Ökonomische Bildung oder finanzielle Bildung?

Prof. Dr. Lukas Menkhoff, Foto: DIW

Angesichts der Tatsache, dass Deutschland noch eines der wenigen Länder der OECD ohne nationale Strategie für finanzielle Bildung ist, stellen die Autoren die Frage in den Raum, ob es nicht zielführend sein könnte, finanzielle Bildung von ökonomischer Bildung zu trennen, um ideologischen Problemen aus dem Weg zu gehen. Zudem sind Menckhoff und Taborsky der Ansicht, dass auch wenn es eine Schnittmenge der beiden Gebiete gibt, Menschen durchaus auch finanziell erfolgreich sein können, ohne eine grundlegende ökonomische Bildung genossen zu haben. Sie nennen als Beispiel Österreich, das im Oktober 2021 in Zusammenarbeit mit der OECD und unter der Federführung des Finanzministeriums eine nationale Finanzbildungsstrategie beschlossen hat. Sie sehen das Beispiel Österreich als Beleg, dass eine reine Finanzbildung ohne ökonomische Bildung leichter akzeptiert werde und somit einfacher umzusetzen sei, was gerade in unserer schwierigen föderalen Bildungsstrategie ein Vorteil sein könnte. (Red.)

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fordert seit Jahren, dass ihre Mitgliedsländer nationale Strategien für finanzielle Bildung entwickeln und umsetzen. Nachdem im Herbst 2021 auch Österreich solch eine Strategie beschlossen hat, ist Deutschland eines der wenigen verbleibenden OECD-Mitglieder ohne diese Strategie. Dabei kann man nicht sagen, dass es in Deutschland nicht auch eine lebhafte Diskussion um ökonomische Bildung gäbe - im Gegenteil. Aber vielleicht ist dieser Fokus nicht vorteilhaft und es wäre pragmatisch, zuerst finanzielle Bildung zu implementieren.

In Deutschland gibt es dabei eine klare Ordnung zwischen ökonomischer und finanzieller Bildung, indem erstere als der Oberbegriff und finanzielle Bildung folglich als deren Teilmenge gesehen wird. Demnach steht finanzielle Bildung weniger im Fokus. Dies kann man aber auch ganz anders sehen. Während bei der ökonomischen Bildung der Wissenserwerb im Vordergrund steht, geht es bei der Finanzkompetenz darüber hinaus. Wie in der Definition der OECD beschrieben, handelt es sich, neben dem Wissen, um das Zusammenspiel von Bewusstsein, Einstellungen, Erfahrungen und Verhalten, um gute finanzielle Entscheidungen zu treffen und letztendlich finanzielles Wohlbefinden zu erreichen. Man könnte also durchaus auch die Wirtschaftsbildung als den Wissensteil der Finanzkompetenz bezeichnen. Entscheidend bei der Finanzkompetenz ist das individuelle Verhalten beziehungsweise bei der Finanzbildung (dem aktiven Bildungsweg in Richtung Finanzkompetenz) die Änderung bei oben genannten Faktoren. Studien zeigen klar, dass finanzielle Bildung das Finanzverhalten in gewünschter Weise beeinflusst. 1)

Befürworter und Gegner

Insofern müssen nicht beide Themen Hand in Hand gehen, sie bedingen sich nicht einmal zwingend. In der Regel wird es gut möglich sein, mit überlegter Herangehensweise ein erfolgreiches Geldleben zu führen, auch ohne die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge restlos zu verstehen. Auf der anderen Seite gibt es hervorragende Ökonomen, die in ihrem privaten Geldleben scheitern oder sogar in Privatkonkurs gehen.

Bei ökonomischer Bildung (oder synonym Wirtschaftsbildung) gibt es deutliche Gegensätze zwischen klaren Befürwortern auf der einen Seite, die für die Einführung eines entsprechenden Schulfachs plädieren und passende Lehrkräfte fachlich in eigenen Studiengängen ausbilden möchten (beispielsweise Seeber, 2021). 2) Auf der anderen Seite stehen Gegner ökonomischer Bildung, die das Thema für zu eng halten und für eine Einbindung in ein breiter gefasstes sozialwissenschaftliches Fach argumentieren (beispielsweise Friedrich, 2021). 3) Dessen Name würde eher "Sozioökonomie", "Gesellschaft und Ökonomie" oder ähnlich lauten, und eine eigene Ausbildung der Lehrkräfte in ökonomischer Bildung würde man gezielt vermeiden. Das Thema finanzielle Bildung spielt in entsprechenden Diskussionen praktisch keine Rolle.

Dies ist in Österreich anders. Während in den bestehenden Lehrplänen das Thema Wirtschaft mit Geografie gekoppelt ist, kommt es in den Schulbüchern relativ zu kurz, was dann im Unterricht noch verstärkt wird. 4) Um also Wirtschaftsbildung zu stärken und qualifiziert anbieten zu können, wurde im Dezember 2020 die Stiftung für Wirtschaftsbildung von sieben Stakeholdern aus dem öffentlichen sowie privaten Sektor gegründet. 5) Ziel ist es, in Schulversuchen in der Sekundarstufe 1 (12 bis 14 Jahre) herauszufinden, wie das Thema einerseits durch verstärkten fächerübergreifenden Unterricht, andererseits durch ein eigenes Lehrfach verstärkt in den Regelunterricht gebracht werden kann. Ungeachtet des Namens (Wirtschaftsbildung) wird dabei dem Thema Finanzbildung breiter Raum gegeben.

