Quo vadis, IRBA?

Dr. Uwe Dörr, Partner, und Dr. Eike Bick, Senior Manager, beide d-fine GmbH, Frankfurt am Main - Wie stark weichen die derzeit diskutierten Vorschläge des Baseler Ausschusses von den bisherigen Vorgaben für den IRBA ab? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die Ausgestaltung der regulatorischen Modellwelt der Banken, wenn diese Vorschläge in Gesetzesform überführt würden? Welche Rückwirkungen haben die Änderungen auf die Modelle zur internen Risikosteuerung? Bei ihrer Betrachtung dieser Fragestellungen im Lichte der vorgeschlagenen Reform des IRBA registrieren die Autoren für einen Großteil der Institute eine tief greifende Veränderung in der quantitativen Risikosteuerung. Die genauen Auswirkungen halten sie aber aktuell noch nicht final abschätzbar. (Red.)

Ein Vergleich des Kreditrisikomanagements der Bankenindustrie vor 25 Jahren und heute zeigt eine Entwicklung hin zum Einsatz von Modellen zur Kreditrisikoeinschätzung, die auf historischen Daten beruhen und mathematischstatistisch begründet werden. Die Entwicklung der Modell-Landschaft wurde begünstigt durch regulatorische Vorgaben, die mit der Einführung des "Internal ratings-based approach" (IRBA) im Rahmen des Basel-II-Regelwerks Kapitalanreize für eine risikosensitive Ausgestaltung interner Modelle setzen sollten.

Die gegenüber großen Banken artikulierte Erwartung der Finanzaufsicht, IRBA-konforme Modelle zu entwickeln und die Anforderungen, die im Rahmen der aufsichtlichen Genehmigung eines IRBA-Modells durch die Banken zu erfüllen waren, führte zu millionenschweren Investitionen in die Weiterentwicklung ihrer Daten-, Prozess- und Methoden-Landschaft. Auch zum jetzigen Zeitpunkt binden Projekte im IRBA-Kontext immer noch in hohem Maße Budget und Ressourcen.

Verunsicherung

Umso größer ist die Verunsicherung, die durch die jüngsten Veröffentlichungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht hervorgerufen wird, wobei als besonders prominent das Konsultationspapier BCBS 362 "Reducing variation in credit riskweighted assets - constraints on the use of internal model approaches" zu nennen ist. Nach Jahren beständig steigender Anforderungen an die internen Modelle deuten diese Veröffentlichungen auf einen aufsichtlichen Paradigmenwechsel hin, der sich in einer Abkehr von internen Modellen und stattdessen in der Vorgabe standardisierter Berechnungsmethoden für die Mindestkapitalausstattung äußert. Eine kurze Chronik des IRBA: Die Vorgeschichte des IRBA beginnt 1988 mit der Verabschiedung des "1988 Basel Accord", ein Dokument, das heute unter dem Namen "Basel I" geläufig ist und erstmals die Festsetzung internationaler Regeln für die Mindestkapitalausstattung von Banken zum Ziel hatte. Eine Überarbeitung des wenig risikosensitiven Basel-I-Ansatzes in den Folgejahren führte 2004 zur Erstveröffentlichung des "Revised Capital Framework" (Basel II), das in Form der "Solvabilitätsverordnung" in deutsches Recht überführt wurde. Basel II sah für die Berechnung der Mindestkapitalanforderungen im Kreditrisiko zwei Ansätze vor: den einfacheren regelbasierten Kreditrisikostandardansatz (KSA) und den auf internen Ratings basierenden Ansatz (IRBA).

Wesentliches Kennzeichen des IRBA ist dabei die Vorgabe, die in der Berechnung der Mindestkapitalanforderungen verwendeten Risikoparameter (im Wesentlichen also die Ausfallwahrscheinlichkeit PD, die Verlustquote LGD und den Risikopositionswert EAD beziehungsweise den Umrechnungsfaktor CCF) mithilfe von internen Modellen selbst zu schätzen. Diese Modelle müssen die im Basel-II-Regelwerk formulierten Randbedingungen erfüllen und der Aufsicht zur Genehmigung vorgelegt werden. Viele Banken initiierten in der Folge groß angelegte Projekte zur Einführung IRBA-konformer Ratingverfahren.1)

