Strategien für die Bargeldversorgung der Zukunft

Jörg Engelhardt, Foto: Six Group

Die Schweiz ist auf dem Weg zur "Cash-Light-Gesellschaft". Der Anteil kartenbasierter und mobiler Bezahlvorgänge steigt wie in allen hochentwickelten Ländern rapide an, nicht zuletzt auch Covid-19-bedingt. Das forciert einmal mehr die Frage nach der richtigen Strategie für eine effiziente und zuverlässige Bargeldversorgung in der Zukunft. Je mehr sich der Trend zur "Cash-Light-Gesellschaft" verstetigt, desto höher sind die Kosten pro Transaktion am ATM. Progressive Länder, die bei der Abkehr vom Bargeld voranschreiten, haben Gewinnerstrategien für die Bargeldversorgung entwickelt, mit denen sie in drei Stufen zunächst die Bargeldversorgung durch die Banken, dann das landesweite ATM-Netzwerk und letztendlich die komplette nationale Bargeldversorgung zukunftsfähig organisieren. (Red.)

Das veränderte Zahlverhalten der Verbraucher und der Wandel des Bargelds vom Zahlungs- zum Wertaufbewahrungsmittel haben während der Corona-Krise an Fahrt aufgenommen. Untersuchungen der SIX Group AG (SIX), Betreiberin der Schweizer Finanzmarktinfrastruktur, aus dem Jahr 2019 zu der Anzahl der ATM (Automated Teller Machine)-Transaktionen in der Schweiz zeigen, dass innerhalb der folgenden fünf bis sieben Jahre Bargeld seine zentrale Rolle als Zahlungsmittel verlieren wird. Laut Whitepaper "Future of Money" beträgt der prognostizierte Rückgang 40 bis 70 Prozent. Untersuchungen von Januar 2021 bestätigen diese Entwicklung nicht nur, sie werten vielmehr die Einschätzungen von 2019 nach rund einem Jahr Covid-19 eher als konservativ, denn allein im Jahr 2020 sind die Bargeldbezüge an ATMs um rund 40 Prozent gesunken.

Gleichzeitig bleibt die Bedeutung des Bargelds für die Gesellschaft unbestritten hoch. In Krisenzeiten dient es als Wertaufbewahrungsmittel. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) beobachtet, dass Bargeld seit 2008 als Wertaufbewahrungsmittel wieder an Bedeutung gewinnt. Sie führt die erhöhte Nachfrage nach Banknoten generell auf das anhaltend tiefe Zinsniveau zurück und führt weiter aus, dass die Finanzmarktkrise und die Staatsschuldenkrise zu einer erhöhten Attraktivität der Bargeldhaltung beigetragen haben. Das bestätigte sich auch in der Corona-Krise: Nachdem der Schweizer Bundesrat über die extreme Pandemie-Situation berichtet hat, stieg laut SNB die Bargeldhaltung merklich an. Im Übrigen nicht nur in der Schweiz: Die Bank of England hat die Auswirkungen von Covid-19 auf Banknoten untersucht und festgestellt, dass der Gesamtwert des im Umlauf befindlichen Bargeldes im Jahr 2020 sowohl in den USA, in der Eurozone als auch in vielen anderen Ländern höher war als 2019. Die Europäische Zentralbank (EZB) bestätigt dies: In Europa ist die Geldmenge zuletzt um mehr als zehn Prozent gewachsen.

Bargeld ist also ein wichtiger Vertrauensanker für die Bevölkerung. Der ungehinderte Zugang zu Bargeld ist damit trotz der abnehmenden Bedeutung von Cash als Zahlungsmittel eine gesellschaftlich relevante Aufgabe. Nach wie vor sind ATMs die beliebteste Bezugsquelle für Bargeld in Europa. Dies bestätigte die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrer im Dezember 2020 erschienenen Studie "Space". Als Betreiber von ATM-Infrastrukturen stehen Banken angesichts geringerer Bargeld-Transaktionen vor der Herausforderung, ihre ATM-Netzwerke auch in Zukunft wirtschaftlich zu betreiben. Denn geringere Transaktionsvolumina führen aufgrund der Fixkosten einer Cash-Infrastruktur unmittelbar zu steigenden operativen Kosten pro Transaktion.

