Mobiles Bezahlen in Deutschland - Zukunft oder Illusion?

Dr. Andreas Martin, Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken

Quelle: BVR

Dr. Andreas Martin, Mitglied des Vorstands, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V., Berlin - Obwohl die technischen Voraussetzungen auf Basis der NFC-Technologie bereits weitgehend gegeben sind, steckt das mobile Bezahlen noch in den Kinderschuhen. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern: Bis 2020 erwartet der Autor weiterhin eine Dominanz des Bargelds und nur geringe Markanteilsgewinne des mobilen Bezahlens. Trotzdem dürfe die Kreditwirtschaft den Trend nicht verschlafen, denn gewisse Kundengruppen wollen die neuen Services nutzen. Die Rolle der Kreditwirtschaft, die sich bei modernen Bezahlverfahren auch gegen neue Wettbewerber wie weltweite Plattformen, Hardware-Hersteller und Mobilfunkbetreiber behaupten muss, sieht er nach wie vor in der Mittlerrolle zwischen Verbrauchern und Akzeptanten. Während die einen vor allem bequem, schnell und sicher bezahlen wollen, erwarten die anderen leichte Bedienbarkeit, die schnelle Abwicklung von Zahlungsvorgängen und ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis. Die besten Chancen sieht der Autor weiterhin in der gemeinschaftlichen Girocard, die sich über die Kontaktlosfunktion schon zum Piloten für das mobile Bezahlen entwickelt hat. Eine Revolution werde es aber nicht geben, vielmehr eine langsame und stetige Weiterentwicklung. (Red.)

Es gehört in unserer durch Innovation geprägten Zeit zum guten Ton, Fragestellungen mit einem mindestens mittelfristigen Ausblick zu verbinden. "Zukunft oder Illusion?" des mobilen Bezahlens ist so eine Fragestellung. Gleichzeitig sind wir jedoch alle in unseren Märkten damit konfrontiert, dass tagtäglich ein intensiver Wettbewerb um das Bezahlen im Handel und im E-Commerce tobt, der sich zunächst einmal auf die Zahlungsinstrumente und Technologien der Gegenwart bezieht. Um die Zukunft erfolgreich zu gestalten, gilt es daher die Gegenwart souverän zu meistern, und das heißt: kundenorientiert, performant und sicher.

Positive Prognose

Wie die aktuellen Zahlen des Euro-Handelsinstituts belegen, spielt das mobile Bezahlen jedenfalls bisher noch keine große Rolle: Der Anteil der mobilen und sonstigen Bezahlverfahren im Handel liegt gerade einmal bei 0,6 Prozent. Da ist selbst der Finanzkauf im Moment mit 2,5 Prozent noch besser positioniert. Führend bleiben das Bargeld mit 51,3 Prozent und die Kartenzahlung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen - als Debitkarte, als Kreditkarte, als Handelskarte und auch als kartengestützte ELV-Zahlung - mit zusammen 45,6 Prozent.

Aus diesen Potenzialen kann natürlich das mobile Bezahlen künftig schöpfen. Nach der Untersuchung der Initiative Deutsche Zahlungssysteme 2016 sagen immerhin 56 Prozent der 16- bis 29-Jährigen, dass sie offen für das kontaktlose Bezahlen per Mobiltelefon sind. Interessanterweise sieht man hier auch schon unterschiedliche Begriffe: mobiles Bezahlen auf der einen Seite (hier bleibt der Formfaktor noch offen), kontaktloses Bezahlen per Mobiltelefon auf der anderen Seite.

Für eine positive Prognose spricht eindeutig, dass die technischen Voraussetzungen weitgehend gegeben sind. Wir kennen ja aus der Geschichte des Zahlungsverkehrs die absolute Notwendigkeit, dass sich Ausgabe- und Akzeptanz-Infrastrukturen gleichgerichtet entwickeln müssen, damit sich Markterfolg einstellen kann. Hier sind wir auf Basis der NFC-Technologie bereits weit fortgeschritten: Die Mehrzahl der

POS-Terminals im deutschen Einzelhandel ist NFC-fähig und das Gleiche gilt für moderne Mobiltelefone.