Subprime-Krise als Zäsur

Eine Zäsur in der Geschichte der Risikomanagement-Verfahren stellte die Subprime-Krise ab 2007 dar. Als Reaktion auf diese Krise veröffentlichte das BCBS 2009 ein Maßnahmenpaket, das vor allem strengere Regelungen im Bereich des Marktrisikos und für Verbriefungen enthielt - dieses Maßnahmenpaket wurde später als "Basel 2.5" bekannt. Parallel wurde an einer grundlegenderen Aktualisierung des Basel-II-Standards gearbeitet, der 2010 als dritter Basel Accord (Basel III) veröffentlicht wurde. Während Basel III als Reaktion auf die Finanzkrise deutliche Anpassungen an den Kapitalanforderungen gegenüber Basel II vornahm, wurden die IRBA-Regelungen nur punktuell angepasst - diesbezüglich galten weiterhin die im Basel-II-Standard festgelegten Anforderungen.

Die Basel-III-Vorschriften und damit auch die im Wesentlichen noch aus Basel II stammenden Regeln für die Ausgestaltung von IRBA-Verfahren wurden in der Folge in europäisches Recht überführt, in dem die Anforderungen an IRBA-Modelle in der "Capital Requirements Regulation" (CRR) ihren Niederschlag fanden. Die CRR als jüngste Weiterentwicklung des Basel-Rahmenwerks in Gesetzesform definiert für europäische Banken derzeit das rechtliche Umfeld für die Anwendung des IRBA. Die Zuständigkeit für die Abnahme der IRBA-Verfahren wurde 2014 für größere Banken von den vorher zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden auf die EZB übertragen.

BCBS 362 - der Anfang vom Ende des IRBA? Inhaltliche Schärfungen der CRR werden laufend von der European Banking Authority (EBA) vorgenommen. Auch in den EBA-Veröffentlichungen klingt bereits Kritik an der Anwendung des IRBA auf bestimmte Portfolios an. Während die Kritik der EBA aber insgesamt recht verhalten ausfällt, spricht sich das Basel Committee for Banking Supervision (BCBS) in seinem jüngsten Beitrag "Reducing variation in credit riskweighted assets - constraints on the use of internal model approaches" (BCBS 362, März 2016) sehr deutlich für eine starke Einschränkung der Verwendung von IRBA-Modellen aus. BCBS 362 kann als Kulminationspunkt einer bereits seit Jahren im BCBS geführten Diskussion angesehen werden, wie die regulatorischen Vorgaben zur Berechnung der Mindestkapitalanforderungen so auszugestalten sind, dass sie Vor- und Nachteile komplexer Modelle mit höherer Risikosensitivität und standardisierter Modelle mit besserer Vergleichbarkeit der Ergebnisse bestmöglich ausbalancieren. In diesem Zusammenhang ist insbesondere BCBS 258 vom Juli 2013 zu nennen, ein Papier, in dem die Idee unterer Schranken für Risikoparameter bereits anklingt und das den bisher propagierten Gleichlauf der Risikomessung für regulatorische Zwecke und für die interne Steuerung infrage stellt.

BCBS 362 als konkrete Ausgestaltung der Vorschläge

BCBS 362 gestaltet die bereits in den Vorabdiskussionen angeklungenen Vorschläge konkret aus. Die wesentlichen Eckpunkte dieses Papiers können wie folgt zusammengefasst werden:

1) Einschränkung der Portfolios, für die die Anwendung des IRBA-Ansatzes zulässig ist (constrained IRBA): Das BCBS sieht als einen wichtigen Treiber der mangelnden Vergleichbarkeit der Risikoparameterschätzungen die geringe Ausfallstückzahl für gewisse Portfolios, für die keine statistisch belastbaren Modelle entwickelt werden können. Aus diesem Grund schlägt das BCBS vor, für Portfolios bestehend aus Forderungen gegenüber Finanzinstituten und großen Unternehmen mit einer Bilanzsumme von über 50 Milliarden Euro zukünftig keine Anwendung von IRBA-Modellen mehr zuzulassen. Diese Portfolios würden dann unter dem Kreditrisikostandardansatz behandelt. Für große Unternehmen mit einer Bilanzsumme von unter 50 Milliarden Euro, aber einem Umsatz von mehr als 200 Millionen Euro wären IRBA-Modelle zulässig, aber lediglich im Basis-IR-BA (das heißt keine Schätzungen für LGD und CCF). Auch für Spezial finanzierungen sieht das Papier künftig keine Behandlung im IRBA-Ansatz mehr vor.