Institutsübergreifende Ansätze gefragt

Das wirft die Frage auf, ob ATMs auch zur kritischen Infrastruktur einer Gesellschaft werden und damit Veränderungen in der Bargeldversorgung einer besonderen Absicherung bedürfen. Denn nicht nur Bargeld, sondern auch ein funktionierender Bargeldservice ist ein wichtiger Vertrauensfaktor, insbesondere in unsicheren Zeiten. Nicht umsonst stuft in Deutschland das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die Bargeldversorgung als kritische Versorgungsdienstleistung ein.

Abbildung 1: Anzahl ATM-Transaktionen in der Schweiz Quelle: Daten SNB
Abbildung 2: Bündelung von Serviceleistungen bei einem Provider Quelle: SIX

Erfolgreiche Strategien für eine effiziente und zuverlässige Bargeldversorgung in der Zukunft lassen sich nicht auf Institutsebene umsetzen. Das zeigen digitalaffine Länder, in denen Bargeld im alltäglichen Leben der Bevölkerung seit längerer Zeit eine immer geringere Rolle spielt. Skandinavien, Großbritannien, die Niederlande, Luxemburg und Estland gelten als Vorreiter bei der digitalen Transformation der Zahlungsmittel. Diese vollzieht sich in drei Stufen: Nach dem Verschlanken der Bargeldversorgungsprozesse auf Institutsebene und dem Schaffen von Synergien mit anderen Instituten folgt eine bedarfsgerechte Dimensionierung des ATM-Netzwerks auf nationaler Ebene, bevor in einer dritten Stufe die Verantwortung für die Ressourcen aller Bargeldakteure, angefangen von den Banken über den Einzelhandel bis hin zum Verbraucher, auf nationaler Ebene gebündelt wird.

Schweizer Banken haben in dieser Hinsicht zusammen mit SIX den Transaktionskostenanstieg bereits frühzeitig antizipiert und im Jahr 2017 ein Optimierungsprojekt gestartet. Es wurden zunächst die Dienstleistungen am ATM standardisiert und damit die IT-Umsetzungskosten reduziert, der ATM-spezifische Einkauf für alle Banken gebündelt und wertschöpfende Services wie das ATM-Monitoring optimiert. Aktuell fokussieren die Eidgenossen erweiterte Services wie das Cash Management, Security Services und bargeldlose Transaktionen, deren Prozesse gebündelt und in einer weiteren Stufe auch als ATM-as-a-Service-Leistungen zentral angeboten werden können. Dieser frühzeitig eingeschlagene Weg wurde inzwischen konzeptionell weiterentwickelt. Er zielt nun auf eine Einbindung aller Akteure im Bargeldkreislauf. Auf diese Weise kann die Providerin zusammen mit den Schweizer Banken, dem Einzelhandel und weiteren Bargeldakteuren ein modernes Ökosystem für zukünftiges Bezahlen schaffen, die sogenannte Circular Cash Economy für die Schweiz.

Auf Institutsebene Verschlankung der Bargeldversorgungsprozesse

Schweizer Banken arbeiten konsequent an Effizienzsteigerungen in der Bargeldversorgung ihrer Kunden. Ein wichtiger Aspekt liegt dabei auf der Optimierung der ATM-Betriebsprozesse. Deren Kosten machen etwa fünf bis zehn Prozent der gesamten Betriebskosten einer Bank aus. Das Beratungsunternehmen McKinsey veröffentlichte zu dem Thema bereits im Jahr 2018 unter dem Titel "Attacking the cost of cash" einen umfassenden Bericht. In diesem gehen die Autoren davon aus, dass Banken diese Kosten durch die Einführung von Lean-Prinzipien, Produktivitätssteigerungen in den Distributionszentren, in der Bestandsverwaltung und im Bargeldtransport sowie durch Abfallvermeidung um bis zu 30 Prozent reduzieren können.

