Mehr Frauen in Führungspositionen - eine Aufgabe der Politik?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut Foto: WM Baden-Württemberg

Obwohl durch die jahrelangen politischen Bemühungen die Erwerbsbeteiligung und die Qualifikation von Frauen kontinuierlich ansteigen, sind Frauen weiterhin in fast allen Betriebsgrößenklassen und in allen Branchen auf den Führungsebenen unterrepräsentiert. Generell sieht die Autorin jedoch seit Inkrafttreten des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (FüPoG) den Kulturwandel in den Unternehmen beschleunigt und neue Karrierewege für Frauen wurden eröffnet. Handlungsbedarf sieht sie weiterhin dort, wo keine feste Quote gilt und auf die Selbstbestimmung der Unternehmen gesetzt wird. Die betriebliche Personalpolitik ist laut der Autorin ein Schlüsselbereich um eine Chancengleichheit herzustellen. Darunter sind die gezielte Förderung des weiblichen Nachwuchses durch Mentoring-Programme, Karriereplanung, die Unterstützung von internen Frauennetzwerken und Zielvereinbarungen. Doch sie sieht es auch als eine Aufgabe der Frauen, sich von alten Rollenmustern zu lösen und Aufstiegswillen zu entwickeln. (Red.)

Die Besetzung von Führungspositionen in der Wirtschaft als Aufgabe der Politik? Die Fragestellung mag - in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung - befremdlich erscheinen oder wenigstens überraschen. Andererseits ist sie offenbar nicht zu weit hergeholt, sonst würde sie nicht gestellt. Aufgabe der Politik, weil es die (soziale) Marktwirtschaft selbst nicht zu regeln vermag, den Anteil von Frauen in Führungspositionen so zu steigern, dass es ihrem Anteil in der Gesellschaft entspricht? Eine Art Marktversagen also? Schauen wir zunächst auf die Fakten. Politik sollte - vielzitiert - ja mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnen.

Frauen in Führungspositionen ...

Chancengleichheit, Vielfalt und die Erhöhung des Frauenanteils im Management sind ein wichtiges politisches und insbesondere auch ein wirtschaftspolitisches Ziel, um alle Potenziale für unsere Gesellschaft zu erschließen und weiterhin wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Bis hierhin dürfte kaum jemand widersprechen. Und so steigt seit vielen Jahren die Erwerbsbeteiligung ebenso wie die Qualifikation der Frauen auch kontinuierlich an: 2017 waren in Baden-Württemberg 46 Prozent aller Beschäftigen Frauen.

Dennoch zeigen sich nach wie vor deutliche Unterschiede bei den Erwerbsmustern und -verläufen von Männern und Frauen. Das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung Tübingen (IAW) hat 2017 im Auftrag des Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau eine Sonderauswertung zum Thema "Betriebliche Beschäftigungsentwicklung und betriebliches Einstellungsverhalten" in Baden-Württemberg durchgeführt. Danach zeichnete sich 2016 zwar eine erfreuliche Steigerung des Anteils weiblicher Führungskräfte auf nunmehr 27 Prozent in der obersten Ebene und auf 40 Prozent in der zweiten Führungsebene im Jahr ab. Allerdings sind Frauen weiterhin in fast allen Betriebsgrößenklassen und in allen Branchen auf den Führungsebenen unterrepräsentiert.

... und in Aufsichtsräten deutscher Unternehmen

Wendet man den Blick von der operativen Ebene hin zu den Aufsichtsräten, zeigt sich, dass hier die Zahl der Frauen in deutschen Unternehmen der Privatwirtschaft und der Öffentlichen Hand seit Inkrafttreten des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (FüPoG) im Mai 2015 deutlich gestiegen ist. In Baden-Württemberg sind derzeit von 222 Aufsichtsratsposten 72 mit Frauen besetzt, ein Anteil von 32,4 Prozent - und eine Steigerung von 14,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bundesweit liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen bei mittlerweile 30,9 Prozent - eine Steigerung von 9,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Die Zahlen zeigen, dass die Quote durchaus wirkt. Offenbar kann sie den Kulturwandel in den Unternehmen beschleunigen, neue Karrierewege für Frauen eröffnen und für mehr Vielfalt in Führungsgremien sorgen. Die Unternehmen profitieren durch mehr Perspektivenvielfalt und Kompetenzerweiterung. Gerade für die nachrückende Generation gut bis hervorragend qualifizierter Frauen ist es wichtig zu sehen, dass sich hier etwas bewegt. Konkrete Beispiele und Vorbilder zeigen, dass berufliche Erfolge bis in höchste Führungspositionen hinein möglich sind.