Eine Aussage zu Portfolios bestehend aus Forderungen gegenüber Ländern trifft das Papier nicht und verweist auf zukünftige BCBS-Publikationen. Auch bei Risikopositionen, für die grundsätzlich die Verwendung eines IRBA-Verfahrens zulässig ist, werden weitere portfoliospezifische Einschränkungen vorgeschlagen - so wäre beispielsweise eine CCF-Schätzung für Darlehen nicht mehr zulässig (eigene CCF-Schätzungen dürften nur für revolvierende Forderungen vorgenommen werden).

2) Einführung beziehungsweise Anhebung unterer Schranken für PDs, LGDs und CCFs: Um Modellrisiken vorzubeugen, die zu einer Unterschätzung der Risikoparameter führen, sieht BCBS 362 untere Schranken für die Risikoparameter PD, LGD und CCF vor. So wird beispielsweise die untere Schranke für PDs von 0,03 Prozent auf 0,05 Prozent angehoben und für LGDs von vollständig besicherten Risikopositionen eine untere Schranke eingeführt, die abhängig von der Art der Besicherung zwischen 0 Prozent und 20 Prozent liegt. Ein interessanter Aspekt dieses Abschnitts des BCBS-362-Papiers ist die Betonung, dass die Festlegung unterer Schranken für die Risikoparameter nicht in Konflikt mit der nach wie vor beabsichtigten Setzung von Anreizen geraten soll, die aufwändigeren IRBA-Verfahren zu implementieren. Vor diesem Hintergrund soll die konkrete Setzung der Schranken im Rahmen der in diesem Jahr startenden QIS hinterfragt werden - ein Prozess, dessen Ergebnis mit Spannung erwartet werden kann.

3) Spezifische Vorschriften für die Schätzung von PDs, LGDs und CCFs: BCBS 362 enthält darüber hinaus eine Reihe spezifischer Vorschriften, wie bestimmte Aspekte der Modelle für die Risikoparameter PD, LGD und CCF auszugestalten sind. Beispiele sind konkrete (und über die CRR deutlich hinausgehende) Vorgaben für die Berechnung von Downturn-LGDs oder realisierte CCFs. Neu ist in dem Papier unter anderem die Forderung, dass Migrationen zwischen Ratingklassen durch idiosynkratische, das heißt kreditnehmerspezifische Eigenschaften hervorgerufen werden sollen und nicht durch makroökonomische Konjunkturschwankungen. In diesem Punkt wird eine deutliche Anforderung formuliert, PD-Verfahren "through the cycle" und nicht "point in time" zu kalibrieren - eine Festlegung, welche die CRR nicht vorsieht.

Neben diesen drei Themengruppen sieht BCBS 362 eine Reihe kleinerer Änderungen vor - diese zielen sämtlich auf eine Komplexitätsreduktion und geringere Wahlfreiheit bei der Anwendung des Regelwerks ab. So wird der Ansatz vollständiger Substitution gestärkt, die Anrechnung bedingter Garantien eingeschränkt oder die Option der Schätzung eigener Haircuts in der umfassenden Methode zur Berücksichtigung finanzieller Sicherheiten entfernt.

Erstaunliches Comeback - externe Ratings in der Kapitalunterlegung

Betrachtet man die Verwendung von externen Ratings für die Bestimmung der Kapitalunterlegung, so ist eine bemerkenswerte Entwicklung zu konstatieren. So äußerte sich Bundeskanzlerin Merkel bereits im Juni 2008, also vor der Lehman-Pleite, in einem Interview mit der Financial Times kritisch in Bezug auf den dominanten Einfluss des "angelsächsischen" Regulierungssystems auf den Finanzmarkt. Zwei Jahre später unterstützte sie gemeinsam mit dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy die Vision einer europäischen Ratingagentur, die sich im Gegensatz zu den dominanten amerikanischen Agenturen am Modell der sozialen Marktwirtschaft orientieren sollte, deren Aufbau aber aufgrund fehlender Investoren beziehungsweise mangels Startkapital Anfang 2013 aufgegeben werden musste. Trotz des Scheiterns der europäischen Ratingagentur wurden auf europäischer Ebene weiterhin Alternativen zur Verwendung von externen Ratings diskutiert.