In dieser Hinsicht profitiert die überwiegende Zahl der Schweizer Banken bereits heute von einer Bündelung der Kräfte in der Bargeldversorgung: Rund 6 000 der fast 7 000 Schweizer und Liechtensteiner ATMs sind aktuell an das Netz der Plattformbetreiberin SIX angeschlossen. Die Institute wickeln über dieses Netzwerk ihre bankeigenen, aber auch bankübergreifenden Transaktionen ab. Die Betreiberin übernimmt dabei alle wesentlichen Dienstleistungen und definiert sowie verwaltet gemeinsame Standards und Anforderungen für das ATM-Netzwerk. In diesem Kontext hat SIX beispielsweise Ende September 2020 ein groß angelegtes Migrationsprojekt zur Standardisierung von Dienstleistungen am ATM abgeschlossen. Im Zuge dessen wurden die ATMs aller angeschlossenen Banken mit einer einheitlichen Multi-Vendor-Software ausgerüstet.

Ein weiterer wichtiger Schritt zur Optimierung der Bargeldversorgung ist das Vereinheitlichen der ATM-Hardware und damit der Abbau von Variantenvielfalt im ATM-Netz. SIX hat dies zusammen mit den Banken in der Schweiz bereits realisiert. Teilnehmende Banken profitieren von reduzierten Beschaffungspreisen bei Geräteherstellern, Einsparungen im Unterhalt sowie von standardisierten Betreuerfunktionen. Die Bündelung des Einkaufs bietet auf lange Sicht die Chance, zukunftsweisende Sourcing-Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Insbesondere ein global ausgerichtetes Hardware-Sourcing zahlt sich für Banken durch weitere Kostenreduzierungen bei der Hardware-, Software- und Service-Beschaffung aus. Derartige Szenarien evaluiert die Schweizer Börsenbetreiberin derzeit im Auftrag der Schweizer Banken.

Abbildung 3: Bedarfsgerechte Dimensionierung der ATM-Netzwerke Quelle: SIX

Andere Hebel zur Optimierung liegen in der Bündelung von Serviceleistungen bei einem Provider. SIX als Serviceanbieterin unterstützt Banken mit einem Dienstleistungsportfolio. Über dieses können die Institute ATM-spezifische Betriebsaufgaben zusammenführen und effizient betreiben lassen. Dazu gehört etwa ein zentraler Monitoring Service. Institute, die ihren Gerätepark selbst überwachen möchten, nutzen diese Dienstleistungen als Software-as-a-Service. Andere Banken können das Monitoring als komplettes Business Process Outsourcing (BPO) beziehen. Neben Effizienz- und Kostenvorteilen profitieren die Institute von einer höheren Betriebsverfügbarkeit und der Entlastung eigener Beschäftigter von administrativen Aufgaben beziehungsweise - im Falle des BPOs - auch von einer Entlastung des gesamten ATM-Betriebs sowie dem Wissens- und Erfahrungsaustausch mit der Serviceanbieterin.

