Messung von Liquiditätsrisiken aus Einlagenabflüssen

Dr. rer. nat. Stefan Häfner, Foto: S. Röth/PwC

Die Messung der Liquiditätsrisiken aus Einlagenabflüssen ist nach Meinung der Autoren im Zuge der gestiegenen regulatorischen Vorgaben der Säulen I und II infolge der Finanzkrise besonders in den Fokus gerückt. Es sollte bei der Modellierung der dafür nötigen Liquiditätsablaufbilanz zwischen einer Risiko- und Stressbetrachtung unterschieden werden. Die Autoren weisen darauf hin, dass in der Praxis für die Risikobetrachtung tatsächlich beobachtete Zeitreihen verwendet werden sollten. Zudem halten sie es für wichtig, dass für eine ausreichende Datenqualität bei der quantitativen Risikomessung gesorgt wird. Da einzelne Stellschrauben enormen Einfluss auf die Ergebnisse haben können, sollten bestehende Einlagenmodellierungen überdacht werden und gegebenenfalls entsprechend nachjustiert werden.

Kundeneinlagen stellen bei vielen Banken ein zentrales Instrument für die Refinanzierung dar. Dementsprechend können mögliche Abzüge von Einlagen die Bank vor große Herausforderungen hinsichtlich ihrer Refinanzierung, Zahlungsfähigkeit (Liquiditätskomponente) sowie ihrer Refinanzierungskosten (Kapitalkomponente) stellen.

Aufgrund der für den Bankbetrieb zentralen Bedeutung der Messung und Steuerung von Liquiditätsrisiken finden entsprechende Vorgaben und Anforderungen an die Quantifizierung von Liquiditätsrisiken sowohl in der normativen als auch in der ökonomischen Perspektive Berücksichtigung.

Komplexe Anforderung

Es stellt sich sowohl die Frage nach einer qualitativen als auch einer quantitativen Analyse und darauf aufbauend nach einem an den Unternehmenszielen ausgerichteten Risikomanagement von potenziellen Einlagenabflüssen (in der Risiko und auch Stressbetrachtung). Dabei ist einerseits sicherzustellen, dass wesentliche Risikomerkmale berücksichtigt werden ("keine Unterschätzung der Risiken"), andererseits sollen aber auch möglichst viele reale Effekte im Hinblick auf eine angemessene Liquiditätssteuerung abgebildet werden ("keine massive Überschätzung der Risiken"). Die Komplexität besteht darin, einen Ansatz herzuleiten, der die Liquiditätsrisiken adäquat abbildet und gleichzeitig die aufsichtlichen Anforderungen erfüllt.

Strenges regulatorisches Umfeld

Die regulatorischen Vorgaben der Säulen I und II sind seit der Finanzkrise (2007 bis 2009) massiv angewachsen. Dadurch wurde insbesondere das Liquiditätsrisiko über verschiedene Anforderungen in den Fokus gerückt.

Die Abbildung der erwarteten zukünftigen Liquidität erfolgt in der ökonomischen Perspektive standardmäßig in Form einer LAB (Liquiditätsablaufbilanz).1) Dabei werden kumulierte Zahlungen (In und Outflows) im Zeitablauf dargestellt. Es werden sowohl sichere - in Höhe und Zeitpunkt bekannte - als auch unsichere - in Höhe oder Zeitpunkt unbekannte - Cashflows berücksichtigt.

Im Rahmen der LAB-Modellierung wird differenziert zwischen einer Risiko- und einer Stressbetrachtung. Die Risikobetrachtung berücksichtigt über das geplante Zahlungsprofil hinausgehende, moderate Liquiditätsrisiken. Die Stressbetrachtungen hingegen basieren auf "außergewöhnlich, aber plausiblen Annahmen"2), zum Beispiel in Form eines Bank Runs. Insbesondere für die Risiko und die Stress-LABs sind hierbei Parametrisierungen möglicher Einlagenabflüsse zu modellieren und mindestens regelmäßig zu validieren.3) Je höher dabei die Abflussfaktoren sind, desto mehr Refinanzierungs-Gaps können entstehen und desto mehr muss gegebenenfalls die Liquiditätsreserve beansprucht beziehungsweise liquidiert werden, um solche Gaps schließen zu können.

