Neu an der Frankfurter Börse: Scale statt Entry Standard

Jörg Baumgartner, Rechtsanwalt im Bereich Kapitalmarktrecht, CMS Frankfurt am Main

Jörg Baumgartner, Rechtsanwalt im Bereich Kapitalmarktrecht, CMS in Deutschland, Frankfurt am Main - Knapp vor Ausbruch der Finanzkrise gestartet hat das eigens geschaffene Börsensegment für kleine und mittlere Unternehmen nie in dem Maße Fuß gefasst, wie die Initiatoren und Befürworter auch aus der Politik es sich versprochen hatten. Von vielen der gelisteten Unternehmen und potenziellen Kandidaten wurden die Berichtspflichten als zu bürokratisch empfunden, insbesondere im Anleihebereich waren die Investoren oft von der Qualität des Marktes enttäuscht. Kleinen und mittleren Unternehmen die Chance einer Mittelaufnahme über den Kapitalmarkt zu eröffnen, blieb dennoch in Deutschland und der EU auf der politischen Agenda. Zum 1. März 2017 startet die Deutsche Börse nun mit dem neuen Segment Scale, dessen Name über eine öffentliche Ausschreibung gesucht und gefunden wurde. Der Autor erörtert die Kriterien für die Aufnahme in das Segment, für die Begebung von Anleihen, die Veränderungen in den Berichtspflichten und die Möglichkeiten zum Wechsel vom eingestellten Entry Standard in das neue Segment. (Red.)

Der im Jahre 2005 eingeführte Entry Standard wird Ende Februar 2017 eingestellt. Zum 1. März schafft die Deutsche Börse ein neues Börsensegment für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Der Vorstandsvorsitzende Carsten Kengeter hatte diese Neuerung auf dem Eigenkapitalforum 2016 seines Hauses angekündigt. Im Dezember 2016 wurden die Details des neuen Marktsegments in einem Rundschrieben weiter konkretisiert. Im Februar dieses Jahres wurde dann verkündet: Das neue Segment wird "Scale" heißen. Ein Novum bei der Namensfindung war, dass die Deutsche Börse die interessierte Öffentlichkeit um Einsendung von Vorschlägen gebeten hatte.

Suche nach Wachstumskapital

Die Neuaufstellung des börsenregulierten Freiverkehrs soll vor allem Börsengänge für kleine und mittelständische Unternehmen, die auf der Suche nach Wachstumskapital sind, wieder interessanter und erfolgversprechender machen.

Der Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse wird ab März dann sowohl aus dem Quotation Board als auch aus dem Basic Board sowie Scale als dessen Qualitätssegment bestehen. Wer im neuen KMU-Segment gelistet ist, wird auch gleichzeitig in das Basic Board einbezogen. Für die Einbeziehung in das Quotation Board ist unverändert ein Zweitlisting an einem von der Börse anerkannten in- oder ausländischen Referenzmarkt erforderlich (Abbildung).

Die Fehler und Auswüchse des Neuen Marktes sollen im Scale-Segment freilich vermieden werden. Gleichzeitig sollen auch die Probleme des Entry Standard ausmerzt werden. Dieser hatte sich insgesamt nicht wie erhofft entwickelt und konnte zuletzt immer weniger Aufmerksamkeit bei attraktiven und börsenreifen KMU gewinnen. Das neue Segment soll nach den Vorstellungen der Deutschen Börse insgesamt mehr und vor allem attraktivere Unternehmen aufs Parkett locken sowie verstärkt in- und ausländische Investoren ansprechen. Deswegen werden im neuen KMU-Segment erhöhte Qualitätsanforderungen an die Unternehmen gestellt, die sich unter anderem in anspruchsvolleren Zulassungskriterien niederschlagen.

Bei der Emission von Aktien verlangen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Börse, dass mindestens drei der fünf folgenden Kriterien erfüllt werden müssen:

1. Das Unternehmen muss über positives bilanzielles Eigenkapital verfügen.

2. Der Jahresumsatz muss mindestens 10 Millionen Euro betragen.

3. Das Jahresergebnis muss positiv sein.

4. Bereits vor dem Börsengang muss das Unternehmen 5 Millionen Euro Eigenkapital eingesammelt haben und

5. Es muss mindestens 20 Mitarbeiter beschäftigen.

Zwingende Einbeziehungsvoraussetzungen sind ferner, dass das Unternehmen seit mindestens zwei Jahren besteht (im regulierten Markt sind es drei Jahre) und die voraussichtliche Marktkapitalisierung der neu gelisteten Aktien mindestens 30 Millionen Euro betragen muss. Außerdem muss der Streubesitzanteil (Free Float) mindestens 20 Prozent oder mindestens eine Million Aktien betragen. Schließlich ist der Emittent verpflichtet, einmal jährlich eine Analysten- und Investorenkonferenz durchführen.

Mindestanforderungen an die Emission

Sollen Anleihen emittiert werden, sind mindestens drei von sechs der folgenden sogenannten Key Performance Indicators (KPIs) einzuhalten:

1. Verhältnis von Jahresüberschuss vor Zinsen und Steuern zu Zinsen und ähnlichen Aufwendungen (EBIT Interest Coverage) von mindestens 1,5.

