Libor- und Euribor-Skandal und erste Konsequenzen

Tabelle 1: Charakteristika der Ermittlung der Referenzzinssätze Libor, Euribor und Eonia bis 2013

Prof. Dr. Jochen Beißer, Professur für Finanzwirtschaft, und Prof. Dr. Oliver Read, CFA, Professur im Fachgebiet Finanzierung des Studiengangs Business Law, beide Hochschule RheinMain in Wiesbaden - Rückblickend sind die Manipulationen von Finanzinstituten an wichtigen Referenzzinssätzen an den Kapitalmärkten als ein weiterer heftiger Rückschlag für die Vertrauensbildung der Branche in der Finanzkrise wahrnehmbar. Dass schon 2008 ein Manipulationsverdacht aufgekommen und zwischen 2010 und 2012 von verschiedenen Aufsichtsbehörden untersucht wurde, fand zumindest keine breite Öffentlichkeit. Erst mit den ersten Strafzahlungen ab Mitte 2012 und weiteren in den Folgejahren wurde das Ausmaß sichtbar und die Empörung größer. Ausgehend von dem früheren Verfahren zur Ermittlung der Referenzzinssätze zeichnen die Autoren das Strafregister der angelsächsischen Aufsichtsbehörden und der EU-Kommission nach, gehen auf Reformschritte ein und bewerten die Folgen der Zinsmanipulation. Ihre Einschätzung: Signifikante Eingriffe in die Geschäfte und Abläufe der beschuldigten Banken oder eine Absetzung von Entscheidungsträgern war bislang ein untergeordnetes Thema. Der Blick der Aufsichtsbehörden ist gleichwohl geschärft worden und die Anstrengungen zu Reformen werden weitergehen. (Red.)

In den letzten Jahren zahlten zahlreiche Banken Strafen in Höhe von mehreren Milliarden Euro, da sie offenbar über Jahre hinweg Referenzzinssätze am Geldmarkt manipuliert hatten. So titelte eine Tageszeitung schon Anfang Dezember 2013 "Wegen Zinsmanipulation: EU verhängt 1,7 Milliarden Euro Strafe gegen Banken" und in einer anderen Zeitung lautete die Schlagzeile im Frühjahr 2015: "Wegen Libor-Skandal: 2,5 Milliarden Dollar Strafe für Deutsche Bank". Warum haben einige Händler in den Banken bewusst Zinssätze manipuliert und welche Vorschläge gibt es, künftige Manipulationen zu erschweren?

Referenzzinsätze und ihre Ermittlung bis 2013

Referenzzinssätze geben an, zu welchen Konditionen sich Banken am Geldmarkt untereinander unbesichert Geld leihen. Zu den wichtigsten Referenzzinsen gehören:

- London Interbank Offered Rate (Libor),

- Euro Interbank Offered Rate (Euribor),

- Euro Overnight Index Average (Eonia).

Für Finanzinstitute, Industrieunternehmen, institutionelle Investoren und private Haushalte sind Referenzzinssätze von zentraler Bedeutung. Bei originären Finanzinstrumenten wie zum Beispiel Geldanlagen, Krediten oder Anleihen mit variabler Verzinsung bestimmen die Referenzzinssätze die Höhe der Zinszahlung. Bei derivativen Finanzinstrumenten wie zum Beispiel Forward Rate Agreements, Zinsswaps, Zinsfutures oder Zinsoptionen sind Referenzzinsen oft als Vertragselement enthalten.1) Insgesamt beläuft sich der Nennwert der Referenzzins-abhängigen Finanzinstrumente auf mehrere Billionen Euro.2)

Die Zinssätze beziehen sich auf unterschiedliche Laufzeiten und Währungen:

Der Tagesgeldzinssatz Eonia gilt für auf Euro lautende Geldanlagen/Kredite mit einer Laufzeit von einem Tag (overnight). Der Euribor umfasste Laufzeiten zwischen einer Woche und zwölf Monaten in Euro. Der Libor deckte mehrere Laufzeiten zwischen einem Tag und zwölf Monaten in mehreren Währungen ab. Bis 2013 wurden an jedem Handelstag ein Eonia-Wert, 15 Euribor-Werte und 150 Libor-Werte (15 Laufzeiten in zehn Währungen) ermittelt.3)

Zuständigkeit bei einigen Administratoren

Für die Prozesse rund um die Ermittlung der Referenzzinssätze und deren Beaufsichtigung sind unterschiedliche Organisationen, sogenannte Administratoren, verantwortlich.

