Nachhaltigkeitsdynamik birgt Herausforderungen

Alexander Schindler, Vorstand, Union Investment

Die nachhaltige Kapitalanlage ist ein äußerst dynamischer Prozess. Genau dies bringt erhöhte Anforderungen sowie Unsicherheit für Investoren mit sich, findet Alexander Schindler, Vorstandsmitglied von Union Investment. Dennoch müssen sich Anleger der Aufgabe stellen und diese aktiv angehen. Doch auch die Politik ist gefordert, damit die nachhaltige Transformation gelingen kann. Sie muss nach Meinung des Autors die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und für eine klare Taxonomie sorgen, ohne dabei neue Hindernisse für nachhaltiges Investieren aufzubauen. Er fordert zudem, dass dabei trotz der Aktualität der Debatte nicht nur der Umweltschutz im Fokus stehen sollte, sondern auch die Nachhaltigkeitsbereiche Soziales und Governance weiter berücksichtigt werden sollten. Doch trotz allem noch ungeklärten Rahmenwerks sollten Investoren nicht zu lange warten, bis sie nachhaltig investieren. (Red.)

Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage ist wahrlich kein neuer Trend. Schon vor rund dreißig Jahren begannen erste Investorengruppen in Deutschland, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Dennoch tun sich nicht wenige damit nach wie vor schwer. Gut ein Viertel der institutionellen Investoren berücksichtigt hierzulande in keiner Weise Nachhaltigkeitskriterien bei der Kapitalanlage. Dies ergab kürzlich die Nachhaltigkeitsstudie unseres Hauses.

Unterschiedliche Facetten

Die Gründe hierfür sind unterschiedlicher Natur, liegen jedoch zu einem Gutteil darin, dass es sich bei der nachhaltigen Kapitalanlage um einen von vielen als unscharf wahrgenommenen Begriff mit reichlich unterschiedlichen Facetten handelt. Und ein Blick zurück zeigt, dass sich die Begrifflichkeit in den vergangenen Jahren tatsächlich in verschiedenen Phasen definiert und weiterentwickelt hat.

In den neunziger Jahren wurde unter Nachhaltigkeit vor allem ethisches Investieren verstanden. Treiber dieses Verständnisses waren im Wesentlichen kirchliche Einrichtungen und Stiftungen, denen es darum ging, ihre Werte auch bei der Kapitalanlage zu berücksichtigen und beispielsweise nicht in Unternehmen zu investieren, deren Geschäftsmodell diesen Prinzipien zuwiderlief. In einer nächsten Phase wurde der Begriff dann vor dem Hintergrund öffentlichkeitswirksamer Unternehmensskandale um die Dimension der Governance erweitert. Gute Unternehmensführung galt fortan als wichtiger Prüfstein für die nachhaltige Bewertung von Wertpapieren. Dieser Schritt markierte gleichzeitig den Übergang zu einer dritten Phase. In deren Verlauf entwickelte sich die Erkenntnis, dass Nachhaltigkeitskriterien losgelöst von einzelnen und fallbezogenen ESG-Aspekten (Environment, Social, Governance) grundsätzlich einen Mehrwert für das Risikomanagement und damit für die Performance von Investoren darstellen können. Abseits ethischer und sozialer Motive rückte nun die ökonomische Dimension in den Vordergrund. Dieses Verständnis unterstützte maßgeblich die weitere Verbreitung nachhaltiger Investmentstrategien, indem es Investoren einen handfesten wirtschaftlichen Nutzen in Aussicht stellte.

Ökologische Dimension

Gegenwärtig hat die nachhaltige Kapitalanlage mit ihrer Fokussierung auf ökologische Aspekte und den Klimaschutz ein neues Stadium erreicht. Dieses konfrontiert Investoren mit extrem dynamischen Anforderungen einer ganz neuen Qualität. Der Grund hierfür liegt darin, dass mit der Politik nun ein weiterer und fordernder Player in die Diskussion eingetreten ist, der sich anschickt, die Spielregeln für Investoren zumindest teilweise neu zu definieren. Den Startschuss für diese Entwicklung gab das Pariser Klimaschutzabkommen vom Dezember 2015, mit dem die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius begrenzt werden soll. Bei der Umsetzung ging die Europäische Union mit erheblicher Zielstrebigkeit und Schnelligkeit ans Werk. Bereits im März 2018 legte die EU-Kommission ihren Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums in Europa vor, aus dem sich inzwischen verschiedene Maßnahmen im Legislativprozess befinden.

Geplant ist eine umfassende Reformierung des Finanzsystems, um privates Kapital in nachhaltigere Investitionen umzulenken. Und diese Neuordnung ist nur Mittel zum Zweck für die Erreichung eines größeren, übergeordneten Ziels: den nachhaltigen und CO2-neutralen Umbau der gesamten europäischen Wirtschaft. Diese fundamentale Transformation ist ein langfristiges Projekt, das Jahre in Anspruch nehmen und aller Erfahrung nach nicht immer geradlinig verlaufen wird. Für Investoren bedeutet dies zweierlei. Zum einen eine lange Phase der Unsicherheit, in denen die Rahmenbedingungen für Investments oftmals nicht hinreichend bestimmt sein werden. Zum anderen ist ein hohes Maß an Durchhaltevermögen gefragt. Denn die nachhaltige Kapitalanlage wird in Zukunft noch weniger der Sprint hin zu einer klar definierten Zielmarke sein, sondern vielmehr ein Marathonlauf mit ungewisser Streckenführung.

