omikron-Variante, können diese Entspannung zwar verzögern, aber es ist davon auszugehen, dass sich die Produktion und der Transport von Waren irgendwann wieder normalisieren. Eine Normalisierung auf den Gütermärkten sollte dann auch zu einem Rückgang der Inflation führen. Tatsächlich war der Inflationstrend bei Gütern in den vergangenen Jahrzehnten rückläufig und damit ein wichtiger Faktor für die vor der Krise zu beobachtenden weltweiten desinflationären Tendenzen. Selbst wenn Güterpreise möglicherweise nicht ganz auf diesen Pfad zurückkehren - aus Gründen, die noch folgen - waren die Abweichungen 2021 so groß, dass eine zumindest teilweise Umkehr sehr wahrscheinlich scheint.

Ähnlich könnte es sich bei vielen Rohstoffen und insbesondere Energiepreisen verhalten. Selbst wenn Ölpreise auf ihrem hohen Niveau blieben, würden sich diese dann nicht als Preissteigerung zum Vorjahr ausdrücken, wie es der starke Preisanstieg von 2020 auf 2021 tat. Insbesondere für Europa haben die Energiepreise, auch aufgrund des Engpasses bei Erdgas, stark zur diesjährigen Inflation beigetragen. Mehr als die Hälfe der derzeit gemessenen Inflationsrate in der Eurozone sind durch höhere Energiepreise verursacht. Dies sind gute Gründe davon auszugehen, dass die Inflationsraten im Verlauf des Jahres 2022 wieder zurückgehen werden.

Die Frage ist allerdings nicht nur, ob die Inflationsrate im Dezember 2022 wieder niedriger ist als im Dezember 2021, sondern wie sich die Inflation 2023/24 und darüber hinaus entwickeln wird. Selbst wenn Ende 2022 Inflationsraten wieder nahe bei oder gar unter 2 Prozent lägen, wovon die EZB und Fed ausgehen, gibt es auch Anzeichen, dass die Inflation in den darauffolgenden Jahren möglicherweise nicht mehr auf dem niedrigen Niveau bleiben wird, an das sich die Marktteilnehmer und die Zentralbanken in den vergangenen zehn Jahren gewöhnt haben.

Wird nach Covid wie vor Covid?

Märkte haben auf die stark steigende Inflation in den vergangenen Monaten schneller reagiert als Zentralbanken. Die ersten Zinsschritte wurden eingepreist, als Zentralbanken noch am Mantra der "vorübergehenden" Inflation festhielten und jegliche geldpolitische Schritte in ferner Zukunft sahen. Gleichzeitig blieben die Märkte aber entspannt, was längerfristige Inflationsentwicklungen anging. Das lässt sich sowohl aus Inflations-"break-even" als auch aus Inflationsswaps ablesen: Die in den dortigen Preisen implizierten Inflationserwartungen für die nächsten 10 Jahre erholten sich zwar von der Baisse im Jahr 2020, sie sind aber trotz der derzeitigen Rekordinflationszahlen nicht über die in den Jahren vor Covid beobachteten Werten gestiegen.

Zudem preisen Märkte nur ein geringes Endzinsniveau ("terminal rate") - unter 2 Prozent für die Fed Funds Rate - und weiterhin einen langfristig negativen Realzins ein. Das bedeutet: Die Märkte glauben zwar, dass Zentralbanken die Geldpolitik jetzt schneller anziehen müssen, gehen aber davon aus, dass relativ wenige Zinsschritte ausreichen, um die Inflation längerfristig auf 2 Prozent zu halten. Der reale Gleichgewichtszins bliebe weiterhin unter null. Anders ausgedrückt: nach Covid wird wie vor Covid.

Abbildung 3: Bisheriger Kostendruck durch Produktions- und Lieferengpässe sollte sich entschärfen ... Quelle: Baltic, Haver Analytics, Barclays Research
Abbildung 4: ... aber die Energiewende wird zumindest in den nächsten 10 Jahre zu höherer Inflation beitragen Quelle: NGFS, Barclays Research
Abbildung 5: Sind derzeitige Lohnsteigerungen kurzlebig oder der Beginn ... Quelle: OECD, Haver Analytics, Barclays Research
Abbildung 6: ... einer Trendwende am Arbeitsmarkt? Quelle: BEA, Haver Analytics, Barclays Research

Diese Erwartungen spiegeln die Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre und teilweise noch länger anhaltenden Trends wider. Globalisierung, Automatisierung und Alterung sorgten für "Missingflation" und Zentralbanken machten häufiger den Fehler, Inflationsentwicklungen zu überschätzen und Zinsen zu früh anzuheben, als umgekehrt. Die Zinserhöhungen der EZB in den Jahren 2008 und 2011 sind ein oft zitiertes Beispiel und haben sich wahrscheinlich tief in der Psyche der Zentralbanker, aber auch der Finanzmarkteilnehmer eingeprägt. Warum sollte sich dieser langfristige Trend nun ändern?