- Für den Libor war ursprünglich die British Bankers' Association (BBA) in London zuständig.

- Administrator des Eonia und des Euribor war die Euribor-EBF als Teil der European Banking Federation (EBF) in Brüssel.

Die tägliche Berechnung der Referenzzinssätze wird von den sogenannten Calculation Agents vorgenommen.

Zu jedem Referenzzinssatz und zu jeder Währung gibt es eine Gruppe von Banken (Panelbanken), die sich verpflichten, jeden Handelstag entsprechende Zinssätze an den zuständigen Calculation Agent zu melden. An der Libor-Ermittlung beteiligten sich je nach Währung zwischen acht und 16 Panelbanken. Eonia- und Euribor-Zinssätze wurden bis 2013 unter Beteiligung von 40 bis 50 Panelbanken ermittelt. Im Rahmen der Ermittlung melden die Panelbanken jeden Morgen (Libor: kurz vor 11 Uhr in London, Euribor: 11 Uhr in Brüssel) eines "Handelstages" (Libor: London business day, Euribor: Target4) business day) Zinssätze an den zuständigen Calculation Agent. Die gemeldeten Zinssätze sollen bei Libor und Euribor jeweils die folgende Frage beziehungsweise Anforderung erfüllen:5)

- Libor: "At what rate could you borrow funds, were you to do so by asking for and then accepting interbank offers in a reasonable market size just prior to 11 a.m.?"

- Euribor: "Contributing panel banks must quote the required euro rates to the best of their knowledge; these rates are defined as the rates at which euro interbank term deposits are being offered within the EMU zone by one prime bank to another at 11 a.m. Brussels time."

Die Anforderungen an die zu meldenden Zinssätze weichen etwas voneinander ab. Für Libor und Euribor sind die gemeldeten Zinssätze jedoch nicht an eine tatsächlich durchgeführte Geldmarkttransaktion gebunden, sondern hypothetisch und unverbindlich.

Gewichteter Mittelwert veröffentlicht

Auf Basis der gemeldeten Zinssätze berechnet der Calculation Agent einen gestutzten Mittelwert: Damit Ausreißer nach oben oder unten den zu ermittelnden Referenzzins nicht beeinflussen, werden die höchsten und niedrigsten gemeldeten Zinssätze gestrichen. Bei der Ermittlung des Libor werden die höchsten und niedrigsten 25 Prozent der Zinssätze, bei der Ermittlung des Euribor und Eonia die höchsten und niedrigsten 15 Prozent gestrichen. Auf Basis der verbleibenden mittleren 50 Prozent beziehungsweise 70 Prozent der Zinssätze bildet der Calculation Agent einen gewichteten Mittelwert. Dieser wird als Prozentsatz (Libor: fünf Nachkommastellen, Euribor/Eonia: drei Nachkommastellen) veröffentlicht (Tabelle 1).

Wenn sich die Vertreter der Panelbanken verständigen, können die Referenzzinssätze manipuliert werden: Sprechen sich bei der Libor-Ermittlung fünf von 16 Panelbanken ab, werden vier manipulierte Werte gestrichen und ein manipulierter Wert geht mit einem Gewicht von 12,5 Prozent in die Berechnung des Referenzzinses ein. Sprechen sich sechs Panelbanken ab, beeinflussen zwei manipulierte Werte mit einem Gewicht von 25 Prozent die Höhe des Referenzzinses. Selbst ohne eine explizite Verständigung können Panelbanken einen Anreiz haben, die Referenzzinssätze in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Manipulationsverdacht und Bußgelder

Ein erster Manipulationsverdacht wurde öffentlich 2008 geäußert. Zunächst wiesen Gyntelberg/Wooldridge (2008), Volkswirte bei der Bank for International Settlement (BIS), in der März Ausgabe des BIS Quarterly Review auf die Anfälligkeit des Libor gegenüber Manipulationsversuchen hin. Im April berichtete Mollenkamp (2008) im Wall Street Journal über den Verdacht der Marktteilnehmer einer Manipulation des Libor. Darauf aufbauend veröffentlichten Mollenkamp/Whitehouse (2008) im Mai die Ergebnisse einer Studie der Zeitung, wonach bestimmte Panelbanken zu niedrige Zinssätze für den US-Dollar-Libor gemeldet haben sollen. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen folgten (etwa Snider/Youle im Jahr 2010 und Abrantes-Metz/Kraten/Metz/Seow im Jahr 2012).