Die Liquiditätsreserve enthält beispielsweise Zentralbankreserven und hochliquide Wertpapiere. Im Stress könnten erhöhte modellierte Einlagenabflüsse dazu führen, dass die Überlebensdauer (survival period) ohne zusätzliche Refinanzierungsmaßnahmen nicht mehr dem Maßstab, der in der institutsinternen Limitsystematik festgelegt wurde, entspricht.

Valide Parameter notwendig

Die Quantifizierung von Liquiditätsrisiken aus Einlagenabflüssen betrifft darüber hinaus auch aufsichtliche Liquiditätsmeldungen und -Exercises. Beispielsweise für die Privatkundeneinlagen innerhalb der Liquidity Coverage Ratio (LCR)4) wurde vonseiten der Aufsicht ein Abflussintervall von 10 Prozent/15 Prozent (Meldezeile 60, Kategorie 1) beziehungsweise 15 Prozent/20 Prozent (Meldezeile 70, Kategorie 2) vorgegeben.

Die Aufgabe für die Institute besteht darin, einen validen Abflussparameter hinsichtlich eines Zeitraums von 30 Tagen innerhalb des jeweiligen Intervalls für diese beiden Meldepositionen zu bestimmen. Für die zu meldenden Maturity Ladder im Rahmen der Additional Monitoring Metrics (AMM) for Liquidity sind verhaltensorientierte Zahlungsströme 5), also erwartete Abflüsse aus Einlagen, die auf Basis ökonomischen Verhaltens ermittelt werden, auszuweisen. Dabei ist möglichst eine Konsistenz zur Modellierung der Einlagen in der LAB herzustellen.

Des Weiteren ist der ECB Liquidity Stresstest (LiST) 2019 6) hervorzuheben. Im Rahmen der Erstellung der Maturity Ladder sind erwartete Outflows aus Einlagen 7) für den "Business View" auszuweisen. Somit besteht die Herausforderung für die Institute darin, die Modellierungen und Parametrisierungen aus der LAB auf die Struktur des AMM-Bogens im Rahmen des LiST zu überführen.

Diese Vorgaben und Anforderungen unterstreichen die Relevanz des Themas Einlagenmodellierung im Rahmen des Liquiditätsrisikomanagements.

Risikomodellierung auf Basis echter Zeitreihen

Um die Quantifizierung der mit Einlagenabflüssen verbundenen Liquiditätsrisiken zu ermöglichen, ist a priori qualitativ festzulegen, welche Merkmale in die Risikomessung einfließen und zwischen welchen Merkmalen differenziert wird. Für die Risikobetrachtung werden in der Praxis tatsächlich beobachtete Zeitreihen von Einlagenbeständen des betrachteten Instituts verwendet.8)

Die Differenzierung betrifft beispielsweise verschiedene Kundengruppen wie Privatkunden, Firmenkunden, öffentliche Einrichtungen und institutionelle Anleger sowie auch Produkttypen wie Sichteinlagen, Spareinlagen und Termineinlagen. Gemäß MaRisk, BTR 3 (09/2017) und der BCBS-Guideline 144 "Principles for Sound Liquidity Risk Management and Supervision" (2008) sind solche Differenzierungen bei der Modellierung und Parametrisierung vorzunehmen. Dementsprechend sollen verschiedene Abflussparameter für verschiedene Cluster wie Kombination einzelner Kundengruppen oder Produkttypen bestimmt werden.

Würden die Risikogrößen beispielsweise additiv über alle Cluster angesetzt werden, würden real beobachtete Synergieeffekte wie die Kündigung eines Sparbuchs und Auszahlung des Betrags auf ein Girokonto innerhalb des gleichen Instituts oder Begleichung der Forderung aus einer Kreditkarteninanspruchnahme mit dem zugehörigen Girokonto als Einlagenabfluss in die Risikomessung mit einfließen. Im ersten Fall würde sich der Bestand an Spareinlagen, im zweiten Fall der Bestand an Sichteinlagen reduzieren.

