Plattformökonomie im Banking

Prof. Dr. Philipp Haberstock Foto: Ph. Haberstock

Immer größere Teile der Wirtschaft werden von klassischen "Pipeline-Märkten" zu "Plattform-Märkten" transformiert. Mittlerweile verdanken sieben der acht wertvollsten Unternehmen der Welt einen Großteil ihres Marktwerts digitalen Plattformen - Tendenz steigend. Dem Autor zufolge bedarf es zum Aufbau digitaler Plattformen strategischer Partner und einer klaren Strategie. Außerdem sieht er eine Verlagerung des strategischen Schwerpunkts im Vergleich zur klassischen Herangehensweise: vom Kontrollieren zum Organisieren von Ressourcen, vom Optimieren interner Prozesse zum Ermöglichen externer Interaktionen und vom Steigern des Kundenwerts hin zum Maximieren des Werts des Ökosystems. Digitale Plattformen erfordern auch im Bankenbereich einen neuen Führungsstils und eine Umstellung auf die neuen Regeln der Plattformökonomie. (Red.)

Unternehmen wie Uber oder Airbnb, die Produzenten und Konsumenten zusammenbringen, gewinnen schnell Marktanteile, indem sie nicht nur Produkte "smarter" gestalten, sondern Märkte und Wettbewerb in den jeweiligen Branchen grundlegend strukturell verändern. Die neuen Marktstrukturen werden maßgeblich durch digitale Plattformen bestimmt, auf denen Dienste angeboten werden und die Wertschöpfung neu verteilt wird.1) Wollen deutsche Unternehmen nicht nur ihre Zukunftsfähigkeit sichern, sondern sich als Gewinner und Vorreiter der industriellen Wertschöpfung etablieren, müssen sie die neuen Strategieregeln der Plattformökonomie lernen und selber digitale Plattformen aufbauen und betreiben. Dies erfolgt selten unabhängig, sondern in Konsortien mithilfe von Plattformstrategien. Auch etablierte Banken müssen sich zu einem digitalen, plattformbasierten Ökosystem entwickeln und dazu über mögliche strategische Allianzen mit externen Finanz- und Technologieanbietern nachdenken.

Von der Pipeline zur Plattform

Plattformen sind nichts Neues: So bringen zum Beispiel Einkaufszentren Konsumenten und Händler zusammen; Zeitungen verbinden Abonnenten und Werbetreibende. Heute sind jedoch aufgrund modernster Informationstechnologie weniger physische Infrastruktur und Vermögenswerte erforderlich. Die IT macht es einfacher und günstiger, Plattformen aufzubauen und steigert die Fähigkeit, sehr große Datenmengen zu erfassen, zu analysieren und auszutauschen, sodass Plattformen für alle einen Mehrwert darstellen.2)

Die Beschäftigung mit Plattformen ist in den letzten Jahren um entscheidende Aspekte erweitert worden. Im Zentrum steht dabei die Beobachtung, dass immer mehr Märkte "zweiseitig" funktionieren. "Two-Sided Markets" wurden erstmals von Jean Tirole und Jean Charles Rochet 2005 intensiv untersucht, was 2014 der Hauptgrund für das Nobelpreis-Komitee war, Jean Tirole mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften zu ehren.3) "Two-Sided Markets" werden als Märkte definiert, in denen mindestens eine Plattform zwei Kundengruppen miteinander verbindet und beide Seiten für diese Leistung bezahlen. In Zeiten der Digitalisierung rücken digitale Plattformen in das Zentrum von Marktstrukturen und verdrängen zusehends klassische einseitige Märkte. Diese digitalen Plattformen können definiert werden als Produkte, Dienstleistungen oder Technologien, die als Basis für eine Vielzahl von Firmen dienen, um komplementäre Produkte, Dienste und Technologien anzubieten.4)

