Kriterien für eine Befreiung von EDIS

Dr. Jürgen Gros, Foto: Genossenschaftsverband Bayern

Ewig währt die Debatte der europäischen Integration. Welche Kompetenzen gehen an die Organe der Europäischen Union, welche verbleiben in den Mitgliedsstaaten? Ein Teilschauplatz der Debatte dreht sich dieser Tage um die Einführung einer europäisch einheitlichen Einlagensicherung (EDIS), wie sie als dritte Säule der europäischen Bankenunion neben den einheitlichen Aufsichts- und Abwicklungsmechanismen vorgesehen ist. Während größere Banken mit grenzübergreifendem Geschäft von einem solchen System profitieren könnten, sind es vor allem kleinere, national oder regional agierende Institute, welche eine solche Einlagensicherung kritisch beäugen. Gros und Rentsch vertreten mit ihren Verbänden eine Gruppe solch kleiner, weder komplexer noch stabilitätsgefährdender Banken, der ein Beitritt zu EDIS womöglich mehr Risiko und damit Schaden als Nutzen bringen könne. Nicht zuletzt, da sie bereits Teil eines nationalen Einlagensicherungssystems, der Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken sind, deren Kapazitäten bereits weit über das vorgeschlagene europäische Modell hinausgingen. (Red.)

In Brüssel hat die Debatte um eine europäische Einlagensicherung (EDIS) wieder an Fahrt gewonnen. Im Januar 2021 startete die EU-Kommission einen Konsultationsprozess, um den EU-Rechtsrahmen für das Krisenmanagement und die Einlagensicherung für Banken zu überprüfen. Bis Ende des Jahres plant die EU-Kommission, einen Legislativvorschlag zu veröffentlichen, der auch Regelungen für ein europäisches Einlagensicherungssystem enthält. Es steht zu befürchten, dass er den Belangen der genossenschaftlichen Institutssicherungssysteme nicht gerecht wird.

Zusammen mit Bankengruppen aus Österreich, Südtirol, Spanien und Polen fordert daher der Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), die Errungenschaften nationaler Institutssicherungssysteme zu erhalten: "Angesichts der beispiellosen wirtschaftlichen Herausforderungen ist es für die Institutssicherungssysteme und ihre stabilisierende Funktion von entscheidender Bedeutung, dass ihre bewährten präventiven Maßnahmen keinerlei Einschränkungen erfahren", teilte der BVR dazu Mitte April mit. In der gemeinsamen Erklärung formulierten die neun Institutssicherungssysteme aus fünf Ländern ihre Forderung: "Da europäische Institutssicherungssysteme schon aus ihrem Auftrag heraus eine Insolvenz ihrer Mitgliedsinstitute verhindern, müssen diese bestehenden europäischen Institutssicherungssysteme von jeder Art der europäischen Einlagensicherung ausgenommen sein."*

Dieser Zwischenruf kam zur rechten Zeit. Zeigt er doch, dass auf europäischer Ebene effektive nationale Lösungen allzu oft in den Hintergrund treten und bei der Betrachtung des großen Ganzen zu wenig berücksichtigt werden. So sorgt die genossenschaftliche Institutssicherung in Deutschland seit rund 90 Jahren dafür, dass noch kein Anleger durch eine strauchelnde Genossenschaftsbank Geld verloren hat. Solche auf Prävention ausgelegten Systeme gilt es zu erhalten und nicht auf dem Altar der angeblichen europäischen Integration leichtfertig zu opfern. Sie sind auf Entschädigung und Abwicklung ausgelegten Systemen überlegen.

Doch neben dem starken Moment der Prävention gibt es weitere Besonderheiten, die die genossenschaftliche Institutssicherung erfüllt und sie daher schon heute sicherer macht als all das, was derzeit auf europäischer Ebene geplant wird. In Summe folgt daraus, dass eine Teilnahme an einem europäischen Einlagensicherungssystem weder notwendig ist noch die Sicherheit für die Einleger erhöht. Nachfolgende Kriterien sollten deshalb als Grundlage für eine stabilitätsorientierte Ausrichtung der Bankensicherungssysteme in Europa gelten. Wer diese harten Bedingungen erfüllt, der soll von einer Teilnahme an EDIS befreit werden.

