Die Regulierung von Blockchains - Anforderungen aus Bankensicht

Prof. Dr. Friedrich Thießen, Foto: Christine Kornack

Neue technologische Entwicklungen sollen dem vorherrschenden markt- und wettbewerbspolitischen Verständnis nach nicht durch allzu strikte Regulierungsvorschriften im Keim erstickt werden. Aber für eventuelle Newcomer und traditionelle Marktteilnehmer muss auch ein Level Playing Field geschaffen werden. Vor diesem Hintergrund wird über eine angemessene Regulierung für die sogenannten Fintechs nachgedacht. Der Autor betrachtet die Entwicklungen rund um die Blockchain, erläutert die für eine Blockchain-Regulierung eigens von einem durch das Bundesfinanzministerium eingeholten Empfehlungen des Fintech-Rates und misst sie an den Prinzipien der Wirtschaftspolitik von Walter Eucken. Sein Tenor: Es ist richtig, die Dienstleistungen zu regulieren, die mit der Blockchain erbracht werden, statt die Blockchain selbst. In einem Regulierungskonzept sollte Euckens Prinzip der Haftung eine zentrale Rolle einnehmen. (Red.)

Facebook hat mit seiner Währung Libra die Diskussion um Blockchain-basierte Dienstleistungen neu entfacht. Der deutsche Fintech-Rat, ein Beratungsgremium der Bundesregierung, hatte zuvor im März 2019 Empfehlungen hinsichtlich einer zukünftigen Blockchain-Strategie Deutschlands ausgesprochen.1) Hintergrund war der Wunsch der Bundesregierung nach einer umfassenden Blockchain-Strategie. Mit einer fest definierten politischen Agenda und einem zielgerichteten rechtlichen Rahmenwerk soll die Innovationskraft Deutschlands im Bereich Blockchain gefördert werden. In diesem Beitrag werden die Empfehlungen des Fintech-Rates vorgestellt und aus Bankensicht beleuchtet. Es werden kritische Aspekte gefunden und Vorschläge zu ihrer Handhabung gemacht.

Die Empfehlungen des Fintech-Rates

Die Empfehlungen Fintech-Rats kreisen um vier zentrale Aspekte.

1. Technologieneutralität: Eine Blockchain-Strategie soll unabhängig von der "technischen Umsetzung", das heißt unabhängig von der gewählten Variante der Blockchain sein.

2. Leistungsorientierung: Statt an der Technologie soll Regulierung an der Leistung ansetzen, die mithilfe der Blockchain erbracht wird. Auf diese Weise kann erreicht werden, dass Regelungen technologieneutral sind, Technologiewandel nicht behindert wird und Wettbewerbsneutralität (Level Playing Field) zu anderen Leistungsanbietern erreicht wird.

3. Anbieterorientierung: Zusammen mit den Leistungen sollen auch die Anbieter von Leistungen reguliert werden. Sie sollen Verantwortung tragen und für Fehlleistungen haften. Auch dies dient der Wettbewerbsneutralität.

4. Durchsetzungsorientierung: Ein letzter wichtiger Regelungsbereich betrifft die Durchsetzung von Ansprüchen an Dienstleister mithilfe des Rechtssystems. Dies ist ein notwendiger Aspekt, der aber angesichts der Globalität der digitalen Wirtschaft mit vielen Rechts- und Steueroasen schwierig zu erreichen sein kann.

Vier wichtige Anwendungsgebiete

Warum ist die Blockchain überhaupt wichtig? Die zukünftigen ökonomischen Anwendungsgebiete der Blockchain fasst der Fintech-Rat zu vier wichtigen Feldern zusammen:

- Machine Economy: Sie befasst sich mit der sicheren Anbindung von Geräten der realen Welt an die digitale Welt. Die reale Welt soll den Menschen weitestmöglich digital zugänglich gemacht werden.

- Register Economy: Hierunter ist das digitale Management von Registern (wie Handelsregister, Grundbuch, Meldewesen, Personenidentitätsregistern, Firmenregister, Impf- und andere Gesundheitszertifikate) mit hoher Integrität und Möglichkeit zu Realtime-Transaktionen zu verstehen.