Zwischen 2010 und 2012 gingen verschiedene Behörden - die britischen Aufsichtsbehörden Financial Services Authority (FSA) und Financial Conduct Authority (FCA), die US-amerikanische Aufsichtsbehörde Commodity Futures Trading Commission (CFTC), das US-amerikanische Department of Justice (DoJ) und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) - dem Manipulationsverdacht nach und führten weltweit koordinierte Ermittlungen in Großbritannien, Japan, Kanada, den Niederlanden, der Schweiz und in den USA durch.

- Am 27. Juni 2012 schloss die britische Barclays Bank als erste Libor-Panelbank einen Vergleich mit den Ermittlungsbehörden wegen des Libor-Skandals. Die Summe der Vergleichszahlungen (in der Presse "Strafen" oder "Bußgelder" genannt) betrug 453,6 Millionen US-Dollar. Seit diesem spektakulären Vergleich spricht kaum noch jemand von einem Libor-Manipulationsverdacht, sondern von einem Libor-Skandal.

- Am 19. Dezember 2012 zahlte die schweizerische UBS als zweite Panelbank im Rahmen eines Vergleichs ein Bußgeld von 1,52 Milliarden US-Dollar. Kurz zuvor war der ehemalige UBS-Händler Tom Hayes in London festgenommen worden. Er soll während seiner Tätigkeit als JPY-Derivatehändler bei der UBS in Tokio als Drahtzieher mit anderen Händlern zwischen 2006 und 2009 den JPY-Libor manipuliert haben. Hayes wurde im Mai 2015 vor einem Londoner Gericht vom Serious Fraud Office (SFO) wegen Verschwörung zum Betrug angeklagt. Im August 2015 wurde Hayes für schuldig befunden und zu 14 Jahren Haft verurteilt.

- Am 6. Februar 2013 stimmte die Royal Bank of Scotland einem Vergleich und einem Bußgeld von 612 Millionen US-Dollar zu, am 25. September 2013 folgte der Broker ICAP mit 0,09 Millionen US-Dollar und am 29. Oktober 2013 die niederländische Rabobank mit 1,07 Milliarden US-Dollar.

- Am 23. April 2015 wurde bekannt gegeben, dass die Deutsche Bank im Rahmen eines Vergleichs 2,5 Milliarden US-Dollar zahlen muss. Dies ist bisher das höchste Bußgeld, das an die Ermittlungsbehörden CFTC, DoJ und FCA überwiesen werden musste. Der Betrag fiel wesentlich höher aus als geschätzt, möglicherweise wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft der Bank gegenüber den Behörden.

Tabelle 2 gibt einen Überblick über die bisher von diversen Aufsichtsbehörden verhängten Bußgelder.

Parallel zu den Ermittlungen der Aufsichtsbehörden ermittelte die Europäische Kommission.

- Am 4. Dezember 2013 wurden Bußgelder in Höhe von 1,7 Milliarden Euro in Bezug auf die Manipulation des Euribor und des JPY-Libor bekannt gegeben. Eine weitere Ankündigung bezogen auf den CHF-Libor erfolgte am 21. Oktober 2014.

- Das höchste Bußgeld an die Europäische Kommission musste die Deutsche Bank zahlen. Unmittelbar nach dem Vergleich am 4. Dezember 2013 argumentierte die Führung der Bank, dass es sich um Verfehlungen einzelner Mitarbeiter handle. Konsequenterweise hatte die Bank im Februar 2013 vier Händler im Zusammenhang mit Zinsmanipulationen fristlos gekündigt. Diese bekamen jedoch im September 2013 mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht in Frankfurt ihre Stellen zurück. Das Gericht sah eine Mitschuld der Bank durch Fehler in der Organisation. Die Bank legte Berufung ein, schloss dann aber vor dem Landesarbeitsgericht in Frankfurt im Oktober 2014 einen gerichtlichen Vergleich mit den Händlern.

- Drei Panelbanken (Barclays Bank, UBS, Royal Bank of Scotland) gingen aufgrund einer Kronzeugenregelung komplett straffrei aus. Bezüglich der Manipulation des Euribor haben drei Panelbanken (Crédit Agricole, HSBC, JP Morgan Chase) einen Vergleich abgelehnt. Am 20. Mai 2014 übermittelte die Europäische Kommission Beschwerdepunkte an diese Banken.