Hohe Investitionen für Resilienz und Energiewende

Während der Pandemie haben sich eine Reihe von Entwicklungen verstärkt, die tatsächlich längerfristige Auswirkungen auf die Inflationsentwicklung haben könnten. Zunächst zur Globalisierung. Was den Zuwachs im Welthandel anging, war bereits vor der großen Finanzkrise 2008/09 ein Plateau erreicht worden. Der Handelskrieg zwischen den USA und China war ein weiterer Dämpfer. Die Pandemie hat nun zu einem verstärkten Fokus auf Resilienz geführt, und damit der Bereitschaft, Effizienzverluste in Kauf zu nehmen, um höhere Liefersicherheiten und auch geopolitische Unabhängigkeit zu erreichen. Der viel diskutierte Wunsch, mehr Halbleiterproduktion nach Europa zu bringen, ist ein wichtiges Beispiel. Das bedeutet nicht notwendigerweise das "Ende der Globalisierung", aber es ist davon auszugehen, dass diese Entwicklungen zu Veränderungen in den Kostenstrukturen und tendenziell höheren Preisen führen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Energiewende.

Durch die globale "grüne Energiewende" werden sich in den kommenden Jahren die Energiekosten erhöhen. Diese gewollte relative Preisveränderung wird zumindest in den ersten Jahren sehr wahrscheinlich auch zu höheren Preissteigerungen des gesamten Verbraucherindex führen. Dies wird auch explizit in den Szenarien des Network for Greening the Financial System so vorhergesagt, dem internationalen Netzwerk, zu dem sich Zentralbanken zusammengeschlossen haben, um den Klimawandel und die Klimapolitik zu analysieren.

Die globale Energiewende wird sich nicht nur durch höhere Energiekosten und CO2-Steuern bemerkbar machen. Sie benötigt auch hohe zusätzliche Investitionen: nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) mindestens 6 bis 10 Billionen US-Dollar über die nächsten zehn Jahre, zu einem großen Teil als staatliche Investitionen. In der Tat zeichnet sich seit dem Beginn der Pandemie in Europa und auch in den USA eine höhere politische Bereitschaft ab, größere staatliche Investitionsprogramme einzuführen. Dies betrifft nicht nur die Energiewende, sondern auch andere Projekte, wie die Digitalisierung und traditionelle Infrastruktur. Das zeigen auch die weiteren in Billionen US-Dollar gemessenen Investitionspläne (zum Beispiel "build back better") in den USA, der neue europäische 807 Milliarden Euro Next Generation EU Fund und nicht zuletzt die Initiativen der neuen Bundesregierung. Zugleich ist auch die Aussicht für private Investitionen günstig, da viele Unternehmen gesunde Bilanzen aufweisen und sich zu extrem niedrigen Zinsen verschulden können.

Insgesamt könnte dies zu einer wesentlich höheren Investitionsaktivität führen, als dies in der Dekade vor Covid der Fall war. Die Konsequenz wäre zusätzliche Nachfrage nach Rohstoffen und auch nach Arbeitskräften. Natürlich sollten erhöhte Investitionen, insbesondere auch in die Erforschung neuer umweltfreundlicher Technologien, auch die Kapazitäten erweitern und längerfristig zu Produktivitätssteigerungen führen. Aber kurz- bis mittelfristig erhöhen sie zunächst die Nachfrage in einem Umfeld, in dem nicht mehr von großen unausgelasteten volkswirtschaftlichen Kapazitäten auszugehen ist.

Abbildung 7: Der seit Langem niedrige Inflationstrend ist keine Garantie, dass es in den nächsten Jahren nicht zu mehr Preisdruck kommt Quelle: IMF, Barclays Research. Barclays estimate for 2021

Damit zum letzten, aber auch wesentlichsten Punkt: dem Arbeitsmarkt. Nicht vorhandener Lohndruck, oftmals trotz niedriger Arbeitslosigkeit, war ein wesentlicher Faktor für die geringe Inflationsdynamik in den vergangenen Jahrzehnten. Niedrigere Lohnsteigerungen haben auch dazu geführt, dass der Lohnanteil am Einkommen stetig gefallen ist (im Gegensatz zum Kapitaleinkommen). Globalisierungs- und Automatisierungsdruck in Kombination mit der Liberalisierung der Arbeitsmärkte und einer abnehmenden Rolle von Gewerkschaften (gerade in den USA) haben hierzu beigetragen. In der vergangenen Dekade wurden diese Tendenzen durch die aufkommenden digitalen Geschäftsmodelle und die damit einhergehende "Gig-Economy" häufig noch verstärkt.