2013 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat eine Verordnung,2) welche die EU-Kommission dazu anhält, "bis 1. Januar 2020 alle Vorschriften im Unionsrecht zu streichen, die die Nutzung oder Abgabe von Ratings zu aufsichtsrechtlichen Zwecken erfordern oder gestatten, sofern geeignete Alternativen für die Bewertung des Kreditrisikos gefunden und umgesetzt worden sind."

Auch auf globaler Ebene wurde die Rolle der Ratingagenturen kritisch hinterfragt. So wurden auf dem Weltfinanzgipfel, welcher im November 2008 als Reaktion auf die durch die Lehman-Pleite ausgelöste globale Finanzkrise stattfand, bereits Alter nativen zur Verwendung von externen Ratings für die Bestimmung der Mindestkapitalunterlegung diskutiert.

Revolutionärer Vorschlag und Kehrtwende

Im Frühjahr 2015 veröffentlichte das BCBS dann mit dem Diskussionspapier Nr. 307 einen revolutionären Vorschlag, welcher den völligen Verzicht auf externe Ratings bei der Bemessung der Mindestkapitalunterlegung insbesondere in den Risikopositionsklassen Banken und Unternehmen vorsah. Mit der Abkehr von externen Ratings sollten "Klippeneffekte" sowie ein stabilitätsgefährdendes "Herdenverhalten" unterbunden werden, zu dem der Finanzmarkt bei "mechanistischem", das heißt mehr oder weniger unhinterfragtem Verlass auf externe Ratings neige. Gemäß BCBS 307 wurden die Risikogewichte statt aus externen Ratings auf der Basis von wenigen Kennziffern wie zum Beispiel der Eigenkapitalquote abgeleitet. Fehlende Verfügbarkeit der entsprechenden Informationen sollte mit drastisch erhöhten Risikogewichten bestraft werden.

Diese Vorschläge wurden von der Industrie nahezu einhellig abgelehnt, da externe Ratings bei aller Kritik eine wesentlich objektivere Risikoeinschätzung liefern, als dies einzelne Kennzahlen zu leisten imstande sind. Diesem Verlust an Risikosensitivität stünde ein erhöhter Aufwand zur Beschaffung der entsprechenden Informationen gegenüber, was die Attraktivität des Vorschlages noch weiter beeinträchtigte.

Das BCBS sah diese Kritik als berechtigt an und vollführte mit dem weiteren Diskussionspapier Nr. 347 eine bemerkenswerte Kehrtwende. Dieser neueste Vorschlag sieht nun die Verwendung der externen Ratings wieder vor, verlangt jedoch von den Instituten eine Sorgfaltsprüfung. Offen bleibt, wie diese Sorgfaltsprüfung im Detail auszugestalten sein wird, wobei davon auszugehen ist, dass das Proportionalitätsprinzip hier eine wichtige Rolle spielt.

Vor dem Hintergrund der Aufwertung des KSA, welche sich aus der Abschaffung des IRBA für bestimmte Portfolios gemäß BCBS 362 ergibt, zeichnet sich hier der erstaunliche Befund ab, dass die Bedeutung von externen Ratings für die Bemessung der Mindestkapitalunterlegung zumindest nach dem aktuellen Diskussionsstand im Vergleich zu der Zeit vor der Finanzkrise in erheblichem Maße zunimmt.

Die in BCBS 362 vorgeschlagenen Änderungen sind so grundlegend und umfassend, dass sie auf die überwiegende Mehrzahl der Institute gravierende Auswirkungen haben werden. Es lohnt sich daher, sie näher zu beleuchten. Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, werden im Folgenden einige Aspekte beispielhaft herausgegriffen.