Eine Übersicht über die bisher von der Europäischen Kommission verhängten Bußgelder gibt Tabelle 3.

In Deutschland hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Untersuchungen angestellt und sich dabei Zeit gelassen. In einem Zwischenbericht am 5. Januar 2014 machte die BaFin schwere organisatorische Mängel bei der Deutschen Bank aus und kritisierte, dass die Führung der Bank die Affäre nicht angemessen aufgearbeitet habe. Am 13. Mai 2015 übermittelte die BaFin einen vertraulichen Abschlussbericht an die Bank und belastete dabei mehrere Topmanager wegen Versäumnissen bei der Kontrolle von Geschäftsprozessen, in der Organisation und bei der Aufarbeitung der Affäre. Das Wall Street Journal stellte am 17. Juli 2015 eine bankinterne Übersetzung des Dokuments ins Englische ins Internet.6) Konsequenzen durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht stehen noch aus.

Erste Reformen des Libor

Das britische Finanzministerium beauftragte 2012 Martin Wheatley, Führungskraft der FSA und designierter Chef der neuen FCA, damit, eine Untersuchung unter der Bezeichnung The Wheatley Review of Libor zu leiten. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden am 10. August 2012 in Form eines Diskussionspapiers7) sowie am 28. September 2012 als finale Fassung8) des Berichts veröffentlicht. Der Bericht enthält die folgenden zehn Empfehlungen, welche die Basis für weitere Reformvorschläge bilden.

1. Die FCA sollte die Verwaltung und Ermittlung des Libor regulieren und versuchen, Manipulationen unter Strafe zu stellen.

2. Die BBA sollte die Verantwortung für die Verwaltung und Ermittlung des Libor ordnungsgemäß an einen neuen Administrator abgeben, der von einem unabhängigen Ausschuss bestimmt werden sollte.

3. Der neue Administrator für den Libor sollte die gemeldeten Zinssätze beobachten und die Effektivität des Libor überprüfen.

4. Für die Panelbanken sollten neue Verhaltensregeln (Code of Conduct) formuliert werden, die von der FCA genehmigt werden.

5. Der Libor sollte so weit wie möglich durch Transaktionsdaten bestätigt werden. 6. Die Anzahl der Währungen und Laufzeiten des Libor sollte reduziert werden.

7. Die gemeldeten Zinssätze der einzelnen Panelbanken sollten nach drei Monaten veröffentlicht werden.

8. Die Regierung sollte der FSA die Möglichkeit geben, Panelbanken zu einer Meldung zu zwingen.

9. Die Marktteilnehmer sollten überlegen, ob der Libor der beste Referenzzinssatz für ihre Zwecke ist, und sicherstellen, dass ihre Verträge praktikable Alternativen enthalten.

10. Die britischen, europäischen und internationalen Regulierungsbehörden sollten klare Prinzipien für globale Benchmarks formulieren.

Am 8. November 2012 reagierte die BBA auf die sechste Empfehlung des Wheatley Review und schlug als Sofortmaßnahme den Wegfall von fünf Währungen (AUD, NZD, DKK, SEK, CAD) und neun Laufzeiten (2W, 2M, 4M, 5M, 7M, 8M, 9M, 10M, 11M) mit einem konkreten Zeitplan vor.9) Dieser Vorschlag wurde mit einer Ausnahme zwischen dem 1. März 2013 und dem 3. Juni 2013 umgesetzt. Die Laufzeit von zwei Monaten wurde beibehalten. Nach der Reduzierung der Währungen und Laufzeiten verbleiben fünf Währungen (Euro, US-Dollar, GBP, JPY, CHF) und sieben Laufzeiten (overnight, 1W, 1M, 2M, 3M, 6M, 12M). Jetzt sind am jedem Handelstag statt 150 Libor-Werte nur noch 35 Libor-Werte zu ermitteln.

Am 25. Februar 2013 beauftragten das britische Finanzministerium und die FCA gemäß der zweiten Empfehlung des Wheatley Review einen Ausschuss, den sogenannten Hogg Tendering Advisory Committee for Libor, damit, einen neuen Libor-Administrator auszuwählen. Am 9. Juli 2013 kündigte der Ausschuss an, dass Anfang 2014 die Verantwortung für den Libor an die Nyse Euronext Rate Adminis tration Limited (später umbenannt in ICE Benchmark Administration Limited (IBA) als Teil der Börsengruppe Intercontinental Exchange (ICE) Group) übergeht. Am 3. Februar 2014 übernahm die IBA von der BBA die Rolle als Administrator des Libor.