- Money Economy: Der Fintech-Rat spricht von Datenmonetarisierung, also der Repräsentation von Geld und Währungen in digitaler Form. Hierunter fällt auch die neue Facebook-Währung Libra.

- Finance und Assets Economy: Hierunter fällt die Erbringung diverser Finanzdienstleistungen mithilfe von Blockchains.

Rechtssichere Handhabung sicherstellen

Einen besonderen Nutzen sieht der Fintech-Rat in der Tatsache, dass die Blockchain-Technologie wie eine Open-Source-Software gehandhabt wird und jedermann die Entwicklung mit vorantreiben kann. Eine Blockchain-Regulierung sollte diesen offenen Charakter unterstützen, fordert der Rat.

Ein Problem stellen Datenschutzerfordernisse dar. Die digitale Welt der Blockchain arbeitet mit Kryptografie, ist aber ansonsten von jedermann einsehbar, was Datenschutzerfordernissen entgegenstehen kann. Es müssen Kompromisse gefunden werden.

Der Rat fordert weiter, die Machine Economy auch indirekt zu fördern. Damit reale Dinge rechtssicher elektronisch gehandhabt werden können, sind verschiedene Vorbereitungen zu treffen. Wertpapiere zum Beispiel müssen von Schriftformerfordernissen befreit werden. In anderen Fällen stören Beglaubigungspflichten und die Mitwirkung von Notaren.

Der konkrete Weg, reale Dinge in der digitalen Welt handhabbar zu machen, ist die sogenannte Tokenisierung. Dies ist die Repräsentation realer Dinge durch digitale Zeichenfolgen. In dieser sieht der Rat eine zentrale Zukunftstechnologie. Die Regulierung sollte zwischen dem Inhalt der Token (eine versprochene Leistung) und dem Token als Container, das heißt als Transportmittel des Versprechens, unterscheiden. Um ein Level Playing Field mit herkömmlichen Anbietern von Leistungen zu erreichen, bedarf der Inhalt keiner gesonderten Regulierung - es sollen die allgemeinen Regeln für die entsprechenden Leistungen gelten. Währenddessen muss der Umgang mit dem Token als Container neu geregelt werden.

Mit Bezug auf Smart Contracts weist der Rat auf besondere Gefahren automatisch ablaufender Programme hin. Diese hätten das Potenzial, sich zu gefährlichen Trojanischen Pferden zu entwickeln, was daraus resultiert, dass Programmierungsergebnisse von ursprünglichen Intentionen abweichen können. Eine schriftliche Anweisung in ein Programm umzusetzen, sei nie eins zu eins möglich. Der Rat will Emittenten und Diensteanbieter "für die in Umlauf gebrachten Smart Contracts" in die Pflicht nehmen.

Financial Inclusion als besonderer Nutzen

Einen besonderen Nutzen der Blockchain-Technologie sieht der Fintech-Rat auch in der Financial Inclusion. Das ist der Versuch, finanzwirtschaftlich rückständige Länder schnell an die Leistungsfähigkeit von Industrieländern heranzuführen. Die mit der Blockchain verbundene Distributed-Ledger-Technologie (DLT) kann dazu Beiträge leisten, weil sie keine Institutionen (wie Banken, Börsen, Recht, Verwaltung) voraussetzt, die in entwickelten Ländern eine lange Tradition und vielerlei regulatorische Voraussetzungen haben.

Zum Ansatzpunkt der Regulierung führt der Rat aus, dass auch Blockchain-interne Eingriffe denkbar seien. Der Staat könnte Regulierungsknoten in den Blockchains implementieren. Die Knoten könnten Informationen über Veränderungen an Blockchains aufnehmen und an staatliche Stellen weiterleiten oder steuerliche Konsequenzen von Vorgängen direkt bearbeiten.

Die Problembereiche

Wenn man die Regulierungsvorschläge des Fintech-Rates Revue passieren lässt, dann stellt man fest, dass viele Bereiche tangiert werden, die Blockchain an sich aber nicht. Die Blockchain und alle Leistungen, die notwendig sind, die Blockchain am Leben zu halten und weiterzuentwickeln, bleiben außen vor. Für Banken und andere traditionelle Finanzdienstleister drohen daraus empfindliche Nachteile, weil es in der für sie zuständigen Welt wenige regulierungsfreie Räume gibt.