Dabei sind auch Sachverhalte zu beachten, zu denen das Papier keine konkreten Vorschläge enthält. Ein Beispiel hierfür ist die Mindestabdeckung mit IRBA-Verfahren, welche ein IRBA-Institut (dauerhaft) vorweisen muss. In Deutschland beträgt diese gemäß aktuell gültiger Solvabilitätsverordnung 92 Prozent, und zwar sowohl bezogen auf das gesamte Forderungsvolumen als auch bezogen auf das risikogewichtete Forderungsvolumen. Gerade für diejenigen Institute, die den Mindestabdeckungsgrad (und damit die sogenannte Austrittsschwelle der IRBA-Umsetzung) noch nicht überschritten haben, stellt sich die Frage, ob es zukünftig eine entsprechende Regelung überhaupt noch geben beziehungsweise wie diese dann ausgestaltet sein wird.

Betrachtet man die explizit vorgeschlagenen Änderungen etwas näher, so stellt sich zunächst die Frage, wie sich der Ausschluss der Risikopositionsklasse Institute aus dem IRBA auswirken wird. Dabei ist es von besonderem Interesse, ob ein genereller RWA-Anstieg zu erwarten ist. Wie bereits einfache Überschlagsrechnungen zeigen, ist dies wohl tatsächlich der Fall. So erhalten Banken mit einem Single-A-Rating gemäß BCBS 347 ein Risikogewicht von 50 Prozent. Setzt man die entsprechende Ausfallwahrscheinlichkeit von etwa 10 Basispunkten (einschließlich Sicherheitsaufschlag) in die IRBA-Formel ein, so erhält man (bei einer LGD von 45 Prozent) lediglich ein Risikogewicht von zirka 31 Prozent.3)

Auch die Tatsache, dass bei ungerateten Instituten kein Rückgriff auf das Rating ihres Sitzlandes mehr vorgesehen ist, wirkt in der Tendenz RWA-erhöhend. Für solche Banken muss es gemäß BCBS 347 zukünftig ein Verfahren geben, welches eine Zuordnung zu den verschiedenen aufsichtlich vorgegebenen Risikogewichten ermöglicht, die derzeit durch die Bonitätsstufen des zugeordneten Sitzlandes bestimmt werden. Da das resultierende Risikogewicht dabei mindestens 50 Prozent beträgt, bedeutet dies insbesondere für ungeratete Institute in Deutschland, welche nach der derzeit noch gültigen Regelung mit einem Risikogewicht von 20 Prozent versehen werden, eine massive RWA-Erhöhung.

Änderungen in der Risikopositionsklasse Unternehmen

Die Änderungen in der Risikopositionsklasse Unternehmen fallen weniger gravierend aus, aber auch hier können sich massive Verwerfungen ergeben. So ist zum Beispiel die Zahl der deutschen Unternehmen, welche eine Bilanzsumme von mehr als 50 Milliarden Euro aufweisen und daher zukünftig vom IRBA ausgeschlossen werden sollen, mit weniger als 20 relativ gering. Entscheidend für die Höhe des RWA-Anstiegs ist jedoch nicht die Zahl der Institute, sondern das dahinterstehende Kreditvolumen, sodass auch hier im Einzelfall gravierende Effekte auftreten können.

Im Bereich der mittelgroßen Unternehmen, das heißt Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 200 Millionen Euro aber einer Bilanzsumme von weniger als 50 Milliarden Euro, soll die Verwendung von selbstgeschätzten Ausfallwahrscheinlichkeiten weiter möglich sein, die Verwendung von selbstgeschätzten Verlustquoten bei Ausfall und Umrechnungsfaktoren hingegen nicht. Hier sind die zu erwartenden Änderungen in der RWA-Belastung als geringer einzuschätzen, da eigene LGD-Schätzungen in der Regel im Vergleich zu tatsächlich realisierten Verlustquoten mit hohen Sicherheitsaufschlägen versehen sind, nicht zuletzt aufgrund der aufsichtlich vorgegebenen "Downturn"-Bedingung.4) Selbstgeschätzte unbesicherte LGDs liegen daher nicht selten in derselben Größenordnung wie die im Basis-IRBA vorgegebenen 45 Prozent. Wesentlich stärkere Auswirkungen sind - zumindest für einen Teil der betroffenen Institute - im kleinteiligen Geschäft, das heißt in den Segmenten Mengengeschäft sowie kleine und mittlere Unternehmen zu erwarten. Dies erscheint auf den ersten Blick paradox, da in diesen Segmenten die Anwendung des fortgeschrittenen IRBA ja weiter erlaubt sein soll. Die Erwartung größerer Verwerfungen liegt in der Festsetzung der Unterschranken für die Verlustquote bei Ausfall begründet.