2. Verhältnis von Jahresüberschuss vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf das materielle und immaterielle Anlagevermögen zu Zinsen und ähnlichen Aufwendungen (EBITDA Interest Coverage) von mindestens 2,5.

3. Verhältnis von Gesamtverbindlichkeiten zu Jahresüberschuss vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf das materielle und immaterielle Anlagevermögen (Total Debt/EBITDA) von höchstens 7,5 Total Debt/ EBITDA (maximal 7,5).

4. Verhältnis von Nettoverbindlichkeiten zu Jahresüberschuss vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf das materielle und immaterielle Anlagevermögen (Total Net Debt/EBITDA) von höchstens 5.

5. Verhältnis von Haftmitteln zur modifizierten Bilanzsumme (Risk Bearing Capital) von mindestens 0,20.

6. Verhältnis der gesamten Finanzverbindlichkeiten zu gesamten Finanzverbindlichkeiten zuzüglich Eigenkapital (Total Debt/ Capital) von höchstens 0,85.

Außerdem muss mindestens ein Volumen von 20 Millionen Euro platziert werden. Wie bisher im Entry Standard für Anleihen ist die Erstellung eines Unternehmensoder Anleiheratings durch eine Ratingagentur erforderlich, es sei denn der Jahresumsatz betrug in den letzten drei Geschäftsjahren mindestens 300 Millionen Euro.

Erleichterung beim Wertpapierprospekt

Bei Aktienemissionen ist im neuen KMU-Segment anders als im bisherigen Entry Standard nicht in jedem Fall ein vollständiger Wertpapierprospekt gemäß den Vorgaben der EU-Prospektverordnung zu erstellen. Bei rein technischen Listings, das heißt, wenn das Unternehmen im neuen Segment lediglich gelistet sein möchte, ohne gleichzeitig ein öffentliches Angebot zu machen, sowie bei Privatplatzierungen bei institutionellen Investoren, ist ein sogenanntes Einbeziehungsdokument ausreichend. Der Aufbau orientiert sich dabei durchaus am "klassischen" Börsenprospekt, es müssen also auch das Geschäft und die Risiken des Unternehmens dargestellt werden, allerdings nicht so umfangreich wie bei einem gesetzlichen Wertpapierprospekt.

Beispielsweise entfällt die Darstellung und Analyse der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (sogenannte Management's Discussion and Analysis of Financial Condition and Results of Operations, MD&A). Das Einbeziehungsdokument bedarf ferner keiner Billigung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die Bilanzierung kann auch weiterhin nach den nationalen Rechnungslegungsstandards erfolgen, bei Emittenten aus Deutschland also nach HGB.

Mandatierung von Capital-Market-Partnern

Eine weitere Neuerung ist das Erfordernis, sogenannte Capital Market Partner, zum Beispiel Banken, Anwälte, Wirtschaftsprüfer und Investor-Relations-Berater, künftig für die Betreuung der Emittenten vor dem Börsengang und während der Einbeziehung in das Segment mandatieren zu müssen. Im Gegensatz zu den bisherigen Listing Partnern sollen sie die Unternehmen in stärkerem Umfang als bislang beraten und unterstützen. Vor dem Initial Public Offering (IPO) müssen sie den Emittenten auf seine Kapitalmarktreife im Rahmen einer rechtlichen und finanziellen Due Diligence sowie unter Risiko- und Compliance-Aspekten überprüfen. Der Capital Market Partner hat dies anschließend gegenüber der Deutschen Börse schriftlich zu bestätigen.

Die Kapitalmarktpartner bereiten außerdem mit dem Emittenten die erforderliche Dokumentation für den Börsengang vor. Nach dem IPO unterstützen sie die Unternehmen unter anderem dabei, die gesetzlichen Transparenzvorgaben nach der Marktmissbrauchsverordnung (Ad-hoc-Publizität, Erstellen von Insiderlisten, Veröffentlichung von Eigengeschäften von Führungskräften) einzuhalten.

Bei Neuemissionen von Aktien im Entry Standard war es bislang eher selten, dass Research-Häuser über die Emittenten berichteten. Diesem Mangel an Transparenz soll im neuen Segment dadurch abgeholfen werden, dass über Aktienemittenten verpflichtend Research-Reports von unabhängigen Analysten erstellt werden, für die die Emittenten entsprechende Informationen zur Verfügung stellen müssen. Die Deutsche Börse gibt die Reports in Auftrag und lässt diese erstmalig zum Börsengang erstellen sowie fortlaufend aktualisieren. Durch diese unabhängige Coverage soll die Transparenz und die Visibilität der Unternehmen bei Investoren verbessert und so zusätzliches Vertrauen bei den Anlegern geschaffen werden. Die Emittenten sollen dadurch für Anleger vergleichbarer gemacht werden. Die Deutsche Börse hat vor Kurzem bekannt gegeben, dass sie für die Erstellung der verpflichtenden Research-Reports die beiden Unternehmen Edison Investment Research und Morningstar beauftragt hat.