Also wird ganz am Schluss der Kunde der entscheidende Faktor sein. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass es immer wieder einer Willenserklärung des Kunden bedarf, wenn er an der Ladenkasse steht, wenn er am häuslichen PC im E-Commerce unterwegs mit seinem Mobiltelefon online einkauft. Es ist eine Willenserklärung, welche Geldbörse er zückt, welche Karte er zückt, welches Zahlungsverfahren er in seiner mobilen Wallet wählt. Und er wird natürlich ganz klar danach entscheiden, welches Zahlverfahren ihm in der jeweiligen Situation den meisten Nutzen stiftet. Das wird entscheidend sein für die Kundenakzeptanz neuer Bezahlverfahren im Vergleich zu etablierten, "gelernten" Verfahren.

Anforderungen der Kunden und Zahlungsakzeptanten

Für den Markterfolg sind immer gleichermaßen die Kundenanforderungen der Verbraucher wie der Zahlungsakzeptanten maßgeblich. Es gibt Kundenanforderungen, die schlicht die Basis bilden, wie leichte intuitive Bedienbarkeit oder die rasche und zuverlässige Abwicklung von Zahlungsvorgängen. Auch ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis wäre für mich so eine Basisanforderung, die in jedem Fall gegeben sein muss.

Dann gibt es Anforderungen, die haben sehr viel mit Emotionen, mit Vertrauen zu tun: hohe und glaubhafte Sicherheit sowie Datenschutz. Und es finden sich Anforderungen, die sehr stark mit dem gewählten Medium zusammenhängen: Natürlich sollte ein mobiles Bezahlverfahren möglichst mit allen gängigen Smartphone-Typen funktionieren, ebenso mit allen relevanten Kommunikationsanbietern. Denn möchte sich der Kunde zur Nutzung eines bestimmten Bezahlverfahrens langfristig auf einen ganz bestimmten Mobilfunk-Typ oder auf einen ganz bestimmten Telekommunikationsanbieter festlegen lassen? Auch Mehrwerte wie Loyalty- und Couponing-Programme möchte der Kunde wohl letztlich übergreifend nutzen können.

Es ist also durchaus ein Mix von Kundenanforderungen, dem sich die Zahlungssysteme im Wettbewerb stellen müssen. Natürlich ist aus der Perspektive der deutschen Kreditwirtschaft das Zahlungsverfahren "Girocard" als Marktführer in Deutschland ganz besonders gefordert, sich neuen technologischen Entwicklungen zu stellen. 105 Millionen ausgegebene Karten, 796 000 angeschlossene Terminals, 2,93 Milliarden Girocard-Transaktionen im Jahr 2016 mit einem Wachstum von zuletzt 13 Prozent. Das sind Zahlen, die durchaus in anderen Volkswirtschaften auf anderen Kontinenten geradezu Euphorie auslösen würden. Und natürlich muss dieses System mit täglich 7 Millionen Kundenkontakten am POS ganz besonders darauf achten, neue Technologien so umzusetzen, dass sie von den Nutzern auch verstanden werden. Das heißt, auf geübten Verhaltensweisen aufzusetzen und das über viele Jahre aufgebaute Vertrauen in die sichere Abwicklung nicht zu gefährden. Bargeld ist hier immer noch die entscheidende Messlatte: Man weiß ganz einfach, dass es immer funktioniert.