Dieses Problem wird im Folgenden näher beleuchtet: Zunächst wird dargestellt, was Blockchains von traditionellen Systemen unterscheidet und welche Regulierungsfreiräume sich daraus ergeben, die sich zum Nachteil traditioneller Dienstleister auswirken können. Dann werden Vorschläge für eine passende Regulierung gemacht, die auf das ordoliberale Prinzip der Haftung von Walter Eucken Bezug nehmen.

Abgrenzung von Blockchain: Was ist eigentlich eine Blockchain? Blockchains werden vom Fintech-Rat als "Protokolle zum Synchronisieren dezentraler Datenbanken" definiert. Der Begriff dezentral bezieht sich darauf, dass die Datenbanken nicht ausschließlich von einem zentralen Akteur verwaltet und bearbeitet werden können, sondern von mehreren. Dabei gibt es zwei Varianten:

- Öffentliche Blockchain-Systeme sind "vollständig" dezentrale Systeme2) in folgendem Sinne: Die Datenbanken sind dezentral abgespeichert und können von jedermann mit der nötigen Software eingesehen und ohne Zwischenschaltung einer zentralen Institution geändert - im Sinne von ergänzt - werden. Einmal vorgenommene Ergänzungen sind nicht revidierbar. Ergänzungen sind durch Kryptografie gesichert.

- Private Blockchain-Systeme sind unvollständig dezentrale Systeme. Im Gegensatz zu öffentlichen Systemen gibt es spezifische Berechtigungsoptionen für bestimmte Mitwirkende, die namentlich bekannt sind. Nur sie können Änderungen vornehmen. Die Datenbank kann, muss aber nicht dezentral abgespeichert sein. Damit ist der Unterschied zu herkömmlichen Datenbanksystemen denkbar gering - wenn es überhaupt einen gibt.

Datenbankprotokolle befriedigend reguliert

Wenn Blockchains Datenbankprotokolle darstellen, dann fragt sich, wo das Regulierungsproblem liegt, denn Datenbankprotokolle an sich gibt es seit Langem, und sie sind befriedigend reguliert. Die Bundesregierung hatte dem Fintech-Rat die Frage nach dem Unterschied von herkömmlichen und Blockchain-basierten Datenbanktechnologien gestellt. Der Unterschied ist nicht leicht zu finden, denn sowohl die Verteiltheit der Daten, deren kryptografische Sicherung, die jederzeitige Einsichtsmöglichkeit und das Verbot nachträglicher Änderungen (zum Beispiel dürfen Händlerzettel nicht korrigiert werden) gibt es auch bei herkömmlichen Datenbanken.

Das Distributed-Ledger-System (DLT): Was also unterscheidet die Blockchain-Datenbanken von herkömmlichen Datenbanken? Laut FTR kommt der Distributed-Ledger-Technologie ("DLT-System") die entscheidende Rolle zu. Das DLT-System zeichnet sich dadurch aus, dass die kryptografisch gesicherten Daten auf mehreren Rechnern verteilt sind, von diesen Rechnern auf Authentizität geprüft und bearbeitet, das heißt ergänzt, werden, ohne dass es für diese Aufgaben einen bestimmten zentralen Akteur gibt. Das DLT-System übernimmt die "Prozesse eines zentralen Akteurs"; es tritt an dessen Stelle.

Dies zieht enorme Konsequenzen nach sich. Denn mit dem Übergang des Betriebes einer Datenbank von "einem zentralen Akteur" auf "viele" verändern sich grundlegende Rechte und Pflichten. Verantwortlichkeiten verlagern sich.

In Datenbanken mit DLT-Technologie kann es sein, dass für Leistungen, für die in traditionellen Datenbanksystemen ein Verantwortlicher existiert, nun plötzlich in dem DLT-System niemand mehr verantwortlich ist. Denn die "vielen", die an der Distributed-Ledger-Technologie beteiligt sind, sei es als Programmierer oder als "Miner" oder als Bereitsteller von Speicherplatz, möchten keine Verantwortung übernehmen.