Geringes Risiko durch hohe Mitgliederdiversifikation gegeben

Die Stabilität von Einlagensicherungssystemen kann in Krisensituationen infrage gestellt werden, wenn diese Systeme von wenigen größeren Mitgliedern dominiert werden, deren Ausfall die Funktionsfähigkeit des Systems gefährden. Für solche "konzentrierten" Systeme ergibt eine EU-Vollversicherung oder Rückversicherung Sinn, denn sie stärkt das Vertrauen in das Gesamtsystem. Es gibt aber auch nationale Sicherungssysteme - wie eben die genossenschaftliche Institutssicherung -, die eine sehr kleinteilige und diversifizierte Mitgliedschaft haben. Sie können den Ausfall einzelner, geschäftspolitisch sehr unterschiedlich ausgerichteter Banken gut tragen und die Stabilität der gesamten Sicherung wahren. Die breite Diversifikation gibt einen hohen Grad an Sicherheit.

Der Grad der Diversifikation ist messbar. Das erlaubt es, objektive Kriterien anzulegen und diese zu überprüfen. Zur Bestimmung der Mitgliederdiversifikation kann der Herfindahl-Index herangezogen werden. Der Index ist ein etabliertes und einfach zu bestimmendes Maß, um Marktkonzentration zu messen. Im Bankensektor wird er häufig eingesetzt. Auch die EZB weist diesen Wert aus. Ein Wert unter 1 000 gilt allgemein als stark diversifiziert beziehungsweise wenig konzentriert. Der Herfindahl-Index für die genossenschaftliche Institutssicherung liegt deutlich unter 500. Größe und Risikoprofil der an einem Sicherungssystem beteiligten Banken sollen künftig ebenfalls darüber entscheiden, ob die Teilnahme an einer europäischen Einlagensicherung notwendig ist. Fast die Hälfte der an das genossenschaftliche Sicherungssystem angeschlossenen Institute (nach Bilanzsumme) ist klein und nicht komplex. Das EU-Recht kennt die Definition kleiner und nicht komplexer Banken. Von ihnen geht lediglich ein geringes Risiko für die Stabilität des Sicherungssystems aus. Für solche Institute gelten abgestufte regulatorische Anforderungen, weil sie keine Gefahr für die Finanzstabilität darstellen.

Die Institute sind in ihrer Größe begrenzt und haben geringe Risiken, weil sie beispielsweise - im Gegensatz zu risikoreichen Investmentbanken - kaum Handel betreiben. Eine Struktur aus kleinen und nicht komplexen Banken wirkt damit risikomindernd für das Sicherungssystem. Das hat auch die Praxis gezeigt: In der Finanzkrise 2008/2009 kam es bei kleinen und nicht komplexen Instituten in Deutschland wie den Genossenschaftsbanken zu keinen Ausfällen, wohingegen der Staat bei größeren Banken einspringen musste, um eine Schieflage zu verhindern.

Bestand an notleidenden Forderungen ist gering

Entscheidend für die Notwendigkeit, an einer europaweiten Einlagensicherung teilzunehmen, sollte zudem die Höhe der abzusichernden Risiken sein. Der Anteil ausfallgefährdeter Forderungen ist dazu ein Maßstab. Das Sicherungssystem der Genossenschaftsbanken zeichnet sich durch einen nachhaltig niedrigen Bestand an notleidenden Forderungen aus. Ein geringer NPL-Bestand (Non-Performing Loans) bedeutet, dass die vom System zu versichernden Risiken gering sind. Systeme mit geringem NPL-Bestand benötigen keinen Schutz durch eine gemeinsame EU-Sicherung.

Im Gegenteil: Durch den Beitritt zu EDIS würden sich die Risiken für diese Systeme erhöhen, weil sie implizit für Risiken anderswo in Haftung genommen werden. Die europäischen Banken haben in den vergangenen Jahren Fortschritte beim Risikoabbau gemacht. In vielen Bankensystemen ist die NPL-Quote trotzdem nach wie vor erhöht. Von einer strukturell niedrigen NPL-Quote wie in Großbritannien, den USA oder Japan kann man erst ab einem Wert von weniger als 2,5 Prozent sprechen. Der Wert der im BVR-Sicherungssystem zusammengeschlossenen Institute lag Anfang 2021 mit rund der Hälfte dieses Wertes deutlich darunter.

Institutssicherung übertrifft die Vorgaben

Wie gut sind Sicherungssysteme gefüllt? Auch diese Frage kann mit als Entscheidungskriterium darüber herangezogen werden, ob eine Teilnahme an EDIS notwendig und sinnvoll ist oder nicht. Die EU-Einlagensicherungsrichtlinie DGSD (Deposit Guarantee Schemes Directive) sieht vor, dass alle nationalen Systeme bis 2024 grundsätzlich 0,8 Prozent der abzusichernden Einlagen (gedeckte Einlagen) als Finanzausstattung vorhalten müssen. Mit EDIS sollen nationale Sicherungssysteme darüber hinaus abgesichert werden, wenn deren Mittel erschöpft sind.

