Intelligente Mobilität - auf die Plätze, fertig, ...

Thilo Wolf, Foto: BNY Mellon IM

Das globale Wirtschaftswachstum ist laut Wolf in den letzten Jahrzehnten systematisch zusammengeschmolzen, bei gleichzeitig sich immer schneller ändernden Geschäftsmodellen. Daher werde es immer schwieriger, Unternehmen mit langfristigem Wachstum zu finden. Einen Ausweg sieht er darin, auch Trend- und Branchenanalysen neben der Unternehmensanalyse durchzuführen. Als ein Beispiel nennt er die Technologiebranche, insbesondere den Teil, der mit dem Thema intelligente Mobilität befasst ist. Durch Vernetzung, Shared Economy, autonomes Fahren sowie der Elektromobilität erwartet er eine ähnlich umwälzende Veränderung der Mobilität wie durch die Erfindung des Automobils. Er rät Investoren jedoch, die Erfolgsaussichten der einzelnen Unternehmen realistisch einzuschätzen. Zudem ist laut dem Autor das Timing sehr wichtig. Revolutionäre Technologien unterliegen dabei immer der gleichen Evolution von Euphorie, Ernüchterung und im Anschluss einem echten Innovationsund Wachstumsschub. (Red.)

Anleger versuchen, in die Zukunft zu blicken. Doch die Erfolgsaussichten eines Unternehmens oder Trends vorherzusagen, ist schwierig, und es wird zunehmend schwieriger. Intelligente Mobilität ist eine Ausnahme. Die Entwicklung hat die Phase der Kinderkrankheiten überstanden und steht an der Schwelle zur ernst zu nehmenden wirtschaftlichen Kraft. Anleger sollten vier Teilbereiche im Auge behalten.

Die trübe Kristallkugel

Das weltweite Wachstum verliert an Fahrt, und das nicht erst heute. Das durchschnittliche globale Wachstum - in einem rollierenden Zehnjahreszeitraum - ist von rund 5,5 Prozent in den 1960ern auf heute weniger als drei Prozent gesunken. Gleichzeitig verändern sich Geschäftsmodelle immer schneller. 1955 hatten Unternehmen im breit gefassten US-amerikanischen Aktienindex S&P 500 noch eine durchschnittliche Lebensspanne von 61 Jahren. 2015 waren es 17 Jahre. Allein in den letzten 15 Jahren sind 52 Prozent der umsatzstärksten Unternehmen in den USA vom Markt verschwunden - entweder sind sie aufgrund von Übernahmen oder durch Aufkäufe geschluckt worden oder haben ihr Geschäft aufgegeben.

Investoren tun sich heute schwerer als früher, zukunftsfähige Unternehmen mit langfristigem Wachstum zu finden - ganz so, als ob sie mit einer trüben Kristallkugel in die Zukunft schauen wollten. Der Ausweg: Neben die Unternehmensanalyse muss heute eine Trend- und Branchenanalyse treten, um langfristige Aussichten besser einschätzen zu können. Von dieser Basis aus kann der Anleger dann nach und nach weiter fokussieren.

Eine der aussichtsreichsten Branchen ist Technologie. Sie beschleunigt viele strukturelle Trends, die jeden Wirtschaftssektor und unseren Lebensalltag durchdringen werden. Sie reduziert die Kosten für Unternehmen und Verbraucher, steigert die Effizienz und verbessert das Konsumerlebnis. Intelligente Mobilität ist ein gutes Beispiel dafür.

Die Gesellschaft befindet sich aktuell noch in einem frühen Stadium einer umwälzenden Veränderung unserer Mobilitätsgewohnheiten. Schon heute lässt sich aber absehen, dass die Auswirkungen vergleichbar mit der Verdrängung der Pferdekutsche durch den Verbrennungsmotor in den 1920er Jahren sein werden. Ebenfalls schon heute lassen sich vier Bereiche abgrenzen, in denen sich der Hauptteil dieser Veränderung vollzieht: Vernetzung, Shared Economy, autonomes Fahren und E-Mobilität. Anleger sollten diese vier Bereiche im Blick behalten.