Organisierte Verantwortungslosigkeit: Der FTR weist an mehreren Stellen seiner Empfehlungen mehr indirekt als direkt auf die Tatsache der Verantwortungslosigkeit für zentrale Leistungen im Blockchain-System hin. Beispiele aus dem FTR (2019): "Ein Auskunftsrecht von einem Betreiber zu formulieren, geht an einer dezentralen betreiberlosen Blockchain vorbei." Oder: "Das technische System ... untergräbt die Hoheit des Rechtssystems durch anonyme Teilnahme an einem System ohne Besitzer bzw. Betreiber." Oder besonders kritisch: "Lassen sich bei privaten Blockchains die Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Systems noch dem Betreiber oder den Betreibern auferlegen, so ist dies bei Public Blockchains nicht der Fall." Denn niemand ist für das System verantwortlich.

Ohne zentralen Akteur

Man möchte kommentieren, dass es natürlich Betreiber gibt, sonst würden Blockchain-Systeme ja nicht laufen. Das Entscheidende ist, dass sich niemand als Betreiber sieht. Niemandem ist der Betrieb als Hauptaufgabe zugeordnet. Jeder übernimmt nur irgendeine Teilfunktion, und selbst für diese wollen die meisten nicht haften. Die automatisch arbeitende Software übernimmt die Koordination der Teilleistungen. Weder für diese, noch für das Ganze übernimmt irgendwer die Verantwortung. Die Open-Source-Software wird zwar von irgendwem programmiert und dann von irgendjemandem "scharf" geschaltet. Aber für die Folgen des Softwarebetriebs will keiner einstehen.

Systemstabilität: Es stellt sich die Frage, was solche Systeme "am Leben hält", wie lange solche Systeme "am Leben bleiben" und was ihren Zusammenbruch bewirkt, denn ewig werden sie wahrscheinlich nicht leben. Welche Folgen ergeben sich daraus für die Gesellschaft?

Wirtschaftspolitische Anforderungen: das Prinzip der Haftung

Der Fintech-Rat ist der Meinung, dass der Betrieb einer Blockchain mit DLT durch Personen gewährleistet wird, die an der Funktionsfähigkeit des Systems ein mehr oder weniger großes Interesse haben. Dieses kann eventuell auch nur zeitweilig bestehen. Public Blockchains haben dem FTR zufolge nur "spieltheoretisch begründbare Stabilitäten".3) Stabilität eines Public Blockchain-Systems mit DLT-Technologie sei das "stochastische Ergebnis gegebener Wahrscheinlichkeiten" (ebenda). Mangels Betreiber und mangels Verantwortlichem sei die Zuverlässigkeit dem Fintech-Rat zufolge staatlicherseits "nicht kontrollierbar".

Damit sind wichtige Facetten des Blockchain-Systems aus Sicht des FTR erläutert. Zusammenfassend ergibt sich also: Blockchains sind im Kern Datenbanktechnologien, die sich von traditionellen Datenbanktechnologien durch die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) unterscheiden. Wesentliches Kennzeichen der DLT ist, dass sie betreiber- und besitzerlos arbeitet. Es fehlt ein zentraler Akteur und viele Beteiligte fühlen sich nicht verantwortlich.

Dieser Zwischenstand leitet über zu Walter Eucken und seinen Prinzipien der Wirtschaftspolitik.4) Eucken verfolgte das Ziel, die Grundlagen einer funktionsfähigen und menschenwürdigen Wirtschaft zu formulieren. Diese sieht er in einer Wettbewerbswirtschaft gewährleistet, wenn bestimmte "konstituierende" und "regulierende" Ordnungsprinzipien eingehalten werden. Das sechste seiner konstituierenden Ordnungsprinzipien ist die "Haftung".5)

Das Haftungsprinzip fordert, dass die Folgen ökonomischen Handels vom verursachenden Wirtschaftssubjekt selber zu tragen sind. "Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen",6) beginnt Eucken seine Ausführungen zur Haftung plakativ. Die Bedeutung der Haftung für eine funktionsfähige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Sie ist die Voraussetzung für eine Gesellschaftsordnung, die Freiheit und Selbstverantwortung ermöglichen will. Dies liegt darin begründet, dass die Freiheit zu Handeln ohne Haftung zu schweren Schäden führen kann.