Aktuell werden mit dem Portfolio die wachsenden Risiken durch logische Attacken und Cyberangriffe auf ATM-Netzwerke adressiert. Dazu baut sie ein auf drei Säulen basierendes zentrales Security Framework für die gesamte Schweiz auf. Dieses umfasst ein zentrales Monitoring weltweiter Nachrichten zu neuen Vorgehensweisen von Angreifern beziehungsweise Bedrohungen von ATMs sowie regelmäßige Informationen an die beteiligten Banken. Eine zentrale Analyse zu Risikopotenzialen für ATMs sowie anlassbezogene Alarmierungen und die kontinuierliche Bereitstellung von Informationen sowie Handlungsempfehlungen helfen den beteiligten Banken, Sicherheitsattacken rechtzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Ein zukünftiger Bestandteil des Serviceportfolios wird ein effizientes Cash Management für Schweizer Banken sein. Diese können damit ihr Cash Management auslagern und zentralisieren. Dabei betreiben die Institute ihre ATMs und auch ihre Schalter/Kassen-Geräte wie etwa Automatische Kassentresore (AKT) selbst und bleiben damit auch Eigentümer des Bargeldes. Damit sind sie auch weiterhin Vertragspartner der Werttransportunternehmer. Sie nutzen lediglich eine Cash-Management-Software als Software-as-a-Service. Ergänzend dazu können sie im Sinne eines Business Process Outsourcing auch das Handling des Bargelds an die Serviceanbieterin übergeben. Im Zielbild avanciert diese damit zum Single Point of Contact (SPoC) für die Banken rund um die Bargeldversorgung ihrer Kunden.

Bedarfsgerechte Dimensionierung der ATM-Netzwerke

Mit diesen Maßnahmen sind die Schweizer Banken auf einem guten Weg, den Anstieg ihrer operativen Kosten im ATM-Netzwerk entgegenzuwirken. Banken in progressiveren Ländern sind über diese Stufe bereits hinaus. Sie arbeiten daran, die Infrastruktur für die Bargeldversorgung zukunftsgerecht zu gestalten.

Eine neue Dimensionierung des ATM-Netzwerks erfordert nach Überzeugung von McKinsey eine ganzheitliche Betrachtung aller Standorte sowie die Berücksichtigung aller Einflussfaktoren. Bei dieser Aufgabe geht es nicht nur um Standorte, sondern auch um Details. Dazu gehört das Berücksichtigen transaktionsbasierter Kosten wie Kartengebühren, standortspezifischer Kosten wie Strom, Wartungs- und Betriebskosten sowie weiterer Kosten etwa für die IT und das Backend. Erfolgt die Dimensionierung auf nationaler Ebene und ist nicht durch Partikularinteressen einzelner Institute beeinflusst, ist dies der entscheidende Schlüssel dafür, die Kostentreiber im Netzwerk zu identifizieren und zu eliminieren, um auf diese Weise die Versorgungssicherheit mit Bargeld bei effizientestem Ressourceneinsatz gewährleisten zu können.

In der Schweiz untersucht im Auftrag von SIX bereits eine auf Standortplanung und -bewertung sowie Verkehrs- und Infrastrukturplanung spezialisierte Beratungs- und Technologiegesellschaft, wie die optimale Größe eines ATM-Netzwerkes für die Schweiz zu dimensionieren wäre. Dabei betrachten die Experten zwei Szenarien: Basierend auf den Transaktionspotenzialen suchen sie unter Einbeziehung existierender Standorte eine ideale Größe des Schweizer ATM-Netzwerks. Darauf aufbauend ermitteln sie Anzahl und Idealverteilung von ATM-Standorten nach dem Grüne-Wiese-Ansatz. Ziel ist es, marktbasierte Hypothesen zu verifizieren, wie sie SIX etwa in dem Whitepaper "Future of Money" publiziert hat. Demnach kann in der Schweiz die Bargeldgrundversorgung mit rund 30 bis 40 Prozent weniger ATMs gewährleistet werden, was einem Bestand von 4 200 bis 4 900 Geräten entspricht. Darin enthalten sind allerdings noch nicht die möglichen Effekte, die sich aus dem veränderten Verbraucherverhalten während der Corona-Pandemie ergeben. Dass sich daraus eine geringere Anzahl an ATMs ergibt, ist nicht unwahrscheinlich.

Institutsübergreifende Optimierung durch zentrale Betriebsgesellschaft

Andere europäische Länder in vergleichbarer Situation haben bereits Lösungsansätze für die Umsetzung der Dimensionierungsherausforderungen gefunden. Kern dieser Ansätze ist die institutsübergreifende Optimierung durch eine zentrale Betriebsgesellschaft. In Schweden, Finnland und den Niederlanden haben die Banken eine eigene Betreibergesellschaft gegründet und betreiben über diese das ATM-Netzwerk ohne bankenspezifisches Branding der Automaten.