Immer größere Teile der Wirtschaft werden von klassischen "Pipeline-Märkten" zu "Plattform-Märkten" transformiert. Digitale Plattformen unterscheiden sich von den konventionellen Pipeline-Unternehmen, welche die Wirtschaft über Jahrzehnte geprägt haben. Pipeline-Unternehmen schaffen einen Mehrwert, indem sie eine lineare Abfolge von Aktivitäten kontrollieren; dies ist das klassische Modell der Wertschöpfungskette. An deren Beginn stehen Einsatzgüter, die in mehreren Stufen zu einem wertvolleren Endprodukt verarbeitet werden. Die Werte fließen durch die Wertschöpfungskette, wie Wasser durch ein Rohr (Pipe). So funktioniert zum Beispiel Apples Handyproduktion nach diesem Prinzip und folgt damit einem konventionellen Pipeline-Ansatz. In Verbindung mit dem App Store, dem Marktplatz, der die I-Phone-Besitzer mit App-Entwicklern zusammenbringt, ergibt sich aber eine Plattform. Insbesondere in den letzten Jahren entwickelt sich zudem ein Trend, dass vorhandene Plattformen auf immer neue Industriezweige ausgeweitet werden, wie zum Beispiel die Nutzung der ursprünglich für Smartphones entwickelten Plattformen im Bereich der Content-Industrie und die Integration in Auto-Entertainment-Systeme.

Plattformökosystem

So unterschiedlich digitale Plattformen auch sein mögen, sie basieren alle auf einem Ökosystem, das wie in Abbildung 1 dargestellt vier Arten von Akteuren umfasst: die Eigentümer beziehungsweise Plattformbetreiber kontrollieren das geistige Eigentum und steuern die Plattform; die Anbieter bilden die Schnittstelle zu den Nutzern; die Produzenten schaffen Angebote und die Konsumenten nutzen diese Angebote.5) Plattformbetreiber stellen den Kern einer technischen Infrastruktur zur Verfügung und stehen im Mittelpunkt eines digitalen Ökosystems, wie das folgende Mobilfunk-Beispiel zeigt: Die fünf führenden Handyhersteller - Nokia, Samsung, Motorola, Sony Ericsson und LG - vereinten 2007 weltweit 90 Prozent des Branchengewinns auf sich. Dann trat Apple mit dem I-Phone in den Mobilfunkmarkt ein, gewann schnell Marktanteile und war 2015 allein für 92 Prozent des weltweiten Branchengewinns verantwortlich.

Von den anderen fünf Handyproduzenten erzielte bis auf eine Ausnahme keiner mehr einen Gewinn, obwohl ihnen die folgenden strategischen Vorteile hätten Schutz bieten müssen: eine klare Produktdifferenzierung, bewährte Marken, führende Betriebssysteme, exzellente Logistik, schützende Regulierungsvorschriften, große Forschungs- und Entwicklungsbudgets und deutliche Größenvorteile. Apple hat die Wettbewerber mit der Kraft von Plattformen besiegt und nutzte die neuen Strategien der Plattformökonomie: So war das I-Phone nicht nur als Produkt oder Dienstleistungsinstrument konzipiert, sondern eröffnete die Möglichkeit, die Teilnehmer von zweiseitigen Märkten - App-Entwickler und App-Nutzer - zusammenzubringen und beiden einen Mehr wert zu bieten. Je größer beide Gruppen wurden, desto größer wurde der Wert der Plattform.6)

Macht der Plattformökonomie

Sieben der acht wertvollsten Unternehmen der Welt verdanken einen Großteil ihres Marktwerts digitalen Plattformen und die Börsendominanz nimmt kontinuierlich zu.7) Viele Plattformbetreiber sind wertvoller als Unternehmen derselben Branche, die nur Produkte oder Dienstleistungen anbieten. So hat zum Beispiel das Mitwohnportal Airbnb einen höheren Marktwert als die weltgrößte Hotelkette Marriott.8) Anders als herkömmliche Hotelketten besitzt und verwaltet Airbnb keine Gebäude, sondern bietet über seine Plattform lediglich Übernachtungsmöglichkeiten an.9) Ebenso besitzt Uber, das weltgrößte Taxiunternehmen, keine Autos. Alibaba, das wertvollste Handelsunternehmen, unterhält kein Lager und Facebook erzeugt keine Inhalte.