Eucken beschreibt die im 19. Jahrhundert begonnene und immer noch anhaltende Tendenz, die Haftung für eigenes Tun zu begrenzen. Praktisch überall sieht sich ein Verbraucher Haftungsbegrenzungen gegenüber. Die Public Blockchain ist in gewisser Weise ein Schlussstein dieser Entwicklung, weil absolut niemand mehr haften (möchte): die Blockchain ist besitzer- und betreiber- und damit haftungslos.

Mittel der Auslese und Förderer von Umsicht und Sorgfalt

Warum ist Haftung wichtig? Die Haftung hat nach Eucken eine große Funktion in wettbewerblich organisierten Marktwirtschaften. Sie dient der Auslese. Sie hilft, dass mit Kapital vorsichtig umgegangen wird. Investitionen werden mit Umsicht und Sorgfalt getätigt, wenn man haften muss. Haftung wirkt auch auf das Machtstreben einzelner begrenzend, weil mit jeder Zunahme wirtschaftlicher Tätigkeit der Haftungsumfang größer wird.7)

Eucken fordert gestützt auf Röpke, dass der Weg zu eigenen Gewinnen nur über adäquate Leistungen führen darf. Fehlleistungen und Mängel müssen mit Verlusten und schließlich dem Ausscheiden aus dem Markt bestraft werden. Dazu ist Haftung nötig. Wer sich der Strafe für eigene Fehlleistungen oder zu vertretende Mängel durch Abwälzen der Verluste auf andere (bei fehlender Haftung) entzieht, der stört den Ausleseprozess des Marktes.8)

Eucken fasst dann als wirtschaftliche Maxime zusammen: "Wer für Pläne und Handlungen verantwortlich ist, der haftet." Diesem Prinzip steht die besitzer- und betreiberlose Blockchain diametral entgegen. Es gibt in der digitalen Blockchainwelt zwar Menschen, die eine Blockchain programmieren und andere, die eine Blockchain in Betrieb halten, aber niemand fühlt sich verantwortlich und keiner haftet.

Eucken führt den Haftungsgedanken so konsequent fort, dass er nicht nur Unternehmen für die in ihrem Namen durchgeführten Handlungen haften lassen will, sondern auch innerhalb der Unternehmen diejenigen Personen entsprechend ihres Beitrages zu den Entscheidungen. Dies ist im Bankensektor mittlerweile wieder aufgegriffen worden. Er geißelt die Entwicklung seiner Zeit, derzufolge sich Leitungspersonen immer mehr aus der Haftung herausgeschlichen haben, indem sie nicht mehr als "persönlich haftende Gesellschafter", sondern nur noch als Direktoren oder auch nur als haftungsbegrenzte Mehrheitsaktionäre auftreten, die aus dem Hintergrund agieren.9)

Schäden im Umkreis von Blockchains

Bevor Vorschläge gemacht werden, wie das Prinzip Haftung die Regulierung der Blockchain-Technologie beeinflussen sollte, wird im Folgenden gezeigt, zu welchen Schäden es im Zusammenhang mit Blockchains bereits gekommen ist, für die sich weitgehend niemand verantwortlich fühlte. Es bewährt sich, die Schadensfälle in zwei Kategorien zu trennen:

- Umfeldbezogene Fälle: Das sind Schadensfälle, die im Umfeld der Blockchain auftreten. Es geht dabei um die Geschäftsmodelle, in deren Kern sich Blockchains mit Distributed Ledger Technologie befinden.

- Zentrale Fälle: Das sind Schadensfälle, die direkt im Zentrum der Technologie stattfinden und die Blockchain selbst betreffen.

Umfeldbezogene Fälle: Die Phrase "Theft of Bitcoin" ist bereits zu einem Markenzeichen der Bitcoin-Technologie geworden. Es gibt Hunderte von Beiträgen im Internet, welche die Geschichte entwendeter Bitcoins behandeln - und das, obwohl Bitcoins auf einer Blockchain angeblich sicher gespeichert werden.