Andere Länder wie Dänemark und Norwegen gehen vergleichbare Wege, indem sie das Cash Management zentralisiert und an eine eigene Betriebsgesellschaft übertragen haben. Die Optimierung durch eine Betriebsgesellschaft setzt ein gemeinsames Commitment und eine Mandatierung durch alle Banken im jeweiligen Land voraus. Der Vorteil liegt auf der einen Seite darin, dass die Gesellschaft die kritische Größe erreicht, um das ATM-Netzwerk wirkungsvoll an den Bedarf anzupassen. Die Mandatierung der Betriebsgesellschaft durch alle Beteiligten führt zu einer Gleichbehandlung aller Banken, was auf der anderen Seite wiederum zu einer breiten Akzeptanz im Markt für eine gemeinsame und faire Lösung führt.

Die Bündelung bietet die ideale Voraussetzung für eine flächendeckende Optimierung unter Berücksichtigung des Grundversorgungsauftrages für Zahlungsdienstleistungen. In der Schweiz unterstrich Raiffeisen-CEO Heinz Huber Ende Januar 2021 in einem Interview angesichts der anstehenden Privatisierung der Post Finance die Relevanz der derzeit laufenden Diskussionen über den Grundversorgungsauftrag für Zahlungsdienstleistungen. Diese finden auf unterschiedlichsten Ebenen statt. Im Gespräch ist dabei eine zentrale Betriebsgesellschaft, die das gesamte ATM-Netzwerk der Schweiz betreibt und Skaleneffekte sowie Effizienzgewinne realisiert.

Für dieses Modell wurde ein Zielbild entwickelt, bei dem die Gesellschaft unter anderem einen ganzheitlichen ATM-as-a-Service anbietet. Dieses Angebot umfasst sämtliche Prozessschritte zum Bewirtschaften der ATMs. Die frühzeitige Einführung einer einheitlichen Multi-Vendor-Software sowie die Zentralisierung von Einkaufs- und Servicestrukturen zahlen sich dabei für Schweizer Banken aus. Die einheitliche Software ist Voraussetzung, dass ein Provider alle Transaktionen und Eingaben am ATM verarbeiten und auch weitere Abläufe des ATM-Betriebs übernehmen kann. In der Schweiz nutzen immer mehr Banken bereits die zentrale Überwachung ihrer ATMs durch ein Expertenteam von SIX. Diesen Weg gehen sie weiter und unterstützen aktiv die Initiativen ihrer Dienstleisterin in den Bereichen Sicherheitsmanagement, Bargeldsteuerung sowie weiterer Dienstleistungen etwa in den Bereichen Installation und Wartung der ATMs.

Abbildung 4: Whitepaper "Future of Brick-and-Mortar Commerce" Quelle: SIX White Paper "Future of Brick-and-Mortar Commerce", Seite 55

Konsequent umgesetzt sieht der Weg vor, dass die Automaten in Zukunft einer Betreibergesellschaft gehören. Um für die Schweiz bedarfsgerechte Lösungsszenarien zu evaluieren, wurde ein Proof of Concept (PoC) mit interessierten Banken initiiert. In diesem werden Hypothesen einer möglichen Betriebsgesellschaft getestet. Dazu sollen an geeigneten bestehenden Lokationen in drei Szenarien untersucht werden, wie

- sich die Reduktion von Bargeldservices durch das gezielte Abschalten redundanter ATMs an einem Standort beziehungsweise in naher Standortumgebung auswirkt,

- Verbraucher reagieren, wenn an existierenden Standorten das bankenspezifische Branding entfernt wird,

- es sich auswirkt, wenn an existierenden Standorten ein ATM mit einem bankneutralen Brand betrieben wird.

