Investmentbanking in Deutschland - gute Zeiten am Horizont

Stefan Wintels; Quelle: Citigroup Markets Deutschland AG

Stefan Wintels, Vorsitzender des Vorstands, Citigroup Global Markets Deutschland AG, Frankfurt am Main - Dass das Investmentbanking in Deutschland noch einen erheblichen Nachholbedarf hat, ist nicht zuletzt auf die traditionelle Kreditfinanzierung der Wirtschaft zurückzuführen. Mit einer zunehmenden Bedeutung der Themen Regulierung, Corporate Governance und Kapitaloptimierung seit Ausbruch der Finanzkrise registriert der Autor allerdings eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Investmentbanking. Unterstützt sieht er diese durch die Bemühungen der Europäischen Union um einen einheitlichen Banken- und Kapitalmarkt und den Wandel hin zu einer stärker kapitalmarktfinanzierten Volkswirtschaft. Erhebliches Potenzial für das Investmentbanking hat er im deutschen Mittelstand entdeckt. Großvolumige Übernahmen durch mittelständisch strukturierte Unternehmerfamilien sind für ihn ebenso ein Indiz dafür wie die Offenheit von Mittelständlern für maßgeschneiderte IPO-Lösungen. Auch die altbekannte Sorge vor einem sinkenden Einfluss der Eigentümerfamilien hält er für entschärft. (Red.)

Investmentbanking ist in Deutschland - anders als in der angelsächsischen Welt - ein noch relativ junges Geschäft. Das hat auch mit den klassischen Finanzierungsstrukturen der deutschen Wirtschaft zu tun. Inzwischen gibt es aber einen breiten und tiefen Markt. Frische Impulse könnten vom deutschen Mittelstand ausgehen.

Im Wandel der Zeit

Während in den USA die Geschichte des Investmentbanking bis tief ins 19. Jahrhundert zurückreicht - damals wandten sich US-Banken zunehmend dem Wertpapierhandel zu - erlangte dieses Geschäftsfeld in Deutschland erst relativ spät eine größere Bedeutung. Das hat vor allem soziokulturelle Hintergründe. So bedienen sich zum Beispiel Unternehmen im wirtschaftsliberalen Amerika seit jeher der Kapitalmärkte, um sich mit Eigen- oder Fremdkapital zu versorgen. Investmentbanken fungieren dabei traditionell als Bindeglied.

Im anders geprägten Deutschland fragten Firmen - wenn frisches Kapital oder Finanzierungen benötigt wurden - dagegen zuerst einmal bei der Hausbank nach einem Kredit. Daher kam das Investmentbanking auch erst in den späten 1980er-Jahren in Deutschland an. Damals wagte die Deutsche Bank als erste hiesige Geschäftsbank mit der Übernahme von Morgan Grenfell den Schritt ins globale Geschäft. Schon kurze Zeit später fiel der Eiserne Vorhang und eine neue Phase der Globalisierung und Deregulierung brach an.

In den vergangenen 30 Jahren hat sich nicht nur die Weltwirtschaft drastisch verändert, auch die Anforderungen an das Investmentbanking haben sich erhöht. Neue Tätigkeitsfelder kamen zu den althergebrachten hinzu beziehungsweise die Bedeutung der Geschäftsfelder hat sich verschoben.

Starken Schwankungen ausgesetzt

Zu den wichtigsten Bereichen zählen heute Mergers & Acquisitions (Fusionen und Übernahmen, kurz M & A), Corporate Finance (Unternehmensfinanzierung), Structured Finance (zum Beispiel Asset-Backed Securities, kurz ABS), Capital Markets (Emission und Platzierung von Wertpapieren). Die Entwicklung des Geschäfts im Investmentbanking verlief nie linear, sondern war vielmehr immer starken Schwankungen und Umbrüchen ausgesetzt. Der zehn Jahre zurückliegende Anstieg der Zahlungsausfälle auf dem Markt für US-Hypothekenkredite mit geringer Bonität bedeutete nicht nur den Beginn der Finanzkrise mit einschneidenden Folgen für das globale Finanzsystem, sondern auch das Investmentbanking veränderte sich nachhaltig. Schlagartig wurden Themen wie Regulierung, Corporate Governance, Kapitaloptimierung und Kostensenkung priorisiert, was wiederum den Fokus zurück auf Beratungsgeschäfte wie M & A verschiebt, die weniger kapitalintensiv sind.