So beträgt die Mindest-LGD bei vollständig durch Sachsicherheiten besicherten Forderungen gemäß BCBS 362 20 Prozent. Erfahrungsgemäß lassen sich jedoch beispielsweise in der Fahrzeugfinanzierung für bestimmte Klassen von Forderungen deutlich geringere Werte statistisch nachweisen. So haben Autobanken einerseits über den Hersteller Zugang zu einem leistungsfähigen Vertriebsnetz, andererseits verfügen sie über langjährige Expertise in der Verwertung. Daher werden insbesondere bei Finanzierungen mit Anzahlung deutlich geringere Verlustquoten erzielt, und selbst im Portfoliomittel sind Werte um 20 Prozent in bestimmten Geschäftssegmenten keine Seltenheit.

Noch gravierender stellt sich der Sachverhalt im Leasinggeschäft dar. Da der Leasinggeber Eigentümer des Leasingobjektes ist, kann er in dem Fall, dass der Verwertungserlös die ausstehende Forderung übersteigt, die Differenz als Gewinn einstreichen. Damit können im Gegensatz zur Kreditfinanzierung unerwartete Verluste, welche zum Beispiel durch Schäden oder Diebstahl in einzelnen Fällen entstehen, im statistischen Mittel durch Übererlöse kompensiert werden. So lassen sich im Leasinggeschäft in der Regel LGD-Klassen mit zugewiesenen Werten nahe Null finden.

Die geforderte Unterschranke von 20 Prozent stellt die Bank nun vor ein Dilemma. Will sie entsprechend der Vorgabe des Use-Tests einen möglichst weitgehenden Gleichklang von interner Steuerung und Kapitalunterlegung erreichen, so muss sie dafür entweder eine eingeschränkte Risikodifferenzierung oder ein verzerrtes Kalibrierungsniveau in Kauf nehmen.

Entkopplung der Risikoeinschätzung

Die einfachste Art, diesem Dilemma zu entkommen, wäre eine Entkopplung der Risikoeinschätzung für die interne Steuerung von den für die Kapitalunterlegung verwendeten Modellen. Dies würde eine Trendumkehr bedeuten, da in letzter Zeit unter dem Druck der Aufsicht im Hinblick auf die strenger werdende Auslegung des Use-Tests eher eine Entwicklung hin zu einer möglichst weitgehenden Vereinheitlichung stattfand - eine Entwicklung, die zwar in BCBS 362 nicht thematisiert, aber bereits in BCBS 258 angestoßen wird.

Ein weiterer erwähnenswerter Aspekt des Papiers ist die Forderung, PD-Ratingsysteme zukünftig an einer Throughthe-cycle-Philosophie auszurichten. Eine entsprechende Anforderung an die Ratingsysteme besteht derzeit aus der CRR heraus nicht. Die CRR verlangt lediglich die Kalibrierung auf langfristige Mittel von Ausfallquoten - eine Anforderung, die sowohl für Pointintime- als auch für Throughthecycle-Verfahren umsetzbar ist. Konsequenterweise sind in der Regel Ratingsysteme bei Banken nicht darauf ausgelegt, die Ratingergebnisse von makroökonomischen Zykluseffekten zu bereinigen - stattdessen sind meist Hybridmodelle im Einsatz, die eine "gedämpfte" Zyklusabhängigkeit aufweisen. Eine klare Ausrichtung auf Through-the-cycle-Verfahren dürfte erhebliche Aufwände bei der Anpassung vieler am Markt eingesetzter Ratingverfahren nach sich ziehen.

Die Zukunft der internen Modelle

Zweifellos hat die Einführung des IRBA einen Qualitätssprung in der quantitativen Risikomessung der Institute bewirkt. Insbesondere waren die Banken, die sich für den IRBA entschieden haben, unter dem Druck der aufsichtlichen Abnahme und auch der laufenden Kontrolle gezwungen, enorme Investitionen im Hinblick auf die Qualität der Prozesse, der Dokumentation und der Methoden zu tätigen.