Bereits zehn Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts wurden von der klassischen Wirtschaft auf Plattformen verlagert. In den kommenden drei bis vier Jahren könnte dieser Anteil laut aktueller Studien auf 30 bis 40 Prozent steigen.10) Der Plattformindex der 15 besten Plattformaktien hat in diesem Jahr schon 16,5 Prozent an Wert gewonnen und die ebenfalls auf Allzeithochs notierenden Indizes Dow Jones und Nasdaq deutlich übertroffen (Abbildung 2). Die Auswertung fällt für Deutschland, insbesondere in den Konsumentenmärkten, ernüchternd aus: Unter den 50 größten Plattformen der Welt befinden sich nur zwei deutsche Unternehmen; es dominieren die USA und zunehmend auch China.11)

"Winner-Take-All-Welt"

Die Weltwirtschaft konzentriert sich um wenige digitale Supermächte und es entsteht eine "Winner-Take-All-Welt", in der eine kleine Zahl kommerzieller Plattformunternehmen zentrale Positionen besetzt und das Entstehen neuer Monopole fördert. Im traditionellen Produkt- und Dienstleistungsgeschäft flacht die Wertschöpfungskurve aufgrund sinkender Skalenerträge mit steigender Anzahl der Konsumenten meist ab, da ein Unternehmen ab einem bestimmten Effizienzmaximum aus weiteren Kunden keinen besonderen Nutzen mehr zieht (Abbildung 3). Plattformunternehmen werden hingegen meist umso wertvoller, je mehr Menschen und Firmen sie nutzen, über sie kommunizieren und Netzwerkeffekte entstehen lassen.12) So sorgen beispielsweise Softwareplattformen wie Android oder iOS, die steigende Skalenerträge aufweisen, für eine zunehmende Anzahl verfügbarer Apps und damit für einen wachsenden Wert für den Konsumenten. Gleichzeitig nimmt der Wert für den App-Entwickler mit der wachsenden Zahl von Nutzern zu. Je mehr Konsumenten existieren, desto größer wird der Anreiz für den Entwickler, neue Apps zu konzipieren und je mehr Apps es gibt, desto motivierter sind die Konsumenten, ihre digitalen Geräte zu nutzen.13)

Dieser Netzwerkeffekt verstärkt die Vorteile des Wettbewerbers mit dem höchsten Umsatz, dem größten Netzwerk an Nutzern oder den meisten Daten, sodass Plattformanbieter ihren großen und wachsenden Vorsprung wahrscheinlich immer weiter ausbauen werden. Bleibt die Technologie alternativlos, verschiebt sich die Wertschöpfung schnell zulasten traditioneller Unternehmen und große Wettbewerber wie zum Beispiel Facebook werden immer mächtiger und wertvoller. Vor diesem Hintergrund wurde der Begriff des "Plattformkapitalismus" geprägt, der immer mehr Branchen erfasst.14) So wird das Musikgeschäft bereits stark von Anbietern wie Apple, Google und Spotify kontrolliert und auch beim Onlinehandel zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab: Alibaba und Amazon bauen ihre Marktmacht weiter aus und bringen die Marktführer des Präsenzhandels in Bedrängnis.

Plattformkonsortien

Wenn ganze Branchen zu Netzwerken verschmelzen und sich mächtige Knotenpunkte bilden, wird es nur wenigen "Plattformentrepreneuren" gelingen, die notwendige Kerntechnologie eigenständig bereitzustellen und ein eigenes Ökosystem zu organisieren. Die künftige Wettbewerbsfähigkeit traditioneller Pipeline-Unternehmen wird in Zukunft davon abhängen, wie schnell und flexibel sie auf die Herausforderungen des digitalen Strukturwandels reagieren werden und in der Lage sind, strategische Allianzen und Joint-Venture-Strategien zum Aufbau digitaler Plattformen zu entwickeln.