Gute Zeiten für M & A

Ein besonderer Stellenwert kommt dem deutschen M & A-Geschäft zu, das seit geraumer Zeit im Aufwind ist. Noch immer ist der deutsche Markt für Fusionen und Übernahmen im Vergleich zum angelsächsischen Raum relativ klein. Der Markt hat aber deutlich an Breite und Tiefe gewonnen und der Trend setzt sich fort. Deutsche Unternehmen wachsen durch Übernahmen in Übersee und das ausländische Interesse an deutschen Unternehmen und Knowhow ist unverändert hoch, in den letzten Jahren zunehmend aus China.

Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der getätigten M & A-Transaktionen mit deutschen Unternehmen um knapp sechs Prozent auf 866 erhöht. Das Gesamtvolumen stieg sogar um rund 27 Prozent auf 72,2 Milliarden Euro. Und auch der Start ins laufende Jahr war vielversprechend. Im ersten Halbjahr belief sich das Volumen aller M & A-Transaktionen in Deutschland auf 66,4 Milliarden Euro, ein Plus von 47,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Man muss allerdings ergänzen, dass diese Zahl den Erwerb von Proxair durch Linde beinhaltet, der mit einem Volumen 40,5 Milliarden Euro einen wesentlichen Teil des Marktes in dieser Periode ausmacht und bislang auch noch nicht abgeschlossen (closed) ist.

Aus mehreren Gründen wird M & A hierzulande auch in Zukunft ein wichtiges Thema bleiben: Zum einen dürfte der Markt weiterhin vom günstigen Finanzierungsumfeld profitieren. Außerdem verfügen die Unternehmen zum Teil über hohe Cash-Bestände, die Übernahmen nicht nur ermöglichen, sondern auch Druck auf das Management bedeuten zu investieren. Welche Rolle dabei künftig auch sogenannte Aktivisten (Activist Shareholders) spielen werden, bleibt abzuwarten. Aber eines ist sicher: Ihre Bedeutung wird zunehmen. In den USA hat sich dieses Geschäftsfeld längst als Assetklasse etabliert. Aktivisten suchen geradezu nach Unternehmen, die über hohe Cash-Reserven verfügen, um dann als Anteilseigner Druck auf das Management auszuüben, Ausschüttungen vorzunehmen oder eben die Mittel für M & A einzusetzen. Darüber hinaus veranlassen digitale Technologien wie Internet of Things, Cloud oder Big Data immer mehr Firmen dazu, sich innovationsgetriebenes Wachstum auch mithilfe von M & A zu erschließen.

Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte wird sich neben den USA, Großbritannien und China auch Deutschland als "M & A-Hotspot" herausstellen. Für Investmentbanken ist dieser Trend Chance und Risiko zugleich. Wer sein Stück vom Kuchen abhaben will, muss seine Kunden mit hoher Expertise und weltweiter Vernetzung überzeugen. Entsprechend ist eine professionelle Beratung von Vorteil, ebenso wie auch die Zugehörigkeit zu einer großen, weltweit operierenden Investmentbank für eine globale Anbindung an Märkte und Investoren.

Potenzial bei IPOs

Ähnlich bedeutsam ist die Bedeutung eines weiteren Bereichs: die Eigen- und Fremdkapitalbeschaffung für Unternehmen. Vor dem Hintergrund der bislang guten Stimmung an den weltweiten Aktienmärkten floriert derzeit das globale Geschäft mit Börsengängen (Initial Public Offerings, kurz IPOs). Nach Angaben der Beratungsgesellschaft Ernst & Young stieg im ersten Halbjahr 2017 die weltweite Zahl der IPOs um 70 Prozent auf 772, das Emissionsvolumen erhöhte sich sogar um 90 Prozent auf 83,4 Milliarden US-Dollar. Einen höheren Wert gab es zuletzt im ersten Halbjahr 2007. In Deutschland entwickelte sich der IPO-Markt dagegen traditionell verhaltener als in vergleichbaren Ländern. Im letzten Jahr sorgte vor allem der Börsengang von Innogy mit einem Volumen von 4,6 Milliarden Euro für Aufsehen. Dieses Jahr ist der Börsengang von Delivery Hero, einem in Berlin beheimateten Internetunternehmen in Höhe von 1 Milliarde Euro ebenfalls sehr erfolgreich verlaufen. Frischer Wind und weitere Impulse werden für das zweite Halbjahr erwartet, zumal schon einige vielversprechende Kandidaten in den Startlöchern stehen.