Als prominentes Beispiel für den qualitätssteigernden Einfluss der Aufsichtsbehörden sei hier die Implementierung von Prozessen zur laufenden Sammlung von Verlustdaten genannt. Im IRBA-Kontext dienen Verlustdaten als Basis für die Entwicklung und Validierung von LGD- und CCF-Modellen. Wer sich in der Praxis mit Verlustdaten beschäftigt, stellt sehr schnell fest, dass die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Verlustdatensammlung ein komplexes Unterfangen ist. In der Regel zeigt sich, dass die mit der Verlustdatensammlung verbundenen Kosten mit steigendem Qualitätsanspruch sehr schnell in die Höhe schießen können. Das bedeutet insbesondere, dass Abstriche im Qualitätsanspruch erhebliche Einsparpotenziale mit sich bringen.5) Insofern ist es naheliegend, dass die Einschränkung des IRBA, welche mit der Umsetzung von BCBS 362 verbunden ist, keinen positiven Einfluss auf die Qualität der Risikomessung haben wird.

Qualitätsmaßstäbe noch nicht abschätzbar

Auf der anderen Seite ist nicht abzusehen, dass die Intensität der Nutzung von internen Modellen zur Risikoquantifizierung insgesamt abnehmen wird. Das liegt zum einen daran, dass sich die Methoden zur Bestimmung von PD, LGD und EAD in der Praxis bewährt haben und ihr Nutzen für die interne Steuerung außer Zweifel steht. Zum anderen wird die Nutzung interner Modelle nach wie vor auch von regulatorischer Seite gefordert - weder die Regelungen der MaRisk, die allgemein die Einrichtung aussagekräftiger Risikoklassifizierungsverfahren verlangen, noch die CRD-Vorgaben zum ICAAP oder zur internen Kapitalallokation, die ebenfalls interne Modelle voraussetzen, sind derzeit Diskussionsgegenstand. Es ist vielmehr so, dass die internen Modelle im neuen SREP-Konzept über den sogenannten SREP-Zuschlag auch weiterhin direkt auf die geforderte Eigenkapitalausstattung wirken.

Weiterhin erfordert die Bestimmung von kreditrisikobedingten Wertminderungen nach IFRS 9 eine zuverlässige Abschätzung erwarteter Verluste. Es liegt nahe, bereits bestehende interne Modelle zur Bestimmung von PD, LGD und EAD zu nutzen, um die für IFRS 9 benötigten erwarteten Verluste zu quantifizieren: Im Detail unterscheiden sich die Anforderungen von IFRS 9 und Basel II zwar6), jedoch lassen sich die Methoden zur Entwicklung von Basel-II-konformen Risikoparametern in der Regel so erweitern, dass auch IFRS-9-konforme Verlustschätzungen ermittelt werden können. Eine solche Konstellation, in der IFRS-9-Impairmentberechnungen im Kern auf IRBA-zertifizierten Verfahren basieren, erleichtert dem Wirtschaftsprüfer die Beurteilung der Qualität, da sowohl durch die initiale Abnahme als auch durch die laufende Kontrolle der IRBA-Verfahren ein hoher Qualitätsstandard durch die Aufsicht sichergestellt wird.

Insgesamt lässt sich jedoch noch nicht final abschätzen, welche Qualitätsmaßstäbe zukünftig an die internen Modelle, die nicht mehr im IRBA verwendet werden dürfen, seitens der Aufsicht und der Wirtschaftsprüfer angelegt werden.

Wie bereits ausgeführt bedeutet die in BCBS 362 vorgeschlagene Reform des IRBA für einen Großteil der Institute eine tiefgreifende Veränderung in der quantitativen Risikosteuerung. Die genauen Auswirkungen sind aktuell noch nicht final abschätzbar, zumal der Konsultationsprozess ja noch im Gange ist und nach Abschluss der Konsultation zum 24. Juni 2016 die bis Ende 2016 geplante Finalisierung des BCBS-Reformpakets sowie anschließend die Überführung der Vorschläge in geltendes Recht noch aussteht.

Potenzial zur Reduktion von Komplexität identifizieren

Was können die Banken - und insbesondere die IRBA-Banken - also tun, um ihr quantitatives Risikomanagement bestmöglich für die Zukunft zu wappnen? Bei aller Unsicherheit bezüglich der Weiterentwicklung der regulatorischen Vorgaben im Detail zeichnen sich gewisse Trends klar ab.