Durch den additiven Ansatz könnte in der Risikobetrachtung hingegen das Risiko tendenziell überschätzt werden, sofern keine weiteren Korrelationseffekte analysiert würden. Würde die Risikomessung dagegen auf Basis von nur einer Zeitreihe erfolgen - die sämtliche Produkttypen enthält - würden zwar die oben genannten Synergieeffekte Berücksichtigung finden, allerdings wäre damit die aufsichtliche Anforderung einer ausreichenden Differenzierung/Clusterung nicht mehr gewährleistet.

Mindestanforderungen an Datensätze

Ein Beispiel für mögliche Korrelationseffekte in der normativen Perspektive betrifft die Quantifizierung von Abflussfaktoren für die LCR Meldezeilen 60 und 70 (vergleiche Seite 32). Hierbei könnten Einlagen aufgrund der Über-/Unterschreitung von Schwellwerten oder der Erfüllung einzelner Kriterien (etwa einer "etablierten Geschäftsbeziehung") an unterschiedlichen Stichtagen in unterschiedlichen Meldezeilen ausgewiesen werden, wodurch eine Reduktion des Betrags in der Meldeposition nicht unbedingt auf einen Einlagenabfluss zurückzuführen ist. Neben den beschriebenen Synergieeffekten sind auch Spezifika der Zeitreihen in der Analyse zu berücksichtigen, insbesondere Zyklen und Muster.

Zudem ist auch qualitativ festzulegen, welche Mindestanforderungen Datensätze hinsichtlich der quantitativen Risikomessung vorweisen müssen. Dies betrifft bei Zeitreihen vor allem den Betrachtungszeitraum und die Granularität. Bei Letzterem bieten sich Daten auf Bankarbeitstagbasis an, um das Analysepotenzial zu erhöhen.9)

Anhand der vorliegenden Daten, die sich aus der qualitativen Analyse ergeben, wird ein Risikomaß für die Quantifizierung eines möglichen Einlagenabflusses abgeleitet. Zunächst wird der Datensatz auf Auffälligkeiten (insbesondere Ausreißer) hin analysiert und gegebenenfalls bereinigt. Bedingung ist, dass die ermittelten Auffälligkeiten erklärbar sind und kein reales Risikomerkmal wie ein Einlagenrückgang infolge des Verkaufs eines Teilinstituts darstellen. Darüber hinaus können die Zeitreihen trendbereinigt werden, beispielsweise via linearer Regression. Bei wachsenden Einlagenbeständen ergibt sich so ein konservatives Vorgehen.10)

Des Weiteren ist ein Messansatz zu wählen. Hier ist der prozentuale Worst-Case Abfluss aus der Historie ein mögliches konservatives Risikomaß. Dabei werden, für unterschiedliche Zeiträume beziehungsweise Berechnungsstützstellen (je nach Scope zum Beispiel 1 Tag, 1 Woche, 1 Monat, ..., 1 Jahr, ...) die dem Betrag nach maximalen negativen relativen Bestandsveränderungen (Abflüsse) innerhalb des jeweiligen Zeitraums gemessen. Weitere, weniger konservative Risikogrößen könnten beispielsweise auch mithilfe eines Value-at-Risk (VaR)11) oder Expected Shortfall ermittelt werden.

Für die Abbildung der resultierenden Abflussrisiken innerhalb der Risiko LAB kann beim additiven Ansatz die Summe über alle Cluster aus dem jeweiligen Produkt des Einlagenbestands mit dem zugrunde liegenden Risikofaktor (abhängig von der Stützstelle) herangezogen werden. Im Hinblick auf die Abflussquantifizierung für Zeitpunkte zwischen den Stützstellen bietet sich ein linearer Ansatz an. Die Risikomessmethodik ist wie in Abbildung 2 erwähnt sowohl auf qualitativer als auch quantitativer Ebene regelmäßig zu validieren.

