Kreditgenossenschaften: Willensbildung des Aufsichtsrats in der Krise

Michael Ziechnaus, Foto: robertkallenbach.de

In dem großen Maßnahmenpaket zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen befindet sich in Artikel 2 auch ein Abschnitt zur Willensbildung der Organe eines Unternehmens oder einer Genossenschaft. Damit sollen unter anderem Kreditgenossenschaften durch temporäre Ausnahmevorschriften in die Lage versetzt werden, handlungsfähig zu bleiben. Das sei wichtig, zumal in Krisen wie der aktuellen den Aufsichtsräten auch noch eine gesteigerte Überwachungspflicht zukomme. Durch diese Regelung können nun nach Meinung des Autors Sitzungen in Form einer Videokonferenz oder einer Telefonkonferenz durchgeführt werden. Ziechnaus weist jedoch darauf hin, dass dennoch hohe Anforderungen an die Protokollierung von Sitzungen und Beschlussfassungen zu erfüllen sind. Das gelte auch bei Umlaufbeschlüssen. Der Autor sieht bei den Aufsichtsräten der Kreditgenossenschaften eine bedeutende Rolle in der Bewältigung der Pandemie, hält diese jedoch dafür gerüstet. (Red.)

Die Covid-19-Pandemie stellte und stellt auch den deutschen Gesetzgeber vor große Herausforderungen. In einem beispiellosen Kraftakt hat der Deutsche Bundestag am 25. März 2020 das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht beschlossen. Am 27. März 2020 hat das Gesetz den Bundesrat passiert und ist am 28. März 2020 in Kraft getreten. Artikel 2 dieses Maßnahmengesetzes unterstützt unter anderem die Willensbildung der Organe einer Aktiengesellschaft, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und Genossenschaft.

Handlungsfähigkeit von Unternehmen wiederherstellen

Ziel des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie (nachfolgend COV-GesMaßnG) ist es, die Handlungsfähigkeit von Unternehmen verschiedener Rechtsformen sicherzustellen, nachdem diese teilweise nicht mehr in der Lage sind, auf herkömmlichem Weg Beschlüsse auf Versammlungen und Sitzungen der entsprechenden Organe herbeizuführen. Die Regelungen des Art. 2 CovidZivilG sind zeitlich befristete Ausnahmevorschriften. Sie gelten nur für das Kalenderjahr 2020. Die Genossenschaften werden von dem Gesetz wie folgt adressiert:

1. § 3 Abs. 1 COVGesMaßnG gibt den Genossenschaften die Möglichkeit, auch ohne eine entsprechende Satzungsregelung sogenannte virtuelle General- beziehungsweise Vertreterversammlungen durchzuführen.

2. § 3 Abs. 2 COVGesMaßnG erlaubt ihnen ausnahmsweise, die Einberufung zu einer General- beziehungsweise Vertreterversammlung auf der Internetseite der Genossenschaft vorzunehmen.

3. Abweichend von § 48 Abs. 1 GenG kann der Aufsichtsrat den Jahresabschluss (für das Geschäftsjahr 2019) feststellen, § 3 Abs. 3 COVGesMaßnG.

4. Gemäß § 3 Abs. 4 COVGesMaßnG kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrates nach pflichtgemäßem Ermessen Abschlagszahlungen auf eine zu erwartende Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens oder eine an ein Mitglied zu erwartende Dividende leisten; § 59 Abs. 2 AktG gilt entsprechend.

5. Gemäß § 3 Abs. 5 COVGesMaßnG bleibt ein Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrates einer Genossenschaft auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt.

6. Sitzung des Vorstandes und Aufsichtsrates können nach § 3 Abs. 6 COVGes-MaßnG auch ohne eine Grundlage in Satzung oder Geschäftsordnung im Umlaufverfahren in Textform oder als Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden.

Möglichkeit der fernmedialen Sitzung

Der Aufsichtsrat, der gemäß § 38 Abs. 1 GenG zur Überwachung der Vorstandstätigkeit verpflichtet ist, hat in Krisensituationen eine gesteigerte Überwachungspflicht. So haben sich Art und Intensität der vom Aufsichtsrat und seinen Mitgliedern geschuldeten Überwachung an der jeweiligen Risikosituation und den damit einhergehenden organisatorischen und geschäftlichen Herausforderungen der Gesellschaft zu orientieren. Der Aufsichtsrat wird die Krisenbewältigungsmaßnahmen des Vorstandes eng begleiten und ihn in einem verstärkten Maße beraten. Eine so notwendige höhere Sitzungsfrequenz trifft in Zeiten der Pandemie auf behördlich verfügte Kontaktsperren und die gesundheitlichen Risiken für die Aufsichtsratsmitglieder.

Die Beschlussfassung des Aufsichtsrates erfolgt regelmäßig in Aufsichtsratssitzungen oder in Fällen des § 23 der (Muster-) Satzung von Kreditgenossenschaften in gemeinsamen Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen.