Die Ergebnisse des PoCs fließen in die weiteren Diskussionen ein, damit rechtzeitig eine richtungsweisende Entscheidung getroffen werden kann. Der Aufbau und die zentrale Unterhaltung einer Bargeldversorgung über ein richtig dimensioniertes ATM-Netzwerk ist dabei aber nicht der alleinige Weg, um die Zukunft der Bargeldversorgung sicherzustellen. Denn Banken sind zwar der wichtigste, nicht aber der einzige Player im Bargeldkreislauf.

Nationales Zusammenführen der Ressourcen aller Bargeldakteure

Die Aufrechterhaltung der Bargeldversorgung auf nationaler Ebene ist eine sektorenübergreifende Herausforderung, zu deren Bewältigung alle professionellen Bargeldakteure ihren Beitrag leisten müssen. Der Bankensektor ist dabei aus seiner Rolle heraus naturgemäß im Lead. Die Betreibergesellschaft ist damit auf Dauer gefordert, neben dem ATM-Netzwerk auch alle anderen Schnittstellen zwischen den professionellen Bargeldakteuren zu betrachten und auf Optimierungspotenziale hin zu überprüfen. Dabei sind die jeweiligen Interessen der einzelnen Akteure zu respektieren und zu harmonisieren. Das betrifft insbesondere die Beziehungen zwischen Einzelhandel und Banken. Dazu gehört auch, die Bedürfnisse der Verbraucher und deren sich wandelnde Anforderungen an das Bargeld zu analysieren, in den Lösungskonzepten zu berücksichtigen und adäquat zu bedienen.

Hybride Struktur des Einzelhandels am wahrscheinlichsten

SIX hat sich intensiv mit der Zukunft des stationären Einkaufens auseinandergesetzt und in dem Whitepaper "Future of Brick-and-Mortar Commerce" unterschiedliche Szenarien entworfen, die Orientierung in einer sich von Grund auf transformierenden Branche bieten. Als wahrscheinlichstes Szenario wird dabei angenommen, dass sich im Einzelhandel eine hybride Struktur durchsetzen wird. In dieser sind Einzelhändler sowohl stationär als auch online präsent und bieten ihren Kunden auf diese Weise an allen Kontaktpunkten besondere, auf die persönlichen Präferenzen hin abgestimmte Einkaufserlebnisse an.

Konsumenten können dazu ohne Portemonnaie, Kreditkarte et cetera in einen Laden gehen und einkaufen. Sie bezahlen mit dem Gesicht, auch wenn sie noch nie zuvor dort gewesen sind. Denn vertrauenswürdige Marktteilnehmer stellen einen sicheren (virtuellen) Tresor mit biometrischen Daten bereit, der über ein sicheres Netzwerk von überall zugänglich ist. Ein weiterer Akteur könnte Läden mit einer Self-Scanning und Self-Checkout-Lösung unterstützen, die breit akzeptiert ist. Für Einzelhändler bedeutet dies, dass die Transaktionskosten für das Bargeldhandling immer weiter steigen. Auch hier kann eine zentrale Betreibergesellschaft bedarfsgerechte Angebote schaffen, mit denen Einzelhändler den vonseiten der Verbraucher gewünschten Bargeldservice auch in Zukunft zu vertretbaren Kosten anbieten können. Solche Strukturen erfordern aus Kostengesichtspunkten einen zentralisierten Betrieb der Bargeld-Infrastruktur. Weitere Kostensenkungen könnten erzielt werden, wenn Verbraucher und deren Bedürfnisse gesamthaft in die Gestaltung der Bargeld-Infrastruktur einbezogen werden. Über eine solche "Crowd-augmented Cash Infrastructure" würde ohne großen Abdeckungsverlust eine weitere Verringerung der Anzahl der ATMs ermöglicht.