Nationale Strategie in Österreich

Darüber hinaus ist im Oktober 2021 eine nationale Strategie für finanzielle Bildung in Zusammenarbeit mit der OECD und unter Federführung des Bundesministeriums für Finanzen beschlossen worden. Die Situation vor der Etablierung dieser nationalen Strategie war dabei, ähnlich wie in Deutschland, herausfordernd. Im Gegensatz zu anderen Ländern befand sich hier keine leere Spielfläche, sondern ein buntes Biotop unterschiedlicher Stakeholder, die sich des Themas bereits seit Jahren angenommen hatten. Auch die Zusammenarbeit zwischen den nicht kommerziellen Institutionen war bereits im "Round Table Finanzbildung" der Oesterreichischen Nationalbank institutionalisiert. Die neue nationale Strategie verfolgt jedoch einen deutlich ambitionierteren Ansatz als der Round Table. Neben der Einbindung aller (auch privater) Institutionen wird der Fokus nicht auf Kinder und Jugendliche (und somit den institutionellen Bildungsbereich) beschränkt sein. Momentan entwickeln sich gerade die Strukturen und Gremien werden geformt und besetzt.

Die österreichische Strategie formuliert vier Ziele, von denen zwei auf konkrete Verhaltensänderung abzielen: Erstens soll die finanzielle Entscheidungsfindung solide stattfinden und dadurch auch Überschuldung vermeiden und zweitens soll langfristig gute Planung der Menschen deren finanzielles Wohlergehen sichern. Die beiden weiteren Ziele beziehen sich eher auf die Prozesse. Demnach soll drittens der Zugang zu Finanzbildung für alle gesichert werden und viertens soll die Wirksamkeit von Finanzbildung gesteigert werden. In diesem Zug wird ein Finanzbildungsportal entwickelt.

In Deutschland hat die stufenweise Einführung des Schulfachs "Wirtschaft/Berufs und Studienorientierung" (WBS) in Baden Württemberg ab dem Sommer 2017 starke Aufmerksamkeit gefunden. Bereits vorher gab es - ähnlich wie in Österreich Wirtschaft als Teil eines breiter angelegten Fachs, zusammen mit Geografie und Sozialwissenschaften. Aber der Umfang der Ökonomie war geringer und es gab keine Lehrkräfte speziell für Ökonomie. Das neue Fach erstreckt sich an Gymnasien über die Schuljahre 8 bis 10.

Sorge vor Indoktrination

Auch wenn diese Zuordnung nicht festgelegt, sondern nur empfohlen wird, geht es in Klasse 8 häufig um eine individuelle Perspektive aus der heraus wirtschaftliche Entscheidungen analysiert werden. Dies entspricht dem Vorgehen bei Verbraucherbildung. In Klasse 9 steht die Beziehungsperspektive im Vordergrund, es werden Interessenkonstellationen analysiert. Hier geht es zuerst um Berufsorientierung und Unternehmertum. In Klasse 10 schließlich wird eine Systemperspektive gewählt und passend dazu wird die ökonomische Ordnung analysiert. Das Thema ist dabei die soziale Marktwirtschaft einschließlich einer internationalen Perspektive. Die Rolle der Individuen wechselt also von Konsumenten über Arbeitnehmer (und Selbstständigen, Unternehmern) hin zu Wirtschaftsbürgern.

Solch ein breit angelegtes Curriculum ist typisch für ökonomische Bildung. Die Sorge ist bei diesen Themen, dass Indoktrination in die eine oder andere Richtung stattfinden könnte. Deshalb sind Lehrkräfte zur Beachtung von Kontroversität sowie Pluralität verpflichtet und sollen ihre Schüler nicht argumentativ "überwältigen". Tatsächlich scheint der Wirtschaftsunterricht das Wissen der Schüler zu verbessern, nicht aber die Grundeinstellungen der Schülern zu ändern. 6) Dies mag Kontroversen entschärfen. Aber es bleibt die Tatsache bestehen, dass engere Verbraucherbildung und dabei Finanzbildung kleine Teile in einem großen Fach sind, selbst wenn zentrale Aspekte der Finanzbildung thematisiert werden, wie Haushaltsplanung, Kontoführung, Sparen oder Kreditaufnahme. Vielleicht wäre es einfacher, die Finanzbildung von der ökonomischen Bildung zu entkoppeln, weil dies in Schulen weniger Zeit erfordert und weniger kontrovers ist?

Die österreichische Erfahrung legt nahe, dass finanzielle Bildung leichter akzeptiert wird und Maßnahmen entsprechend leichter umzusetzen sind als für ökonomische Bildung. Dies hat im Wesentlichen drei miteinander zusammenhängende Gründe: Finanzbildung bedeutet Kompetenzerwerb, sie ist fast unvermeidbar und sie gilt als weitgehend ideologiefrei. Dies begründen wir nun im Einzelnen.