Satoshi Nakamoto hatte der Stabilität der Währung und dem Problem des Double Spending höchste Aufmerksamkeit gewidmet. Traditionelle Institutionen sollten ausgeschaltet werden. Wie man Geschäftsmodelle reguliert, die mit Blockchains arbeiten, ist ihm nicht wichtig gewesen. Deshalb tummelt sich hier viel Unseriöses. Software wird schlampig programmiert: "It's surprising just how easy it is without any tech skill to commit cybercrimes like ransomware." Und: "It is often as simple as a highly trained but unemployed engineer looking to make extra cash."10)

Die Handelsplattform Bitfinex weist ihre Nutzer auf mannigfaltige Risiken und Sicherheitsprobleme ihrer eigenen Leistungen und diverser Dienstleistungen im Blockchain-Umfeld hin, schließt aber eine eigene Haftung für Probleme kategorisch aus. Wer die Services dieser Börse nutzt, muss erklären, dass er Bitfinex und seine Mitarbeiter von allen "liabilities for any and all losses" entbindet.11) Infolgedessen überschlagen sich Foren mit Vorschlägen, wie man sich selbst um mehr Sicherheit kümmern könnte.

Fehlende Anreize zur Absicherung der Systeme

All die genannten Probleme und viele weitere im Umkreis von Blockchains kann man als Ergebnis der fehlenden Pflicht zur Haftung begreifen, weil die Dienstleister ohne diese gar keinen Anreiz haben, mehr als eine gewisse Energie in die Absicherung ihrer Systeme zu stecken.

Man hat den Eindruck, also ob sich hier eine Industrie ganz zielstrebig genau in dem Bereich ausbreitet, der bedingt durch die merkwürdige Konstruktion der "betreiber- und besitzlosen" Blockchain weitgehend haftungsfrei ist.

Zentrale Fälle: Welche Schadensfälle gibt es aus dem Zentrum der Blockchain- und DLT-Technologie zu berichten? Hier steht das Verifizieren von Änderungen der Blockchain (Mining) und die Weiterentwicklung der Software, um das System zu verbessern und an geänderte äußere Rahmenbedingungen anzupassen, im Mittelpunkt. Das ist der Bereich, den der Fintech-Rat als "besitzer- und betreiberlos" bezeichnet hat. Er ist insofern kritisch, als die Mitwirkenden unbekannte Interessen verfolgen, während die Ergebnisse ihres Handelns gleichwohl das Herzstück vieler Geschäftsmodelle berührt, die mit einer Blockchain arbeiten. Die Beteiligten ändern zentrale Grundlagenstrukturen der Blockchain-Technologie. Aber haften für ihre Aktivitäten wollen sie nicht.

Ein Problem ist die Validierung von Blocks. Sie gehört zu den zentralen Aufgaben im Blockchain-System. Allerdings verdient man damit anders als mit dem Mining kein Geld. Konsequenterweise tauchte Software auf, welche die Validierung unterdrückte: "Unfortunately, it turned out that roughly half the network hash rate was mining without fully validating blocks."12) Und weiter: "Some miners are currently generating invalid blocks" und "almost all software will accept these invalid blocks under certain conditions."13) Das sind gravierende Probleme im Zentrum der Blockchain-Technologie.

Massive kommerzielle Interessen einiger Mitwirkender

Dahinter scheinen massive kommerzielle Interessen zu stehen. Einige Mitwirkende scheinen deutlich mehr Einfluss zu besitzen als andere. Sie führen Beratungsunternehmen und organisieren Minerpools mit dem Ziel, durch Mining gewonnene Kryptowährungen zu vereinnahmen. Zu den einflussreichen Personen gehört Craig Wright. Er hatte noch am 12. Oktober 2018 die Vorzüge des besitzer- und betreiberlosen Blockchain-Systems von Bitcoin Cash so erklärt: "It has a distributed system, because any system that has a single player can be shut down, changed or altered - it is not stable. It is only through competition from the best miners competing that we end up with stable money."14)

Während er also hier die Vorzüge eines dezentralen Systems in der enthusiastischen Sprache des Altruisten-Zeitalters erläuterte, erklärte er wenige Tage später, nachdem seine kommerziellen Interessen in Gefahr geraten waren: "If you want a war... I will do 2 years of no trade. Nothing. In the war, no coin can trade. ... I will see BCH trade at 0 for a few years."15) Wright spricht hier von "I", also "Ich". Man fragt erstaunt, wie kann es sein, dass in einem verteilten DLT-System eine Person eine solche Macht haben kann, einen "shut down" herbeizuführen - und dass es genau die Person ist, die zeitgleich vor der Macht von "single playern" warnte?