Empirische Analyse mit verschiedenen Ansätzen

Im Rahmen einer empirischen Analyse werden im Folgenden verschiedene Messansätze für die Quantifizierung von Liquiditätsrisiken aus Einlagenabflüssen betrachtet. Dabei sollen einerseits die aufsichtlichen Anforderungen des Risikomodells berücksichtigt werden. Andererseits wird die Adäquatheit des Messansatzes dem Implementierungsaufwand gegenübergestellt; insbesondere werden Einsparpotenziale gegenüber Modellen mit Tendenz zur Überschätzung von Liquiditätsabflüssen aufgezeigt. Die der Analyse zugrunde liegende Grundgesamtheit umfasst ausschließlich Sicht- und Spareinlagen von Privat- und Firmenkunden, abgetragen je Bankarbeitstag über einen Zeitraum von drei Jahren von Januar 2016 bis Dezember 2018.

Aus Abbildung 1 geht zum einen hervor, dass im Beobachtungszeitraum deutlich mehr Sicht- als Spareinlagen vorlagen. Zum anderen ist bei den Sichteinlagen ein starker positiver (liquiditätserhöhender) Effekt sowie bei den Spareinlagen ein negativer (iquiditätsmindernder) Effekt zu beobachten.

Im Kontext der Datenbereinigung wird sowohl die Zeitreihe der Sicht als auch der Spareinlagenbestände trendbereinigt.13)

Abbildung 2 stellt die tatsächliche Zeitreihe der Sichteinlagen und die trendbereinigte Variante dar. Die trendbereinigte Zeitreihe lässt sich interpretieren als die beobachteten Schwankungen der Bestände über den gesamten Beobachtungszeitraum unter der Prämisse, dass die Einlagen im Mittel auf dem Niveau des Endbestandes der Zeitreihe lagen. Dementsprechend stimmen die Datenpunkte der orangen und grauen Zeitreihe im letzten Datenpunkt überein.

Im Folgenden wird der geschätzte Liquiditätsabfluss auf Bankarbeitstagbasis nach dem additiven und dem saldierten Ansatz (vergleiche Erläuterungen zu Abbildung 3) für das konstruierte Portfolio ermittelt und verglichen. Der saldierte Ansatz unterscheidet sich insofern von der additiven Methodik, als dass er gegenläufige Bestandsveränderungen kompensierend - und in diesem Fall weniger konservativ, dafür ökonomisch realistisch - berücksichtigt. Für die Ermittlung der relativen Abflüsse im Worst Case Fall werden ausgewählte Bankarbeitstage als Berechnungsstützstellen herangezogen.

Abbildung 3 stellt einen Ausschnitt der auf Basis der trendbereinigten Zeitreihen ermittelten Abflussfaktoren für einzelne Zeiträume und Einlagentypen dar. Sofern die Abflussfaktoren nicht streng monoton wachsend sind - zum Beispiel zwischen dem 1. und 6. Monat in der Zeile der Sichteinlagen -, bedeutet dies, dass innerhalb des dazwischenliegenden Zeitraums keine höheren Abflüsse gemessen wurden.

Normatives Stressszenario

Im Mittel resultiert für den additiven Ansatz im Hinblick auf die gesamten Einlagen ein relativer Abfluss in Höhe von circa 5,2 Prozent über ein Jahr (gegenüber 5,1 Prozent bei der Auswertung der gesamten Einlagen wie in Abbildung 1). Dies würde einer vergleichsweise geringen Mehrbelastung im Sinne eines höheren Risikoabschlags (Einlagenabzugs) in der Liquiditätsablaufbilanz in Höhe von etwa 50 Millionen Euro über ein Jahr entsprechen, bei einem gegebenen, hypothetischen Einlagenbestand von 50 Milliarden Euro. Der Korrelationskoeffizient von 0,3 zwischen den beiden trendbereinigten Zeitreihen weist zusätzlich darauf hin, dass es keine signifikanten, gegenläufigen Effekte zwischen Sicht und Spareinlagen gab, zum Beispiel Kündigung eines Sparkontos mit anschließender Auszahlung des Guthabens auf ein Girokonto innerhalb des gleichen Instituts. Hinsichtlich des beobachteten Abflusses innerhalb eines Monats ergibt sich im Vergleich bei der LCR zum Stichtag 31. Dezember 2018 ein durchschnittlicher Abflussfaktor in Höhe von 11,8 Prozent für das gleiche Teilportfolio. 14) Dies lässt sich darauf zurückzuführen, dass die LCR ein (normatives) Stressszenario darstellt, während die Abflussfaktoren in Abbildung 1 vielmehr einer Risikobetrachtung entsprechen.