Solche Szenarien eröffnen Zukunftsperspektiven und weitere konkrete Aufgabenfelder für eine zentrale Betreibergesellschaft. Als vertrauenswürdiger Marktteilnehmer kann sie beispielweise auch als Anbieter eines sicheren virtuellen Tresors für biometrische Daten fungieren. Zudem ist es auch denkbar, dass die Cash-Infrastruktur um wichtige einzelhandelsnahe Servicepunkte erweitert wird. Das könnten Cash-Einzahler mit direkter Wertstellung eingezahlter Beträge auf das Konto des jeweiligen Einzelhändlers sein. Dabei muss die zentrale Betreibergesellschaft auch eigentlich unbeliebte Services übernehmen, die Einzelhandel und Verbraucher wünschen. Dazu gehört der Münzgeldservice.

Die Bündelung aller Ressourcen in einer zentralen Betreibergesellschaft eröffnet die Möglichkeit, neue, integrierte Konzepte wirtschaftlich umzusetzen wie etwa die mehrwertorientierte Stationierung von Münzgeldeinzahlern an einzelhandelsnahen Standorten. Diese können statt einer Kontogutschrift einen Zahlungsbeleg für den ortsansässigen stationären Einzelhandel ausgeben, der dann für lokalen Umsatz sorgt.

Die Rahmenbedingungen für den Aufbau und die Positionierung einer zentralen Betreibergesellschaft müssen diskutiert und unter Berücksichtigung aller Interessen definiert werden. Denn Konsens ist die Voraussetzung für Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit der Gewinnerstrategien. Zentrale Fragen, wie etwa Konkurrenzsituationen von Betreibergesellschaft und Banken als Eigner, müssen offen angesprochen und gelöst werden.

Eine klare Mandatierung und Positionierung als reine Servicegesellschaft für die Businesspartner ist dabei ein wichtiger Erfolgsfaktor. Ebenso wichtig ist eine klare Beauftragungslage. Szenarien zeigen, dass der Erfolg einer solchen zentralen Servicegesellschaft infrage steht, wenn nicht von Anfang an ein klares Commitment aller Banken für eine solche Betriebsgesellschaft gegeben wird.

Phasen, in denen eine solche Gesellschaft nur partiell für ATM-Standorte verantwortlich ist und damit tendenziell nur B- und C-Standorte bekommt, oder auch nur von kleinen Instituten beauftragt wird, die in der Regel eher auf zentralisierte Angebote zugreifen, um hinsichtlich der ATM-Betriebskosten frühzeitig von Skaleneffekten zu profitieren, konterkarieren eine nationale Anstrengung. Aber genau dieser bedarf es, um die Bargeldversorgung der Zukunft jetzt aufzubauen.

Auf Dauer wirtschaftlicher Betrieb sichergestellt

Die Strategien sind erfolgreich, wenn die Betreibergesellschaft als Service gesell schaft zunächst für Banken - und in einer weiteren Stufe für sämtliche professionelle Bargeldakteure - ein weitreichendes Full-Service-Mandat bekommt und für den Umbau sowie den Aufbau einer optimal dimensionierten Infrastruktur die notwendigen Mittel bereitstehen. Dieses Invest zahlt sich für alle Beteiligten auf Dauer aus - sowohl über effiziente Strukturen und ein weiterhin hohes Vertrauen von Kunden, die am Geldautomaten auch in Zukunft einen direkten Touchpoint zu ihrem Kreditinstitut bekommen, als auch über kontinuierliche Einnahmen, die nicht nur über Service-Fees, sondern auch über den Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen am Point-of-Sale ATM generiert werden.

Damit wird auf Dauer ein wirtschaftlicher Betrieb sichergestellt, sodass sich die Betreibergesellschaft auf das konzentrieren kann, wozu sie gegründet wird: die aktive Gestaltung einer wirtschaftlich tragfähigen, zukunftssicheren Bargeldversorgung mit innovativen Angeboten für den Zahlungsverkehr von morgen und übermorgen.

Jörg Engelhardt Senior Business Development Manager, SIX Group, Zürich
 
Jörg Engelhardt , Senior Business Development Manager, SIX Group, Zürich

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