Die Sitzungen werden grundsätzlich am Sitz der Bank stattfinden. Dabei ist es in der Literatur zum Genossenschaftsgesetz umstritten, ob die Aufsichtsratsmitglieder, die an einer solchen Sitzung nicht teilnehmen, per Stimmbotschaft an Beschlussfassungen teilnehmen können. Nach der herkömmlichen Regelungsmechanik in den Mustersatzungen der Kreditgenossenschaften bleibt den Aufsichtsräten die Möglichkeit, in dringenden Fällen auch ohne Einberufung einer Sitzung auf dem Wege schriftlicher Abstimmung oder durch andere Fernkommunikationsmedien einen Beschluss zu fassen, soweit das Umlaufbeschlussverfahren von dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates oder seinem Stellvertreter initiiert wird und kein Mitglied des Aufsichtsrates diesem Verfahren widerspricht.

Ausweislich des Satzungswortlautes setzt dieses Verfahren "dringende Fälle" sowie einen unterbliebenen Widerspruch eines Aufsichtsratsmitgliedes voraus. Für Zeiten einer Krise beziehungsweise eines verstärkten Abstimmungs- und Beratungsbedarfs zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern und zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist das Umlaufbeschlussverfahren nicht selten kein probates und zielführendes Kommunikations- und Entscheidungsmittel.

BaFin-Vorgaben sind zu berücksichtigen

Der Gesetzgeber eröffnet nun auch dem Aufsichtsrat einer (Kredit-)Genossenschaft die Möglichkeit, ohne eine entsprechende Satzungsregelung oder Regelung in einer Geschäftsordnung Sitzungen in Form einer Telefon- und/oder Videokonferenz durchzuführen. Das hat den Vorteil, dass zu eben diesen (virtuellen) Sitzungen in der üblichen Art und Weise eingeladen wird und sich einzelne Aufsichtsratsmitglieder nicht gegen eine Beschlussfassung als solche im Rahmen dieser virtuellen Sitzung aussprechen können. Nachdem die Mitglieder des Aufsichtsrates zudem nicht zu Sitzungen zusammenkommen müssen, ist die Organisation einer solchen virtuellen Sitzung bedeutend einfacher und für sie weniger zeitaufwendig.

Unabhängig von der Form der Kommunikation, Willensbildung und Beschlussfassung bleibt die gesellschaftsrechtliche Verpflichtung und nota bene auch die Vorgaben der BaFin zu berücksichtigen, wonach die Entscheidungen des Aufsichtsrates gut vorbereitet sein und in diesem Zusammenhang den Mitgliedern des Aufsichtsrates regelmäßig vor ihrer Beschlussfassung die notwendigen Informationsgrundlagen übermittelt werden müssen. Das hier einschlägige Merkblatt der BaFin "Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB, Stand 4. Januar 2016, zuletzt geändert am 12. November 2018" führt hierzu aus:

"Um sachgerechte Beschlüsse fassen zu können, müssen sich die Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen mithilfe von Sitzungsunterlagen bereits vor einer Sitzung auf diese vorbereiten. Die Vorbereitung setzt sowohl einen zeitlich und örtlich angemessenen Rahmen als auch hierfür inhaltlich und mengenmäßig geeignete Unterlagen voraus. Insoweit bedürfen die Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen der Unterstützung des von ihnen beaufsichtigten Unternehmens; die Institute sind durch das Kreditwesengesetz dazu verpflichtet. Vorlagen sollen nur in begründeten Ausnahmefällen erst in der Sitzung selbst verteilt werden."

Anforderungen an Protokollierung bleiben

Nicht aus den Augen zu verlieren sind die Anforderungen an die Protokollierung von (auch virtuellen) Sitzungen und Beschlussfassungen. Im Zuge der Regelungen in §§ 41, 34 GenG, wonach die Mitglieder des Aufsichtsrates - grosso modo - die Darlegungs- und Beweislast dafür haben, dass sie sorgfältig und gewissenhaft Entscheidungen getroffen haben, ist es notwendig, dass nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Grundlagen ihrer Entscheidungen und der Beitrag der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder an ihnen dokumentiert werden.

Auch bei Umlaufbeschlüssen, und das wird in der Praxis oft übersehen, besteht die Notwendigkeit, die Beschlussfassung formal zu dokumentieren beziehungsweise festzustellen. Auch hier gilt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende den Beschluss zu verkünden hat. Der Beschluss wird so wirksam, wie er festgestellt und verkündet worden ist. In der Abbildung wird beispielhaft eine solche Dokumentation abgebildet.

Bei der Bewältigung der für die Kreditgenossenschaften infolge der Pandemie entstehenden großen geschäftlichen Herausforderungen wird den Aufsichtsräten der Institute eine bedeutende Rolle zukommen. Sie werden diese auszufüllen wissen.

Michael Ziechnaus Rechtsanwalt, Erfurt
Michael Ziechnaus , Rechtsanwalt, Ziechnaus Rechtsanwälte, Erfurt

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