Die zweckgebundene Zusammenarbeit verschiedener Firmen wird als "Konsortialansatz" bezeichnet und kann von bilateralen Vereinbarungen bis zu großen Konsortien reichen, die besonders vorteilhaft sind, wenn viele unbekannte Variablen im Markt existieren und kein einzelner Akteur in der Lage ist, diese Komplexität und Unsicherheit zu überwinden.15)

Das Beispiel Apple zeigt, dass Unternehmen sich nicht zwischen Pipelineunternehmen oder Plattformunternehmen entscheiden müssen; sie können beides sein und es gibt noch viele reine Pipeline-Unternehmen, die erfolgreich sind; aber sobald Plattformen in einen Markt einsteigen, setzen sie sich in der Regel durch. Deshalb versuchen Pipeline-Konzerne wie Walmart, Nike, John Deere und GE mit allen Mitteln, ihre Modelle um Plattformen zu ergänzen.16) So experimentiert auch in Deutschland praktisch jedes größere deutsche Industrieunternehmen mit digitalen Plattformen, will neue Dienste anbieten sowie Kunden und Lieferanten enger an sich binden. Während es jedoch in den B2C-Konsumentenmärkten gilt, gegenüber ausländischen Unternehmen bestmöglich aufzuholen, besteht im B2B-Bereich und insbesondere bei Industrieplattformen großes Potenzial. Im Internet der Dinge existieren bereits über 500 Plattformen und es werden ständig neue Anbieter von zirka 40 Prozent Wachstum im Jahr angezogen.

Digitale Plattformen im Banking

Trotz dieser vielversprechenden Plattforminitiativen besteht Handlungsbedarf: Eine aktuelle Bitkom-Studie belegt, dass Digitalisierung ein wichtiges Thema in deutschen Unternehmen ist. Doch was Geschäftsführer und Manager darunter verstehen, ist sehr unterschiedlich: 75 Prozent wollen mithilfe digitaler Technologie Kundenakquise und Service verbessern, 60 Prozent hoffen auf Effizienzsteigerungen und 50 Prozent wollen das weltweite Netz zur Internationalisierung nutzen. Potenzial, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, erkennt dagegen nur zirka ein Drittel der Befragten17) und auch das Wissen über digitale Plattformen gibt An lass zu Bedenken: 54 Prozent der Geschäftsführer deutscher Unternehmen kennen den Begriff nicht und selbst in Großunternehmen ist er einem Drittel der Entscheider unbekannt. Zudem geben mehr als zwei Drittel der Industrieunternehmen an, dass digitale Plattformen für das eigene Geschäft für sie nicht relevant seien.18)

Diese Ergebnisse lassen befürchten, dass viele Manager die Chancen der Digitalisierung unterschätzen und die neuen Spielregeln der Plattformökonomie wenig bekannt sind: Wer eine digitale Plattform betreibt, gibt die Regeln vor - und profitiert jedes Mal, wenn App-Entwickler und Nutzer, Verkäufer und Käufer, Vermieter und Mieter zusammenkommen. Die Wertschöpfung verlagert sich zu den Betreibern der digitalen Plattformen. Im Silicon Valley beherzigt jeder Gründer dieses Konzept, in deutschen Firmenzentralen ist es dagegen offenbar wenig bekannt. Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, müssen auch traditionelle Bankhäuser groß denken. Dafür braucht es nicht nur technisches Verständnis, sondern auch strategische Partnerschaften und eine klare Strategie.

Die Bedeutung der digitalen Plattformökonomie im Banking wächst zunehmend und wird auch die Finanzbranche revolutionieren. In Zukunft werden neben den Tech-Konzernen wie zum Beispiel Amazon und Google auch spezialisierte Vergleichsportale wie Finanzcheck oder Interhyp eine wichtige Rolle spielen. Die Zeit für die Banken drängt, wie der Blick auf andere Branchen zeigt, die der Wandel in Richtung Plattformökonomie innerhalb kürzester Zeit verändert hat. So verkaufen zum Beispiel Fluggesellschaften heute viele Flüge nicht mehr direkt, sondern über Plattformen wie Opodo oder Kayak. Eine ähnliche Entwicklung ist in der Finanzindustrie bereits in vollem Gange.19) Insbesondere bei Produkten für Privatkunden verfügen Plattformen bereits über Marktanteile, die in Summe über 30 Prozent des Neugeschäfts ausmachen - mit schnell wachsender Tendenz.20)