Trumpfkarte Mittelstand

Wenn es um die Zukunft des Investmentbanking in Deutschland geht, kommt man am Mittelstand nicht vorbei. Längst geben sich auch mittelgroße Firmen nicht mehr nur mit klassischen Bankdienstleistungen zufrieden. Was auch gar nicht möglich ist: Denn viele Mittelständler vereinen hohe Innovationskraft mit internationaler Marktperspektive oder sind in ihrem Bereich sogar globale Marktführer. Die Nachfrage richtet sich nicht mehr vorrangig an Export- und Handelsfinanzierung und internationalen Zahlungsverkehr sowie Zins- und Währungssicherung. Gerade klassisch mittelständisch strukturierte Unternehmen in Familien- oder Stiftungsbesitz sind in vergangenen Jahren durch hochprofessionelle Übernahmen in Milliardenhöhe aufgefallen, die ihnen neue Märkte erschlossen und signifikant verbesserte Marktpositionen ermöglicht haben.

Außerdem erkennen immer mehr Mittelständler, dass maßgeschneiderte IPO-Lösungen durchaus nicht den Einfluss der Eigentümerfamilien beenden, sondern vielmehr den Einfluss der Familie erhalten und gleichzeitig völlig neue Handlungsoptionen ermöglichen. Der Optionsraum ist breit und richtet sich je nach gewählter Gesellschaftsstruktur (zum Beispiel KGaA) oder der jeweiligen Aktiengattung (zum Beispiel Vorzüge).

Der Finanzierungsbedarf des Mittelstands dürfte auch das Private-Equity-Geschäft stimulieren. Im vergangenen Jahr erreichten die Private-Equity-Transaktionen in Deutschland ein Volumen von 16,6 Milliarden Euro und damit den höchsten Wert seit der Finanzkrise. Der Trend sollte sich fortsetzen. Laut einer Umfrage des ZEW aus dem Jahr 2015 kommt für rund 60 Prozent aller befragten kleinen und mittelgroßen Unternehmen Wagnis- und Beteiligungskapital als Finanzierungsquelle für Innovationen infrage. Bei Hightech-Startups liegt die Quote sogar bei 80 Prozent. Daraus ergibt sich enormes Potenzial für das Investmentbanking, denn derzeit ist die Nutzung dieser Finanzierungsform bei Mittelständlern noch gering ausgeprägt.

Insgesamt dürfen die Akteure im Investmentbanking in Deutschland optimistisch in die Zukunft blicken. Die globalen Megatrends wie Globalisierung und Digitalisierung bedeuten für viele Branchen und Unternehmen einen permanenten Veränderungsdruck. Es entstehen neue Geschäftsmodelle und es eröffnen sich neue Perspektiven. Daraus ergeben sich Wachstumschancen und Konsolidierungsdruck. Gleichzeitig gibt es weltweit große Kapitalvermögen (zum Beispiel Sovereign Wealth Funds, Pensionskassen, Versicherungen), die nach Anlage suchen. Finanz- und Kapitalintermediation, wie es das Investmentbanking bietet, helfen Nachfrage und Angebot in diesem zentralen Bereich zusammenzuführen.

Positiver Fundamentaltrend

Bleibt zuletzt mit Blick auf die grundsätzlich positive Entwicklung der letzten Jahre die Frage, inwieweit die M & A beziehungsweise Kapitalmärkte überhitzt sein könnten. Auch wenn die Märkte erheblich durch die expansive Politik der Zentralbanken unterstützt werden, so sind die wesentlichen Frühindikatoren insbesondere die Bilanzzahlen weitgehend im "grünen Bereich".

Zudem sollten die Bemühungen der Europäischen Union um einen einheitlichen Banken- und Kapitalmarkt den Wandel hin zu einer stärker kapitalmarktfinanzierten Volkswirtschaft unterstützen. Insofern gibt es grundsätzlich viele Gründe, eine positive Langfristprognose für das Investmentbanking abzugeben. Nicht zuletzt durch den Entschluss des Vereinigten Königreichs, die Europäische Union zu verlassen, wird der Finanzplatz Frankfurt erheblich an Bedeutung gewinnen. Die Auslandsbanken werden einen entscheidenden Beitrag zu dieser Entwicklung leisten und hoffentlich die Kapitalmarkt- und Aktienkultur in Deutschland fördern.

Stefan Wintels , Vorsitzender des Vorstands , KfW, Frankfurt am Main
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