Verpflichtende Research-Reports von unabhängigen Analysten

Zum Börsengang wird es zunächst einen initialen Research-Bericht geben, der bis zu zehn Seiten umfassen kann. Die Deutsche Börse gibt einige inhaltliche Punkte für die Analysen vor. Außerdem wird es regelmäßige fortlaufende Research-Berichte geben, und zwar sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. Die qualitativen Research-Reports für die Unternehmen aus dem neuen KMU-Segment werden von Edison erstellt. Dieser beinhaltet eine Beschreibung und Beurteilung des Geschäftsmodells und der Analyse der Unternehmensdaten sowie des Wettbewerbs- und Marktumfelds. Der initiale Research-Report soll einen Umfang von acht bis zehn Seiten haben und wird zweimal jährlich aktualisiert.

Der quantitative Research-Report wird von Morningstar erstellt. Dabei wird die Arbeit von deren Analysten auf die kleinen und mittleren Unternehmen des neuen KMU-Segments übertragen. Grundlage hierfür sind die Bilanzen und Cashflow-Statements der Emittenten. Die Bewertung der Unternehmen erfolgt anhand von zwölf Kennzahlen und wird täglich aktualisiert.

Anlageempfehlungen werden durch die beiden Research-Häuser allerdings nicht abgegeben. Außerdem können die Emittenten jederzeit selbst weitere Research-Reports in Auftrag geben.

Übergangsregelungen

Für aktuell im Entry Standard gelistete Unternehmen gibt es Übergangsregelungen für das neue KMU-Segment, die es ermöglichen, sich unter erleichterten Voraussetzungen listen zu lassen. Unternehmen, die nicht in das neue Mittelstandssegment wechseln möchten oder dessen Voraussetzungen nicht erfüllen, bleiben weiter im Freiverkehr notiert und werden von der Deutschen Börse automatisch in ein sogenanntes Basic Board überführt. Das Gleiche gilt für den Fall, dass die Deutsche Börse die Einbeziehung in Scale kündigt, zum Beispiel wenn die durchschnittliche Marktkapitalisierung der einbezogenen Aktien im letzten Kalenderjahr unter 10 Millionen Euro lag.

Emittenten, die von diesem sogenannten Grandfathering profitieren und ins neue Segment wechseln möchten, müssen bis zum 24. März 2017 einen Antrag bei der Deutschen Börse stellen und nur drei der vier folgenden Voraussetzungen erfüllen:

1. Mindestens 10 Millionen Euro Umsatz,

2. das Unternehmen muss mindestens 20 Mitarbeiter haben,

3. profitabel sein und

4. über positives bilanzielles Eigenkapital verfügen.

Die Mindestmarktkapitalisierung muss nur 10 Millionen Euro anstatt der sonst üblichen 30 Millionen Euro betragen. Anders als bei einem Erstlisting in Scale ist kein Wertpapierprospekt oder Einbeziehungsdokument zu erstellen. Ebenso entfallen die Vorgaben für Streubesitz und Unternehmenshistorie.

Eine weitere Erleichterung für Unternehmen aus dem Entry Standard ist, dass für den Wechsel in das neue Segment kein Einbeziehungsentgelt entrichtet werden muss. Zusätzlich beauftragt die Deutsche Börse auch für die in das neue Segment wechselnden Unternehmen einen initialen Research-Report. Es entstehen dadurch keine weiteren Kosten, diese werden von der Deutschen Börse getragen.

Aktienemittenten kostet die Aufnahme in das neue Segment einmalig 20 000 Euro. Zusätzlich wird eine variable Gebühr für Unternehmen mit einem Marktwert von über 30 Millionen Euro erhoben, die mit zunehmender Marktkapitalisierung weiter steigt. Die laufende Notierung kostet Aktienemittenten 20 000 Euro pro Jahr. Für Anleiheemittenten beträgt sowohl die Listing- als auch die Notierungsgebühr jeweils 10 000 Euro pro Jahr. Die von der Börse verpflichtenden Research-Berichte sind in den Gebühren bereits enthalten.

Verstärkter Qualitätsanspruch

Die Schaffung eines KMU-Segments durch die Deutsche Börse ist ein positives Signal für kleine und mittlere Unternehmen, die eine Finanzierung über den Kapitalmarkt in Erwägung ziehen. Damit in Zusammenhang zu sehen sind die Bestrebungen auf europäischer Ebene im Rahmen der Reformierung des Prospektrechts. Hier soll es für KMU deutliche Erleichterungen bei der Prospekterstellung geben. Auch wenn dies alles in die richtige Richtung geht, wird es noch weiterer Faktoren bedürfen, um die Attraktivität von Börsengängen weiter zu erhöhen. Der im Vergleich zum Entry Standard verstärkte Qualitätsanspruch von Scale kann kleinen und mittleren Unternehmen durchaus dabei helfen, Investoren aus dem In- und Ausland verstärkt auf sich aufmerksam zu machen.

Jörg Baumgartner , Rechtsanwalt, Kanzlei CMS Hasche Sigle, Frankfurt am Main

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