Allerdings gibt es nationale Systeme, die zusätzliche Absicherungen deutlich über dem gesetzlich vorgeschriebenen Deckungsbetrag getroffen haben. Dazu gehört die genossenschaftliche Institutssicherung. Rechnet man alle Töpfe hinzu, dann übertrifft der genossenschaftliche Institutsschutz schon heute die Vorgaben der DGSD. Einer Extra-EU-Absicherung ist für ihn deshalb nicht notwendig.

Ziel einer gemeinsamen EU-Einlagensicherung ist es, Einlagen in allen EU-Ländern gleich abzusichern. So soll verhindert werden, dass Zweifel an einem nationalen Einlagensicherungssystem aufkommen und Einleger aus anderen EU-Ländern im großen Umfang Einlagen aus dem System abziehen. Ein solcher Abzug ausländischer Einlagen hatte beispielsweise massiv zur Finanzkrise 2008/2009 in Island beigetragen. Eine grenzüberschreitende Einlagensicherung kann für solche Systeme sinnvoll sein, die einen hohen Anteil an ausländischen Einlagen versichern.

Indes gibt es auch Sicherungssysteme, wie das der Genossenschaftsbanken, deren angeschlossene Banken ein regionales (nationales) Geschäftsmodell verfolgen. Ihr primärer Geschäftszwecke liegt in einer bestimmten Region. Ihre Refinanzierung basiert nicht auf Einlagen aus dem EU-Ausland. Aufgrund ihres Geschäftsmodells haben sie auch kein Interesse an einer grenzüberschreitenden Expansion. Wegen des lokalen Fokus ist eine grenzüberschreitende Absicherung nicht zielführend. Denn ein rascher Abzug von Mitteln ausländischer Einleger ist nicht zu befürchten.

Die Einführung einer EU-Einlagensicherung soll verhindern, dass Banken zwar auf europäischer Ebene beaufsichtigt (SSM - Single Supervisory Mechanism) und abgewickelt (SRB - Single Resolution Board) werden, die Konsequenzen einer Abwicklung (Entschädigung) aber auf nationaler Ebene (Einlagensicherung) getragen werden. Für grenzüberschreitend tätige Großbanken, die dem SSM und SRB unterliegen, ist eine gemeinsame EU-Einlagensicherung daher denkbar. In Systemen, die zu einem großen Teil aus kleinen regionalen Banken bestehen, wie dies bei der genossenschaftlichen Institutssicherung gegeben ist, führt eine europäische Entschädigungsregelung aber zu Divergenzen. Denn nationale Aufsicht und europäische Abwicklung (Entschädigung) würden auseinanderfallen.

Aufsicht und Abwicklung in nationaler Hand

Für Systeme mit einem Großteil von Banken unter nationaler Aufsicht ergibt deshalb ein nationales Sicherungssystem, das die Einheit von Kontrolle und Haftung gewährleistet, Sinn. Bei den Mitgliedern des genossenschaftlichen Institutssicherungssystems überwiegt die Anzahl der national beaufsichtigten Banken ganz klar. Ganz abgesehen davon, dass die genossenschaftliche Institutssicherung auf Prävention und Sanierung angelegt ist, um von vornherein Entschädigung und Abwicklung zu vermeiden.

Starke Institutssicherungssysteme, die schon heute die einmal auf europäischer Ebene geplanten Standards übertreffen und auf Prävention setzen, brauchen keine weitere europäische Absicherung. Im Gegenteil: Eine zusätzlich eingezogene europäische Ebene könnte Reformprozesse sowie etablierte Präventionsmechanismen in den Hintergrund treten lassen und dadurch bewährte Strukturen ins Wanken bringen - zum Schaden von Sparern und Banken. Differenzierung ist also notwendig. Ungleiches gleich zu behandeln wird nicht mehr, sondern weniger an Finanzstabilität bringen. Finanzstabilität zu erreichen ist aber die hehre Zielvorgabe der gesamten EDIS-Debatte. Wenn diese weiterhin gilt, dann sollte auch politisch danach gehandelt werden.

Fußnote

* Gemeinsame Erklärung der Institutssicherungssysteme der Kreditwirtschaft aus Österreich, Deutschland, Italien, Polen und Spanien: https://www.bvr.de/p.nsf/0/10568748536D2608C12586B9002D8B3E/$file/210406_IPS%20Declaration%20CMDI_Summit_final.pdf

Dr. Jürgen Gros , ehemaliger Präsident , Genossenschaftsverband Bayern e. V. (GVB), München
Florian Rentsch , Vorsitzender des Vorstands , Verband der Sparda-Banken e.V., Frankfurt am Main

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