Potenzial der kontaktlosen Girocard

Bargeld dominiert heute noch ganz klar bei Zahlungsbeträgen bis zu 50 Euro. In diesen Segmenten hat nun die neue kontaktlose Girocard auf NFC-Basis enormes Potenzial. Denn bei Beträgen unter 25 Euro entsteht ohne die sonst erforderliche PIN-Eingabe ein ganz neues Bequemlichkeitserlebnis beim Verbraucher und ein Schnelligkeitserlebnis beim Händler. Dass dies zu verstärkter Nutzung der Kartenzahlung führt, wissen wir aus unserem Pilotprojekt zum kontaktlosen Bezahlen in Kassel und Baunatal. Es gibt dort einzelne Verbrauchermärkte, in denen der Anteil der kontaktlosen Zahlungen unter 25 Euro inzwischen 30 Prozent beträgt. Kontaktloses Bezahlen über die Dual Interface Chipkarte ist dabei erst der Anfang, Girocard kontaktlos findet zurzeit gerade auch den Weg ins Smartphone. In Einsatzumgebungen, in denen die Transaktionen immer unter 25 Euro liegen, kann man dies mit vereinfachten Terminals verbinden, die auf ein PIN-Pad verzichten und damit auch besonders kostengünstig sind.

Wie das gesamte Girocard-System ist auch die kontaktlose Girocard ein Standard der deutschen Kreditwirtschaft, der von allen Verbandsbereichen getragen wird. In der Kartenausgabe sind zunächst die Sparkassen und Genossenschaftsbanken vorangeschritten. Mehr als 15 Millionen Girocards sind bereits im Markt, weitere mehr als 20 Millionen werden jeweils über die Hauptausstattungen 2017 und 2018 dazukommen.

Parallel steigt die Anzahl der ausgegebenen kontaktlosen Kreditkarten auch in der genossenschaftlichen Finanzgruppe unter Federführung der DZ Bank. Die Goldkarten als Premiumprodukte waren hier die Vorreiter.

Sehr erfreulich ist, dass diese Entwicklung auf der Ausgabeseite gleichzeitig auf hohes Interesse des Handels stößt. Die kontaktlose Funktion wird ausdrücklich begrüßt und geradezu mit Begeisterung terminalseitig eingeführt. Nahezu der gesamte Lebensmitteleinzelhandel ist inzwischen dabei, eine erste Mineralölgesellschaft und eine erste Drogeriemarktkette ebenfalls. Ganz wichtig ist, dass alle großen Netzbetreiber als Mittler zwischen Handel und Banken Girocard kontaktlos unterstützen.

Nächster Schritt: Girocard mobile

Dann ist der Schritt von Girocard kontaktlos zu Girocard mobile in der Tat nur noch ein kleiner. Auch hierfür liegen die Spezifikationen in der deutschen Kreditwirtschaft vor, die verschiedene technologische Ausprägungen unterstützen. Es besteht die Möglichkeit, die Girocard im SIM eines Mobiltelefons zu hinterlegen oder sie in eine Cloud-Lösung gemäß der HCE-Technik einzubringen, insbesondere für das Betriebssystem Android. Und es besteht die Möglichkeit, sie in einem Secure Element unterzubringen für das Betriebssystem iOS. Natürlich wäre es effizienter, wenn die NFC-Schnittstelle für alle Betriebssysteme verfügbar wäre, aber hier spielt auch eine Menge Strategie und Geschäftspolitik der Systemanbieter eine Rolle. Letztlich muss jede Bank, jeder kreditwirtschaftliche Bereich für sich entscheiden, welche Lösungen für den Rollout umgesetzt werden. Dabei werden dann auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen individuell zu betrachten sein.

Die genossenschaftliche Finanzgruppe hat bereits Erfahrungen mit Girocard mobile gesammelt. Seit Dezember 2016 testen Genossenschaftsbanken in Kassel und Baunatal gemeinsam mit Vodafone die SIM-Variante. Aufgrund der NFC-Technologie funktioniert das entsprechend ausgerüstete Smartphone bundesweit an allen kontaktlos ausgerüsteten Terminals. Und dabei ist es wiederum besonders bequem (und sorgt bei Kassenpersonal und Kunden für großes Interesse), Beträge unter 25 Euro mobil ohne PIN-Eingabe kontaktlos zu bezahlen. Gleichzeitig bereitet die genossenschaftliche Finanzgruppe die Einführung der HCE-Lösung vor, technisch bis Ende 2017, marktfähig 2018. Da die Sparkassen ähnliche Pläne verfolgen, werden wir im Jahre 2018 bereits sehr konkrete mobile Realisierungen im deutschen Markt sehen. Auch für die Kreditkarte arbeiten wir gemeinsam in der genossenschaftlichen Finanzgruppe mit der DZ Bank an einem Rollout für 2018.