Die Veränderungen traditioneller Banken sind offensichtlich. Die Anpassung an das digitale Zeitalter erfolgt jedoch meist nur am Kunden-Frontend der Wertschöpfung sowie innerhalb einzelner Geschäftsbereiche. So kommen zum Beispiel im Bereich Online-Banking zunehmend webbasierte Dienste, biometrische Erkennungssoftware oder neue digitale Finanzdienstleistungen zum Einsatz. Und auch bei der Prozessautomatisierung machen Banken Fortschritte: Konten lassen sich schneller eröffnen, Kredite kurzfristiger abschließen und auch komplexere Produkte wie Baufinanzierungen wickeln die Institute in deutlich kürzerer Zeit ab. Die Umsetzung tief greifender Innovationen steht jedoch noch am Anfang. Banken überlassen es derzeit oftmals den großen Technologieanbietern und Fintechs, die Zukunft des Geschäfts mit Privatkunden zu gestalten. In einer Umfrage von Roland Berger unter 60 Banken aus zehn Ländern zu den Innovationstreibern der Branche nennen nur zwei Prozent die klassischen Banken, 47 Prozent dagegen große Technologieanbieter. 21)

Strategische Allianzen erforderlich

Traditionelle Banken werden vom digitalen Strukturwandel mit aller Härte getroffen. Trotz strengerer regulatorischer Bestimmungen, unter Druck geratenen Margen und den Altlasten aus der Finanzkrise müssen Finanzinstitute stärker in digitale Technologien investieren. Zusätzliche Herausforderungen liegen für etablierte Banken darin, sich zu einem digitalen, plattformbasierten Ökosystem zu entwickeln und zunehmend strategische Allianzen mit externen Finanz- und Technologieanbietern einzugehen.22) Aber nicht alle Banken können mit eigenen digitalen Angeboten oder gar einer eigenen Plattform erfolgreich sein, weshalb sie eine strategische Grundsatzentscheidung fällen müssen: Wollen sie den Kontakt zum Kunden behalten, vor allem als Produktlieferant auftreten oder sich als Technologieführer etablieren?

Es wird jedoch nicht ausreichen, einzelne Geschäftsbereiche oder Vertriebskanäle isoliert mit modernen Technologien auszustatten. Eine Digitalisierungsstrategie kann nur als ganzheitlicher Ansatz zum Erfolg führen. Dabei müssen interne und externe Unternehmensbereiche, wie Forschung und Entwicklung, Vertrieb, Service, Qualitätsmanagement, Legal und Compliance sowie Personal oder Marketing, einbezogen werden und geeignete Programmierschnittstellen für die Adaption neuer Technologien bereitstellen.23) Eine Umfrage der Beratungsfirma Sopra Steria Consulting unter 109 Topbankern ergab, dass 54 Prozent davon ausgehen, dass künftig wenige große Banking-Plattformen den Markt beherrschen werden. Ebenfalls mehr als die Hälfte rechnet damit, dass die Plattformen große Marktanteile zulasten von Filial- und Direktbanken gewinnen werden.24)

Um langfristig im Wettbewerb bestehen zu können, werden sich traditionelle Banken zunehmend in digitale Banken-Ökosysteme umwandeln und strategische Allianzen mit zum Teil branchenfremden Unternehmen eingehen müssen. Die Bereitschaft strategische Allianzen miteinander oder mit Drittanbietern einzugehen, wird die Erfolgschancen erheblich beeinflussen. Wichtige strategische Partner im Bereich des digitalen Zahlungsverkehrs und mobiler Finanzdienstleistungen sind international agierende Karten- beziehungsweise Payment-Anbieter wie zum Beispiel Mastercard, Visa oder Paypal oder auch etablierte Telekommunikationsunternehmen, Einzelhandelsunternehmen, Internetplattformen und Fintech-Start-ups. Durch diese strategischen Allianzen werden Synergien hinsichtlich Größe, Reichweite und Kundenfokus im Markt für digitales, daten- und algorithmenbasiertes Banking erreicht. Bei zukünftigen Banking-Plattformen wird der Kunde im Mittelpunkt des digitalen Banken-Ökosystems stehen. Finanzdienstleistungen werden dadurch personalisierter, einfacher und intuitiver und es werden dem Kunden nicht nur Dienste der eigenen Hausbank, sondern auch diverser externer Anbietern zur Verfügung stehen.