Bei Betrachtung von Abbildung 1 werden weitere Spezifika deutlich. Während bei der Zeitreihe der Sichteinlagen regelmäßige zyklische Effekte zu erkennen sind, verhält sich die Zeitreihe der Spareinlagen eher monoton. Für die Zeitreihe der Sichteinlagen ist von monatlichen Zyklen auszugehen, bei denen gegen Ende eines Monats bei vielen Anlegern Gehaltseingänge verbucht werden (Ausschläge der Einlagen nach oben). Im Laufe des Monats reduzieren sich die Bestände dann wieder, bedingt beispielsweise durch Mietzahlungen und Kredittilgungen.

Abbildung 4 zeigt zur Veranschaulichung untermonatlicher Bestandsschwankungen für ausgewählte Kalendertage die Abflussfaktoren, die aus einzelnen Worst Ca se-Analysen resultieren - zum Beispiel welcher maximale relative Abfluss vom 10. eines Monats ausgehend beobachtet wurde. Nach dem oben beschriebenen additiven beziehungsweise saldierten Ansatz würde es zwar unterschiedliche Parameter/Risikoabschläge für unterschiedliche Zeitintervalle geben, allerdings würden diese Parameter für jeden vorliegenden Kalendertag angesetzt werden. Dies hätte zur Folge, dass zur Mitte eines Monats, nachdem der Sichteinlagenbestand im Vergleich zum Ende des Vormonats deutlich zurückgegangen ist, vom gleichen prozentualen Einlagenabzug der Kunden ausgegangen werden würde. Dadurch würden die Risikoabschläge tendenziell für den betrachteten Zeitraum überschätzt werden, da die Worst Case Abflüsse von Zeitpunkten ausgehend gemessen werden, bei denen die Einlagen Höchstbestände erreicht hatten.

Keine starken Schwankungen bei Spareinlagen

Erwartungsgemäß schwanken die täglich ermittelten Abflussfaktoren innerhalb eines Kalendermonats sehr stark bei den Sichteinlagen. Der maximale Wert in Höhe von 6 Prozent zum Monatsende entspricht jenem in Abbildung 1 für die Auswertung ohne Differenzierung zwischen Kalendertagen. Da bei den Spareinlagen keine starken Schwankungen resultieren, wird hierbei wegen des hohen Modellierungsaufwands auf eine Differenzierung zwischen den Kalendertagen verzichtet.

Abbildung 5 zeigt den prozentualen Einlagenabfluss nach dem additiven Ansatz, also das Verhältnis aus dem gesamten modellierten Einlagenabfluss und den gesamten betrachteten Einlagen, ohne und mit Differenzierung nach Kalendertagen auf Basis der trendbereinigten Zeitreihen. Für Spareinlagen liegen nach dem additiven Ansatz insgesamt 13 Abflussfaktoren (Anzahl der Stützstellen für die Zeiträume) vor, für die Sichteinlagen dagegen 13 Abflussfaktoren je Kalendertag, also insgesamt 403.

Modifizierter additiver Ansatz

An den jeweiligen Monatsenden führen beide Varianten zum gleichen Abfluss. An anderen Kalendertagen gibt es dagegen erhebliche Abweichungen. Im Mittel liegt der relative Abfluss basierend auf der Differenzierung mit mehr zugrunde liegenden Parametern bei etwa 3,1 Prozent (gegenüber 5,2 Prozent ohne Differenzierung der Kalendertage). Bei einem durchschnittlichen Einlagenniveau von 50 Milliarden Euro entspricht dies im Mittel einem Mehrabfluss/Einlagenabzug in der Risiko LAB in Höhe von über 1 Milliarde Euro15) über ein Jahr bei einer Modellierung ohne Differenzierung nach Kalendertagen.

Im Vergleich zwischen dem additiven und saldierten Ansatz (auf Basis nur einer Zeitreihe) ergeben sich auch unter Berücksichtigung einzelner Kalendertage keine signifikanten Unterschiede.