Das Thema mobile Bezahlverfahren wäre ohne einen Blick auf die P2P-Verfahren nicht komplett behandelt. In der genossenschaftlichen Finanzgruppe ist diese Funktion als Bestandteil der VR-Banking-App im Menüpunkt "Geld senden und anfordern" umgesetzt. Sie ist damit in der Philosophie durchaus ein Vorgriff auf Instant Payments als künftige Funktionalität eines Girokontos und einer Banking-App. Unterhalb von 30 Euro können Transaktionen TAN-frei und komfortabel mit dem Smartphone auf den Weg gebracht werden. Der Wettbewerb in diesem Feld entwickelt sich dynamisch: Neben weiteren bankindividuellen Angeboten wird es eine entsprechende Funktion in Paydirekt, dem gemeinsamen Internetbezahlverfahren der deutschen Kreditwirtschaft, geben. Und natürlich reihen sich auch weltweite Plattformanbieter von Paypal bis Google in den Wettbewerb ein. Um mit diesen konkurrieren zu können, brauchen wir in der Kreditwirtschaft Interoperabilität und gemeinsame Standards, die durchaus auch gemeinsam mit neuen Zahlungsdiensten genutzt werden können.

Zurück zur Eingangsfrage: Ist mobiles Bezahlen Zukunft oder Illusion? Die Gegenwart hatte ich beschrieben. Die Zukunft sehe ich weder als Illusion noch als Revolution, sondern eher als Evolution. Das mobile Bezahlen als "Payment 3.0" - in Fortsetzung des Bargeld- und des Kartenzeitalters - wird bis 2020 moderat an Marktanteil gewinnen, vor allem zulasten des Bargeldes. Es wird Nutzer geben, die begeistert mobile Zahlverfahren in möglichst vielen Situationen einsetzen werden, es wird Nutzer geben, die solche Verfahren fallweise einsetzen werden und es wird eine große Zahl von Anhängern gewohnter kartengestützter Zahlungsverfahren geben.

Rolle der Kreditwirtschaft

Bleibt am Schluss die spannende Frage, welche Rolle die Kreditwirtschaft in diesem Umfeld spielen wird? Wird sie nur Zaungast sein? Wird sie nur Bereitsteller von Basisinfrastruktur sein? Wird sie nur Abrechnungsstelle gegenüber den Kunden sein? Sie wird es selbst in der Hand haben. Es gibt genügend Spieler in diesem Ökosystem, auch mächtige Spieler, weltweite Plattformen, Hardware-Hersteller, Mobilfunkbetreiber, die weltweiten Zahlungssysteme, die Betriebssystementwickler. Daneben wachen die Regulatoren und Notenbanken auch über neue Formen des Zahlungsverkehrs. Der Beitrag der Kreditwirtschaft kann vor allem darin bestehen, anerkannter und vertrauenswürdiger Mittler zwischen Verbrauchern und Akzeptanten zu sein. Es gilt auch künftig Bezahlverfahren bereitzustellen, die Sicherheit für beide Seiten genauso stiften, wie Effizienz für den Akzeptanten und Bequemlichkeit für den Verbraucher. Kontaktlose und mobile Bezahlverfahren, die je nach Kundenpräferenz in unterschiedlichen Formfaktoren abbildbar sind, weisen den Weg hierfür.

Wir haben uns jedenfalls in der genossenschaftlichen Finanzgruppe vorgenommen, den Zahlungsverkehr weiterhin als ein Geschäftsfeld zu sehen und nicht nur als eine Basisinfrastruktur, die wir anderen Marktteilnehmern zur Verfügung stellen, die darauf ihr Geschäftsmodell gründen.

Dieser Beitrag basiert auf einer Rede des Autors beim Zahlungsverkehrssymposium der Deutschen Bundesbank am 18. Mai 2017 in Frankfurt am Main.

Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Dr. Andreas Martin , Mitglied des Vorstands , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin
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