Trendwende an den Arbeitsmärkten?

Doch auch hier gibt es erste Anzeichen einer Trendwende, die durch die Pandemie möglicherweise beschleunigt werden. Den großzügigen Unterstützungsprogrammen am Arbeitsmarkt während der Pandemie, selbst in den dort sonst eher zum laissez faire neigenden USA, folgen nun Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, die Position von Arbeitnehmern strukturell zu stärken. Dabei geht es nicht nur um die Erhöhung von Mindestlöhnen, sondern auch um Maßnahmen, Gewerkschaften wieder zu stärken. Zum Beispiel sind geplante Subventionen für Elektroautos in den USA mit der Voraussetzung verknüpft, dass Arbeiter in den entsprechenden Unternehmen gewerkschaftlich organisiert sind. Initiativen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, mehren sich auch bei Angestellten von großen Arbeitgebern wie Amazon und Starbucks. Gleichzeitig werden in den USA und Europa viele der neuen digitalen Geschäftsmodelle regulatorisch genauer unter die Lupe genommen, um eine bessere Absicherung und Bezahlung ihrer Mitarbeiter zu erreichen. Auch wenn diese Prozesse dauern, scheint sich hier ein Abkehr von den Entwicklungen am Arbeitsmarkt abzuzeichnen, die sich bisher dämpfend auf Lohnsteigerungen ausgewirkt haben.

Dies ist keine Kritik an dieser Arbeitsmarkt- oder Klimapolitik, sondern schlichtweg die Feststellung, dass diese Entwicklungen auch zu einer Wende bei den zuletzt desinflationären Tendenzen beitragen könnten. Dabei muss allerdings betont werden, dass während der Lohndruck auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt bereits spürbar ist - die stündliche Vergütung im Privatsektor lag im November um 4,8 Prozent über dem Vorjahr - dies in Europa noch nicht der Fall ist. In Deutschland zum Beispiel hatten die 2021 kollektiv verhandelten Lohnabschlüsse bisher im Durchschnitt nur 1,7 Prozent Erhöhungen zur Folge - sogar weniger als in den Jahren 2020 und 2019. Diese Abschlüsse wurden noch durch die Covid-bedingte Unsicherheit beeinflusst. Die Verhandlungen 2022 werden vor dem Hintergrund der hohen derzeitigen Inflationsraten und einer weiter erstarkenden Wirtschaft stattfinden. Dann wird sich zeigen, wie sehr Gewerkschaften an die These einer "vorübergehenden" Inflation glauben oder eine Kompensation durch höhere Löhne einfordern. Das würde noch lange keine Lohn-Preis-Spirale wie in den 1970er Jahren bedeuten, aber es wäre ein weiteres Zeichen einer möglichen Trendwende am Arbeitsmarkt, die dann - wie von der Fed und EZB ja auch explizit angestrebt - auch zu einer Wende des in den vergangenen zehn Jahren sehr niedrigen Inflationstrends führen könnte.

Risiko von Overshooting

Eine solche neue Inflationsdynamik könnte dann auch zu einer Herausforderung fuer das 2-Prozent-Inflationsziel werden. Fed und EZB müssten sich dann nicht mehr so sehr um das nicht Erreichen ihres 2-Prozent-Ziels am unteren Ende ("undershooting") Sorgen machen, das noch im Mittelpunkt der erst kürzlich durchgeführten Strategy Reviews stand. Stattdessen würde es jetzt wieder darum gehen, Inflation auf 2 Prozent zu reduzieren. Dies ist im Prinzip von den Zentralbanken ja so gewollt, nur verlaufen solche Umstellungen meist nicht reibungslos. Gerade für die EZB würde das eine Reihe von Herausforderungen mit sich bringen. Die von Fed und EZB in ihren Strategy Rewiews explizit angestrebten Inflations-"overshoots" könnten dann höher und länger ausfallen als gewollt und vom Markt derzeit eingepreist. Höhere Volatilität an den Märkten wäre eine wahrscheinliche Folge.

Dr. Christian Keller , Head of Economics Research , Barclays Investment Bank, London

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