Während Deutschland noch diskutiert, welcher Anbieter ein 5G-Datennetz in Deutschland aufbauen soll, steht zumindest eine der zukünftigen Anwendungen bereits fest: die Kommunikation von Fahrzeugen, Smartphones, Straßen, Behörden, Geschäften und weiteren Teilnehmern. In nicht allzu ferner Zukunft werden Fahrzeuge erkennen, dass sich ein Krankenwagen nähert, bevor der Fahrer überhaupt die Sirene hört. Das Auto wird dem Fahrer weit vor dem Ziel Parkmöglichkeiten vorschlagen und ihn frühzeitig informieren, wenn Passanten einen Zebrastreifen überqueren oder eine Ampel auf Rot umschaltet. Straßen werden laufend Daten zum Verkehrsfluss aggregieren, ein einzelnes Fahrzeug an einem Stau vorbeilenken oder den Verkehrsfluss lokal verlangsamen, wenn Kinder die Schule verlassen.

Vernetzte Mobilität - wenn das Auto mit der Ampel telefoniert

Die vernetzte Mobilität hat zwei grundlegende Voraussetzungen. Da ist zum einen der 5G-Standard. Das Netzwerk soll eine Million Verbindungen pro Quadratkilometer mit einer Latenz - also Verzögerungszeit - von nur einer Millisekunde ermöglichen. Zum Vergleich: Das aktuell betriebene 4G-Netz weist 100 000 Verbindungen mit einer Latenz von 50 bis 300 Millisekunden auf.

Zum anderen muss die Vernetzung schlanker funktionieren als bisher. Heute sind rund 25 GB pro Stunde nötig, um ein Fahrzeug zu vernetzen. Zum Vergleich: Einen hochauflösenden Film kann ich mit lediglich 869 MB pro Stunde streamen. Diese Lücke wird die Industrie in den Bereichen Daten-Management, Halbleiter-Ausstattung, Cloud-Computing, Breitband-Internetzugang und Echtzeitkommunikations- Technologie schließen müssen. Denn die autonome und vernetzte Mobilität der Zukunft kann nur funktionieren, wenn wir ein Internet haben, das in Echtzeit Daten verarbeitet und weiterleitet.

Eine Prognose von GSMA Intelligence macht deutlich, wie nah diese Zukunft ist: Bis 2025 soll bereits ein Drittel der Weltbevölkerung auf den 5G-Standard zugreifen können. Fahrerlose Taxis, intelligente Stromnetze zum Ausgleich des Energiebedarfs, intelligente Gebäude und Gesundheitseinrichtungen, die mittels Sensoren und Applikationen zu einem "Internet der Dinge" verbunden werden - all das wird dann das Stadtleben prägen.

Der dafür erforderliche Einsatz neuer Glasfaserdienstleistungen steckt zwar noch in den Kinderschuhen, dürfte in den nächsten Jahren durch die Verbreitung und Entwicklung des 5G-Standards aber deutlich an Dynamik gewinnen. BNY Mellon geht davon aus, dass die Finanzmärkte Unternehmen, die Glasfaserkabel oder damit verbundene Technologien wie Musik- und Video-Streaming, Cloud-Computing oder Cybersicherheit entwickeln oder auch die Straßengräben für das 5G-Infrastruktur ausheben, einen höheren Stellenwert in einer immer stärker vernetzten Welt erhalten werden, woraus sich schon heute interessante Anlagechancen ergeben.

Rio, Tokio, Gelsenkirchen - überall dasselbe Bild: zu viele Autos, zu wenig Platz. In den USA allein verursachen Staus jährliche Kosten von schätzungsweise 160 Milliarden US-Dollar - dazu gehören sieben Milliarden Stunden Wartezeit im Stau und mehr als elf Milliarden Liter verschwendetes Benzin. Die Lösung kann nur sein, Menschen auf weniger Autos zu verteilen.

Shared Economy - Mitfahrzentrale 2.0

Mitfahrmodelle durch Unternehmen wie Uber oder Lyft könnten die Anzahl von Fahrzeugen um ein Drittel reduzieren. Für viele Städte wäre das ein Segen: Ein Drittel der Autofahrten wird überflüssig, sobald autonome Mitfahrsysteme eingeführt sind. Bis heute sind deshalb bereits mindestens 32 Milliarden US-Dollar in Start-ups investiert, die Technologien für unterschiedliche Mitfahrsysteme entwickeln. Die Anzahl der Personen weltweit, die Mitfahrsysteme nutzen oder nutzen werden, soll schätzungsweise von 207,38 Millionen (2015) auf 539,49 Millionen im Jahr 2021 steigen.1) Anleger sollten allerdings bedenken, dass sich die Technologien zurzeit noch in einem frühen Entwicklungsstadium befinden und es bisher weltweit nur wenige Unternehmen gibt, deren Aktien an der Börse notiert sind.