Erstens bedeutet Finanzbildung den Erwerb individueller Kompetenz, die jeder geschulten Person direkt zugute kommt und keine unmittelbaren Nachteile mit sich bringt. Sicher gibt es Opportunitätskosten (weil die Zeit nur einmal genutzt werden kann), doch Bildungsangebote finden tendenziell positiven Widerhall.

Zweitens herrscht der Eindruck vor, dass es in der heutigen Welt sozusagen unvermeidbar ist, sich Grundlagen finanzieller Bildung anzueignen. Praktisch jeder Mensch benötigt und führt ein Girokonto, fast alle sparen (mehr oder wenig), fast alle sind mit dem Thema einer ausreichenden Altersvorsorge konfrontiert, die meisten nehmen im Laufe ihres Lebens einen oder häufig auch zahlreiche Konsumentenkredite auf, die Hälfte der Haushalte in Deutschland besitzt selbst genutzte Immobilien, für die ein Kredit aufgenommen wird/wurde, und die Mehrzahl der Menschen trifft in ihrem Leben nennenswerte Anlageentscheidungen. Ferner kann sich kaum jemand oder jedenfalls kaum ein Haushalt leisten, diese Entscheidungen von einer kompetenten Person treffen zu lassen. Faktisch geht es also nur darum, wie informiert Finanzentscheidungen getroffen werden. Drittens gilt finanzielle im Unterschied zu ökonomischer Bildung weniger als ein ideologischer Gegenstand. Zwar spielen auch hier Debatten wie "Werde ich noch eine staatliche Rente bekommen oder muss ich vorsorgen?" oder "Sparbuch versus Kapitalmarkt" eine Rolle. Man kann sich jedoch in der Regel auf eine pragmatische Herangehensweise einigen. Die Debatte um ökonomische Bildung ist viel stärker ideologisch aufgeladen, weil sie manchmal wie eine Art Stellvertreterdebatte um die Vorteilhaftigkeit der gegenwärtigen marktwirtschaftlichen Ordnung geführt wird. Kritiker sehen deshalb mit Argusaugen darauf, dass die Ökonomie in ihren Funktionen und Vorgängen nicht so sehr dargestellt (und dadurch eventuell legitimiert), sondern immer in einem Rahmen der Möglichkeiten präsentiert und damit auch kritisch hinterfragt wird. Sicher gibt es ein Kontinuum an Positionen in dieser Debatte. Aber auch dadurch ist es ein schwieriges Unterfangen, hier so etwas wie eine tragfähige Basis herzustellen, von einem echten Konsens zu schweigen. Dieses Problem kann eine rein finanzielle Bildung umgehen.

Trennung bedenkenswert

Aufgrund der österreichischen Erfahrungen mag es bedenkenswert sein, das Thema Finanzbildung vom größeren Kontext der ökonomischen Bildung zu trennen. Sicher hängen beide Themen zusammen, aber dies ist nicht zwingend. Da die ökonomische Bildung, nicht zuletzt wegen der föderalen Struktur, nur wenig vorankommt, könnte man auch im ersten Schritt Finanzbildung als Teil der Verbraucherbildung professionalisieren. Dazu würden gut ausgebaute Curricula, Materialien und eine evidenzbasierte Begleitung der Bildungsmaßnahmen gehören.

Fußnoten

1) Beispielsweise Tim Kaiser, Annamaria Lusardi, Lukas Menkhoff und Carly Urban (2022), in: Journal of Financial Economics, erscheint demnächst.

2) Günther Seeber (2021), Finanzbildung in einem eigenen Schulfach? In: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 90 (1), 61 74.

3) Christian Fridrich (2021), Finanzerziehung versus Finanzbildung im Rahmen sozioökonomischer Bildung - oder: Zur Bedeutsamkeit sozialwissenschaftlicher Kontextualisierung, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 90 (1), 75 93.

4) Julia Szoncsitz, Bettina Greimel Fuhrmann, Michaela Stock und Martin Taborsky (2018), Mind the Gap - Über die Berücksichtigung von Finanzbildungsinhalten im Lehrstoff österreichischer Pflichtschulen, in: bwp@ Spezial AT 1: Wirtschaftspädagogische Forschung und Impulse für die Wirtschaftsdidaktik - Beiträge zum 12. Österreichischen Wirtschaftspädagogikkongress, 1 18.

5) Oesterreichische Nationalbank (OeNB), Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Industriellenvereinigung, Innovationsstiftung für Bildung, ERSTE Stiftung und MEGA Bildungsstiftung.

6) Tim Kaiser und Luis Oberrauch (2021), Economic Education at the Expense of Indoctrination? Evidence from Germany, Working Paper. Dieser Beitrag gibt ausschließlich die Privatmeinung der Autoren wieder.

Prof. Dr. Lukas Menkhoff , DIW Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin
Martin Taborsky , Oesterreichische Nationalbank, Wien

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