Alles gut also? Eher nicht. Handlungsbedarf besteht weiterhin dort, wo keine feste Quote gilt und auf die Selbstbestimmung der Unternehmen gesetzt wird. Dort bewegt sich zu wenig. Lediglich gut zwölf Prozent der Vorstandsmitglieder der 30 Dax-Konzerne sind weiblich. In Deutschland erreicht keines der großen Börsenunternehmen einen Frauenanteil von 30 Prozent im Vorstand. Mangelnde Qualifikation der Frauen ist keineswegs der Grund.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Nach wie vor müssen die Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter verbessert werden, um das Umfeld dafür zu schaffen, dass sich auch Frauen angemessen beruflich verwirklichen können. Aber familienbewusste Personalpolitik alleine führt noch nicht zu einer Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen. Sie ist eine notwendige, aber nicht zwingend hinreichende Bedingung dafür.

Maßnahmen zum Wiedereinstieg während und nach der Elternzeit oder Unterstützung bei der Kinder- oder Pflegebetreuung haben nach Untersuchungen des IAW überraschenderweise sogar einen negativen Einfluss auf die Präsenz und die Verbreitung von Frauen in Führungspositionen. Bislang verfestigen diese Maßnahmen sogar offenbar veraltete Rollenmodelle. Hier kommt mir ein Rat des früheren Chefvolkswirts der Deutschen Bank, Norbert Walter, in den Sinn. Er sagte zu diesem Thema einmal, man müsse an die Männer in den Chefetagen ran, die selber Töchter hätten, die beruflich Erfolg haben wollten. Wenn man diese Männer "knacke" und sie das Problem begriffen und ihr Verhalten änderten, dann würden es die Männer vielleicht insgesamt verstehen.

Maßnahmen zum Wiedereinstieg während und nach der Elternzeit oder Unterstützung bei der Kinder- oder Pflegebetreuung müssen sich daher an beide Geschlechter wenden. Noch mehr Männer müssen die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch zu einer sie selbst betreffenden Frage machen und dementsprechend partnerschaftliche Rollen in Beruf und Familie übernehmen. Es ist Zeit sich zu lösen von der Assoziation, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer nur mit Frauen zu verbinden! "Equal pay" - gleichwertige Einkommensperspektiven sind dabei übrigens auch ein wesentlicher Aspekt in der Abwägung, wer in Familienphasen beruflich pausiert und wer nicht. Solange diese Perspektiven nicht Realität sind, wird im Zweifelsfall wohl in der Mehrheit der Fälle das höhere Einkommen in einer Familie oder Partnerschaft dasjenige sein, auf das nicht verzichtet wird oder werden kann.

Veränderung der Unternehmenskultur erforderlich

Ein maßgeblicher Schlüssel, um Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen herzustellen, liegt also in der betrieblichen Personalpolitik. Die gezielte Förderung des weiblichen Nachwuchses durch Mentoring-Programme, Karriereplanung, die Unterstützung von internen Frauennetzwerken und vor allem Zielvereinbarungen haben eine positive Wirkung auf die Präsenz von Frauen in Führungspositionen. Insbesondere Betriebe, die sich hier engagieren, weisen einen besonders hohen Anteil an Frauen in der ersten Führungsetage auf.

Allerdings ist die unmittelbare und gezielte Förderung von Frauen durch derartige Maßnahmen in den Unternehmen sowohl in Baden-Württemberg als auch in Deutschland durch die Bank noch sehr schwach ausgeprägt. Nach wie vor engagieren sich nur zwei Prozent aller Betriebe aktiv für die Förderung ihrer weiblichen Beschäftigten. Gründe liegen vor allem in einer traditionellen Unternehmenskultur. Diese nachhaltig zu verändern, hängt entscheidend davon ab, dass sie von der Unternehmensleitung getragen und in der Unternehmensstrategie und Personalpolitik auf allen Ebenen systematisch verankert und umgesetzt wird.

Es hilft nichts, wenn das Topmanagement etwas vorgibt, das im mittleren Management oder Ebenen darunter nicht gelebt oder gar konterkariert wird. Es fängt an bei transparenten und kompetenzbasierten Rekrutierungs- und Besetzungsverfahren sowie systematischer Personalentwicklung. Und es hört mit flexiblen und vielfältigen Karrierewegen im Unternehmen nicht auf. Gut qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss es möglich sein - auch wenn sie phasenweise in Teilzeit arbeiten - den nächsten Karriereschritt machen zu können.

Es hilft auch überhaupt nichts, zwar Maßnahmen zum Wiedereinstieg und zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu unterstützen, aber gleichzeitig eine vollumfängliche Verfügbarkeit in Führungspositionen immer noch als wichtiges Besetzungskriterium anzusehen.

Diese Präsenzkultur stellt für alle, die Kinder oder pflegebedürftige Angehörige - deren Betreuung heute eben meistens noch die Frauen übernehmen - haben, immer noch oft eine große Hürde dar und ist in Zeiten der Digitalisierung und den sich mit ihr bietenden flexiblen Möglichkeiten der Arbeitswelt 4.0 auf vielen Arbeitsfeldern und in vielen Funktionen ohnehin überholt. Die agile Organisations- und Arbeitskultur erfolgreicher Start-ups kann hier den etablierten Unternehmen vielleicht hilfreiche Hinweise geben.