Wichtig ist, dass Plattformen mit Vermittlergeschäft neutral sind, da die Kunden objektive Informationen zu einer Vielfalt von Produkten verschiedener Anbieter erwarten. Einige heimische Banken reagieren bereits auf diesen Trend. So hat die Deutsche Bank mit ihrem Zinsmarkt eine Plattform für Festgelder geschaffen, auf der die Anleger auch Angebote anderer Banken finden. Zudem hat sie das Firmenkundenportal "Blueport" gestartet, das Schnittstellen zu verschiedenen Fintechs aufweist.

Plattformstrategien

Um das Potenzial digitaler Plattformen mithilfe strategischer Allianzen ausschöpfen zu können, bedarf es der richtigen Plattformstrategie, einer passenden Architektur und geeigneter Betriebsmodelle. Hohe Erfolgschancen für Plattformen bestehen insbesondere in fragmentierten Märkten mit hohen Transaktionskosten für Suche, Verhandlung und Abwicklung, wenn es einer Plattform gelingt, die Transaktionskosten für beide Seiten deutlich zu senken. Darüber hinaus sollte die digitale Plattform neue Services und Geschäftsmodelle ermöglichen, wie zum Bei spiel Predictive Maintenance oder Payper-Use-Mo delle, und einen steigenden Nutzen durch Netzwerkeffekte aufweisen.25) Für eine erfolgreiche Plattformstrategie gilt es zunächst zu verstehen, wie grundlegend sich die Wettbewerbsdynamik in der Plattformökonomie verändert. Die größten Werte einer Plattform sind ihre Community und die Ressourcen der Mitglieder. Die Entwicklung von der Pipeline zur digitalen Plattform bringt daher in Anlehnung an van Alstyne drei wesentliche Verschiebungen:26)

1. Vom Kontrollieren zum Organisieren von Ressourcen: Beim ressourcenbasierten Wettbewerbsansatz können Unternehmen sich einen Vorteil verschaffen, wenn sie knappe und wertvolle, idealerweise sogar unnachahmbare Ressourcen kontrollieren. Anders als im klassischen Pipeline-Modell gehören dazu nicht nur Sachanlagen, sondern vielmehr die Community sowie die Ressourcen, die die Mitglieder beisteuern. Der wertvollste Vermögensgegenstand ist das Netzwerk aus Produzenten und Konsumenten.

2. Von der internen Optimierung zur externen Interaktion: Während Pipeline-Unternehmen versuchen, ihre internen Arbeitskräfte und Ressourcen so zu organisieren, dass sie über eine optimierte Kette von Aktivitäten einen möglichst hohen Mehrwert erwirtschaften, erfolgt die Wertschöpfung bei Plattformunternehmen anders: Sie ermöglichen die Interaktionen zwischen externen Produzenten und Konsumenten. Aufgrund dieser externen Orientierung minimieren sie die variablen Produktionskosten und der Schwerpunkt verlagert sich von der Prozessdefinition hin zum Überzeugen von Netzwerkteilnehmern.

3. Vom Kundenwert zum Ökosystemwert: Pipeline-Unternehmen maximieren den Wert einzelner Kunden, die am Ende eines linearen Prozesses stehen, über deren gesamte Lebensdauer hinweg. Plattformen hingegen wollen den Gesamtwert eines expandierenden Ökosystems maximieren und verwenden hierzu einen zyklischen, iterativen und feedbackgetriebenen Prozess.

Betriebswirtschaftliche und technische Ausgestaltung

Das Auslagern einzelner betriebswirtschaftlicher Funktionen ist nicht neu. Auf digitalen Plattformen wird die externe Orientierung aber neue Dimensionen annehmen. Da der größte Teil der Wertschöpfung einer Plattform durch die User Community erbracht wird, muss sie ihren Fokus von internen auf externe Aktivitäten verlagern. Dabei wird das Unternehmen gewissermaßen von innen nach außen gekehrt, wenn es wertschöpfende Tätigkeiten außerhalb des direkten Einflussbereichs ansiedelt. Aufgaben des Marketings, der IT, der Logistik oder der operativen Tätigkeiten konzentrieren sich zunehmend auf User, Ressourcen und Funktionalitäten, die sich außerhalb des Unternehmens befinden, und ergänzen oder ersetzen diese, sodass sich digitale Plattformen von innen nach außen kehren wie das folgende Beispiel zeigt:27)