Erste Reformen des Euribor

Am 5. September 2012 publizierte die Europäische Kommission ein Diskussionspapier zur Regulierung von Indizes in Europa.10) Der Prozess der Euribor-Reformen wurde informell als Euribor Consultation bezeichnet. Später schalteten sich die European Banking Authority (EBA) in London und die European Securities and Markets Authority (ESMA) in Paris ein und veröffentlichten am 6. Juni 2013 einen gemeinsamen Bericht mit Empfehlungen.11)

Der Euribor-Administrator Euribor-EBF übernahm mit zeitlicher Verzögerung einige Libor-Reformen auf den Euribor. Im Fokus stand zunächst der Wegfall von kaum gehandelten Laufzeiten. Von ursprünglich 15 Laufzeiten wurden sieben Laufzeiten gestrichen. Übrig blieben die acht Laufzeiten 1W, 2W, 1M, 2M, 3M, 6M, 9M und 12M. Der Vorschlag wurde im April 2013 lanciert und im November 2013 umgesetzt. Danach ging es um eine Reform des Administrators selbst. Ziel war es, diverse Regeln und Prozeduren im Rahmen des Euribor Code of Conduct und des Code of Obligations for Panel Banks umzusetzen und die Transparenz der Referenzzinsermittlung und der Abläufe zu erhöhen. Um die Veränderungen zu unterstreichen, hat sich die Euribor-EBF am 20. Juni 2014 in European Money Markets Institute (EMMI) umbenannt. Im Juli 2014 wurde die tägliche Berechnung der Euribor-Zinssätze an den neuen Calculation Agent Global Rate Set Systems Limited (GRSS) ausgelagert.

Tabelle 4 fasst die Eckpunkte der Referenzzinsermittlung nach Umsetzung der ersten Reformschritte zusammen. Im Zuge dieser Veränderungen und vor dem Hintergrund der sehr hohen Bußgelder für Fehlverhalten hat sich der Euribor Panel sehr verkleinert. Man kann von einem Exodus der Panelbanken sprechen: Von einst bis zu 44 Panelbanken bleiben derzeit nur 24 Panelbanken übrig.

Weitere Reformschritte

Der Euribor-Administrator EMMI orientiert sich an den Empfehlungen des Financial Stability Board (FSB). EMMI arbeitet seit 2014 am einer neunen Benchmark namens Euribor+, die sich auf Transaktionsdaten stützen soll.12) Am 30. Oktober 2015 wurde ein detailliertes EMMI-Konsultationspapier zum Projekt Euribor+ veröffentlicht.13) In Übereinstimmung mit den Empfehlungen des FSB sollen weitere Reformschritte bewirken, dass

- Manipulationsmöglichkeiten minimiert werden,

- (so weit machbar) eine Verbindung zu beobachtbaren Transaktionen hergestellt wird und

- die Benchmark auch im Falle von Marktverwerfungen robust ist.

Die Entwicklung des Euribor+ wurde in zwei Phasen aufgeteilt:

- Formulierung einer robusten und zuverlässigen Ermittlungsmethode für Euribor+ auf der Basis von Transaktionsdaten. Dieses Teilprojekt ist bereits abgeschlossen. Da künftig die Euribor-Zinssätze transaktionsbezogen ermittelt werden sollen, ist eine weitere Reduzierung der Laufzeiten auf dann nur noch fünf Laufzeiten (1W, 1M, 3M, 6M, 12M) vorgesehen.

- Planung der Implementierung des neuen Ermittlungsprozesses (insbesondere Planung des Übergangs vom Euribor auf den Euribor+). EMMI beabsichtigt die Einführung des Euribor+ zum 4. Juli 2016 mit einem "fließenden Übergang" von der bisherigen Euribor-Benchmark.

Folgen der Zinsmanipulation

Auch der Libor-Administrator IBA hat auf die Empfehlungen des FSB reagiert und am 20. Oktober 2014 ein Positionspapier mit Verbesserungen des Libor veröffentlicht.14) Ein Zwischenstand zum Feedback wurde am 30. April 2015 publiziert.15) Am 31. Juli 2015 folgte ein zweites Positionspapier16) und am 14. Dezember ein Feedback-Statement17), um weitere Details zu klären. IBA wird demnächst bekannt geben, welche Reformen implementiert werden. Die Umsetzung ist für das Jahr 2016 vorgesehen.