Diversity Management

Ein weiterer Baustein, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu steigern, ist die Verankerung einer nachhaltigen Diversity Management Strategie in der Unternehmenskultur. Ein Kerngedanke dabei ist, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem alle Beschäftigten ihre individuellen Potenziale und ihre Leistungsfähigkeit in einer von Offenheit und Integration gezeichneten Unternehmenskultur bestmöglich entfalten können.

Dazu gehören Personal- und Organisationsstrategien, die alle Potenziale (die der "Gen Z" bis hin zu denen der Babyboomer, von Müttern und Vätern, Mitarbeitern mit Pflegeverantwortung, Migranten, Flüchtlingen und Menschen mit Handicaps) in den Blick nehmen und zeitgemäße Beschäftigungsmodelle für die moderne Arbeitswelt entwickeln. Die Rede ist hier oft auch von "verteilter Intelligenz", deren Innovationspotenziale Unternehmen nutzen sollten. Notwendig ist dafür die Etablierung einer veränderten Führungs- und Unternehmenskultur als eine Kultur der Wertschätzung von Vielfalt. Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 brauchen letztlich auch eine Unternehmenskultur 4.0. Anders formuliert: auch Unternehmenskultur und Personalmanagement der meisten Unternehmen könnten Disruption wohl gut gebrauchen.

Ein gutes Diversity Management bietet gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen eine enorme Chance, das wirtschaftliche Erfolgspotenzial, die Steigerung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit zum Beispiel durch strategisches Generationenmanagement, moderne Führungsmodelle sowie interkulturelle und interdisziplinäre Teams zu erhöhen. Und gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die Untersuchungen zufolge in der Innovationsdynamik gegenüber den Großen zurückfallen, sollten alle Hebel in Bewegung setzen, um ihre Innovationsdynamik zu verbessern.

Die Erkenntnisse über die positiven Seiten des Diversity Managements dürfen dabei nicht graue Theorie bleiben, sondern sollten schnellstens und in der Breite ihren Weg in die Praxis finden. Denn eine Untersuchung der Charta für Vielfalt von 2016 belegt, dass Diversity Management in Deutschland immer noch am Anfang steht: Zwei Drittel der Unternehmen haben bislang noch keine Maßnahmen im Diversity Management umgesetzt. Warum nicht die nach außen gerichtete Empathie und Agilität, die Unternehmen durch personalisierte Produkte und Services im Zuge der Digitalisierung gerade erlernen, auch mit Blick nach innen auf die Bedürfnisse der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übertragen? Wie viel Potenzial ließe sich da schöpfen!

Auch wir Frauen können selbst etwas tun

Um in Führung zu gehen, müssen auch Frauen sich von alten Rollenmustern lösen und Aufstiegswillen und -kompetenz entwickeln. Wichtige Themen sind dabei Karriereplanung, Umgang mit Macht, Gehaltsverhandlungen und Selbstmarketing. Oft fehlt auch der Zugang zu und das strategische Nutzen von Netzwerken. Frauen müssen insbesondere auch digitale Kompetenzen erwerben und verstärkt MINT-Berufe wählen, wenn sie künftig auf Augenhöhe die Arbeitswelt mitgestalten wollen. Nicht zuletzt mit meiner Dialogreihe "Women Leadership Lunch" mit Spitzenfrauen aus baden-württembergischen Unternehmen versuche ich gemeinsam weitere Strategien zu entwickeln, um Frauen in Führungspositionen zu stärken und eine bessere Vernetzung voranzutreiben.

Zurück zur Eingangsfrage: Mehr Frauen in Führungspositionen - eine Aufgabe der Politik? Meine Antwort: Die Politik sieht diese Aufgabe und versucht sie auf verschiedenste Weise unterstützend zu lösen. Nicht zuletzt mein eigenes Haus durch diverse Programme.

Weitergehende staatliche Eingriffe allerdings sind nicht zielführend. "Springen" müssen die Unternehmen aus wohlverstandenem Eigeninteresse letztlich selbst. Im Bewusstsein, dass die Sicherung des Fachkräftepotenzials für das eigene Unternehmen zukünftig nicht leichter, sondern - demografisch gesehen - eher schwieriger werden dürfte. Wer seine Unternehmenskultur nicht ändert und mehr Frauen in Führungspositionen bringt, wird - "in the long run" - verlieren. Es ist letztlich eine Frage des Wettbewerbs, wer es erkennt und schafft, die Potenziale von Frauen zu fördern, voranzubringen und vermehrt in Führungspositionen einzusetzen. Oder wie es schon einmal zu recht hieß: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." So viel Markt darf und muss sein!

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut MdL, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart
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