Wurden Aktivitäten traditionell auf vertraulichen, internen Konten verbucht, wird jetzt ein Teil der Transaktionen öffentlich und externen Parteien zugänglich. Unternehmen wie IBM, Intel und J. P. Morgan führen die Blockchain-Technologie ein, über die Transaktionen sicher ausgeführt und von jedem mit Berechtigung geprüft werden können.28)

Kritische Erfolgsfaktoren

Banken werden zunehmend untereinander und mit externen Finanzdienstleistern wie Fintechs, Versicherungen oder Einzelhändlern durch Programmierschnittstellen verbunden sein. Mithilfe des Banking App-Stores kann der Kunde individuell und schnell entscheiden, auf welche Dienstleistungen und Produkte er zugreifen möchte. Bewertungen und Empfehlungen werden die Kundenentscheidung erleichtern. Zusätzlich kommen externe Empfehlungen sowie hauseigene Empfehlungsalgorithmen zum Einsatz. Grundsätzlich sind dabei Interaktivität und eine sichere IT-Umgebung entscheidend, um jederzeit sicher kommunizieren und agieren zu können.29)

Bei der Vielzahl aktueller digitaler Plattformen ist eine Bereinigung auf eine kleine Anzahl an Anbietern absehbar. Um sich auf dem Plattformmarkt durchzusetzen, sind neben den klassischen Erfolgsfaktoren30) die folgenden Herausforderungen zu berücksichtigen: Die größte Herausforderung einer digitalen Plattform besteht in der Umstellung von einer Welt, in der das Kundenangebot vollständig selbst gesteuert werden kann, zu einer, in der sich nur der Mehrwert beeinflussen lässt, den Externe für die eigenen Kunden schaffen oder der durch Interaktionen zwischen den Kunden entsteht.

Doch auch bei der Organisation und Führung digitaler Plattformen bestehen kritische Erfolgsfaktoren: Wenn die Identität eines Unternehmens darin begründet liegt, Produkte herzustellen und anzubieten, kann die Umstellung auf eine Plattformstrategie für die Mitarbeiter schwierig sein, sofern sie sich bislang sehr stark mit den Produkten identifiziert haben. Außerdem haben Pipeline-Unternehmen, die erfolgreiche Produkte oder Dienstleistungen verkaufen, oft große Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und beschäftigen viele Ingenieure in Führungspositionen. Bei der Umstellung auf eine Plattformstrategie müssen zentrale Führungspositionen gegebenenfalls stärker mit Experten für Unternehmensentwicklung und Marketing besetzt werden, was zu internen Konflikten führen kann. 31) Außerdem kann es Vorständen und dem Topmanagement Schwierigkeiten bereiten, sich an unterschiedliche und hybride Strategien anzupassen sowie neue Leistungskennzahlen einzuführen und zu bewerten. Dafür müssen Plattformen flexibel sein und rasch reagieren können. Statt starrer Strukturen bedarf es einer agilen Organisation, die sich schnell auf verändere Kundenwünsche einstellen kann.32)

Ausblick

Da digitale Plattformen neue Strategieansätze erfordern, braucht es auch einen neuen Führungsstil. Die Fähigkeiten, die für eine möglichst straffe Organisation interner Ressourcen erforderlich sind, nutzen beim Aufbau und der Skalierung externer Ökosysteme wenig. Traditionelle Pipeline-Unternehmen müssen neue Kernkompetenzen und eine neue Einstellung entwickeln, wenn sie mithilfe strategischer Allianzen neben ihrem herkömmlichen Geschäft Plattformen konzipieren, beaufsichtigen und geschickt vergrößern wollen. Auch viele traditionelle Banken stehen daher vor der Herausforderung, sich auf eine neue Strategie einzustellen und die neuen Regeln der Plattformökonomie gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern anzuwenden. Den Banken, denen es frühzeitig gelingt, ihre internen und externen Prozesse sowie die gesamte Produktpallette möglichst flexibel in eine digitale Unternehmensinfrastruktur einzubetten und mit den richtigen Partnern strategische Allianzen einzugehen, bieten sich dabei große Chancen.

Ein umfassendes Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag können Sie hier.