Haftung und Regulierung

Wright hatte die Kontrolle über den SV-Mining-Pool sowie den Mining-Pool von Coingeek aufgebaut. Beide Pools zusammen stellten knapp 60 Prozent der Hash-Leistung des gesamten Bitcoin- Cash-Netzwerks. Damit ist aber schon die kritische Grenze von 50 Prozent überschritten, auf die hin Nakamoto sein System konstruiert hatte. In der Financial Times wurde dieser Sachverhalt kommentiert: "Blockchain was supposed to make tracking easy and to create trust by circumventing old institutions. Instead we have a court battle and conspiracy theories about a founder's fate. If this is the future, I think I prefer the past." Oder anders formuliert: Den kritisierten alten Institutionen sind unseriöse neue auf dem Fuß gefolgt.

Es ließen sich noch viele Beispiele zusammentragen. Zusammenfassend zeigt sich: es gibt Anzeichen dafür, dass sich die Zentren von Blockchain-Systemen in desolatem Zustand befinden. Die Hoffnung, dass in verteilten Systemen auf gerechte, demokratische, effiziente und marktkonforme Weise bestmögliche Entscheidungen gefällt werden, hat sich zerschlagen. Wirtschaftliche Interessen haben zielgerichtet zu einer Konzentration der Macht in den Händen einzelner Personen geführt.

Beteiligte führen sich einerseits als uneigennützige altruistische Förderer der Blockchain-Idee auf, während sie andererseits massive wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgen und rücksichtslos agieren. Gegen anerkannte Regeln von guten Corporate Governance Strukturen wird erheblich verstoßen. Haftung wird nicht übernommen. Negative Vorkommnisse betreffen nicht nur die Blockchain-Peripherie, also diejenigen Geschäftsmodelle, die sich rund um die zentrale Datenbank herum gebildet haben, sondern auch den Technologiekern, also die Steuerung der Datenbank selbst.

Damit stellt sich Frage nach der bestmöglichen Regulierung. Die Forderung des Fintech-Rates die Dienstleistungen zu regulieren, die mit der Blockchain erbracht werden, statt die Blockchain selbst, ist richtig. Im Finanzwesen werden traditionell die Leistungen reguliert und nicht die Technologien.

Dazu kommt, dass sich die Blockchain selbst auch kaum regulieren lässt, weil es niemandem zu verbieten ist, irgendetwas zu programmieren und den Code ins Netz zu stellen. Aber derjenige, der diesen Code aufgreift und damit eine Leistung erbringt, die er anderen anbietet, der muss voll haften. Wenn man das nicht regulatorisch durchsetzt, schafft man ein verzerrtes System, das traditionelle Anbieter schädigt, denn die haften für alles das, was sie tun.

Regeln für ein Level Playing Field

Die Konsequenz kann nur sein, dass dem Prinzip der Haftung Geltung verschafft werden muss. In einem Regulierungskonzept der Bundesregierung muss die Haftung eine zentrale Rolle einnehmen. Im Einzelnen sollte es folgende Regeln geben, um ein Level Playing Field mit traditionellen Anbietern von Finanzdienstleistungen zu schaffen:

- Jeder Anbieter (einer direkt oder indirekt Blockchain-gestützten Leistung), der gewerblich eine solche Leistung anbietet, muss für den versprochenen Erfolg haften.

- Jeder Anbieter muss erklären, was seine Leistung konkret ist und wie sein Haftungsumfang aussieht.

- Die Leistung, also auch Haftungsausschlüsse für irgendwelche Teilleistungen, müssen, wenn sie sich an Privatpersonen richten, in verständlicher Sprache klar erklärt werden.

- Überraschende und ungewöhnliche Haftungsausschlüsse darf es nicht geben.

- Jeder Beteiligte muss greifbar sein. Eine internationale Kennnummer für Unternehmen, so wie es sie bei Derivat-Geschäften bereits gibt, könnte an dieser Stelle helfen.