Neben den geschilderten organisatorischen Veränderungen bei der Verwaltung und Ermittlung von Referenzzinsätzen haben die aufgedeckten Zinsmanipulationen weitere Folgen:

Rechtliche Aufarbeitung und Sanktionierung von involvierten Finanzinstituten und Personen: Bezüglich der rechtlichen Aufarbeitung der Zinsmanipulationen und der Sanktionierung der Panelbanken erscheint der Prozess fortgeschritten. Allerdings sind die bisher geschlossenen Vergleiche (hohe Geldbußen/Vergleichszahlungen durch einige beschuldigte Finanzinstitute und strafrechtliche Anklagen gegen Drahtzieher) nicht frei von Kritik. Es werden Kronzeugenregelungen eingesetzt und Bußgelder als Ergebnis von langen Verhandlungen vereinbart. Ein signifikanter Eingriff in die Geschäfte und Abläufe der beschuldigten Panelbanken oder eine Absetzung von Entscheidungsträgern durch die Aufsichtsbehörden war bislang kein Thema.

Gestiegenes Interesse von Regulierungsbehörden für das Thema Preismanipulation: Die 2012 durch den Wheatley Review of Libor angestoßenen und umgesetzten Reformen der Referenzzinsätze bezogen sich auf die Verwaltung und Ermittlung des Libor und des Euribor.

Der Reformprozess läuft unter einer erhöhten Aufmerksamkeit der Aufsichtsbehörden weltweit weiter. Regulierungsbehörden und andere Organisationen interessieren sich vermehrt für das Thema Preismanipulation am Finanzmarkt und arbeiten an Empfehlungen für weitere Reformen in Bezug auf Financial Benchmarks. Mit weiteren Reformschritten sollen erneute Manipulationen verhindert oder zumindest erschwert werden. Auf internationaler Ebene hat die International Organization of Securities Commissions (IOSCO), die Vereinigung von Börsenaufsichtsbehörden, zwischen Januar 2013 und Februar 2015 unter der Bezeichnung "Principles for Financial Benchmarks" eine Reihe von Diskussionspapieren, Berichten mit Empfehlungen und Updates zum Stand der Umsetzung veröffentlicht.18) Ebenfalls auf globaler Ebene hat sich der FSB mit dem Bericht "Reforming Major Interest Rate Benchmarks" am 22. Juli 2014 positioniert.19) Die Europäische Kommission hat am 18. September 2013 einen Vorschlag für eine EU-Verordnung über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Benchmark verwendet werden, unterbreitet.20) Die EU-Verordnung ist noch nicht verabschiedet worden.

Ausweitung der Ermittlungen auf andere Finanzmarktsegmente: Seit 2014 werden Manipulationen in weiteren Finanzmarktsegmenten untersucht. Im November 2014 und Mai 2015 vereinbarten im Zusammenhang mit Manipulationen am Devisenmarkt einige Banken (Citigroup, HSBC, JP Morgan Chase, Royal Bank of Scotland, UBS, Barclays Bank und Bank of America) Vergleichszahlungen in Milliardenhöhe mit Ermittlungsbehörden in den USA, in Großbritannien und in der Schweiz. Die Europäische Kommission hat ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Auch bezüglich einer Manipulation des Goldpreises wird ermittelt. Als erste Bank musste Barclays Bank im Mai 2014 ein Bußgeld in Millionenhöhe an die FCA zahlen.

Anstrengungen in Richtung Reformen

Referenzzinssätze sind für Manipulationen anfällig. Sie deswegen abzuschaffen, ist keine Lösung. Investoren, Emittenten und Händler am Finanzmarkt werden weiterhin Referenzzinsätze als zentrale Benchmarks für Finanzinstrumente benötigen. Die Anstrengungen der Banken, der Verbände und der Aufsichtsbehörden laufen alle in Richtung Reformen. Es ist zu erwarten, dass der Themenkomplex rund um Financial Benchmarks die Finanzwelt die kommenden Jahre weiterhin beschäftigen wird.

Quellen

Abrantes-Metz, Rosa/Kraten, Michael/Metz, Albert D./Seow, Gim S. (2012): Libor manipulation, in: Journal of Banking and Finance, Vol. 36 (2012), S. 146-150, URL: http://floatingpath.wpengine. netdna-cdn.com/wp-content/uploads/2012/07/libor_manip_paper.pdf.