So hat sich der Fokus von innovativen, die realen Wirkzusammenhänge möglichst detailgetreu abbildenden Modellen hin zu solchen Verfahren verschoben, welche robust gegen ein sich änderndes ökonomisches Umfeld sind und mit geringem Wartungsaufwand betrieben werden können.

Auf der methodischen Seite bedeutet dies, dass Potenzial zur Reduktion von Komplexität identifiziert werden sollte. Aus prozessualer Sicht sollte ein möglichst hoher Automatisierungsgrad angestrebt werden. Dies betrifft sowohl die Prozesse der Datenaufbereitung als auch die statistischen Standardanalysen, welche im Rahmen der Validierung und Modellpflege durchgeführt werden müssen. Ein hoher Automatisierungsgrad ermöglicht es, die verfügbaren Ressourcen zielgenau einzusetzen und trägt somit zu einer verbesserten Kosteneffizienz bei.

Hohe Flexibilität und Modularisierung in der Umsetzung

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist eine hohe Flexibilität und Modularisierung in der Umsetzung, um auf ein sich änderndes regulatorisches Umfeld rasch und unter Vermeidung hoher Investitionen reagieren zu können. Eine solche Flexibilität kann durch den derzeit zum Teil am Markt beobachteten Aufbau intelligenter Risikoarchitekturen erreicht werden, die durch eine formale Verzahnung der fachlichen Anforderungen und der daraus resultierenden Modelle mit der jeweiligen IT-Umsetzung eine präzise Beschreibung und punktgenaue Umsetzung von Änderungsbedarf erlauben.

Eine Verbesserung des fachlichen und technischen Umsetzungsrahmens durch Automatisierung und Flexibilisierung kann helfen, in einem volatilen regulatorischen Umfeld Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Hierdurch wird aber nicht die Frage beantwortet, ob Banken bereits jetzt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung ihrer Risikomethoden auf die sich abzeichnenden Entwicklungen reagieren könnten - oder sollten.

Auch wenn diese Frage angesichts des derzeit noch wenig belastbaren Diskussionsstands nicht endgültig beantwortet werden kann, birgt die gegenwärtige Entwicklung aber einen durchaus positiven Aspekt: Nach vielen Jahren stark regulatorisch getriebener Methodenentwicklung kann BCBS 362 auch als Signal verstanden werden, den Nutzen interner Risikomodelle für die Vielzahl interner Steuerungsanwendungen wieder stärker in den Fokus zu rücken - auch und speziell für Portfolioteile, für die zukünftig möglicherweise keine Anwendung von IRBA-Modellen mehr zulässig sein wird. Hier kann eine frühzeitige Inventur der Risikomodelle hinsichtlich ihres Werts für die Verwendung in der internen Steuerung ebenfalls als eine geeignete Maßnahme ausgemacht werden, auf die derzeit stürmische Entwicklung der regulatorischen Randbedingungen zu reagieren.

Fußnoten

1) Neben den großen Banken betrifft dies insbesondere Spezialinstitute mit relativ homogenen Portfolios.

2) EU 462/2013

3) Hierbei ist der Aufschlag für große Unternehmen der Finanzbranche nicht berücksichtigt.

4) Die Downturn-Bedingung gemäß Art. 181 CRR besagt, dass die Schätzung der Verlustquote bei Ausfall einem Abschwung angemessen sein muss und somit in der Regel höher ausfällt als der beobachtete Langfristdurchschnitt.

5) Ein völliger Verzicht auf die Verlustdatensammlung ist keine Option, da sie in der aktuell noch in Konsultation befindlichen MaRisk-Novelle explizit gefordert wird.

6) Unterschiede bestehen beispielsweise hinsichtlich der IFRS-Anforderung, Point-in-time-Risikoparameter zu verwenden, die Risikoparameter nicht nur für das erste Jahr, sondern auch in einer Prognose für Folgejahre zur Verfügung zu stellen oder auch Best-Estimates der Parameter ohne konservative Annahmen (das heißt insbesondere ohne Downturn-Aufschläge) zu verwenden.

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