Zur Reduktion der Parameteranzahl für die Sichteinlagen ist auch eine "Bucketierung" der Kalendertage möglich, wodurch einzelne Kalendertage zu einem Bucket mittels maximalem Abflussfaktor in diesem Zeitraum zusammengefasst werden würden. Zum Beispiel könnte ein Bucket die letzten Kalendertage eines Monats, bei denen die Abflussfaktoren deutlich höher sind als bei den anderen Tagen, zusammenfassen.

Der additive Ansatz kann entsprechend auf mehrere Produkttypen ausgeweitet werden, etwa unter zusätzlicher Berücksichtigung von Termineinlagen oder auch Kreditkartenlinienziehungen, wobei jeweils die Signifikanz von Korrelationseffekten analysiert werden sollte. Der Worst-Case-Ansatz entspricht im Übrigen aufgrund der Datenanzahl von insgesamt weniger als 1 000 in diesem Fall dem empirischen VaR zum Konfidenzniveau 99,9 Prozent.

Nur marginale Unterschiede

Durch diesen modifizierten additiven Ansatz mit erhöhtem Modellierungsaufwand werden einerseits verschiedene Spezifika wie Einlagentyp und zugrunde liegender Stichtag berücksichtigt. Anderseits resultiert daraus eine adäquate und zugleich robuste Risikogröße für die interne Liquiditätsrisikosteuerung.

Die in diesem Artikel betrachteten Daten werden in Bezug auf den Modellansatz zwischen einem additiven und einem saldierten Ansatz in der Risikoperspektive differenziert. Die mit dem jeweiligen Ansatz unterschiedlich ermittelten Abflüsse unterscheiden sich für die hier betrachteten Zeitreihen nur marginal.

In Bezug auf die Zeitreihenstruktur lässt sich jedoch feststellen, dass Sicht und Spareinlagen grundlegend verschiedene Bestandsentwicklungen aufzeigen. Insbesondere Sichteinlagen weisen einen monoton wachsenden Trend auf. Zudem lässt sich eine starke untermonatige Volatilität feststellen.

Unter Berücksichtigung des zyklischen Verhaltens der Sichteinlagen mithilfe einer Differenzierung der Ermittlung der Abflussfaktoren auf Tagesbasis lassen sich die erwarteten Abflüsse deutlich reduzieren und auf Basis eines fiktiven Einlagenbestands in Höhe von 50 Milliarden Euro ergibt sich eine Ersparnis von über 1 Milliarde Euro über ein Jahr. Der Effekt aus unterschiedlich ausgestalteten Risikomaßen spielt für die Daten hingegen eine untergeordnete Rolle.

Drei relevante Optimierungskomponenten

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Modellwahl im Rahmen der Bestimmung potenzieller Abflüsse aus Einlagen grundlegend sowohl auf die vorzuhaltende Liquiditätsreserve zur Abdeckung von Liquiditätsrisiken als auch auf die mit dem Liquiditätsrisikomanagement verbundene Kapital- und Kostenstruktur auswirkt. Die präsentierte empirische Analyse deckt wesentliche Herausforderungen im Modellierungsprozess auf und weist auf wichtige Stellschrauben - deren Veränderung enormen Einfluss auf die erzielten Ergebnisse haben kann - im methodischen Vorgehen hin. Der Ergebniseffekt aus der Veränderung der identifizierten Stellschrauben kann allerdings nicht verallgemeinert definiert werden, sondern ergibt sich individuell aus den zugrunde liegenden Daten. Es lassen sich jedoch drei Optimierungskomponenten abgrenzen, die für den Einlagenabflussmodellierungsprozess relevant sind: Modellierungsansatz, Zeitreihenstruktur und Risikomaß.

Hierbei gilt zu beachten, dass die Optimierung der benannten Komponenten grundsätzlich an ökonomischen Interessen ausgerichtet werden kann, der Entscheidungsspielraum jedoch durch diverse regulatorische Vorgaben determiniert wird. Dabei ist nochmals zu betonen, dass für den Zeitraum des ersten Monats beziehungsweise der ersten 30 Tage die für die LCR identifizierte (Stress )Abflussrate circa 7 Prozentpunkte über der ökonomischen Risikogröße liegt. Für die Modellierung des Stresses in der ökonomischen Perspektive liegt ein entsprechend niedriger Absprungpunkt vor; damit besteht eine gute Ausgangsposition, die Risiken in der ökonomischen Stressbetrachtung nicht zu überschätzen und die Steuerungswirkung von ökonomischer und aufsichtsrechtlicher Betrachtung so weit wie möglich miteinander abzustimmen. Die voranschreitende Verzahnung der Baseler Säulen I und II setzt somit Anreize, die bestehende Einlagenmodellierung zu überdenken und entsprechend nachzujustieren.