Bächstädt, Karl-Heinz/Pietrzak, Michael (2012): Manipulationen von LIBOR und EURIBOR - Referenzzinsätze auf dem Prüfstand, in: Kredit & Rating Praxis, Ausgabe 5/2012, S. 19-23, URL: http://www.informath.org/media/a72/b3/c125.pdf.

British Bankers' Association (Hrsg.) (2012): Strengthening LIBOR - proposal to implement recommendation number 6 of "The Wheatley Review of LIBOR", November 2012.

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ICE Benchmark Administration Limited (Hrsg.) (2015a): Evolution of ICE LIBOR Feedback Statement, 30 April 2015, URL: https://www.theice.com/publicdocs/futures/IBA_LIBOR_Feedback_Evolution_Statement.pdf.

ICE Benchmark Administration Limited (Hrsg.) (2015b): Second Position Paper on the Evolution of ICE LIBOR, 31 July 2015, URL: https://www.theice.com/publicdocs/ICE_LIBOR_Second_Position_Paper.pdf.

ICE Benchmark Administration Limited (Hrsg.) (2015c): Feedback Statement on the evolution of ICE LIBOR, 14 December 2015, URL: https://www. theice.com/publicdocs/futures/IBA_LIBOR_Feedback_Evolution_Statement_20151214.pdf.

International Organization of Securities Commissions (Hrsg.) (2013): Principles for Financial Benchmarks - Final Report, July 2013, URL: https://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD415.pdf.

International Organization of Securities Commissions (Hrsg.) (2015): Review of the Implementation of IOSCO's Principles for Financial Benchmarks, February 2015, URL: https://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD474.pdf.

Mollenkamp, Carrick (2008): Libor Fog - Bankers Cast Doubt On Key Rate Amid Crisis, in: Wall Street Journal, 16 April 2008, URL: http://www.wsj.com/articles/SB120831164167818299.

Mollenkamp, Carrick/Whitehouse, Mark (2008): Study Casts Doubt on Key Rate, in: Wall Street Journal, 29 May 2008, URL: http://www.wsj.com/articles/SB121200703762027135.

Snider, Connan/Youle, Thomas (2010): Does the LIBOR reflect banks' borrowing costs, 2 April 2010, URL: http://www.econ.umn.edu/~youle001/libor_4 _01_10.pdf.

Wall Street Journal (2015): Convenience Translation of the Audit report for the LIBOR special audit by Ernst & Young dated 31 March 2015, Version mit Kommentaren des Wall Street Journal, URL: http://graphics.wsj.com/documents/doc-cloud-embedder/?sidebar=1#2167237-deutsche.

Fußnoten

1) Vgl. Financial Stability Board (2014), S. 10.

2) Vgl. Bächstädt/Pietrzak (2012), S. 19 und HM Treasury (2012a), S. 10.

3) Aktuelle Libor-, Euribor- und Eonia-Werte findet man zum Beispiel unter www.global-rates.com.

4) TARGET: Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer.

5) Vgl. Diehl (2013), S. 2.

6) Vgl. Deutsche Bank (2015) und Wall Street Journal (2015).

7) Vgl. HM Treasury (2012a).

8) Vgl. HM Treasury (2012b).

9) Vgl. British Bankers' Association (2012), S. 5.

10) Vgl. European Commission (2012).

11) Vgl. European Securities and Markets Authority/ European Banking Authority (2013) und European Securities and Markets Authority/European Banking Authority (2014).

12) Vgl. European Money Markets Institute (2014).

13) Vgl. European Money Markets Institute (2015).

14) Vgl. ICE Benchmark Administration Limited (2014).

15) Vgl. ICE Benchmark Administration Limited (2015a).

16) Vgl. ICE Benchmark Administration Limited (2015b).

17) Vgl. ICE Benchmark Administration Limited (2015c).

18) Vgl. International Organization of Securities Commissions (2013) und International Organization of Securities Commissions (2015).

19) Vgl. Financial Stability Board (2014).

20) Vgl. European Commission (2013).

Prof. Dr. Jochen Beißer , Professor für Finanzwirtschaft, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
Prof. Oliver Read , CFA, Professor für Finanzierung und Prodekan, Hochschule RheinMain, Wiesbaden

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