Fußnoten

1) Vgl. Baums et al.: Vorwort; in Baums et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 7.

2) Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 25.

3) Vgl. Rochet/Tirole: Two-Sided Markets: A Progress Report, Toulouse 2005.

4) Vgl. Baums: Analyse - Was sind digitale Plattformen? in: Baums et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 13-25, S. 15.

5) Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 25.

6) Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 24.

7) Vgl. Parsons et al.: Fair Play in der digitalen Welt, Berlin 2016, S. 12 ff.

8) Vgl. Hagiu/Altman: Eignet sich ihr Produkt für eine Plattformstrategie? in: Harvard Business Manager, Nr. 12, 2017, S. 80-88, S. 82.

9) Vgl. Kavadias et al.: Das transformative Geschäftsmodell, in: Harvard Business Manager, Nr. 4, 2017, S. 73-81, S. 74.

10) Vgl. Schmidt: Plattform Monopoly, in: Handelsblatt Nr. 21 vom 30.01.2018, S. 27.

11) In Anlehnung an Evans/Gawer: The Rise of the Platform Enterprise, New York, USA, 2016, S. 10 ff.; vgl. auch Parker et al.: Die Plattform-Revolution; Frechen 2017, S. 16.

12) Vgl. Iansiti/Lakhani: Die neuen Monopole; in: Harvard Business Manager, Nr. 1, 2018, S. 55-64, S. 56 ff.

13) Vgl. Iansiti/Lakhani: Die neuen Monopole; in: Harvard Business Manager, Nr. 1, 2018, S. 55-64, S. 62.

14) Vgl. Lobo: Auf dem Weg zur Dumping-Hölle; Spiegel Online, 03.09.3014.

15) Vgl. Baums: Analyse - Was sind digitale Plattformen? in: Baums et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 13-25, S. 20.

16) Vgl. Parker et al.: Die Plattform-Revolution; Frechen 2017, S. 15 ff.

17) Vgl. www.bitkom.org/Presse/Presseinformation; aufgerufen 08.02.2018.

18) Vgl. www.bitkom.org//Presse/Presseinformation/; aufgerufen 08.02.2018

19) Vgl. Atzler/Brächer: Weniger Bank, mehr Plattform; in: Handelsblatt Nr. 167 vom 30.08.2018, S. 6-7.

20) Vgl. Hach et al.: The digitalization race: Can financial service providers hack the pace? München 2018, S. 8.

21) Vgl. Hach et al.: The digitalization race: Can financial service providers hack the pace? München 2018, S. 7.

22) Vgl. Dapp: Wie verändern digitale Plattformen den Bankensektor? in: Baums et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 56-64, S. 62.

23) Vgl. Dapp: Wie verändern digitale Plattformen den Bankensektor? in: Baums et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 56-64, S. 57.

24) Vgl. Preußer: Branchenkompass Banking 2018, Hamburg 2018, S. 10.

25) Vgl. Zollenkop: Plattformökonomie im Maschinenbau; VDMA, Frankfurt 2018.

26) Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 26.

27) Vgl. Parker et al.: Die Plattform-Revolution; Frechen 2017, S. 22 ff;

28) Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 27.

29) Vgl. Dapp: Wie verändern digitale Plattformen den Bankensektor? in: Baums et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 56-64, S. 60.

30) Vgl. Roos et al.: Getting More Value from Joint Ventures, Boston Consulting Group, Boston, USA, 2014, S. 7 ff.

31) Vgl. Hagiu/Altman: Eignet sich ihr Produkt für eine Plattformstrategie? in: Harvard Business Manager, Nr. 12, 2017, S. 80-88, S. 88.

32) Vgl. Morvan et al.: Five Ways to Win with Digital Platforms, Accenture, Paris 2016, S. 23; vgl. Allen et al.: The Firm of the Future, Bain, London 2017, S. 9 ff.; vgl. Haberstock, P.: Agile Unternehmensorganisation; in: Das Wirtschaftsstudium, 47. Jahrgang, Nr. 1, 2018, Düsseldorf, S. 75-81, S. 79 ff.

Prof. Dr. Philipp Haberstock International School of Management, Hamburg, und Steinbeis Consulting Mergers & Acquisitions GmbH, Hamburg

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