Nachhaltige Transformation ist in vollem Gange

Der Umbau der Wirtschaft und damit die Neubewertung von Geschäftsmodellen ist bereits in vollem Gange. Insbesondere Unternehmen, die durch CO2-Emissionen das Klima direkt oder indirekt stark belasten, werden ihre strategische Aufstellung überprüfen und geschäftspolitische Konsequenzen ziehen müssen. Doch nicht nur die Energie- und Automobilbranche sind betroffen. Ob Landwirtschaft, Gebäudewirtschaft, Wasserwirtschaft oder die Verkehrswirtschaft: Nahezu alle Bereiche werden sich umstellen müssen, wenn die ehrgeizigen klimapolitischen Ziele erreicht werden sollen. Für Investoren bedeutet dies Chancen und Risiken zugleich. Diese Feststellung klingt zunächst unproblematisch. Auf der Grundlage eines soliden Researchs und eines aktiven Chancen- und Risikomanagements sollte man annehmen, die neuen Herausforderungen meistern zu können. Der Teufel steckt aber auch hier wie so oft im Detail, und eine schwer einzuschätzende Dynamik sorgt zusätzlich für Herausforderungen. Sicher ist, dass die Politik auf europäischer Ebene und hierzulande den Transformationsprozess durch Regulierung und Förderprogramme aktiv gestalten wird. Alles andere als sicher ist hingegen die Beantwortung der Frage, wie und mit welchem Tempo sie dabei vorgehen wird.

Es liegt in der Natur der Sache, dass der weitreichende Umbau der Wirtschaft in eine nachhaltige und CO2-arme Ökonomie nicht einem Masterplan folgen kann. Er wird sich vielmehr in einem Trial and Error-Prozess vollziehen, bei dem die nationalen Regierungen in Europa durchaus unterschiedliche Wege beschreiten können. In einem solchen Umfeld Sicherheit bezüglich der Rahmenbedingungen von Investments zu erlangen, wird Investoren nicht leicht fallen. Vor diesem Hintergrund täte die Politik gut daran, neben der Finanzmarktregulierung, wie sie derzeit in Brüssel vorangetrieben wird, die Klärung der politischen Rahmenbedingungen im Auge zu haben. Denn ohne Klarheit darüber, an welcher Stelle und in welchem Ausmaß Unternehmen von politischen Gestaltungsmaßnahmen betroffen beziehungsweise begünstigt sein werden, dürfte es schwer fallen, privates Kapital für den Umbau der Wirtschaft zu generieren. Ein Mangel an Klarheit würde zudem dem selbstgesteckten Ziel der EU zuwiderlaufen, die Transparenz und Langfristigkeit in der Finanz- und Wirtschaftstätigkeit zu fördern.

Fehlende Standards behindern nachhaltigen Finanztransfer

Ein wesentliches Hindernis für die Finanzierung von Nachhaltigkeit hat die EU selbst erkannt. Um die Verlagerung von Kapitalflüssen in die nachhaltige Wirtschaft voranzubringen, bedarf es eines verbindlichen Verständnisses darüber, was als nachhaltig angesehen werden kann. Ein einheitliches Klassifikationssystem (Taxonomie) soll daher innerhalb der EU für Klarheit sorgen. Dies ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Bisher können unter dem Begriff der Nachhaltigkeit am Markt Gelder für ganz unterschiedliche Investitionsziele eingesammelt werden. Inwieweit die Investitionen dann tatsächlich auf nachhaltige Ziele einzahlen, bleibt mitunter ungewiss. Die auf den Weg gebrachte Taxonomie könnte daher eine gewisse Sicherheit für Investoren schaffen. Dabei sollte jedoch verhindert werden, dass durch ein allzu detailliertes Klassifizierungssystem neue Hürden für nachhaltige Investments entstehen. So sind für einige der im Rahmen der Taxonomie momentan geplanten Nachhaltigkeitskriterien bisher schlicht keine Daten verfügbar. Außerdem gilt es, dabei die Privatautonomie bei Anlageentscheidungen zu wahren. Darüber hinaus sollten im Sinne einer nachhaltigen Transformation marktwirtschaftliche Mechanismen nicht ausgehebelt werden.

Weiterentwicklung von Nachhaltigkeit aktiv begleiten

Es ist festzustellen, dass die Erarbeitung der Taxonomie gegenwärtig stark durch einen Fokus auf die Klimapolitik bestimmt ist. Die Berücksichtigung sozialer Aspekte und solcher der Corporate Governance spielt dabei bislang eine eher untergeordnete Rolle, sodass die Gefahr einer klimapolitischen Dominanz im Regelwerk gegeben ist. Hinzu kommt, dass die Governance von Unternehmen erfahrungsgemäß oft auch ein entscheidender Faktor im Hinblick auf deren Klimaschutzbemühungen ist. Im weiteren Verlauf ist daher darauf zu achten, dass alle ESG-relevanten Aspekte in die Bestimmung von Nachhaltigkeit aufgenommen werden. Alles andere wäre zu kurz gesprungen. Auch der Blick auf die Einführung eines einheitlichen Klassifizierungssystems zeigt also, dass beim nachhaltigen Umbau der Wirtschaft manches noch ungeklärt beziehungsweise noch nicht hinreichend austariert ist. Investoren wären allerdings schlecht beraten, wenn sie darauf warten würden, bis alles in Stein gemeißelt ist. Denn die Weiterentwicklung von Nachhaltigkeit wird bis auf Weiteres ein extrem dynamischer Prozess bleiben, den es aktiv und vorausschauend zu begleiten gilt.

Alexander Schindler, Mitglied des Vorstands, Union Asset Management Holding AG, Frankfurt am Main
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