Fußnoten

1) Dies geht beispielsweise aus den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), BTR 3 (09/2017) hervor.

2) Vgl. "Leitfaden der EZB für den bankinternen Prozess zur Sicherstellung einer angemessenen Liquiditätsausstattung (Internal Liquidity Adequacy Assessment Process - ILAAP)", Grundsatz 7.

3) Siehe z. B. ILAAP Leitfaden, Grundsatz 6.

4) Bogen C73 (Outflows); Meldezeilen 60 & 70: Privatkundeneinlagen, die höheren Abflüssen unterliegen.

5) Meldezeile 1270: Behavioural ouflows from deposits (memorandum item).

6) Tabelle 4 (Maturity Ladder - Business View), Meldezeile 2370 2430 (contractual maturity items) & 2640-2700 (open maturity items).

7) Analog der Struktur der Meldezeilen des AMM C66-Bogens.

8) Für Stressszenarien sollten dagegen auch globale historische Effekte berücksichtigt werden wie z. B. der Bank Run bei der britischen Bank "Northern Rock" im Jahr 2007, insbesondere, wenn aus den Zeitreihen des Instituts ein solcher Stresseffekt nicht hervorgeht.

9) Eine solche Datengrundlage sollte u. a. auch im Hinblick auf die Erfüllung der Anforderungen aus den "Grundsätzen für die effektive Aggregation von Risikodaten und die Risikoberichterstattung" (BCBS 239) vorliegen.

10) Bei fallenden Einlagenbeständen dagegen führt eine Trendbereinigung grundsätzlich zu geringeren Risikogrößen. Hierbei könnte entweder auf eine Trendbereinigung verzichtet werden oder der ermittelte Trend separat in der Liquiditätsablaufbilanz modelliert werden, was zu einem höheren Implementierungsaufwand führen würde.

11) Zum Beispiel analog zu "ICAAP" zum Konfidenzniveau 99,9%, siehe "Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung - Neuausrichtung", 24. Mai 2018; abgerufen auf www.bafin.de

12) Für Anonymisierungszwecke werden die von einem Institut zur Verfügung gestellten und genutzten Daten in Relation zum gesamten Ausgangsbestand des letzten Datenpunktes gesetzt, das heißt, die Summe der beiden Anteile Ende 2018 beträgt 100 Prozent. Da alle Datenpunkte der gleichen Größe gegenübergestellt werden, gibt es bei relativen Abflüssen und Auswertungen keine Unterschiede der Ergebnisse im Vergleich zu den originalen Daten.

13) Aufgrund der dominierenden Sichteinlagen entspricht dies insgesamt einer konservativen Herangehensweise.

14) Die Produktaufgliederung und Laufzeitstruktur ist in der LCR eine andere als in Tabelle 1 dargestellt. Die Abflussrate von 11,8% für die LCR ergibt sich als gewichteter Durchschnitt über das Portfolio und die betreffenden Produkte.

15) Wie bereits erwähnt, ist dies abhängig vom jeweiligen Kalendertag. An Monatsenden gibt es hierbei keine bis wenig Abweichungen, untermonatlich dagegen sehr hohe.

Dr. rer. nat. Stefan Häfner Senior Associate, PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC), Düsseldorf
Dieter Lienland Senior Manager, PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC), Düsseldorf
Frank Marinkovic Senior Associate, PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC), Hamburg
Stefan Röth Senior Manager, PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC), Frankfurt am Main
Frank Marinkovic , Senior Associate, PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC), Hamburg
Dieter Lienland , Senior Manager, PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC), Düsseldorf
Dr. rer. nat. Stefan Häfner , Senior Associate, PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC), Düsseldorf
Stefan Röth , Senior Manager, PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC), Frankfurt am Main

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