- Der Gerichtsstand muss im Inland, das heißt im Land des Nutzers, liegen.

- Jeder Beteiligte muss eine ausreichende Haftungsmasse nachweisen. Die Haftungsmasse muss bekannt gemacht werden. Sie muss im Inland greifbar sein.

- Beteiligte müssen Interessenkonflikte transparent aufzeigen und sollten Regeln guter Corporate Governance einhalten.

Man braucht im Grund nur den Kanon von Vorschriften, die in Marktwirtschaften generell gelten, auf Blockchainbasierte Dienstleistungen anzuwenden. Wenn dazu rechtliche Klarstellungen erforderlich sind, dann bietet das sechste Prinzip der Wirtschaftsordnung Walter Euckens die richtige Orientierung.

Ein technologieneutrales Prinzip

Das beeindruckende an Euckens Prinzip der Haftung ist, dass es, ganz wie der Fintech-Rat fordert, technologieneutral ist. Wenn sich zum Beispiel eines Tages einmal aus den Smart Contracts heraus vollkommen autonome Programme entwickelt haben werden, die sich selbst reparieren und anpassen und für ihre eigene Erhaltung selbst sorgen, dann brauchen keine neuen Prinzipien entwickelt zu werden.

Solche autonomen Programme bekommen wie jedes autonom handelnde Wesen (Person, Unternehmen) eine Existenz als handelndes Wirtschaftssubjekt zugewiesen (zum Beispiel durch Eintragung in ein Register) und unterliegen dann dem Zwang zu haften. Für sie gelten die oben genannten Forderungen genauso wie für jedes andere handelnde Wirtschaftssubjekt. Und wer nicht haftet, der wird abgeschaltet.

Literaturverzeichnis

BSI (2018), Blockchain sicher gestalten - Eckpunkte des BSI, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Bonn

Buhl, H., Schweizer, A., Urbach, N. (2017), Blockchain-Technologie als Schlüssel für die Zukunft, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Heft 12, S. 30-33

Dentz, M. (2017), Treasurer Kurt Schäfer über Daimlers Blockchain-Deal, in: Der Treasurer v. 27.9.2017 Eucken, W. (1939, 1989), Grundlagen der Nationalökonomie, 1939, hier 6. Auflage 1989, Berlin u.a.

Eucken, W. (1952, 1990), Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 1952, hier 6. Auflage 1990, Tübingen

FTR (2019), Stellungnahme des FinTechRat zur Blockchain-Strategie der Bundesregierung im Rahmen der öffentlichen Konsultation, Positionspapier vom 27.3.2019, Berlin; online verfügbar

Jedelsky, A., Wiegelmann, T. (2018), Die Blockchain-Technologie und ihr Potenzial für die Immobilienwirtschaft, in: Immobilien und Finanzierung, Heft 34, S. 34-36

Nakamoto, S. (2008), Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, o.O.

Rennison, J. (2018), Treasury must fill regulatory ,vacuum' on crypto assets, says top CFTC official, in: Finanical Times v. 15.3.2018

Schlatt, V., Schweizer, A., Urbach, N., Fridgen, G. (2016), Blockchain: Grundlagen, Anwendungen und Potenziale, Fraunhofer FIT, Projektgruppe Wirtschaftsinformatik, Universität Augsburg, Augsburg

Fußnoten

1) FTR, 2019

2) FTR, 2019

3) FTR, 2019, Seite 16

4) Zum Folgenden siehe Eucken (1939, 1989)und Eucken (1952, 1990).

5) Die Prinzipien lauten: Freies Preissystem, Primat der Währungspolitik, Offene Märkte, Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung, Konstanz der Wirtschaftspolitik (Eucken, 1952, 1990, Seiten 254 ff.).

6) Eucken, 1952, 1990, Seite 279

7) Eucken, 1952, 1990, Seite 280

8) Eucken, 1952, 1990, Seite 281

9) Eucken, 1952, 1990, Seite 282

10) Vgl. CNBC

11) Vgl. Bitfinex vgl. auch Rennison, J., 2018

12) Vgl. Bitcoin

13) Vgl. Bitcoin

14) Quelle: Nchain

15) Siehe HEISE

Prof. Dr. Friedrich Thießen Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
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