Autonomes Fahren - das Auto als Chauffeur

Trotz Rückschlägen in puncto Sicherheit und Funktionalität rückt der Einsatz von selbstfahrenden Fahrzeugen im Alltag dank der Fortschritte bei Technologie und Produktion immer näher. Laut Expertenschätzungen planen 80 Prozent der zehn größten Automobilhersteller, bis zum Jahr 2025 autonome Fahrzeugtechnologien einzusetzen.

Die erwarteten Vorteile dieser Technologie sind enorm: Experten gehen davon aus, dass auf lange Sicht autonome und mit der Umwelt vernetzte Fahrzeuge die Sicherheit auf den Straßen drastisch verbessern werden. Bis zu 87 Prozent aller Unfälle sollen sich zukünftig durch sogenannte "Fahrerassistenz- und Autopilot-Systeme" vermeiden lassen. Das autonome Fahren soll die Anzahl aller Fahrzeuge um rund 30 Prozent und den für Parkplätze benötigten Raum sogar um 44 Prozent senken.2)

Der Informationsdienst IHS Markit erwartet, dass der Umsatz von autonomen Fahrzeugen von 51 000 im Jahr 2022 auf mehr als 33 Millionen weltweit bis 2040 steigen und rund ein Viertel des Umsatzes mit neuen Fahrzeugen ausmachen wird. Von dieser Entwicklung werden Unternehmen profitieren, die den Automobilmarkt für Anwendungen wie Kollisionswarnung, adaptive Beleuchtung, Parken und E-Calling beliefern.

Batterien - Strom to go

Eng verknüpft mit dem Bereich autonomes Fahren sind die Fortschritte bei der Entwicklung der Batterietechnik für Elektrofahrzeuge, die wesentlich zur Verbesserung der globalen Energieeffizienz beitragen sollen. Laut Future Market Insight soll der Markt für Elektrofahrzeugbatterien von 2017 bis 2025 durchschnittlich um 8,5 Prozent jährlich wachsen. Der erwartete Umsatz soll von 15,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2017 auf knapp 36,2 Milliarden US-Dollar bis Ende 2027 ansteigen.

Dabei spielen die Kosten pro Batterie eine entscheidende Rolle. Ab einem Zielwert von 100 US-Dollar je Kilowattstunde sollen Batterien mit herkömmlichen Benzin- und Dieselmotoren wirtschaftlich konkurrieren können. Diese Marke könnte in den nächsten drei bis vier Jahren schon erreicht werden. Damit wäre die E-Mobilität kein Luxus für Besserverdiener mehr, sondern eine ernsthafte Alternative für breite Bevölkerungsschichten. Zu den führenden Märkten bei der Entwicklung und Nutzung von Batterien zählen Nordamerika, China, Korea und Japan. Viele Regierungen bekämpfen Luftverschmutzung und CO2 -Emissionen. Unternehmen in den Branchen Elektrofahrzeuge und Batterien sollten gut positioniert sein, um von diesem Wandel zu profitieren.

Gekommen, um zu bleiben

Unter dem Stichwort intelligente Mobilität versammeln sich zwar sehr unterschiedliche technologische Entwicklungen, doch sie haben eines gemeinsam: Sie werden sich durchsetzen. Dieser Trend erfasst die gesamte Wirtschaft und unseren Alltag. Investoren müssen dabei die Erfolgsaussichten einzelner Innovationen realistisch einschätzen. Was ist eine leere Versprechung, was ist machbar?

Wichtig ist nicht zuletzt der richtige Zeitpunkt. Fast jede neue Technologie wird euphorisch begrüßt, bevor sich in einer zweiten Phase Ernüchterung breitmacht, wenn Herstellung oder Kommerzialisierung nicht so glatt laufen, wie erhofft. Doch wenn diese Phase überwunden ist, dreht sich alles um Innovation, Investition und Expertise, die zu langfristigem Wachstum führen. BNY Mellon ist davon überzeugt, dass sich intelligente Mobilität inzwischen in diesem Stadium befindet.

Verschiedene Technologien und Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen befinden sich dabei auf verschiedenen Stufen. Anleger sollten deshalb die einzelnen Technologien, in die sie investieren wollen, unter die Lupe nehmen, dabei aber nicht zu lange zögern: Verglichen etwa mit dem MSCI AC World Mid Cap Index sind Aktien im Bereich intelligente Mobilität aktuell noch günstig.

Fußnoten

1) Statista, April 2017.

2) Delphi Automotive, 30. September 2018.

Thilo Wolf Deutschland-Chef, BNY Mellon Investment Management, Frankfurt am Main
Thilo Wolf , Deutschland-Chef, BNY Mellon Investment Management, Frankfurt am Main

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